47/19.

An Thomas Carlyle

[14. April 1830.]

Das werthe Schatzkästlein, nachdem es durch den strengsten Winter vom Continent lange abgehalten worden, ist endlich um die Hälfte März glücklich angelangt.

Um von seinem Gehalt zu sprechen, erwähne zuerst der unschätzbaren Locke, die man wohl mit dem theuren Haupte verbunden möchte gesehen haben, die aber hier einzeln erblickt mich fast erschreckt hätte. Der Gegensatz war zu auffallend; denn ich brauchte meinen Schädel nicht zu berühren, um zu wissen daß daselbst nur Stoppeln sich hervorthun, es war nicht nöthig vor den Spiegel zu treten, um zu erfahren daß eine lange Zeitreihe ihnen ein mißfarbiges Ansehen gegeben. Die Unmöglichkeit der verlangten Erwiderung fiel mir auf's Herz und nöthigte mich zu Gedanken deren man sich zu entschlagen pflegt. Am Ende aber blieb mir doch nichts übrig als mich an der Vorstellung zu begnügen: eine solche Gabe sey dankbarlichst ohne Hoffnung irgend einer genügenden Gegengift anzunehmen. Sie soll auch heilig in der ihrer würdigen Brieftasche aufbewahrt bleiben und nur das Liebenswürdigste ihr zugesellt werden.

Der schottische elegante Turban hat, wie ich versichern darf, zu manchem Vergnüglichen Gelegenheit[16] gegeben. Seit vielen Jahren werden wir von den Einwohnern der drey Königreiche besucht, welche gern einige Zeit lang bey uns verweilen und guter Gesellschaft genießen mögen. Hierunter befinden sich zwar weniger Schotten, doch kann es nicht fehlen daß nicht noch das Andenken an einen solchen Landsmann sich in einem schönen Herzen so lebendig finde, um die National-Prachtmütze, die Distel mit eingeschlossen, als einen wünschenswerthesten Schmuck anzusehen, und die gütige Senderin hätte sich gewiß gefreut das lieblichste Gesicht von der Welt darunter hervorgucken zu sehen. Ottilie dankt aber zum allerverbindlichsten und wird, sobald unsre Trauertage vorüber sind, damit glorreich aufzutreten nicht ermangeln.

Lassen Sie mich nun eine nächste Gegensendung ankündigen, welche zum Juni als der günstigsten Jahrszeit sich wohl wird zusammen gefunden haben; Sie erhalten:

1)Das Exemplar ihres übersetzten Schiller, geschmückt mit den Bildern Ihrer ländlichen Wohnung, begleitet von einigen Bogen in meiner Art, wodurch ich zugleich dem Büchlein offnen Eingang zu verschaffen, besonders aber die Communication beider Länder und Literaturen lebhafter zu erregen trachte. Ich wünsche daß diese nach Kenntniß des Publicums angewendeten Mittel Ihnen nicht mißfallen, auch der Gebrauch, den ich von Stellen unsrer Correspondenz gemacht, nicht als Indiscretion möge gedeutet werden.

[17] Wenn ich mich in jüngeren Jahren vor dergleichen Mittheilung durchaus gehütet, so ziemt es dem höheren Alter auch solche Wege nicht zu verschmähen. Die günstige Aufnahme des Schillerischen Briefwechsels gab mir eigentlich hiezu Anlaß und Muth. Ferner finden Sie beygelegt:

2)Die vier noch fehlenden Bände gedachter Briefe. Mögen sie Ihnen als Zauberwagen zu Diensten stehen um sich in die damalige Zeit in unsre Mitte zu versetzen, wo es eine unbedingte Strebsamkeit galt, wo niemand zu fordern dachte und nur zu verdienen bemüht war. Ich habe mir die vielen Jahre her den Sinn, das Gefühl jener Tage zu erhalten gesucht und hoffe es soll mir fernerhin gelingen.

3)Eine fünfte Sendung meiner Werke liegt sodann bey, worin sich wohl manches Unterhaltende, Unterrichtende, Belehrende, brauchbar Anzuwendende finden wird. Man gestehe zu daß es auch ideelle Utilitarier gebe, und es sollte mir sehr zur Freude gereichen, wenn ich mich darunter zählen dürfte. Noch eine Lieferung, dann ist vorerst das beabsichtigte Ganze vollbracht, dessen Abschluß zu erleben ich mir kaum zu hoffen erlaubte. Nachträge gibt es noch hinreichend; meine Papiere sind in guter Ordnung.

4)Ein Exemplar meiner Farbenlehre und der dazu gehörigen Tafeln soll auch beygefügt werden; ich wünsche, daß Sie den zweyten, als den historischen Theil, zuerst lesen. Sie sehen da die Sache herankommen, [18] stocken, sich aufklären und wieder verdüstern. Sodann aber ein Bestreben nach neuem Lichte ohne allgemeinen Erfolg. Alsdann würde die erste Hälfte des ersten Theils, als die didactische Abtheilung eine allgemeine Vorstellung geben wie ich die Sache angegriffen wünsche. Freylich ist ohne Anschauung der Experimente hier nicht durchzukommen; wie Sie es mit den polemischen Abtheilung halten wollen und können, wird sich alsdann ergeben. Ist es mir möglich, so lege, besonders für Sie, ein einleitendes Wort bey.

5)Sagen Sie mir etwa zunächst wie Sie die deutsche Literatur bey den Ihrigen einleiten wollen; ich eröffne Ihnen gern meine Gedanken über die Folge der Epochen. Man braucht nicht überall ausführlich zu seyn, gut aber ist's auf manches zu vorübergehende Interessante wenigstens hinzudeuten, um zu zeigen daß man es kennt. Dr. Eckermann macht mit meinem Sohn eine Reise nach Süden und bedauert, nicht, wie er gewünscht hätte, dießmal beyhülflich seyn zu können. Ich werde gern wie abgesagt seine Rolle vertreten. Diesen Sommer bleib ich zu Hause und sehe bis Michael Geschäfte genug vor mir.

Gedenken Sie mit Ihrer lieben Gattin unsrer zum besten und empfangen wiederholten herzlichen Dank für die schöne Sendung.

treu angehörig

Weimar den 13. April 1830.

J. W. v. Goethe. [19]

Der annotierte Datenbestand der Digitalen Bibliothek inklusive Metadaten sowie davon einzeln zugängliche Teile sind eine Abwandlung des Datenbestandes von www.editura.de durch TextGrid und werden unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung 3.0 Deutschland Lizenz (by-Nennung TextGrid, www.editura.de) veröffentlicht. Die Lizenz bezieht sich nicht auf die der Annotation zu Grunde liegenden allgemeinfreien Texte (Siehe auch Punkt 2 der Lizenzbestimmungen).

Lizenzvertrag

Eine vereinfachte Zusammenfassung des rechtsverbindlichen Lizenzvertrages in allgemeinverständlicher Sprache

Hinweise zur Lizenz und zur Digitalen Bibliothek


Holder of rights
TextGrid

Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1830. An Thomas Carlyle. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-9E77-8