1829, 28. August.


Goethes Geburtstagempfang

Es war schon nach halb ein Uhr, als wir (Mickiewicz und Odyniec)... an Goethes Schwelle standen .... Sobald er uns eintreten sah, ging er aus dem ihn umgebenden Männerkreise auf uns zu, reichte uns die Hand und erwiederte auf unsere wenigen glückwünschenden Worte: »Je vous remercie, Messieurs; je vous remercie sincèrement.« Darauf mischten wir uns in den Schwarm von Gästen beiderlei Geschlechts, die den Salon in Goethes eigenem Appartement füllten und sich darin umherbewegten. Auf einem Tische unterhalb des Spiegels lagen verschiedene Damenarbeiten und ein großer Stoß schriftlicher Gratulationen, Gedichte und Briefe, welche der Gefeierte heute erhalten hatte. Doch der Hauptgegenstand des Interesses und Gespräches war der Brief des König-Dichters, welcher namentlich bei den Damen von Hand zu Hand ging, und den mir erst Frau Rosa freundlich zum Überlesen reichte. Er beginnt mit den Worten »Herr Minister!« [136] erinnert an die für den Schreibenden denkwürdige Stunde, in welcher er selbst Goethe vor zwei Jahren besuchte, wünscht ihm, hundert Jahre zu erleben, und bittet ihn, als Angebinde eine mitfolgende Copie der neuentdeckten alterthümlichen Bildsäule, welche einen Sohn der Niobe vorstellen solle, anzunehmen. Er schließt mit der Bitte um Bezeichnung des Hauses das Goethe in seiner Jugendzeit während seines Aufenthaltes in Rom, wohin auch der König zu reisen sich anschicke, bewohnte; »denn selbst die geringfügigsten Dinge, wenn sie auf große Männer Bezug haben, sind wichtig.« Die Unterschrift: »Ihr bewundernder Ludwig.« Die erwähnte Bildsäule stand, mit einer Blumenguirlande geschmückt, auf einem schönen Postamente in dem anstoßenden Büstensaale gerade der offenen Salonthüre gegenüber, damit sie alle von dort aus sehen könnten. Doch begnügte sich niemand damit, sondern alle gingen der Reihe nach, sie in der Nähe zu besehen. David und uns mit ihm führte Goethe selber hin, entzückt von der harmonischen Schönheit der Einzelheiten und des Ganzen. Später sah ich von weitem, wie er allein wieder hinzutrat, sie mit Aufmerksamkeit betrachtete und dabei die Hände und Finger bewegte, als wenn er mit jemandem spräche. Im Allgemeinen war heute bei ihm unvergleichlich mehr Leben und Gefühl zu gewahren, als gestern.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Gespräche. 1829. 1829, 28. August. Goethes Geburtstagempfang. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-A387-0