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An Charlotte von Stein

d. 25. Aug. 82.

Wie sehr gönn ich den Kindern um dich in diesem Augenblicke zu springen und zu iubiliren, und wie sehr beneide ich sie. Wenn ich an diesem schönen Tag dein Angesicht sehen könnte wie glücklich wäre ich.

Abends. 8.

Wenn Lavater predigt eins ist noth! So fühl ich auch das Eine das mir Noth ist, dich meine Geliebte[44] mir fehlen. Wie eine süse Melodie uns in die Höhe hebt, unsern Sorgen und Schmerzen eine weiche Wolcke unterbaut, so ist mir dein Wesen und deine Liebe. Ich gehe überall herum bey allen Freunden und Bekannten als wenn ich dich suchte, ich finde dich nicht und kehre in die Einsamkeit zurücke.

Ein grimmiges Wetter bricht herein und wird deinen Gästgen unfreundlich nach Hause leuchten, ich erwarte sehnlich einige Worte von dir. Heute den ganzen Tag hab ich mir stille Vorwürfe gemacht daß ich nicht mit der Gesellschafft gegangen bin.

Um 10.

Sie sind noch nicht da und ich hoffe so sehnlich auf ein Blättgen von dir.

So hab ich noch nie an dich geschrieben, so noch nie deine Entfernung gefühlt. Ich sehe dich immer unter den deinigen, bin in euch transsubstanziirt.Liebe Lotte! hab ich wieder zwanzigmal des Tages mit leisen Lippen ausgesprochen.

Ich kann dir nichts melden.

Der Prinz ist gut, freundlich und gesprächig.

d. 26. früh.

Endlich erhalt ich dein Blätgen. O du liebe. Ja glaube mir und fühle daß ich dir immer gegenwärtig bin.

Die Kinder sind erst um 1 Uhr angekommen ich weis nicht wie es ihnen ergangen ist. Hier eine Frucht.

[45] Rousseaus Briefe, ein köstlichier Theil seines Nachlasses.

Und das Landschäfftgen.

Und meiner Bleibenden Liebe und Leidenschafft Versicherung. Grüse die deinigen. Tausend adieu.

G.


d. 26. Abends.

Die Melonen wollen nicht reifen und so liegt das Blat noch da.

Wenn ich einen Tag gearbeitet habe, ohne dich Abends zu finden, so weis ich eben nicht wozu alle die Mühseeligkeit soll.

Heute hab ich ganz alleine zugebracht, indem in Tiefurt gros Essen und Versammlung war. Die schöne Gräfinn und die abgeschmackten Grafen.

Ich bin so gewohnt ausführlich gegen dich zu sehn, dir alles zu sagen was ich dencke, daß mir es schweer wird dir zu schreiben. Es stellt sich mir alles auf einmal vor und ich mögte dir alles sagen.


d. 27. früh.

Liebe Lotte komm zurück! Ich weis bald nicht mehr warum ich aufstehe.

Abends.

Diesen Abend war allgemeiner Frost unter dem Zelte. Um achte ging ich nach hause. Die Sterne standen über dem deinigen und deine Fenster waren nicht erleuchtet, die Sterne die mich sonst so schön [46] führen. Ich schlich durch meine Ackerwand und bin nun bey dir.

Soll ich denn noch dich Donnerstags erhoffen!

Der Prinz ist gar verständig und lieb, es läßt sich mit ihm etwas reden und treiben. Ich schicke dir einen artigen Aufsatz über Rousseau, von ihm. Er ist auserordentlich bescheiden, bey sehr richtigem Gefühl, und hat keine fürstliche Queeren.

Die Herzoginn ist so angenehm als man seyn kann, der Herzog ist wacker und man könnte ihn recht lieben, wenn er nicht durch seine Unarten das Gesellige Leben gerinnen machte, und seine Freunde durch unaufhaltsame Waghalsigkeit nötigte über sein Wohl und Weh gleichgültig zu werden.

Es ist eine kuriose Empfindung, seines nächsten Freundes und Schicksaals Verwandten Hals und Arm und Beine täglich als halb verlohren anzusehen und sich darüber zu beruhigen ohne gleichgültig zu werden. Vielleicht wird er alt und grau, indeß viele sorgliche abgehn.

Gute Nacht liebe Lotte morgen ist mein Geburtstag. Mit dir will ich enden und anfangen wie immer.

G.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1782. An Charlotte von Stein. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-9B3F-2