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An Carl Ludwig von Knebel

[Concept.]

Eben als ich deinen freundlichen, mein Wohlbefinden begrüßenden Brief erhielt, muß ich der bösen Jahrszeit noch einen starken Tribut bezahlen. Zwar habe ich nicht völlig verloren, doch fang ich erst jetzt wieder an zu etwas nutz zu seyn.

[130] Herr Consistorialrath Mosengeil sende mir Beykommendes um es auch dir mitzutheilen. Der Gedanke ist ganz gut, eine Musik wie die Beethovische, die bey allem ihrem großen Werth doch nur ein sehr langes Stück noch mehr verlängert, einem ruhig aufmerksamen Auditorium genießbar zu machen.

Auch lege merkwürdige Blätter bey von Ludwig Tieck. Er war doch wegen Shakespeare'scher und gleichzeitiger Literatur in England gewesen und hatte einige Notitzen darüber mir längst versprochen. Aus dem Mitgetheilten sieht man denn freylich daß es ein Meer auszutrinken ist, und daß man Shakespearen von seinem Jahrhundert niemals wird literarisch absondern können. Auch Tieck verzweifelt, hierüber jemals etwas Entscheidens zur Sprache zu bringen, obgleich das Studium an und für sich schon höchst interessant ist, wie aus diesem Wenigen schon ersichtlich.

Geht es ja doch mit dem Alterthum auch so; der neue in Mayland vorgefundene gebildete Homer, besonders aber dessen Scholien werden unser Literatoren von neuem zu thun geben, indessen der ästhetische Sinn am Hergebrachten immer noch genug Nahrung findet. Die Recesion Kosegartens vom Divan habe noch nicht zu Gesicht bekommen, sie ist aber gewiß jedes Danks werth, da er so verständig als gelehrt und wohlwollend anerkannt werden muß.

Daß Julius Fronto bey dir gut aufgenommen [131] worden, daran konnt ich nicht zweifeln. Du erinnerst dich vielleicht noch daß ich über einen Herrn Roth sehr verdrießlich war, der über ihn mißredete. Wer Augen hat zu sehen blickt in eine höchst wundersame Zeit und sieht bedeutende Menschen sich seltsam bewegen.

Der Tod Stolbergs frapirt jedermann, weil er so nah auf Vossens Unarten erfolgt. Unmöglich ist es nicht daß ein so zarter Mann wie Friedrich Leopold, der am Ende seine besten Intentionen so schändlich vor die Welt geschleift sieht, davon einen tödlichen Schmerz empfinden mußte.

Nun lebe wohl mit den lieben Deinen und laß uns hoffen daß wir im nächsten Jahr so manche angenehme Stunden zusammen zubringen.

Weimar den 29. December 1819.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1819. An Carl Ludwig von Knebel. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-9B93-2