1829, 17. Mai.
Mit Friedrich von Müller
und Clemens Wenzeslaus Coudray
Am 17. Mai 1829, Sonntags, war ich von 4-6 Uhr bei ihm, meist mit Coudray. Goethe war sehr mittheilend und ruhig heiter.
»Die Menge, die Majorität, ist nothwendig immer absurd und verkehrt; denn sie ist bequem, und das Falsche ist stets viel bequemer als die Wahrheit. Letztere will ernst erforscht und rücksichtslos angeschaut und angewendet sein. Das Falsche aber schmiegt sich an jede träge, bequeme oder thörichte Individualität an, ist wie ein Firniß, mit dem man leicht alles übertüncht.«
Er sprach vom Aufgeben seines Journals ›Kunst und Alterthum.‹ »Wenn man in und für die Zeit schreibt, ist es gar zu unangenehm, zu finden, daß man nichts auf sie wirkt. Ja wenn man Schiller's und meinen Briefwechsel liest, da findet man wohl, daß diese Kerls es sich ganz anders sauer werden, ganz höllisch ernst sein ließen. Und man wundert sich, daß sie sich so viele Mühe geben mochten; die albernen Burschen dachten nach, suchten sich Alles klar zu machen, Theorien von dem, was sie geschaffen hatten, zu ergrübeln; hätten es sich leichter machen können und lieber was Frisches schaffen.«
Wir besahen viele Köpfe und Lithographien, besonders [97] die sehr schöne aus München, Helena Forment von Rubens, lithographirt von Flachenecker. Oppenheim's häßliche Susanne ward sehr durchgehechelt. Sodann ward die Gartenkammer mit den Rauch'schen Basreliefs der Blücher-Statue durchforscht.
Als wir auf Cotta und seine ewigen Zögerungen bei der Herausgabe der Goethe'schen Werke kamen, brach er heftig aus: »Die Buchhändler sind alle des Teufels, für sie muß es eine eigene Hölle geben.«
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