1822, 28. Juli.


Mit Joseph Sebastian Grüner

Nach der Rückkehr von meiner Geschäftsreise nach Franzensbad brachte ich Goethe Abends aus den Rossenreuther Steinbrüchen ein Stück Gneuß, worauf Granit gelagert und mit diesem zu einem Gestein verbunden war. Sehen Eure Excellenz, sagte ich, hier haben sich Vulkan und Neptun innigst verbunden. Ich kann mich daher nicht überzeugen, daß der Granit ein vulkanisches Produkt sei. Wenn es mir als Neuling zustände, so würde ich meine Ansicht hierüber aussprechen.

[166] »Ihr Juristen«, erwiederte Goethe, »habt ein eigenes Feld, ihr hört und prüft beide Theile, ehe die Entscheidung folgt; auch in der Naturwissenschaft muß man die verschiedenen Ansichten, meist Hypothesen, gelassen anhören, prüfen, und seine Meinung bescheiden äußern. Lassen Sie hören, auf welche Art Sie den Vulkan von Ihrem Gestein wegbringen.«

Ich halte, sagte ich, diesen Granit für einen Abkömmling vom Gebirge, daher für einen jüngern. Jener auf den Bergen zerbröckelt sich, das Wasser hat ihn herabgeschwemmt, zu einer Zeit, als der feinkörnige Granit sich wagerecht lagerte, jedoch nicht zur festen Gneußmasse gebildet war. Der am Gipfel der Berge zerbröckelte hat eine braune, ochergelbe Farbe und scheint von eisenhaltigem Wasser bedeckt und geschwängert worden zu sein. Das eisenhaltige Wasser war nun bei jenem Granit, den ich den jüngeren nenne, das Verbindungsmittel, als er auf dem Gneuß erstarrte. Zum Beweise könnte ich anführen, daß man große Blöcke Granit findet, welche ochergelbe, das ganze Gestein durchziehende Ringe haben, die doch von keinem Vulkan oder feuerflüssigem Zustande herrühren können.

Darauf Goethe: »Mich freut es, daß Sie in diese Wissenschaft so kräftig eindringen und daran Vergnügen finden. Wir wollen an Ort und Stelle Ihre Ansicht näher prüfen. Bei dieser Gelegenheit muß ich Ihnen doch ein Späßchen erzählen, welches unser Großherzog [167] mit unserem Lenz 1 sich gemacht hat. Professor Lenz in Jena feierte sein Dienstjubiläum. Der Großherzog, der wußte, daß Lenz, wie sein Lehrer Werner, ein eifriger Neptunist war, ließ eine Torte in Form eines ausgebrannten Vulkans machen und die goldene Ehrenverdienst-Medaille hineinlegen. ›Nun, lieber Lenz, werden Sie doch dem Vulkane einen günstigen Blick zuwerfen?‹ Nicht wahr, das war artig?« schloß Goethe.


Note:

1 Director des Jenaer Mineralienkabinets und Professor.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Gespräche. 1822. 1822, 28. Juli. Mit Joseph Sebastian Grüner. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-A6AD-6