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Ihre Einwendung gegen meinen §. 1 II hat mir zu schaffen gemacht, und noch kann ich nicht damit fertig werden. Ohne Beobachtung ist das Nachdenken über Erscheinungen unfruchtbar, und zum Experimentiren habe ich noch nicht kommen können. So leicht gebe ich nicht nach; die Lösung muß sich finden; vermuthlich wird der Ausdruck verändert werden müssen. Einstweilen antworte ich mit den Worten des Zwergius, die ich in Weimar mittheilte: Neque dubito me hic ad experientiam recipere etc. Daß Sie hier, wie immer, auf die einfachen Erscheinungen zurückweisen, ist sehr dankenswerth; so muß man sich orientiren, und die Lehre bleibt dem Hauptgrundsatze treu.

Was Ihren Einwurf gegen den §. 18. betrifft, in welchem, wie Sie sagen, die Differenz unserer beiderseitigen Vorstellungsarten hervortritt, so begreife ich zwar, was Sie damit meinen; aber ich wundere mich, daß Sie hier eine Differenz sehen, und nicht erkennen, daß ich mich lediglich Ihrer eigenthümlichen Vorstellungsweise von dem Entstehen der Farben im Prisma, wie solche Ihr Codex §§. 226-242 enthält, angeschlossen habe. Das hier zurückgehende Täfelchen stellt Ihre Erklärung der dioptrischen Farben der ersten Classe (§§. 145-177) dar; hier bewirkt das Trübe, als fertiger Zustand des Mittels, die Farbe. Um die diop-[159]trischen Farben der zweiten Classe zu erklären, lassen Sie aber im folgenden Abschnitte das Trübe als Nebenbild des Hauptbildes entstehen; hier wird es also, wie bei mir, durch das Helle und Dunkle (d. h. durch das Bild) erst vermittelt; es ist hier kein fertiger, sondern ein erst sich bildender Zustand des Mittels, aus dem Verhältnisse seiner Flächen zum Bilde hervorgehend. In dieser Vorstellung sehe ich daher keine Differenz zwischen Ihnen und mir, und wenn ich Ihre Lehre auf eine andere Weise ausdrücke, so glaube ich daran sehr recht zu thun, weil gerade in diesem Puncte Ihre Lehre am Mehrsten mißverstanden wird. Weil es den Leuten fast allgemein an Beobachtungsgabe fehlt, so nehmen sie das Nebenbild, aus welchem Sie argumentiren, eben so wenig mit den Augen des Geistes als des Leibes wahr; sie widersprechen daher Ihrer Darstellung als einer leeren Fiction; es scheint mir nothwendig, die Realität derselben auf mannigfache Art nachzuweisen, wozu der §. 18 ein Versuch ist, der jedoch sorgfältiger, als es geschehen, ausgeführt werden muß. Darin freilich scheint der §. 18 eine Differenz gegen Ihre Lehre zu enthalten, daß ich, vermöge des §. 1, das Dunkle stärker brechen lasse, als das Helle, während nach Ihrer Vorstellung beides gleichmäßig gebrochen wird. Wie es sich damit verhalte, mag noch dahin gestellt bleiben, bis ich den §. 1 gegen Ihren obigen Einwurf rechtfertigen kann oder ihn fallen lassen muß. Sollte sich meine Vorstellungsweise bestätigen, so sehe ich nicht, daß dadurch Ihre Lehre von der Farbenentstehung gefährdet würde; vielmehr vermuthe ich, daß das Phänomen der sogenannten Farbenzerstreuung dadurch in Ihrem Sinne noch deutlicher dürfte aufgeklärt werden.

Die beiden Hefte zusammenzuarbeiten, ist nicht so leicht, wie es aussieht, zumal wenn es für den Druck geschehen soll. Man möchte doch nicht gern leichtsinnig erscheinen, und wie vieles müßte genauer, sicherer, vollständiger gegeben werden, wenn es sich durchaus soll verantworten lassen, was jetzt nur so hingeworfen ist, um die sich im Augenblick günstig begegnenden Momente nicht ungenutzt vorübergehen zu lassen. Da ich aber nicht umhin kann, das Ganze wieder durchzuarbeiten, so werde ich mich bemühen, damit, wie die Umstände es gestatten wollen, während dieses Winters fertig zu werden, um zu künftige Ostern Ihrem Wunsch nach Möglichkeit zu entsprechen.

Daß ich den Apparat, den Sie mir gütigst mit auf den Weg geben wollten, habe stehen lassen, ist mir recht verdrießlich; ich darf nicht aufhören, mich in den entoptischen Farbenerscheinungen zu orientiren und den von Ihnen entdeckten Aufschluß zu erwägen. Die Lehre eilt zum Schlusse.

Zu dem, was Sie in dem neuerbauten Maler-Atelier über den directen und obliquen Wiederschein bemerkt haben, glaubte ich im Leonardo da Vinci etwas Zutreffendes zu finden; es kann aber[160]sein, daß ich mich irre. Die Sache ist lustig, aber gewiß richtig. Daß das Licht mitmalt, haben wir längst gewußt, nur nicht, in wie mannigfachen und bedeutenden Nuancen. Da mögen nun die Maler zusehen, wie (sie) sich mit dem Lichte abfinden werden.

...

Ich will nicht verbergen, daß ich Schinkel'n und einigen anderen, die Ihnen herzlich ergeben sind, Ihren Besuch bei uns zwar als eine noch ungewissen, doch wahrscheinliche Hoffnung eröffnet habe. Alle ließen mich im vollsten Maße erkennen, welch ein Glück die Erfüllung derselben für einen großen Kreis wohlmeinender, empfänglicher, thätiger Menschen sein wird! Was Sie auch in dem lieben Schreiben vom 3. von Neuem Bedenkliches dagegen sagen, kann ich mich von dieser Hoffnung noch nicht trennen; ich lebe ganz dafür, und meine Zukunft ist durchaus davon voll. Alles ist von Neuem überlegt und erwogen; Ihre Bedenklichkeiten ehre ich, und nehme sie als meine eigensten Sorgen; da ich aber nicht im Mindesten bange bin, Ihnen auf alles, was Sie mir ferner einwenden können, zu antworten und jede Sorge zu heben, so kann ich nicht anders als mit größter Zuversicht auf Ihren Besuch hoffen. Wenn ich in dieser Sache von mir spreche, ist es wohl natürlich, daß ich meine liebe Frau darunter mit verstehe; sie ist die beste Hausfrau, die ich mir wünschen könnte, sie verdient wohl das Glück, Ihnen ihre Liebe beweisen zu dürfen. Vor den Leuten ist es freilich besser, die Sache als ungewiß darzustellen, und so will ich mich ferner verhalten und darauf wachen, daß nichts Störendes dazwischen komme.

Möge der Himmel uns Ihre theure Gesundheit bewahren! Lassen Sie uns dieses wichtige Thema als eine stehende Rubrik in unserem Briefwechsel behandeln.

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Sollten Sie die beiden Schriften von G. W. (J.)Jordan (London 1799 und 1800), wovon die Titel hier beifolgen, nicht kennen und besitzen, so bin ich bereit, sie zu überschicken.


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Zitationsvorschlag für diese Edition
TextGrid Repository (2023). Schultz, Christoph Ludwig Friedrich. 18. u. 20. September 1817. C. L. F. Schultz an Goethe. Wirkungsgeschichte von Goethes Werk „Zur Farbenlehre“ in Berlin 1810-1832. https://hdl.handle.net/21.11113/0000-000F-B965-F