1828, nach Mitte August.


Mit Karl August Christian Sckell

Kurze Zeit darauf, nachdem der Erbgroßherzog Karl Alexander mit dem geheimen Legationsrath Soret zum Besuch anwesend gewesen war – etwa in der dritten Woche des August – trat mir Goethe, als ich ihm eines Morgens, wie es täglich geschah, zwischen 8 und 9 Uhr meine Aufwartung machte, um mich nach seinem Wohlbefinden zu erkundigen, mit den Worten freundlich entgegen: »Nu, lieber Freund, wir werden immer vertrauter miteinander, deshalb werden Sie mir auch eine Gewissensfrage an Sie erlauben.« Ich antwortete: »Herzlich gern, Excellenz! Worin besteht dieselbe?« – »Nu, was halten Sie denn eigentlich von den Fürsten?« – »Dies ist allerdings eine Gewissensfrage, Excellenz, die ich Ihnen aber sogleich beantworten kann: Ich fürchte Gott, liebe meinen Fürsten, lasse, wenn es darauf ankommt, auch mein Leben für ihn, ehre und achte meine Vorgesetzten, suche mit jedermann in Fried' und Freundschaft zu leben, stehe im Glauben fest und hoffe das Beste.« Seine Hand auf meine Schulter legend, fuhr er fort: »Das [318] ist brav von Ihnen. Stehen Sie zumal ja fest im Glauben; denn wenn wir daran festhalten, dann kann uns auch niemand den Glauben an die Unsterblichkeit rauben. Nu will ich Ihnen auch sagen, warum ich diese Frage an Sie gethan habe. Sie sehen wohl das Treiben unter den jungen Leuten, welche sich gegen die Fürsten empören, sie abschaffen, oder wohl gar um's Leben bringen möchten. Freilich! Jugend hat keine Tugend. Die jungen Leute thäten besser, wenn sie ihre Nasen in die Bücher steckten; denn die Fürsten sind von Gott eingesetzt. Deshalb nennen sie sich auch: Von Gottes Gnaden. Dazu haben sie aber kein Recht; denn wir Menschen sind alle von Gottes Gnaden in die Welt gekommen. Es wird die Zeit kommen – ich werde sie allerdings nicht erleben – wo man sich auch in Deutschtand gegen die Fürsten empören und sie vom Throne zu stoßen versuchen wird, und das Volk wird Gesetze geben wollen. Dazu ist es zu miserabel, aber zum Zuschlagen capabel. Die rechten Gesetze, wie sie von Gott vorgeschrieben sind, finden wir in der Schrift. Daran halten Sie fest.« 1

[319] Er entließ mich darauf sichtlich erregt, indem er mir die Hand reichte und einen Gutenmorgen wünschte.


Note:

1 In Widerspruch mit meiner in den »Vorbemerkungen« (I, 3.) kundgegebenen Absicht habe ich Sckell's Berichte über Gespräche mit Goethe, an mich gerichteten Wünschen nachkommend, doch noch aufgenommen, obschon namentlich ein so verwirrter Gedankenknäuel, wie der obige, zuverlässig nicht über Goethes Lippen gegangen ist. Da indessen allenthalben bei den Gesprächen das Subject des Berichterstatters mit in Anschlag zu bringen ist, so möge auch der Kritik überlassen bleiben, aus Sckell's Mittheilungen Goethes Eigenthum herauszuschälen.

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Goethe: Gespräche. 1828. 1828, nach Mitte August. Mit Karl August Christian Sckell. TextGrid Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-A366-B