1824, 14. April.


Mit Johann Peter Eckermann u.a.

Um 1 Uhr mit Goethe spazieren gefahren. Wir sprachen über den Stil verschiedener Schriftsteller.

»Den Deutschen,« sagte Goethe, »ist imganzen die philosophische Speculation hinderlich, die in ihren Stil oft ein unsinnliches, unfaßliches, breites und aufdröselndes Wesen hineinbringt. Je näher sie sich gewissen philosophischen Schulen hingegeben, desto schlechter schreiben sie. Diejenigen Deutschen aber, die als Geschäfts- und Lebemenschen blos aufs Praktische gehen, schreiben am besten. So ist Schiller's Stil am prächtigsten und wirksamsten, sobald er nicht philosophirt, wie ich noch heute an seinen höchst bedeutenden Briefen gesehen, mit denen ich mich gerade beschäftige.

Gleicherweise giebt es unter deutschen Frauenzimmern geniale Wesen, die einen ganz vortrefflichen Stil schreiben, sodaß sie sogar manche unserer gepriesenen Schriftsteller darin übertreffen.

Die Engländer schreiben in der Regel alle gut, als geborene Redner und als praktische, auf das Reale ge richtete Menschen.

Die Franzosen verleugnen ihren allgemeinen Character auch in ihrem Stil nicht. Sie sind geselliger Natur und vergessen als solche nie das Publicum, zu dem sie reden; sie bemühen sich klar zu sein, um[64] ihren Leser zu überzeugen, und anmuthig, um ihm zu gefallen.

Im ganzen ist der Stil eines Schriftstellers ein treuer Abdruck seines Innern: will jemand einen klaren Stil schreiben, so sei es ihm zuvor klar in seiner Seele; und will jemand einen großartigen Stil schreiben, so habe er einen großartigen Character.«

Goethe sprach darauf über seine Gegner, und daß dieses Geschlecht nie aussterbe. »Ihre Zahl ist Legion,« sagte er, »doch ist es nicht unmöglich, sie einigermaßen zu klassificiren.

Zuerst nenne ich meine Gegner aus Dummheit; es sind solche, die mich nicht verstanden und die mich tadelten ohne mich zu kennen. Die ansehnliche Masse hat mir in meinem Leben viele Langeweile gemacht; doch es soll ihnen verziehen sein, denn sie wußten nicht was sie thaten.

Eine zweite große Menge bilden sodann meine Neider. Diese Leute gönnen mir das Glück und die ehrenvolle Stellung nicht, die ich durch mein Talent mir erworben. Sie zerren an meinem Ruhm und hätten mich gern vernichtet. Wäre ich unglücklich und elend, so würden sie aufhören.

Ferner kommt eine große Anzahl derer, die aus Mangel an eigenem Succeß meine Gegner geworden. Es sind begabte Talente darunter, allein sie können mir nicht verzeihen, daß ich sie verdunkele.

Viertens nenne ich meine Gegner aus Gründen;[65] denn da ich ein Mensch bin und als solcher menschliche Fehler und Schwächen habe, so können auch meine Schriften davon nicht frei sein. Da es mir aber mit meiner Bildung ernst war und ich an meiner Veredlung unablässig arbeitete, so war ich im beständigen Fortstreben begriffen, und es ereignete sich oft, daß sie mich wegen eines Fehlers tadelten, den ich längst abgelegt hatte. Diese Guten haben mich am wenigsten verletzt; sie schossen nach mir, wenn ich schon meilenweit von ihnen entfernt war. Überhaupt war ein abgemachtes Werk mir ziemlich gleichgültig; ich befaßte mich nicht weiter damit und dachte sogleich an etwas Neues.

Eine fernere große Masse zeigte sich als meine Gegner aus abweichender Denkungsweise und verschiedenen Ansichten. Man sagt von den Blättern eines Baumes, daß deren kaum zwei vollkommen gleich befunden werden, und so möchten sich auch unter tausend Menschen kaum zwei finden, die in ihrer Gesinnungs- und Denkungsweise vollkommen harmoniren. Setze ich dieses voraus, so sollte ich mich billig weniger darüber wundern, daß die Zahl meiner Widersacher so groß ist, als vielmehr darüber, daß ich noch so viele Freunde und Anhänger habe. Meine ganze Zeit wich von mir ab, denn sie war ganz in subjectiver Richtung begriffen, während ich in meinem objectiven Bestreben im Nachtheile und völlig allein stand.

Schiller hatte in dieser Hinsicht vor mir große[66] Avantagen. Ein wohlmeinender General gab mir daher einst nicht undeutlich zu verstehen, ich möchte es doch machen wie Schiller. Darauf setzte ich ihm Schiller's Verdienste erst recht auseinander; denn ich kannte sie doch besser als er. Ich ging auf meinem Wege ruhig fort, ohne mich um den Succeß weiter zu bekümmern, und von allen meinen Gegnern nahm ich so wenige Notiz als möglich.«

Wir fuhren zurück und waren darauf bei Tische sehr heiter. Frau von Goethe erzählte viel von Berlin, woher sie vor kurzem gekommen; sie sprach mit besonderer Wärme von der Herzogin von Cumberland, die ihr viel Freundliches erwiesen. Goethe erinnerte sich dieser Fürstin, die als sehr junge Prinzeß eine Zeitlang bei seiner Mutter gewohnt, mit besonderer Neigung.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Gespräche. 1824. 1824, 14. April. Mit Johann Peter Eckermann u.a.. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-A3AB-F