1828.
Mit Apollonius von Maltitz
Es war im Jahre 1828, wo ich nach einem langen Zwischenraume (seit 1813) ihn [Goethe] nicht nur erblickte, sondern mich auch ihn zu besuchen ermuthigte.
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Seine Stimme vernahm ich erst, als ich, abermals zehn Jahre später, seine Schwelle überschritten und nach einer kurzen, gedankenvollen Erwartung in seinem Empfangssaale ihn auf mich zugehen, vor mir stehen sah. Sein Haupt war ungebeugt, sein Gang fest. Die achtundsiebenzig Jahre hingen leicht wie Lorbeern in den dichten, grauen Locken. Seine Stimme, obwohl zum ersten Mal von mir vernommen, überraschte mich gar nicht: sie hatte mich schon aus »Tasso« und »Iphigenia« angeredet.
Er war unverändert, nur seit ich ihn zum ersten Male gesehen, hatte ich ihn gelesen.
Wir waren allein. Ich befand mich der höchsten Überlegenheit gegenüber, der mich das Schicksal noch entgegengestellt hatte; der Sterbliche dem Unsterblichen! Es wurde immer stiller in mir; ich wäre gern bei Goethes Gruß stehen geblieben; Worte, hatte ich gemeint, müßten das Schauen stören. Wie hatte ich mich getäuscht! Wie sehr sich meine Augen an ihn hefteten, wie sehr ich mich ergriffen, fühlte, die Worte [368] stocken mir nie weniger, als vor diesem Meister des Worts; es war einer der seltenen Augenblicke, wo sie sich von selbst darbieten, von selbst fügen, so wenig Aufmerksamkeit und Sorgen wir ihnen auch schenken mögen. Meine Seele öffnete jedes seiner Werke und hielt es mit diesen erhabenen Zügen zusammen, die sich zu einem jeden bekannten. Man hat Goethes Antlitz mit dem des pythischen Apollo verglichen, nur fehlt diesem das wundersam Schöpferische des Goetheschen Hauptes.
Mein Familienname war ihm bekannt; Erinnerungen und Nachfragen leiteten das Gespräch ein. Immermann's Name bot sich dar. Das eben gedruckte ›Trauerspiel in Tirol‹ war mein Reisegefährte gewesen. Goethe erlaubte mir, ihm dieß Werk zu senden, indem »der Name ihm alles Gute verspräche«. Sein eigner ›Elpenor‹ hatte mich ebenfalls vor kurzem beschäftigt; ein Ausdruck meiner Bewunderung veranlaßte Goethe zu den Worten: »Auch ich habe eine Vorliebe für dieses Fragment; auf diesem Wege hätte ich fortfahren sollen, wenn ich den Deutschen ein Theater hätte schenken wollen.«
Mehreres was ich ihm von der literarischen Welt Wiens, das ich damals bewohnte, mittheilte, erregte seinen Antheil: er nannte Grillparzer, Hammer, Zedlitz, Helmina v. Chézy, ihrer lyrischen Gedichte wegen, mit Lob und Anerkennung. Wie verträglich ist doch das wahre Verdienst, wie wenig einschüchternd und zurückweisend [369] ächte Hoheit! .... Worte konnten mich ihm nicht näher bringen, sie wären Zudringlichkeiten gewesen, wenn sie nicht in ehrerbietiger Ferne geblieben. Ich sprach ihn von ferne, aber ich sah ihn so nahe. Die Stimme, die bei jedem edlen Genusse uns zuruft: »Nun ist es genug!« flüsterte auch mir zu: »Scheide!« Ich verneigte mich tief und ehrfurchtsvoll und verließ in einer feierlichen Stimmung das.. Haus.
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