1824, 9. December.


Mit Johann Peter Eckermann,
Clemens Wenzeslaus Coudray
und Friedrich Wilhelm Riemer

Ich ging gegen Abend zu Goethe. Er reichte mir freundlich die Hand entgegen und begrüßte mich mit dem Lobe meines Gedichts zu Schellhorns Jubiläum. Ich brachte ihm dagegen die Nachricht, daß ich geschrieben und das englische Anerbieten abgelehnt habe.

»Gottlob,« sagte er, »daß Sie wieder frei und in Ruhe sind. Nun will ich Sie gleich noch vor etwas warnen. Es werden die Componisten kommen und eine Oper haben wollen; aber da seien Sie gleichfalls nur standhaft und lehnen Sie ab; denn das ist auch eine Sache, die zu nichts führt und womit man seine Zeit verdirbt.«

Goethe erzählte mir darauf, daß er dem Verfasser des ›Paria‹ durch Nees von Esenbeck den Comödienzettel nach Bonn geschickt habe, woraus der Dichter sehen möge, daß sein Stück hier gegeben worden. »Das Leben ist kurz,« fügte er hinzu, »man muß sich einander einen Spaß zu machen suchen.«

Die Berliner Zeitungen lagen vor ihm, und er erzählte mir von der großen Wasserfluth in Petersburg. Er gab mir das Blatt, daß ich es lesen möchte. Er sprach dann über die schlechte Lage von Petersburg und lachte beifällig über eine Äußerung Rousseaus, welcher gesagt habe, daß man ein Erdbeben dadurch[117] nicht verhindern könne, daß man in die Nähe eines feuerspeienden Berges eine Stadt baue. »Die Natur geht ihren Gang,« sagte er, »und dasjenige, was uns als Ausnahme erscheint, ist in der Regel.«

Wir gedachten darauf der großen Stürme, die an allen Küsten gewüthet, sowie der übrigen gewaltsamen Naturäußerungen, welche die Zeitungen gemeldet, und ich fragte Goethe, ob man wohl wisse, wie dergleichen zusammenhänge. »Das weiß niemand,« antwortete Goethe, »man hat kaum bei sich von solchen geheimen Dingen eine Ahnung, viel weniger könnte man es aussprechen.«

Oberbaudirector Coudray ließ sich melden, deßgleichen Professor Riemer; beide gesellten sich zu uns, und so wurde denn die Wassersnoth von Petersburg abermals durchgesprochen, wobei Coudray uns durch Zeichnung des Plans jener Stadt die Einwirkungen der Newa und übrige Lokalität deutlich machte.

[118]

Der annotierte Datenbestand der Digitalen Bibliothek inklusive Metadaten sowie davon einzeln zugängliche Teile sind eine Abwandlung des Datenbestandes von www.editura.de durch TextGrid und werden unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung 3.0 Deutschland Lizenz (by-Nennung TextGrid, www.editura.de) veröffentlicht. Die Lizenz bezieht sich nicht auf die der Annotation zu Grunde liegenden allgemeinfreien Texte (Siehe auch Punkt 2 der Lizenzbestimmungen).

Lizenzvertrag

Eine vereinfachte Zusammenfassung des rechtsverbindlichen Lizenzvertrages in allgemeinverständlicher Sprache

Hinweise zur Lizenz und zur Digitalen Bibliothek


Holder of rights
TextGrid

Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Goethe: Gespräche. 1824. 1824, 9. December. Mit Johann Peter Eckermann,. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-A79C-F