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An Ludwig Tieck

Ew. Wohlgeboren

haben mich mit Ihrem werthen vertraulichen Briefe gar sehr erfreut, wogegen ich den empfohlnen wackern Mann freundlich aufgenommen, und, obgleich nur kurze Zeit, mich mit ihm gern unterhalten habe. Ein jeder den Sie mir senden soll mir gleicherweise lieb seyn.

In dem nächsten Hefte von Kunst und Alterthum finden Sie ein heiteres wohlgemeintes, obgleich flüchtiges Wort über Ihre Verlobten. Merkwürdig ist es immer daß von den zerstückelten Gliedern unsers anarchischen Literatur- und Kunstwesens gar manche sich zu der frömmelnden Fahne sammeln, welche freylich die Schwachen am Geiste und an Talenten sektenartig in Schutz nimmt. Schade ist es dabey doch immer daß so manche löbliche Fähigkeit und Fertigkeit auf diesem falschen Wege, wohl erst gewisse Vortheile, später aber großen Nachtheil empfindet; wie [5] ich auf's deutlichste in vielfachen Einzelheiten die zu mir gelangt ungern gewahr werde. Wenn denn aber wie man sich nicht verbergen darf gegen dieses nur seicht und immer seichter sich verbreitende Gewässer nicht zu wirken ist, so halt ich's doch für gut, ja für nöthig von Zeit zu Zeit ein öffentliches Zeugniß zu geben daß man anders denkt, wie es denn auch in Ihrer Novelle ganz am rechten Platz geschehen.

Sollten Sie von manchem was Sie öffentlich auszusprechen geneigt wären mir baldige Kenntniß geben, so würde ich es dankbar empfangen; bey der nothwendigen Beschränkung, in der ich mich halten muß um nur einigermaßen übernommene Pflichten zu erfüllen, trifft auch das Beste spät bey mir ein, da dem minderen aller Zugang ganz und gar versagt ist.

Lassen Sie uns ja bey dieser Gelegenheit wohl betrachten, welchen großen Werth es hat mehrere Jahre neben einander, wenn auch in verschiedenen Richtungen gegangen zu seyn. Waren die früheren Zwecke redlich und ernstlich, so neigen sie sich in späteren Tagen wieder von selbst zu einander, besonders wenn man gewahren muß daß die nachfolgenden in solchen Divergenzen hinauszuschwärmen geboren sind, die kein Begegnen mit dem was wir für das Echte und Wahre halten jemals hoffen lassen.

Gern erwähn ich auch Ihrer fortgesetzten Vorlesungen wodurch Sie Geist und Sinn unserer früheren[6] Tage, auf die wir immer mit einigem Wohlgefallen zurückzusehen berechtigt sind, lebendig zu erhalten wissen.

Grüßend, wünschend, treu theilnehmend

Weimar den 2. Januar 1824.

Goethe.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1824. An Ludwig Tieck. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-9ABA-3