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An Johann Jacob von Willemer

Nichts hätt ich mehr gewünscht, verehrter Freund, als daß Sie, da meine Kinder nach Berlin gegangen waren, im Stillen Zeuge gewesen wären wie das tägliche Tischgespräch zwischen Ulriken und mir sich um eine unruhige Verwunderung bewegte, wie Sie konnten so lange außenbleiben und schweigen. Zuletzt freylich erwarteten wir Sie nicht mehr und ich schrieb an Schlosser: ob Sie denn wirklich zu Hause seyen? welches er bejahete, da ich denn zugleich Ihren lieben Brief erhielt.

Ich blieb um so ungewisser über Ihre Zustände, als ich Mariannen gleich nach Ihrer Abreise geschrieben und einiges gesendet hatte, worauf ich einige Erwiderung hoffte. In einer Lage wie die meinige, ich darf sagen, wie die unsrige, haben wir treuen Sinn zu bewahren für diejenigen auf die unser Lebenswohl, unsere Lebensfreuden sich gründeten und stützten; dieß war mir von je eine natürliche, nothwendig eingeborne Pflicht, ich konnte sie im beweglichsten Leben einigermaßen erfüllen und ich nähre und erbaue mich daran in der Einsamkeit. Wie schön und dafür eine Gegenwart, sie mag uns zufällig gegönnt seyn, oder vorsätzlich erreicht werden, belebt und belohnt, empfand ich bey Ihrer Erscheinung, mein Theuerster, bey dem Besuche Zelters und anderer früheren That- und[215] Leidensgenossen; selbst bey der Rückkehr meiner nur zwey Monat entfernten Kinder.

Welche Seligkeit würde es daher für mich seyn, an dem freundlichen heiteren Maynstrom die theuren, wahrhaft geliebten Freunde wieder zu finden, und auf's neue das übrige Leben zu verpfänden. Wie ich dieses Jahr dazu gelangen sollte seh ich nicht ab, da außer den allgemeinen Schwierigkeiten noch besondere eintreten worüber Sie mir öfter, ersuchen Sie Mariannen, daß sie von sich hören lasse. Wie nah ich meinen südwestlichen Freunden bin, können Sie denken, da ich mich gegenwärtig in Jena befinde um den Abdruck des Divans zu beschleunigen, den man mir bis jetzt unverantwortlich verzögert hat.

Zu einigem Aufschluß des Obgesagten füge bey: daß ich eine bedeutende Aufforderung, an Rhein und Mayn diesen Sommer zu gehen, erhalten hatte; die ich aber aus Gründen ablehnte, die noch jetzt dagegen gelten würden und die gewiß von Schwere seyn mußten, weil sie die Hoffnung mit aufwogen die theuersten Freunde wiederzusehen. Mehr sag ich nicht. Nur den Wunsch noch bald wieder von den Lieben zu hören!

Jena den 9. Juli 1819.

G. [216]

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1819. An Johann Jacob von Willemer. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-99C8-B