a.

Ich [Robert Springer] sprach dann über Goethe's Verhältniß zu Zelter und äußerte:... Zelter müsse meiner Vermuthung nach der intimste Freund Goethe's gewesen sein. Schuchardt wollte das nicht zugeben; Zelter sei zu einseitig gewesen. ›Derjenige‹, sagte er, ›mit welchem Goethe im herzlichsten Einvernehmen stand, war Heinrich Meyer.‹ – »Jedenfalls weil derselbe in allen Kunstanschauungen mit ihm übereinstimmte.« – ›Ja, aber merkwürdigerweise standen sie sich dessen ungeachtet immer gegenüber und hatten stets mit einander zu streiten.‹ – Dieß war mir neu und [133] widerlegte die oft ausgesprochene Behauptung, daß Goethe sich amliebsten mit unterthänigen Nachschleichern und solchen Leuten umgeben habe, die ihm keinen Widerspruch entgegensetzten.

Auf die eigenen Erfahrungen im Umgang mit Goethe hingelenkt, erzählte mir der alte Herr manche ausdrucksvolle Charakterzüge. ›Er war ein verdammt liebenswürdiger Kerl!‹ rief er, sich halb vergessend, in seiner treuherzigen thüringischen Mundart aus. ›Stets war er ruhig, heiter und human; ich habe ihn nie anders gesehen. Mit jedem hatte er Geduld und Nachsicht, selbst mit Kerlen, die ich amliebsten zur Thüre hinausgeworfen hätte. Erst im reiferen Alter wurde es mir klar, weshalb er jeden so ruhig und widerspruchslos anhörte: es lag ihm vorallem daran, die Menschen, mit denen er, wenn auch nur vorübergehend, zu thun hatte, kennen zu lernen, und er wußte wohl, daß dieß ambesten dadurch erreicht wird, wenn man das Individuum, anstatt es durch Widerspruch zu verwirren und zu reizen, frei seine Meinung aussprechen läßt. Auch an mir, dem damals noch jungen Mann, hatte er oft Gelegenheit seine Geduld und Nachsicht zu bewähren. Niemals schalt er, wenn ich gegen oder ohne seinen Willen nach meinem eigenen Sinne gehandelt hatte. Er fragte mich nur in größter Ruhe: ›Warum haben Sie das gethan?‹ und widerlegte mich dann mit wenigen überzeugenden Worten. In seinen Zurechtweisungen war er immer bündig und praktisch und einmal legte er mir selber [134] die Hand aus das Lineal zurecht, als ich mich beim Liniiren ungeschickt benahm. – Ein Dintenfleck aus dem Manuscript war ihm ein Greuel, aber dennoch wurde er niemals unwillig, sondern suchte mich einfürallemal durch eine kleine Anekdote zu bessern. ›Ich will Ihnen einmal etwas erzählen, junger Mann,‹ sagte er bei dieser Gelegenheit; ›wenn es dem Herzog von Gotha beim Briefschreiben begegnete, daß die Schleife eines Buchstabens, wie beim h, g u.s.w. in der Dinte zusammenlief, so fing er den Brief vonneuem an.‹‹

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Gespräche. 1825. Nach 1824.: Mit Christian Schuchardt und allgemeinesüber Goethes Gespräche. a.. TextGrid Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-A2F4-2