1828, 11. October.


Mit Gustav Friedrich Wiggers und Familie

Eine Reise, welche G. F. Wiggers mit seiner Gattin und seinen beiden Söhnen Julius und Moritz, damals siebzehn und zwölf Jahr alt, am 2. September 1828 antrat und deren Zielpunkt das auf dem Umwege über Berlin und Dresden aufgesuchte Schulpforta war, wo der ältere der beiden Söhne als Alumnus der Anstalt abgesetzt werden sollte, führte auch nach Weimar, wo die Reisenden am Sonnabend Vormittag, den 11. October, [344] ankamen. Die Werke Goethes hatten in mancher stillen abendlichen Stunde den Gegenstand der Vorlesung und Besprechung im Wiggers'schen Familienkreise gebildet, und der Wunsch den großen Dichter von Angesicht kennen zu lernen, war durch die Verehrung nahe gelegt, von welcher alle Mitglieder der Familie gegen ihn erfüllt waren. Der Versuch ward zur guten Stunde gewagt. Zunächst fragte Wiggers nur für seine Person schriftlich bei Goethe an, ob es erlaubt sei ihm einen kurzen Besuch abzustatten. Er ward sogleich, zu Mittags 12 Uhr, angenommen. Es war dabei oder noch auf Weiteres abgesehen: Wiggers hatte ein Gedicht seiner Gattin auf den Weg mitgenommen, mittels dessen auch sie sich um die Gunst bewarb, dem Dichter persönlich ihre Huldigung darzubringen. Es dauerte auch nicht lange, so kehrte Wiggers mit der freudigen Botschaft zu seiner Gattin zurück, daß Goethe ihm aufgetragen habe, sie sogleich zu ihm abzuholen. Als Supernumerarier glaubten die Eltern nun auch die beiden Söhne mitführen zu dürfen. Erwartungsvoll stellte sich die Familie in Goethes Empfangszimmer auf. Wenige Secunden verflossen, da öffnete sich die Thür des anstoßenden Zimmers und die hohe würdevolle Gestalt mit der breiten gewölbten Brust, der erhabenen freien Stirn, dem glänzenden Auge und dem weißen Lockenhaar, in schwarzer, mit einem silbernen Stern verzierter Kleidung schritt in aufrechter Haltung den sich vor ihm tief Verneigenden mit freundlichem [345] Willkommen entgegen. Dem Anscheine nach durch die Vollzähligkeit, in welcher die Familie bei ihm erschienen war, nicht so sehr überrascht, als erheitert, führte er die Frau Wiggers zu einem Sopha, auf welchem er sich neben ihr niederließ, während die Übrigen vor dem Sopha im Halbkreise sitzend die Gruppe abschließen mußten. Die Unterhaltung kam bald auf den Anlaß der Reise und auf Schulpforta. Mit vieler Theilnahme ließ Goethe sich von den Einrichtungen dieser Schulanstalt erzählen, wobei die Mutter mit dem Ausdruck der Besorgniß wegen der Strenge der klösterlichen Disciplin nicht zurückhielt. Er hörte mit Aufmerksamkeit die Darstellung an und schien die Sorge nicht unberechtigt zu finden. Gültig wandte er sich dann zu ihr mit der Bemerkung: »Hätte ich über Sie zu bestimmen gehabt, so würde ich Ihnen entschieden abgerathen haben, einen Blick in die inneren Einrichtungen der Anstalt zu werfen. Eine Mutter, die in Liebe gewohnt ist, ihr Kind als Ganzes in ihrem Hause zu sehen, wird es nur mit Sorge einer Anstalt übergeben, wo es nur ein unbedeutender Theil des Ganzen ist.«

Im Übrigen verhielt er sich in gewohnter Weise mehr fragend, als sich mittheilend. Seine Erkundigungen bezogen sich unter anderem auf die Familie des Dichters Kosegarten. Beim Abschied wandte er sich an den ältesten Sohn mit der wohlwollenden Einladung, bei einem etwaigen spätern Ausfluge von Schulpforta nach Weimar seines Hauses zu gedenken, welches [346] ihm stets offen stehen werde. Er geleitete dann die sich Verabschiedenden bis an die Thüre und richtete hier mit den Worten »Wolf! Begleite!« an seinen im Zimmer herumlaufenden Enkel Wolfgang die Aufforderung zur Fortsetzung dieses Höflichkeitswerkes. Noch durch die offene Thüre gab der alte Meister den Fremden die Versicherung auf den Weg, daß er sich nach ihnen erkundigen wolle, sooft sich ihm dazu Gelegenheit bieten werde.

Kaum war die Familie wieder im Gasthof angelangt, als ihnen noch eine Botschaft des Dichters auf dem Fuße folgte. Der kleine Wolfgang v. Goethe trat ein und überreichte der freudig überraschten Frau Wiggers im Auftrage seines Großvaters ein Kästchen, eine Medaille von Bronze mit dem Brustbilde Goethes enthaltend, nebst einer Visitenkarte von diesem. Goethe ließ dabei die Bitte aussprechen, sich dabei seiner oftmals zu erinnern.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Gespräche. 1828. 1828, 11. October. Mit Gustav Friedrich Wiggers und Familie. TextGrid Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-A0F1-7