1828, 6. März.


Mit Friedrich von Müller
und Heinrich Meyer

Ich traf gegen 4 Uhr Hofrath Meyer bei Goethe an. Letzterer war sehr munter, ja aufgeregt; wie ein Gewitter bei heiterm Himmel suchte er sich seiner Kraftfülle durch geistige Blitze und Donnerschläge zu entledigen. Knebeln über Meteorologie consultiren, äußerte Goethe, heiße den Barometer über den Barometer befragen. Voltaire habe gesagt, die Erde sei eine alte Coquette, die sich jung zu machen strebe. Die Atmosphäre sei auch so eine Coquette, die eine zeitlang geregelten Gang affectire, aber bald sich dem ersten besten Wind preis gebe.

Daß man über Wellington's Omnipotenz als Premier-Minister jetzt schelte, sei absurd; man sollte froh sein, daß er endlich seinen rechten Platz eingenommen; wer Indien und Napoleon besiegt habe, möge[268] wohl mit Recht über eine lumpige Insel herrschen. Wer die höchste Gewalt besitze, habe Recht; ehrfurchtsvoll müsse man sich vor ihm beugen. »Ich bin nicht so alt geworden, um mich um die Weltgeschichte zu bekümmern, die das Absurdeste ist, was es giebt; ob dieser oder jener stirbt, dieses oder jenes Volk untergeht ist mir einerlei; ich wäre ein Thor, mich darum zu bekümmern.

Wenn Alexander Humboldt und die andern Plutonisten mir's zu toll machen, werde ich sie schändlich blamiren; schon zimmere ich Xenien genug im Stillen gegen sie; die Nachwelt soll wissen, daß doch wenigstens ein gescheidter Mann in unserm Zeitalter gelebt hat, der jene Absurditäten durchschaute. Ich finde immer mehr, daß man es mit der Minorität, die stets die gescheidtere ist, halten muß.«

Als Meyer fragte, was es denn eigentlich heißen wolle, Plutonist oder Neptunist, sagte Goethe: »O danket Gott, daß Ihr nichts davon wißt, ich kann es auch nicht sagen, man könnte schon wahnsinnig werden, es nur auseinander zu setzen. Ohnehin bedeutet solch' ein Parteiname späterhin nichts mehr, löst sich in Rauch auf; die Leute wissen schon jetzt nicht mehr, was sie damit bezeichnen wollen. Ihr müßt verzeihen, wenn ich grob bin, ich schreibe jetzt eben in den Wanderjahren an der Rolle des Jarno, da spiele ich eine Weile auch im Leben den Grobian fort.

Was soll es nur hier in Weimar mit dem WitDöring [269] werden? Man wird es schon bereuen, ihn hier zu haben; in seinen Memoiren ist kein Funke Geist. Er ist zum steten Gefängniß von der Natur bestimmt; darin spielt er seine Streiche. Wär' ich Fürst, ich ließ ihn gleich wieder verhaften, damit er in sein Element zurück käme. Gesehen und gesprochen hab' ich ihn wohl einmal, warum nicht? als Phänomen; aber ich wäre ein Lump, wenn ich ihn zum zweiten Male sähe.

Der Großherzog ergötzt sich an seinem Hiersein, um einmal wieder sich an einer Gefahr zu laben, um einmal wieder einen zahmen Wolf zu haben, der unter seinen Hunden und Schafen herum renommire.

Der Kerl hat meine Abschiedsformel an ihn: ›Sie haben selbst drucken lassen, daß Sie verführerisch seien und daß man sich nicht zu viel mit Ihnen einlassen müsse,‹ günstig für sich gedeutet; das macht mir Spaß. Nun er erregt doch; darauf kommt Alles an, sei es durch Haß oder Liebe. Man muß nur immer sorgen erregt zu werden, um gegen die Depression anzukämpfen. Das ist auch bei jetziger deprimirender Witterung der beste medicinische Rath. Wer mit mir umgehen will, muß zuweilen auch meine Grobianslaune zugeben, ertragen, wie eines andern Schwachheit oder Steckenpferd. Der alte Meyer ist klug, sehr klug; aber er geht nur nicht heraus, widerspricht mir nicht, das ist fatal. Ich bin sicher, im Innern ist er noch zehnmal zum [270] Schimpfen geneigter als ich und hält mich noch für ein schwaches Licht. Er sollte nur aufpoltern und donnern, das gäbe ein prächtiges Schauspiel.«

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Goethe: Gespräche. 1828. 1828, 6. März. Mit Friedrich von Müller. TextGrid Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-A44A-3