1964 im Verlag Huber & Co. AG, Frauenfeld, dem wir für sein Entgegen-kommen danken. [] Vorwort
William Wolfensberger wurde 1889 in Zürich geboren. Trotz des Widerstandes von seiten des Vaters wurde er aus Berufung Pfarrer. Während zweieinhalb Jahren amtete er in einer Berg-gemeinde des Münstertales. Er predigte dort nicht nur Christen-tum, sondern wollte es auch verwirklicht sehen und leitete tat-kräftig die Geschicke des Dorfes im Ersten Weltkrieg. Aber christliche Nächstenliebe und Interessenpolitik vertrugen einan-der nicht; er mußte seine Wirkungsstätte verlassen. Nur noch anderthalb Jahre waren ihm als Pfarrer in Rheineck beschieden,bis er als Opfer der Grippe-Epidemie 1918, kaum ı230jährig,starb.William Wolfensberger war nicht nur zum Pfarrer, sondern auch zum Dichter berufen. Schon früh, während seines Studiums und während seines ganzen, kurzen Lebens, entstanden seine Werke: «Unseres Herrgotts Rebberg», erschienen 1916, «Reli-giöse Miniaturen», 1917, «Lieder aus einer kleinen Stadt», 1918,«Köpfe und Herzen», 1919, «Legenden», 1919, «Narren der Liebe», 1920, «Kreuz und Krone»», 1920.Wie alle seine Werke, sind auch «Die Glocken von Pralöng»aus seinem Wirken und Erleben heraus entstanden. Bald humor-voll, bald satirisch schildert er die Dorfpolitik. Diese Durch-leuchtung der menschlichen Motive des Ehrgeizes, des Neides,des Geltungsdranges, des unaufhörlichen Wunsches nach Besitz hat überall und zu allen Zeiten ihre Geltung und macht uns deshalb diese Erzählung so wertvoll.
Julius Wandeler []
Erstes Kapitel
Christoffel Janett, der Glöckner von Pralöng, schlenderte von seiner seitab an der Rüfi gelegenen Behausung dem Dörflein zu,um den Sonntagmorgengottesdienst einzuläuten. Gemächlich ging er dem Wiesenbord entlang und setzte sich dann auf einen der großen Blöcke, welche am Rande desselben aufgeschichtet lagen.
Er hatte keine Eile. Umständlich zog er seine schwere Messing-uhr hervor und steckte sie dann ebenso umständlich und voll-kommen beruhigt wiederum ein. Dann holte er aus der Tiefe seiner Seitentasche eine Stange schwarzen Rolltabak hervor und begann sich mit dem Sackmesser davon gemächlich kleine Stück-lein in die hohle Hand zu schnetzeln. Dann nestelte er aus der Innenseite des Rockes eine schwere Tirolerpfeife heraus, auf deren Porzellankopf eine dralle Weibsperson prangte, und stopfte sich dieselbe in aller Seelenruhe. Als dann das Rauchzeug end-lich zog und gründlich funktionierte, blies er aus seinem zahn-losen Mund mit Behagen die blauen Rauchwolken gegen den Himmel, der in makelloser Bläue sich ob den sprossenden Juni-wiesen des Tales, in welches der Frühling eingezogen war, und den noch schneebedeckten Kuppen und Gräten wölbte.
Christoffel Janett wußte, daß er einen strengen Tag vor sich hatte, und ruhte darum vor seinem Werke aus. Da hatte er ein-mal den ersten Weckruf zu läuten mit der kleinen Glocke; eine halbe Stunde später hatte er sodann den zweiten Mahnruf mit der anderen, sogenannten großen Glocke zu läuten, welcher die
I;9 []frommen Christen von Pralöng mit ernster, tieferer Stimme dringlicher mahnen sollte, sich bereitzuhalten für die heilige Feier.
Christoffel Janett hatte zwar in jeder Gemeindeversammlung,wo derlei am ehesten zur Sprache gebracht werden konnte, mit der ganzen Beredsamkeit, welche eigentümlich leidenschaftlich aus seiner sonst so schweigsamen Sakristanbrust hervorbrechen konnte, behauptet, es sei unzweckmäßig und vernunftwidrig,diese große Glocke zum zweiten Mahnzeichen zu benutzen, weil doch in Pralöng sattsam bekannt sein dürfte, daß dieselbe einen sehr bemerkbaren Riß habe. Er pflegte in der ihm eigenen, blu-migen Ausdrucksweise, die er sich offenbar durch das Anhören der unzähligen Predigten unbewußt angeeignet hatte, zu sagen:Wer auf das erste helle Glockenzeichen hin, welches wie Silber-klang aus der Glockenstube des Turmes jauchze, sich zum Besuch des Gottesdienstes bereitgemacht habe, den schrecke ja der düstere Mißklang des zweiten Mahnrufes sicher wieder ab, und er be-haupte, daß man in Pralöng notgezwungen einen schlechten Kirchenbesuch haben müsse, da die löbliche Gemeinde nicht von diesem veralteten Brauch abgehen wolle.
Man hatte ihm aber immer bedeutet, daß an der Reihenfolge,wie die Glocken geläutet würden, doch wenig liegen könne. Auch sei der erwähnte schlechte Kirchenbesuch nicht so bedenklich,wie er ihn darstelle: Von den hundert Einwohnern des Dorfes seien in der Regel mehr als fünfzehn, oft aber gegen zwanzig Erwachsene da, und wenn man dazu noch das halbe Dutzend Konfirmanden und die anwesenden Kinder rechne, so sei das mehr als genug. Man habe denn doch des öfteren am Sonntag noch ganz andere Dinge zu tun, als Predigten abzuhören. Vor allem aber seien die Kirchenbänke schuld und hielten einen ge-radezu ab von dem ja zugestandenermaßen notwendigen Gottes-dienste. Was übrigens diese größere Glocke betreffe, welche einen kleinen Defekt habe, so sei dazu zu bemerken, daß es erstens gar
TO []nicht so schlimm bestellt sei; vor allem aber sei Janetts Argu-mentation deswegen unrichtig, weil der Mangel einheitlicher und ungebrochener Klangfülle ja beim dritten Läuten unmittelbar vor dem Gottesdienst dennoch zum Vorschein komme.
Dieses letztere Argument befriedigte Christoffel Janett immer ganz besonders, weil es das Zugeständnis der Richtigkeit seiner Behauptung enthielt.
Denn er stand mit seiner Behauptung vollkommen allein da in Pralöng, und es wurde ihm als eine Ketzerei sondergleichen angerechnet, daß er mit seiner Meinung so unverhohlen heraus-rückte. Außer ihm, der älter war als die ältesten lebenden Väter von Pralöng und bereits alle seine Schulkameraden und manche Matrone zu Grabe geläutet hatte, die weit unter seinen Jahren gestanden und jäh das Zeitliche hatte segnen müssen, hätte sich niemand getraut, derlei zu behaupten. Ihn aber umgab jedoch,aus alledem herstammend, der scheue Schimmer des sakrosankten Heiligtumshüters und wurde noch verstärkt durch das hohe Alter dieses robusten Junggesellen, welcher so freimütig wie ein Jüng-ling seine Meinung äußerte, wenn es ihm behagte.
Die von Pralöng hatten auch einen ganz bestimmten Grund,jedem zu zürnen, welcher sie auf den mangelhaften Einklang und die auseinandergehende Beschaffenheit ihres Glockenpaares aufmerksam zu machen wagte.
Denn seit Menschengedenken herrschte zwischen Pralöng und der gegenüberliegenden Gemeinde Pranöv, welche in halbstun-denweiter Entfernung am Hange Dössat lag, ein erbitterter Streit wegen dieser Glocken, der an Samstag- und Sonntagabenden in der «Post» oder im «Löwen» schon zu einer endlosen Zahl von Schlägereien und erhitzten Debatten geführt hatte.
Die von Pranöv logen nämlich in boshaftem Neid, die Ge-meinde Pralöng habe ihre große Glocke auf einer Glockengant,welche das Kloster in Ursulinendorf veranstaltet habe, um ein billiges Geld erstanden; und die Glocke läute nicht allein darum
LI []so schlecht, weil sie eigentlich auf einen katholischen Kirchturm gehöre, sondern auch deswegen, weil die guten Protestanten von Pralöng ihre Rechnung bei dem Kloster bis auf diesen Tag nie beglichen hätten!
Das war nun offenbar eine doppelt und dreifach freche Lüge,wie sie nur in Pranöv ersonnen werden konnte. Aber nichtsdesto-weniger tauchte sie immer und immer wieder auf, pflanzte sich durch die Geschlechter fort und machte sich breit wie einedreiste Wanzenbrut, die durch nichts zu vertreiben war.
Ja, als dann der reiche Capol, der mit Vorliebe über diese Sache giftelte, an einem längeren Jahrmarktshock, bei welchem die Köpfe vom Wacholderschnaps schon recht heiß geworden waren, ob des Anblicks seines Hühnerhundes, der unter dem Wirtstisch richtig an die fauchende, graulende Katze des Hauses geraten war, in die Gaststube hinausrief : «Horcht, mir ist es, ich höre die Glocken von Pralöng zur Kirche läuten!» brachen die Pranöver in ein schallendes Gelächter aus, indes die Mannen von Pralöng an den Tischen langsam zusammenrückten und stille wurden.
Als jedoch das Gelächter nicht enden wollte, fuhren sie mit einemmal wie toll geworden und wütig über die Pranöver her,und ihre guten Fäuste hagelten denen nach ungeschriebenen Noten und einem barschen Takt über die heißen Köpfe; und der alte Men Flütsch brüllte einem Pranöver, welchen er unterhänds hatte und gründlich bearbeitete, in einem fort zu: «Wir wollen euch einmal zeigen, ihr Schelmen, wie man in Pralöng ausläutet,potz Herrgottstabak! »
Wild und unaufhaltsam schrie, tobte und klirrte es in der engen Gaststube, daß der Boden stob; und als die «Post»-Wirtin den Kopf zur Türe hereinstreckte, zog sie ihn sehr eilig wiederum zurück und verschwand, Böses ahnend, in den Keller hinunter,um von der ganzen Sache nichts gesehen zu haben.
12 []Seither war das Glockengeläute von Pralöng im Tale sprich-wörtlich geworden. Und an Kilbenen und Herbstfesten gab es das Zeichen zum Anfang der Schlägerei (ohne die es selten ab-lief), wenn einer von Pranöv sich erlaubte, während des Tanzes heimlich oder offen zu miauen oder zu bellen. Im Handum-drehen stoben da die Tänzerpaare auseinander, die Mädchen ver-schwanden kreischend in der Türe, und ein anderer Tanz hob an,aus dem als Abzeichen Schrammen und blaue Beulen davonge-tragen wurden.
Begreiflicherweise lockte jedoch grade diese Empfindlichkeit immer von neuem den Spott der verschmitzten Pranöver heraus,und darum war ein ewiges Hin und Her zwischen Dorf und Dorf, dem durch keine Heirat noch Verwandtschaft ein Ende bereitet wurde.
Freilich muß man um der Wahrheit und Gerechtigkeit willen sagen, daß die Glocken von Pralöng dem Urteil der Pranöver vollkommen recht gaben. Und so erlogen die Geschichte von dem erschwindelten Kauf der ausrangierten Klosterglocke sein mochte, so treffend war der Vergleich, den der lasterhafte Capol gezogen hatte. Denn in der Tat klang das Zusammenläuten der beiden Glocken in einen Mißton aus, der nur einem, welcher vollkommen taub oder jahrelang daran gewöhnt war, erträglich oder gar angenehm vorkommen konnte; so daß in der Tat der Vergleich mit dem Hunde, welcher mit einer Katze rauft, ge-rechtfertigt erschien.
Am tollsten jedoch war die Giftelei über die Glocken von Pra-löng damals geworden, als die Pranöver den großen Holzschlag in ihrem alten prächtigen Kirchenwald vorgenommen hatten.
Seit Menschengedenken war darin nichts mehr geschlagen worden. Da kam der Bau der großen Talsäge in Valdür, welche in dem sogenannten Lochtobel erstellt werden sollte. Eine große Zunge des Kirchenwaldes von Pranöv langte bis tief in das Tobel hinunter; und dort waren die Stämme besonders hoch und mastig
I?[]geworden, weil man, schon der Bequemlichkeit wegen, niemals in diesem Krachen, darin der Brölbach bös gurgeln konnte, ge-fällt hatte. Um so mehr, als das Fällholz nur mit größter Mühe auf den Fahrweg hinaus zu bringen gewesen wäre, von wo aus dasselbe dann in mehr als stündiger, böser Fuhre wiederum den gähen Weg nach Pranöv hätte hinaufgeschafft werden müssen.
Gerade weil der Bau dieser Talsäge schon oft erwogen und verhandelt worden war, hatten sich die von Pranöv in der Tal-gemeindeversammlung niemals stark beteiligt und sich auch in keiner Weise bei den Meinungsäußerungen stark hervorgetan.Mit Bedacht und Vorsicht ließen sie andere Leute reden und sich streiten, wußten sie doch ganz genau, daß für eine derartige An-lage, deren Erstellung schon lange ein Bedürfnis gewesen wäre,nur das Lochtobel ob Valdür als Standplatz ernsthaft in Betracht kommen konnte. Deswegen sagten sie sich, hätten sie auch Zeit zu warten, die Sache reifen zu lassen und in keiner Weise zu ver-raten, daß ihnen an der raschen Durchführung des Projektes viel gelegen sei oder sie daran gar ein Interesse hätten, welches tiefer ging als das der anderen Gemeinden.
Denn dieses Tobel lag zum ersten ziemlich genau in der Mitte des Tales. Und für eine Säge, welche allen Gemeinden gleicher-weise zu dienen hatte, kam selbstverständlich nur die mathema-tisch genaue Mitte des Tales in Betracht. Zudem traf es sich hier ganz außergewöhnlich gut, daß der Brölbach, der die ganze Sägerei betreiben sollte, gerade an dieser Stelle im Lochtobel durch sein bedeutendes Gefäll und durch seinen von hohen Fels-wänden eingeengten und zugleich gesicherten Lauf eine solche Stoßkraft hatte, daß man in den schlimmsten Zeiten weder Was-sernot noch Wassermangel zu fürchten hatte.
Ja, der Bau dieser Säge wurde in den Augen derer von Pranöv vom Himmel selber geradezu beschlossen und trotz den dörf-lichen Zwistigkeiten zur unabwendbaren Notwendigkeit ge-macht, als in dem heißen Sommer des Jahres neunzehnhundert-
TA []undelf durch den Niedergang der großen Rüfi die alte Säge in Pralöng, welche bis dahin mangelhaft genug dem ganzen oberen Teil des Tales gedient hatte, kurzerhand außer Gebrauch gesetzt wurde. In einer einzigen Nacht warf es vom Mezdi herunter einen solchen Strom von Steinen, Kies, Schutt und Unrat, daß der Bröl bei Pralöng das Ufer bis weit hinein übertrat und das Land dermaßen versandete, daß die kümmerliche Säge am Ufer,bis zur Nabe des Rades zugedeckt, mitten in einem Kies- und Sandfeld darin noch jahrelang als ein bemühendes Wahrzeichen einstiger Unabhängigkeit emporragte; bis dann dieser oder jener von Pralöng es für gut fand, sich nachts einen Teil der guten Bretterverschalung der Säge zu holen und zu dienlicheren Zwek-ken zu verwenden. In keiner Zeit waren in Pralöng so viele Schweineställe und Kälbergaden. geflickt und neuerstellt wor-den wie damals, da man so billiges und wirklich gut gedörrtes Holz haben konnte und man gegenseitig brüderlich ein Auge zudrückte beim Zerteilen der Beute. Ja, als eines Nachts der Gemeindepräsident Bastian Pitschen Pott beim Laden einer klei-nen Fuhre, zu welcher er der Einfachheit ‚halber seine beiden Rinder eingespannt hatte, mit dem säbelbeinigen Jon Nicola zu-sammentraf, gegen den er sonst Gift und Galle gespien hatte,half er sich mit weltmännischer Würde und schicklichem An-stand und Artigkeit aus der immerhin heiklen Sache, indem er ihm auf die Achsel klopfte und sagte: «Ist recht so, guter Freund,man darf Gemeindegut nicht. grundlos verderben lassen; es ist ein Jammer, daß man in Pralöng so wenig Sinn dafür hat!» Und nachdem er noch seinen Tabakbeutel gezogen hatte und beide daraus gemeinsam ihre Pfeife gestopft, schoben sie, freilich ohne dieselben angezündet zu haben, mit ihren laternenlosen Fuhren dorfzu, ohne groß Hüst und Hott zu rufen.
Nach dem Niedergang der großen Rüfi war die Talsäge im Lochtobel so gut wie sichergestellt, ehe die Talgemeinde darüber Rat gehalten. Ohne ein Widerwort von irgendeiner Seite wurde
TS []sie denn auch kurze Zeit darauf einstimmig von den Abgeord-neten der sechs Dörfer beschlossen und diesen zur Annahme und baldigen Ausführung empfohlen.
Allein die von Pranöv regten sich noch keineswegs. Der lange Capol war damals schon seit Jahren Kirchenvogt und Gemeinde-haupt, und es wäre dessen Sache gewesen, den Wald im Loch-tobel zum Schlage anzutragen. Da er aber wußte, daß man in Pralöng, schon ehe ein Wort über die Holzlieferungen zum Säge-bau gefallen war, scheel auf Pranöv schaute, ein Angebot sofort eigennützig gedeutet und es auch dementsprechend ausgeschlach-tet hätte, schwieg er beharrlich und tat auch nicht einen Schritt für die ganze Angelegenheit, sondern wartete, seiner Sache ge-wiß, ab, bis man vom Tal herauf endlich den Weg nach Pranöv gefunden hätte. Wer die Kartoffeln zur Zeit gesteckt hat, kann ruhig warten, bis sie stoßen!
Selbst bei den Verhandlungen tat dann Capol nicht einmal besonders eifrig. Er sagte zuerst wegwerfend: Kirchenwald sei schließlich Kirchenwald und sollte nach seiner Meinung auch für dementsprechende Dinge verwendet werden. Und es sei zu sagen, daß die Bäume im Lochtobel kein Heu fräßen. Ihnen liege gar nicht besonders daran, Holz zu verkaufen. Ja, es sei jetzt, da die Talsäge wirklich erbaut werde und endlich zustande komme trotz dem Widerstand von Pralöng, für sie in Pranöv gar nicht besonders ratsam, den Schlag im Lochtobel zu gestatten. Denn jedermann in Pranöv habe Nutzen und Vorteil davon, daß sie in nächster Nähe der Säge solch schönen Wald besäßen, dessen Stämme sie jeweils bei Gebrauch nur zu fällen und kaum einen Eichhornsprung weit bis zum Sägeplatz zu schleifen hätten.
Kurzum, Capol verstand es, mit kalter Ruhe den Baumeister,welcher die Erstellung der Säge übernommen hatte, derart zu traktieren, daß derselbe schließlich froh war, die Stämme für den Rohbau der Säge zugesichert zu bekommen, und zwar zu einem Preise, wie nie zuvor im Tal Lärchenholz verkauft worden war.
16 []Die Empörung über dieses sündenteuere Lärchenholz war namentlich in Pralöng groß, wo man weite Gemeindewaldun-gen hatte, aus welchen man gerne ein paar rechte Fuhren abge-geben hätte; und namentlich Bastian Pitschen Pott hatte sich große Mühe gegeben, den Baumeister einzuziehen und bei ihm Mißtrauen gegen Capol zu wecken. Unermüdlich war er ihm nachgegangen und hatte ihn noch zweimal zum Neunuhrimbiß bei Schinken und Bindenfleisch zu sich geladen und ihn eigent-lich regaliert. Und es ist ja schließlich gut verständlich, daß er hinterher verärgert und einöd war, weil ihm die fette Forelle den guten Köder so munter von der Angel gefressen und doch nicht angebissen hatte.
Als Bastian Pitschen Pott am Oktobermarkt Capol zum ersten Male wieder sah und man gemeinsam im «Steinbock» von Ursu-linendorf einkehrte, konnte er es nicht unterlassen, ihn über Tisch auf seine Weise anzurempeln.
Er fragte Capol, ob er mit dem Marktertrag zufrieden sei,welchen er von seinen drei Kühen erlöst habe?
Gewiß, antwortete Capol, er sei noch kein Jahr so gut ge-fahren wie heuer.
Das glaube er wohl, gab Bastian Pitschen Pott zurück: drei Kühe habe er heute auf dem Markte verkauft, aber einen noch fetteren Ochsen diesen Sommer im Lochtobel!
Die Wirtsstube dröhnte vor Lachen; denn jedermann wußte sofort, daß mit diesem Zick das Aufgeld gemeint sei, welches Capol sich beim Verkauf des Kirchenwaldes im Lochtobel von den Pranövern von vornherein ausbedungen und auch zugesagt bekommen hatte. Ja, man munkelte, daß er sich obendrein auch noch von dem Baumeister habe zahlen lassen, weil der schon gewußt habe, daß der Verkauf ohne Capol überhaupt nicht zu-stande komme, da ja Pranöv ganz in seinen Händen sei.
Damals schwieg Capol und lächelte nur hämisch vor sich hin. Wer ihn aber kannte, der wußte genau, daß die Antwort
Tr []dann zu ihrer Zeit einmal kommen würde, früher oder später.Denn schuldig geblieben war er noch nichts.
Tatsache war, daß man in Pranöv durch diesen geschickten Holzverkauf ein wackeres Stück Geld in die Hände bekommen hatte. Die Unzufriedenheit aber, welche namentlich unter der Jungmannschaft wegen der Verdächtigungen, die ihr Gemeinde-und Kirchenhaupt nicht hatte widerlegen können oder wollen,gegen Capol eine Zeitlang doch bemerkbar geworden war, machte derselbe durch einen wahren Geniestreich mit einem einzigen Schlage tot und gab damit zugleich seinem giftigsten Feinde und Nebenbuhler in Pralöng die Antwort auf jene: unverschämte,verblümte Hinweisung auf den Kirchenholzverkauf im Loch-tobel, welchen er mit einem fetten Ochsen verglichen hatte.
Als nämlich in der Kirchgemeindeversammlung zur Sprache kam, was mit dem Gewinn von dem verkauften Kirchenholz ge-macht werden solle, herrschte zuerst eisiges Schweigen, und nie-mand wollte mit der Sprache herausrücken. Dann tropfte es langsam und zögernd hervor mit «es scheint mir» und «ich meine fast», daß die Mehrzahl dafür hielt, man solle das Geld fondieren, das heißt zu dem Kirchenfonds legen, aus dessen Zins-erträgnissen der Anteil an dem mageren Pfarrgehalt bestritten wurde, welchen sie halbjährlich nach Pralöng abzuliefern hatten.
Nachdem sich alle in diesem Sinne geäußert hatten, stand Capol in seiner ganzen Größe auf, zog die Pfeife gemach aus dem Mund und begann seine wohlerwogene Rede:
Er wolle zwar den Beschlüssen der 1öblichen Kirchgemeinde-versammlung in keiner Weise zuwiderreden; denn alle wüßten ja, daß er stets das Wohl der Gesamtheit gewahrt hätte und sich ihren Beschlüssen immer gern und willig unterordne. Aus die-sem Grunde möchte man das, was er nun in Sachen der Verwen-dung dieses Geldes vorzubringen gedenke, nur als eine Anregung auffassen, als eine Art Idee, über die man noch ganz gründlich miteinander reden und sich aussprechen könne.
TS []Er räusperte sich.
Zum ersten müsse er seinen Vorrednern darin widersprechen,daß das Geld vom Holzverkauf ohne weiteres zum Fonds ge-schlagen werde. Sei dasselbe einmal fondiert, so dürften sie da-von ein für allemal nur noch die Zinsen brauchen und über das Kapital nicht mehr anderweitig verfügen. Jetzt aber hätten sie noch das volle Verfügungsrecht. Das sei das eine.
Sodann könne er aber doch nicht umhin, die löbliche Kirch-gemeindeversammlung auf eine ganz bedenkliche er wolle nicht sagen Schattenseite, aber Nebenseite aufmerksam zu machen, die bei einer allfälligen Fondierung sich doch zeigen könnte.
Bekanntlich hätte ihr jetziger Fonds schon längst den erforder-lichen Bestand, daß sie aus seinen Zinserträgnissen bequem ihren Anteil am Pfarrgehalt bestreiten könnten, ohne eine besondere,lästige Kirchensteuer erheben zu müssen. Erhielte der Fonds nun aber einen so bedeutenden Zuwachs dessen Größe ja aller-dings nur den Bürgern von Pranöv bekannt sei, und den auch sonst niemand zu kennen brauche, der aber begreiflicherweise von denen unten im Tal aus Neid ganz unmäßig überschätzt werde, wenngleich derselbe ja, an dem strengen Maßstab des Verdienstes gemessen, nicht übertrieben genannt werden dürfe ,so könnte es dann doch sehr leicht geschehen, daß der Pfarrer meine, man müsse ihm mit dem Lohne in die Höhe. Ja, er traue es noch gewissen Leuten im Tale zu, daß man sie bei der Regie-rung direkt verzeigen würde, sie ließen überschüssige Fondszin-sen aufwachsen, und da wäre es doch denkbar, daß das hohe Dekanat (hier lächelte Capol ein wenig) sie geradezu zwingen würde, das Pfarrgehalt in die Höhe zu tun, schon aus Freude dar-über, eine arme Gemeinde einmal die Macht des hohen Kirchen-rates fühlen zu lassen (hier lächelte Capol von neuem); und all dies könnte ja um so mehr eintreten, weil Pralöng, mit denen gemeinsam sie ja das Pfarrgehalt zu bestreiten hätten, jederzeit rasch bereit wäre, bei dieser Gehaltserhöhung mitzumachen, die
IO []er seinerseits wirklich für ganz und gar unnötig halte. Mit acht-zehnhundert Franken sei der Pfarrer mehr als recht bezahlt. Ein Bauer müsse drei Stück Vieh verkaufen, ehe er zu einer solchen Jahreseinnahme gelange. Man möge einmal ausrechnen, welch einen Stall voll Vieh einer haben müsse und welchen Heustock dazu, bis einer jährlich drei Stück zu Markte treiben könne. Und die Arbeit, die ein Bauer tun müsse, um all das leisten zu können,stehe dann doch in keinem Verhältnis zu der, die ein Pfarrer das Jahr hindurch aufzuweisen habe. Ein Pfarrer habe so lange zu studieren, daß er für seine Person davon überzeugt sei, es könne einer, wenn er ein bißchen Ernst habe und fleißig sei, in diesen langen Schuljahren alle Predigten machen, die er sein Leben lang zu halten habe, so daß man dann nachher im Amte wirklich nicht mehr von positiver Arbeitsleistung reden könne.
Und aus diesem Grunde nun, das Wohl seiner Gemeinde be-denkend und auf die verhängnisvollen Konsequenzen achtend,die bei einer ungeschickten Verwendung der Gelder eintreten könnten, sei er auf seine sogenannte Idee gekommen:
Ihre Kirche sei ja anerkanntermaßen gut gebaut und recht instandgehalten. Aber eines fehle ihnen eben doch in Pranöv,und es würde ihn freuen, wenn sie in dieser Hinsicht den anderen Gemeinden im Tale ebenbürtig, ja einzelnen sogar vorbildlich würden: Sie sollten zu ihrem einzigen Glöcklein eine neue,zweite Glocke haben!
Zu diesem Zwecke, meine er, sollte der Turm etwas erhöht werden; auch einen eisernen Glockenstuhl sollte man, wie es nur am Platze sei, beschaffen. Er meine, durch die Stein- und Kies-fuhren, welche zum Umbau des Turmes erforderlich seien, durch die Maurer- und Handlangerarbeiten sowie auch durch den Her-transport der Glocke über den Paß bliebe doch für manchen in der Gemeinde, der dabei mithelfen wolle, manch runder guter Franken in der Hand liegen; und wenn dann immer noch etwas übrigbleiben sollte von dem Erlöse ihres Kirchenwaldes was
20 []er zwar bezweifle , so könnte man dann diesen Rest immer noch fondieren.
Auf diese Weise, meine er, sei doch etwas geschaffen zu aller Freude. Den Kirchenwald, könne man dann allen Neidern ent-gegenhalten, hätten nur die in Valdür und Pranöv rauschen hören; nun aber solle er von dem hohen Kirchturm von Pranöv stolz durch das ganze Tal hinunter klingen als ein Wahrzeichen ihres bescheidenen, aber fortschrittlichen und gesunden Gemein-wesens!
Sprach’s, setzte sich nieder und begann sich die Pfeife zu stopfen.
Das war ein Trumpf!
Die Alten lächelten vergnügt, die Jungen grinsten vor Freude.Nun würden sie endlich Oberwasser bekommen den Untern gegenüber! Herrgott, ein Staatskerl war der Capol doch! Unter Jungen und Männern fand doch keiner den Rank so fein wie dieser Alte!
Die Lämmlein, die dem allmächtigen Capol etwas bockbeinig hatten werden wollen, standen ihrem Führer wieder begeistert zur Seite.
Und einstimmig wurde die Sache alsbald zum Beschluß er-hoben.
Am Samstag darauf brachte der allwöchentlich erscheinende «Freie Talbote» bereits die Kunde von den neuen Geschehnissen in Pranöv. Unter der Aufschrift «Ideale Gesinnung» flocht er der Gemeinde Pranöv und ihrer Leitung einen Kranz und pries den von wahrhaft christlicher Gesinnung getragenen Beschluß.Ja, die Redaktion flocht in einer Extraklammer aus ihrer abge-sägten Theologie noch ein paar nette Sprüchlein bei, die gut hin-einpaßten und besonders von den frommen Lesern von Pranöv stückweise genossen wurden wenngleich der ganze Feigen-kranz offenkundig mehr im Hinblick auf die Abonnenten denn aus Überzeugung spendiert war.
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Infolge dieses Beschlusses wurde, wie Capol richtig kalkuliert hatte, die Glockenfrage Tagesgespräch im ganzen Tal, und daß die von Pralöng hinfort an ihrer schwächsten Stelle reichlich gekitzelt wurden, versteht sich von selbst.
Besonders getroffen fühlte sich Bastian Pitschen Pott, der ge-hofft hatte, daß er seinem alten Gegner Capol, welcher ihm da-mals mit dem Holzverkauf die Forelle von der Angel gelockt hatte, den festen Boden des Vertrauens und der Unterwürfigkeit unter den Füßen wegziehen könne dadurch, daß er recht weg-werfend und geringschätzig von dem merkwürdigen Holzhandel mit dem Kirchenwald im Lochtobel rede.
Nun mußte er erkennen, daß der Hieb glänzend pariert sei und daß Capol nicht nur die Lacher und Spötter im Tal, sondern auch die Einwohnerschaft von Pranöv auf seiner Seite hatte und seine Stellung gefestigter war denn je.
Der Mißmut in Pralöng wuchs besonders damals, als in Pra-növ der Turmbau begonnen wurde und alle Welt rühmte, wie einträglich es sei, bei der Sache mitzumachen; bei- solchen Gemeindearbeiten schaue auch noch ein rechter Taglohn her-aus!
Niemand hatte Grund, an diesen Aussagen zu zweifeln, um so mehr als Capol, berechnend wie er war, von vornherein den Grundsatz aufgestellt hatte, bei den Arbeiten dürften nur die von Pranöv beschäftigt werden; denn es sei nur gut verständlich,daß bei einer Gotteshausarbeit jeder mitzuhelfen begehre, und es schicke sich, daß man diesem Verlangen entgegenkomme.Auch hätten sie ja in Pranöv Leute genug, und es könne kein Zweifel sein, daß sie in erster Linie zu diesem Verdienste zuge-lassen werden müßten. Mit ihren fast neunzig Einwohnern hätten sie gewiß nicht zu fürchten, mit Hilfskräften in Verlegenheit zu kommen.[]Und richtig: Als nach Ablauf des Sommers die Arbeit, welche mit großem Eifer an die Hand genommen worden, so weit ge-diehen war, daß die Glocke hergeschafft werden konnte, erlebte Capol einen wahren Triumph.
Obgleich er schon damals scharf gegen die Siebzig rückte, ließ er es sich nicht nehmen, mit den kräftigsten Burschen zusammen ins Tal hinunter und von dort über den stundenweiten Paß zu fahren, um die neue Glocke an der Bahn abzuholen.
Als sie nach zwei Tagen mit derselben auf bekränztem Wagen stolz durch Pralöng fuhren, hielten sie-mitten im Dorfe vor dem «Löwen» an, und nachdem Capol einen rechten Trunk für die Jungmannschaft bestellt hatte, stand er vom Tische auf und sagte, jetzt wolle er grad noch zum Pfarrer gehen: der müsse am Samstag nach Pranöv hinaufkommen und nach dem glück-lichen Aufzug der Glocke eine Rede auf dem Kirchenplatze hal-ten; es schicke sich so, denn es sei fürwahr ein gottesdienstliches Werk, welches dann vollendet sei.
Aufrecht und stolz sah man ihn durch das Dorf schreiten, und es verfehlte den Eindruck nicht, als er nach kurzer Zeit schon zurückkehrte und trocken berichtete, die Sache sei in Ordnung,und der Pfarrer werde kommen. Herrgott, Capol ließ doch nicht lange bitten! Das war einer, der selbst zum Pfarrer noch sagen durfte, wie und wann er eine Sache haben wollte selbst wenn ihm einmal ein Samstag paßte!
Daß der Pfarrer dann am Samstag richtig nach Pranöv hinauf-ging und im Beisein des halben Tales seine pflichtschuldige Rede glänzend ablieferte, wurde ihm in Pralöng von Bastian Pitschen Pott als ein Vergehen gebucht, dessen bittere Frucht ihm noch vorgesetzt werden sollte, beim Eid! Und trotzdem damals etliche wenige besonnene Leute den Pfarrer in Schutz nahmen und be-tonten, daß es seine Pflicht gewesen sei, zu reden, und man rate,ihn in dieser Angelegenheit ganz außer Spiel zu lassen, da ein Pfarrer von zwei Dörfern offenbar so bös zu werchen habe als
9 []ein Weib, das am Herde vor zwei Töpfen stehe und genug zu tun habe, zuzusehen, daß es im einen nicht übersiede, während es in dem anderen koche, schäumte dennoch Bastian Pitschen Pott vor Wut. Das Mitwirken des Pfarrers war nach seiner Auffas-sung für ihn eine persönliche Beleidigung, und er wartete nur,wie und wann er Gelegenheit bekomme, auf eine für ihn unge-fährliche Weise den Mann seine Rache fühlen zu lassen. Denn im offenen Kampfe hätte er sich nimmermehr getraut, dem kurz-angebundenen und streitbaren Diener des Herrn entgegenzu-treten.
In jener Zeit fand in Pralöng ein eigentlicher Zusammen-schluß des sonst in Hader und in Familienstreit zerrissenen Dörf-leins statt. Seit alten Zeiten war es in Pralöng so gewesen, daß die Einigkeit nie stärker und alter verhockter Groll leichter ent-fernt wurde, als wenn unvermutet ein neuer, gemeinsamer Zwist auftauchte. Was keine Predigt in der Kirche erreicht hatte, er-reichte in solchen Zeiten der Teufel leicht durch seine Überzeu-gungskraft. In solchen Zeiten bildeten sich immer neue, unge-ahnte Freundschaften und Koalitionen; Bündnisse wurden ge-schlossen und die ältesten Feindschaften vergessen um der neuen spannenden Streitsache willen, welche alle dermaßen begeisterte und mitriß, daß jeder dabei den Knüttel seiner Bosheit mitzu-schwingen begehrte.
In dem Zusammenschluß der Gemeinde Pralöng gegen Pra-növ war Bastian Pitschen Pott der erste, welcher voranging und zeigte, daß man alte Feindschaften und Zwistigkeiten in solch entscheidungsschweren Augenblicken hintanstellen müsse.
Seit Jahren hatte er nämlich mit dem alten Landammann Mastral Maini jeden Verkehr gemieden; denn sie hatten einmal um einer Kleinigkeit willen, die jedoch in ihrer Nichtigkeit gleichwohl in mancher Beziehung bezeichnend genannt werden darf, zusammen heftige Worte gewechselt.
2A []Es hatte sich um die Straßenverbesserung von Pralöng nach Pranöv gehandelt, und es war vorgeschlagen worden, die beiden Gemeinden sollten die Arbeiten gemeinsam durchführen, und die Kosten derselben sollten gemeinsam getragen werden, und zwar in der Art, daß jeder Ort, der Kopfzahl seiner Einwohner entsprechend, bezahlen sollte.
Da jedoch Pralöng damals siebzehn Einwohner weniger zählte als Pranöv und trotzdem bei der Arbeit mehr arbeitsfähige Män-ner zu stellen gehabt hätte, da sich damals in Pranöv zufälliger-weise etwa ein halbes Dutzend arbeitsunfähige Greise befanden (wovon übrigens schon in dem Frühling, da das Sträßchen hätte verbessert werden sollen, kurz hintereinander vier starben), hatte Bastian Pitschen Pott, welcher in Gemeindegeldern der größte Knauser sein konnte, solange wenigstens bei einer Gemeinde-arbeit für ihn selber nicht ein wägbarer Vorteil abfiel, in der Versammlung barsch dagegen gesprochen und von Verschwen-dung, Ungerechtigkeit und unnötigen Ausgaben geredet. Für Pralöng sei der Vorteil dieses Sträßchens gar nicht so bedeutend;sie selber lägen ja in Pralöng glücklicherweise an der Poststraße,und er sehe nicht ein, warum sie nun denen in Pranöv eine be-queme Zufahrt zu dieser Poststraße bezahlen sollten. Wenn die oben einen Weg nötig hätten, welcher sie mit der Hauptstraße des Tales verbinde, möchten sie ihn selber bezahlen. Ja, er fügte am Schlusse noch frech hinzu: Wozu man in Pranöv überhaupt eine Straße in das Tal brauche? Wer auf dem Monde wohne,wohne nun einmal seitab, daran könnte nichts geändert werden.Und im ganzen Dorfe Pranöv werden im Jahre nicht sieben Käse aus dem Tale weg verkauft; was aber die Kühe anbetreffe,so sei zu sagen, daß die sich gewiß auch auf dem alten Wege durchfänden!
Landammann Mastral Maini war damals aufgestanden und hatte gesagt, nach seiner Meinung brauchte man dann auch in Pralöng keine Poststraße, wenn sie von derlei Dingen, wie sie
25 []soeben von Bastian Pitschen Pott angedeutet worden seien, ab-hange. Man zeige seine Überlegenheit überhaupt nicht darin,andere herabzudrücken, sondern allein im Entgegenkommen.Nur gegenseitige Arbeit und Mithilfe bringe das Tal vorwärts,und es könnten vielleicht einmal Zeiten kommen, wo man auch in Pralöng recht froh um die Mithilfe der Pranöver sei. Oben-drein wolle er hier einmal gesagt haben, daß es beschämend sei;die Knausrigkeit in öffentlichen Geldern derart hervorzukehren,währenddem sonst auch recht tief in den Gemeindesäckel ge-griffen werde, wenn es genehm sei.
Diese letzte Äußerung traf Bastian Pitschen Pott an seiner allerempfindlichsten Stelle. Denn keiner wollte wie er als Hüter der Gemeindeinteressen gelten, trotzdem man nur zu gut wußte,wie es damit bestellt sei.
Mit rotem Kopfe stand er auf und sagte, er habe als Präsident der Versammlung nun einfach abstimmen zu lassen. Wer dafür sei, daß man die Wegverbesserung mit denen von Pranöv zusam-men übernehmen wolle, möge frei und offen die Hand erheben.Er sei dagegen!
Das war nun brüsk, aber er wußte, daß er damit zu seinem Ziele komme. Denn er rechnete damit, daß unter den einund-zwanzig Stimmberechtigten, die das Dörflein aufzubringen hatte,außer seiner eigenen Stimme zwölf Stimmen seiner Schuldner waren. Unter diesen zwölf armen Schluckern getraute sich auch nicht einer, die Hand hochzuheben, wußten sie doch zu gut, daß ihnen am anderen Morgen schon ihre Schuldenpöstlein unfehl-bar gekündigt worden wären. Jedermann wußte, daß Bastian Pitschen Pott seine Karten auf diese Weise legte und nur darum so wohltätig seine Gelder auf Zinsen lieh, um dadurch seine füh-rende Stellung in Pralöng behaupten zu können. Trotzdem man ihn fürchtete, kam es in dem engen Dörflein immer und immer wieder vor, daß infolge Notlage oder Unglücks neue Opfer in
56 []die Krallen des schiefnasigen und gewalttätigen Gemeindehaup-tes gerieten.
Daß damals die Wegverbesserung nach Pranöv nicht zustande gekommen war und der Gemeindepräsident den Landammann des Tales gebodigt hatte, war anfänglich wohl ein Triumph für Bastian Pitschen Pott gewesen, welcher sein Ansehen gewaltig erhöht hatte.
Freilich wurde ein Jahr nachher trotz alledem ohne jegliche Mithilfe von Pralöng ein kleines Sträßlein von Pranöv nach Valdür gebaut. Man schrieb das Zustandekommen allgemein dem Landammann zu, welcher offenbar mit dem reichen Capol zusammen für Pranöv die Mittel beschafft hatte, damit es nach dem Tale eine bequeme Zufahrt bekäme. Aufgeklärt wurde diese Angelegenheit nie. Jedenfalls stimmte es aber manchen in Pra-löng doch nachdenklich, daß der schmale Fahrweg nicht in ihr Dorf, sondern nach Valdür hinunter gebaut wurde; denn den beiden Kramläden entging dadurch wie den Wirtschaften man-cher Franken, der von nun an auf dem bequemen Sträßlein nach Valdür rollte.
Seither hatten Bastian Pitschen Pott und der Landammann nie mehr zusammen verkehrt. Jeder ließ den anderen in Ruhe.Obwohl der Landammann einen Hartkopf ohnegleichen hatte,war er doch friedlicher Natur und begehrte niemals Streit. Bastian Pitschen Pott ging ihm seinerseits aus dem Wege, weil er wohl wußte, daß in einer rechten Streitsache Mastral Maini Manns genug wäre, ihm seine sämtlichen Schuldner abzuknöpfen; denn er war im ganzen Tal weitaus der reichste und unabhängigste Mann.
Die gegenseitige Abneigung hatte beiderseits darum nie zu einem eigentlichen, unversönhlichen Bruche geführt, sondern war bei einer Art Gegnerschaft auf Vorbehalt verblieben. Sie glichen zwei Fuhrleuten, die denselben Weg brauchen und hart aneinander vorüberfahren müssen, aber mit finsteren Gesichtern
27 []und halbunterdrückten Flüchen dennoch gut aufpassen, daß keines Rades Nabe des anderen Speichen streife.
Dazu kam, daß seit dem Bau der Talsäge in Valdür Landam-mann Mainis Sympathie für Pranöv insofern eine Abkühlung erhalten hatte, weil er in den Talversammlungen und bei dem Holzverkauf einen guten Einblick in Capols Diplomatie erhal-ten hatte. In seinem Freundeskreise äußerte er sich auch einmal in leiser Anspielung nach dieser Richtung.
Davon hatte Bastian Pitschen Pott Wind bekommen, und er war gewillt, diese günstige Wendung wenn immer möglich auszunutzen.
Er begann von da an regelmäßig den «Löwen» aufzusuchen,wo an Mittwoch- und Samstagabenden der Landammann zu tref-fen war. Seine Spürnase hatte bald herausgefunden, daß der Land-ammann ein Interesse daran hatte, sich die vollste Ergebenheit auch derer von Pralöng zu sichern, denn im kommenden Früh-ling sollte ja die Wiederwahl stattfinden, an welcher er von neuem in seiner Würde bestätigt werden sollte. Nun war aber Landammann Maini schon ziemlich hoch in den Jahren; viel-leicht war doch möglich, daß da und dort im Tale Stimmen laut würden, welche der Meinung waren, der Landammann sei zu alt,um die Last dieses Postens weiter tragen zu können ... Man wußte es ja nicht, aber möglich war es doch ...
Bastian Pitschen Pott kalkulierte, und dann handelte er.
Mit dem glattesten Gesicht setzte er sich jeweils an den Wirts-tisch, nachdem er recht vernehmlich sein «Guten Abend, Herr Landammann, und guten Abend miteinander! » gesprochen hatte.Doch hütete er sich, in den Gesprächen allzusehr hervorzutreten,und wurde gar über Pranöv geschimpft, so lächelte er wohl ver-ständnisvoll und nickte Beifall, ohne sich in irgendeiner Art ent-scheidend zu äußern.
Als dann aber im Sommer der Bau des Kirchturmes in Pranöv vollendet und die neue Glocke unter den erwähnten Umständen
28 []hergeschafft und eingeweiht wurde und jedermann in Pralöng sah, daß die Kögeleien und Gehässigkeiten in bezug auf die eige-nen Glocken nun guten Grund bekommen hatten, wurde sicht-bar die Freundschaft Bastian Pitschen Potts und Landammann Mastral Mainis immer wärmer, je näher die Tage und Wochen dem Wahlmonat entgegenkrochen und ihnen die neue Glocke von Pranöv den alten Haß jeden Tag zweimal in die Ohren schellte.
Bastian Pitschen Pott war nun auch unermüdlich, mit halben Andeutungen zu mahnen, daß etwas geschehen sollte. Allein er rückte mit der Sprache nie recht heraus. Es blieb bei den «Man sollte ...» oder «Es wäre eigentlich Pflicht ...» und so weiter.
Doch spürte jedermann, daß nun bald etwas geschehen würde.Allein wiederum vergingen diese Wochen der Spannung, ohne daß man ein faßbares Ergebnis vor Augen bekommen hätte. Erst am zweiten Sonntag vor der Landammannwahl kam das Ereig-nis, auf das alle gespannt hatten.
Herr Landammann Mastral Maini begab sich kurz vor dem drit-ten Einläuten in den Turm, wo Christoffel Janett eben im Be-griffe war, seines Amtes zu walten.
Der erstaunte Glöckner schob seinen Filz verlegen ein wenig nach rückwärts.
Er wolle sich von dem Stand der Glocken überzeugen, erklärte ihm Mastral Maini. Er stand jedoch von seinem Vorhaben, den Turm zu besteigen, bald ab, als er die Leitern sah, welche sich mit zur Hälfte ausgebrochenen Sprossen in den Turm hinauf-schoben.
Als Christoffel Janett sah, daß es sich um seine alten Sorgen-kinder handle, wurde er gesprächig, und er legte dem hohen
3.209 []Herrn dar, wie unzulänglich und beschämend das ganze Glok-kenwerk von Pralöng sei. Nicht bloß deswegen, weil die Glocken nicht zusammenklängen, sondern auch besonders darum, weil der hölzerne, uralte Glockenstuhl im Turm mehr als verlottert sei. Aber er wisse schon, ehe darin Änderung geschaffen werde,müsse wahrscheinlich zuerst ein Unglück geschehen. Denn das Holzgebälk sei ganz verbraucht, und es sitze kein Bolzen mehr recht in der Fuge.
Der greise Glöckner redete sich mit scharfen Handbewegun-gen in seinen alten Zorn hinein: Der ganze Zustand des Glocken-stuhles und der mangelhafte Einklang der Glocken sei ein rech-tes Abbild von ganz Pralöng, wo in jedem Hause an einer eigens gestimmten Schelle gezogen werde und jeder nur darauf achte,den anderen zu übertönen, statt mit ihm in Einklang zukommen.Und ehe man endlich einmal das Übel des elenden Glocken-stuhles eingestehen wolle, müsse derselbe wohl knarren, daß man es bis nach Pranöv hinauf höre und man auch noch um dieser Sache willen in das Gespött der Leute komme. Es seien Glocken und Glockenstuhl von Pralöng wie ein geheimes Laster,davon jedermann wisse, und das man doch verborgen halte und nicht darüber rede, gerade weil man sich seiner schäme, aber zu verkommen sei, sich davon zu befreien.
Und gleichsam als Text zu seiner mißmutigen Predigt mit all den versteckten Anspielungen, die Landammann Maini nur zu gut verstand und mit leisem Lächeln angehört hatte, begann Christoffel Janett zu läuten. In seiner ganzen Länge stand er steif im Turm und setzte, in jeder Hand einen Glockenstrick, im wechselnden Gleichtakt seiner hageren Arme hochaufgerichtet das musikalische Glockenwerk in Schwung, welches ihm zeit sei-nes Lebens schon so viel Herzeleid, Zorn und Kopfzerbrechen verursacht hatte.
Der Landammann horchte. Wirklich, zwischen dem Schellen der beiden widerstreitenden Glöcklein, welche sich hoch oben
30 []im Gebälke zu balgen schienen, hörte man in regelmäßigen Intervallen das Geächze des Glockenstuhles, als stöhne derselbe ärgerlich über den unliebsamen Lärm, der ihn aus seiner Alters-ruhe aufschreckte.
Und je eifriger Christoffel Janett an seinen beiden Seilen zog.desto vernehmbarer brummte und knurrte das Gerumpel des Glockenstuhles aus der Glockenmusik heraus in den Turm her-unter :bing bäng rumpp rumpp bäng bing rumpp
Ja, diese unheimlich rumpelnde Begleitung des Glockenstuh-les wuchs in dem widerhallenden Turme so bedrohlich an, daß der Herr Landammann auf einmal höflich dankend mit einge-zogenen Achseln den Turm verließ, durch das Hintertürchen hinausschlüpfte, über die Straße ging und in der Türe des Pfarr-hauses verschwand.
Unterdessen fand sich in dem getünchten Kirchlein gemach die Zuhörerschaft ein. Zuerst die Kinder, welche in den Seiten-stühlen miteinander wisperten. Sodann die Weiber, die, von hinten beginnend, die steifen Bänke vollpferchten, als hätten sie Scheu, auseinanderzurücken, oder als täten sie so ungeschickt aus Angst, sie könnten dem Pfarrer sonst gleichsam zuviel An-griffsfläche bieten, und als wollten sie dieser Gefahr durch eine geschlossene Phalanx möglichst wirksam und einheitlich begeg-nen.
Sie füllten auf diese Weise drei Bänke vollständig aus, der vierte wurde nur zur Hälfte voll.
Ganz vorn, nahe beim Pfarrstuhl saß, an ihrem gewohnten Plätzlein, an welchem sie keinen Sonntag im Jahre fehlte, die kleine, zarte Frau des Mastral Maini, welche er vor zwei Jahr-zehnten aus Frankreich mitgebracht hatte. Sie hatte sich nie in dem einsamen, kalten Tal dieses fremden, harten Landes ein-leben können, und es ging unter den Weibern die Sage, die Ehe der beiden sei keine gute; vielleicht war es aber nur Geschwätz
3I []und die Rache dafür, daß dieses fremdländische Geschöpf sich mit niemandem im Dorfe anfreunden wollte, sondern in stiller,hoffnungsloser Traurigkeit in ihrem weiten, kinderlosen Hause dahinlebte und nur an Sonntagen andächtig der Predigt lauschte,als sei dies das einzige, was noch an ihr Herz rühren konnte.
So sehr ihr aber der streitbare weibliche Teil des Dörfleins um ihrer Zurückgezogenheit willen übel wollte, wagte sich doch niemand an sie heran, da man vor ihrem Reichtum eine scheue Ehrfurcht hatte und man sich in all den Jahren, wenn auch nicht an ihr Wesen, so doch an ihr Dasein gewöhnt hatte.
Als der Pfarrer das Kirchlein betrat, folgte ihm Mastral Maini auf dem Fuß, und hinter ihm kamen die übrigen Männer, Her-ren und Knechte von Pralöng. Sie schoben sich mit Bedachtsam-keit in die Kirchenbänke hinein, indes an der kleinen Orgel der hagere Josef Mansner, der Musikant von Pralöng, die Register zog. Seine hohe Gestalt ragte wie ein dunkler Schatten im Chor des Kirchleins.
Mühsam intonierte er auf der Orgel das Lied und begann dann mit Kraft und Fülle loszulegen durch die Gewalt und die Lang-gezogenheit der Töne suchte er sein nicht unbedingt sicheres musikalisches Gleichgewicht zu festigen. Allein der Gesang wurde nur von den Kindern und vereinzelten Frauen geführt.
Von den Männern, welche mit unbeweglichen Gesichtern dasaßen, war einzig Jon Nicola, welcher laut vernehmlich mit-sang.
Zu dieser auffallenden Tatsache mußte man wissen, daß zwi-schen Jon Nicola und Josef Mansner eine heftige Fehde bestand,denn jeder wollte in Musiksachen mehr wissen und verstehen als der andere. Ja, jeder der beiden glaubte sich eigentlich zu höheren Dingen berufen.
Josef Mansner war von Beruf Flachmaler, und manche Kom-mode und Stubentür im Tale legten von seiner lustigen Kunst beredtes Zeugnis ab. In dem engen Pralöng und dem abgeschlos-
32 []senen Tal hatte er aber begreiflicherweise nicht genügend Arbeit für seinen Pinselberuf. Und da er trotz seiner Gewaltsstatur sich nicht dazu bequemen mochte, bäuerliche Arbeit zu tun, sondern lieber auf den schmalen Nebenverdienst seiner kränklichen Frau und seiner Schwiegermutter abstellte, geriet er selber immer mehr und mehr in das Faulenzen und Spielen hinein. Tagelang konnte er handorgelnd auf der Ofenbank hocken oder auf der alten Zither seines Vaters zupfend seine Kunst versuchen. Und je mehr ihm die Leute giftig schmeichelnd das Hälmlein durch den Mund zogen, was für ein feiner Künstler er sei, desto mehr schwoll ihm sein Kamm.
Seitdem er gar in der Kirche die Orgel spielen durfte, wodurch er in eine gewissermaßen erhöhte Stellung gekommen war und was Musik anbelangte jedenfalls die Autorität an sich geris-sen hatte, war Jon Nicola gegen ihn von geheimem Hasse erfüllt.
Denn er selber hatte sich seinerzeit auch um diesen Organisten-posten beworben, weil er nach nichts dermaßen dürstete wie dar-nach, in irgendeiner Weise aus den anderen hervorzustechen.Dies war ihm aber nie gelungen. Nach dem Tode des alten Russett war Josef Mansner Organist geworden. Freilich nur mit schwachem Mehr und nicht in erster Linie um seiner musikali-schen Überlegenheit willen, sondern eher darum, weil er damals weniger Feinde gehabt hatte als Jon Nicola, der als händelsüch-tiger Hitzkopf im ganzen Tal und besonders in Pralöng berüch-tigt und verschrien war.
Aus diesem Grunde war Jon Nicola auch die Gründung eines Talvereins, den er zur Hebung des Gesanges und seiner eigenen Persönlichkeit in das Leben hatte rufen wollen, gründlich miß-glückt. Dieser verkrachte Talverein war der große Schmerz sei-nes Lebens geworden.
Er hatte seither noch einmal geplant, eine Blechmusik zu gründen, da er selber das kleine Posthorn nicht ungeschickt blies.Damals hatte er Bastian Pitschen Pott in das Vertrauen gezogen
33 []und ihm auseinandergesetzt, daß ein solches Unternehmen dem Dorfe gewiß zur Zierde gereichen würde. Bastian Pitschen Pott hatte aber abgewinkt, es sei nicht Zeit zu solchen Neuerungen,denn er hatte schnell herausgeschnüffelt, daß ihn Jon Nicola nur deswegen ins Vertrauen ziehe, weil es sich um eine Geldfrage drehe und er zu dieser Blechmusik das nötige Silber liefern sollte,da Jon Nicola trotz aller Eitelkeit und Großhanserei ein armer Schlucker war, der sich mit seinen paar mageren Kühlein bös durchs Leben schob und, wenn es gut ging, durch gelegentliche Zimmermannsarbeiten noch einen mühsamen Taglohn heraus-schreinerte.
Bastian Pitschen Pott hatte aber nicht die geringste Lust, sich derart an dieser Neugründung zu beteiligen; seine Fünfliber klangen ihm tausendmal besser als die herrlichste Blechmusik,ganz abgesehen davon, daß die Schwiegermutter, die er daheim hatte, und die in allen Finanzfragen des Hauses Pott ein scharfes Wörtlein mitzureden hatte, gewiß von vornherein abgeneigt war,ihr gutes Geld in solcher Weise anzulegen.
Da ihm alles derart mißglückt war, ging Jon Nicolas ganzes Sinnen und Trachten darauf hin, den eitlen Josef Mansner, der ihm überall in der Sonne stand, von seiner hohen Stellung zu stürzen, damit er selber sich an dieselbe setzen könne; denn außer ihm kam in Pralöng als Musikant niemand mehr in Betracht.Und da er bald herausgebracht hatte, daß der Organist nicht in allen Sätteln seiner Tasten sicher ritt, und die auffallende Ent-faltung großer Tonfülle beim Spiele nicht aus der Macht der Sicherheit, sondern aus der Ohnmacht der Unsicherheit von ihm zu Hilfe gerufen wurde, um die Unsauberkeit und Unrichtigkeit gewisser Stimmen zu verdecken, hatte sich Jon Nicola vorgenom-men, aus dieser Erkenntnis Gewinn für sein Vorhaben zu schla-gen. Er hatte daher begonnen, mit seiner Baritonstimme, auf die er sich nicht wenig zugute tat, möglichst stark mitzusingen. Um aber den wahren Grund seiner Sangesfreude zu verdecken, hatte
34 []er sich vorher des öfteren zum Schullehrer geäußert, es stehe mit dem Kirchengesang schlecht bei den Männern, es sei jammer-schade.
So hoffte er von Sonntag zu Sonntag seinen Gegner und Rivalen, der in Angstschweiß gebadet sich an dem Örgelchen abmühte, von dem hohen Stuhle der Verehrungswürdigkeit in den Kot der Lächerlichkeit herunterzuwerfen. Ja, mit Absicht und Berechnung probierte er manchmal, dem Gesang ein wenig vorauszueilen und dadurch in das Tempo Verwirrung zu bringen.
Natürlich hatten die Dorfgenossen sein Vorhaben schon längst bemerkt, und es war für die meisten der frommen Seelen wie eine Art ergötzliches Fastnachtsvorspiel vor der Aschermittwoch-stimmung der Predigt, wenn in dieser Weise die beiden christ-lichen Musikanten sich einander wetzten und auf geistlich-ungeistliche Weise zusammen händelten, und manche Seele lauschte diesem Gesange mit einer Andacht, welche sie für die beste Predigt nie aufgebracht hätte, und erwachte erst wieder aus der Versunkenheit dieser Andacht, wenn das Amen des Pfar-rers zum Schlußgesang überleitete.
Als vor Monaten dieser heimliche Ringkampf der beiden Gegner ruchbar wurde, geschah das Wunder, daß die Kirche von Pralöng sich langsam zu füllen begann. Jedermann wollte von Zeit zu Zeit das wahrhaft vergnügliche Spiel der beiden erbosten Rivalen betrachten. Und jeder glücklich überstandene Sonntag stärkte in Josef Mansner natürlich das Gefühl der Zu-versicht und Selbstgenügsamkeit.
Was keine Predigt des Pfarrers zustande gebracht, hatte der Teufel glatt erreicht: Die Gottesdienste waren seit Sonntagen zahlreicher denn je besucht, freilich nicht um des Evangeliums willen, welches dort zum Heile der Seelen von Pralöng verkün-det wurde, sondern darum, weil der Teufel gleichsam in die Kirche hinein durch den Hader der beiden eiteln Menschen eine
35 []besondere Nebenkanzel gebaut hatte, von welcher aus er für seine Ehre predigte.
Was sonst bei denen von Pralöng als ewig wiederkehrende Ausrede gegen den Besuch der Gottesdienste gebraucht worden war, schien nun keinen mehr zu drücken: ihre Kirchenstühle!
Die Kirchenbänke von Pralöng entsprachen nämlich in der Tat der ganzen Rückständigkeit und Nachlässigkeit der übrigen kirchlichen Einrichtungen des Dörfleins. Dieses Kirchengestühl war wirklich von einer geradezu erschreckenden Unbequemlich-keit. Die Bänke bestanden einfach aus gehobelten Balkentramen,wie man sie sonst nur zum Bau eines massiven Dachstuhles braucht. Obgleich nun zuzugeben war, daß diese Anlage natür-lich äußerst solid und dauerhaft genannt werden konnte, hatte man doch schon vor alten Zeiten ihre Unzulänglichkeit oft genug am eigenen Leibe dauernd empfunden. Zuerst hatte man,um dem Übel zu begegnen, an diesen klobigen Sitzhölzern Leh-nen angebracht. Da sie aber an den ohnehin zu schmalen Sitz-balken befestigt werden mußten und man obendrein die Arbeit natürlich dem billigsten Stümper zugesagt hatte, gerieten die-selben so steif, daß man die Unbequemlichkeit der ganzen An-lage noch mehr zu spüren bekam, weil diese neuen Lehnen den frommen Zuhörer zwangen, in bolzgerader Haltung dazusitzen.Auch der Versuch, auf jedem Sitzbalken eine bestimmte Anzahl von Vertiefungen auszuhobeln, mußte bald als verfehlt betrach-tet werden; ja, die Unbequemlichkeit wurde auch dadurch eher gesteigert als vermindert.
Vor allem standen diese Bänke viel zu dicht aneinanderge-drängt. Sie glichen in ihrer für einen heiligen Zweck wahrhaft lächerlich massiven Art und ihren stümperhaften Sitzvertiefun-gen eigentlich eher einer großartigen Anlage von Faßlagern, und so unchristlich dem geschätzten Leser dieser Vergleich vielleicht erscheinen mag, so sehr wurde er gerechtfertigt und entschuldigt durch die hölzernen Tatsachen.26 []Es ist leicht verständlich, daß bis dahin der Besuch der Gottes-dienste an diesem mißlichen Umstande gelitten hatte. Andere Gründe konnten es nicht sein, welche die Leute verhindert hätten,eine doch anerkannt’nützliche Einrichtung wie die Gottesdienste zu besuchen. Um so mehr als sie einen Pfarrer hatten, welcher selbst in ihrer Mitte aufgewachsen war und ihre Art wie ihr Geblüt gut kannte und sich darnach einzurichten wußte. Die von Pralöng waren auch unermüdlich, ihn im Tal herum zu rühmen, besonders wenn sie in einem anderen Dorfe saßen und es galt, denen von Ursulinendorf eines zu versetzen oder gar gegen den elenden Christianus Unruh, den halbnärrischen Pfaff von Prazöl, loszuziehen. Waren sie aber allein untereinander, so blies das Lüftlein anders; da waren manche dem Pfarrer nicht so grün, und sie konnten ihn dann durchhecheln, daß er in Pranöv,mit dem sie ihn gemeinsam hatten, gut gelitten war. Besonders Bastian Pitschen Pott hatte seit der Einweihung der Pranöver Glocke einen wütenden Haß auf den Mann geworfen.
Nun aber ging seit Wochen ein eigentlich kirchlicher Zug durch Pralöng. Und wenn man auch sagen muß, daß für den Tieferblickenden die Gründe zu dieser kirchlichen Neubelebung nicht in jeder Beziehung geistliche genannt werden durften,sondern daß die meisten, die da mit unbeweglichen Gesichtern lauschten, in erster Linie der Wettsang, der verborgene Hosen-lupf der beiden Gegner wie eine Art göttlicher Komödie in Spannung hielt, und sich mancher dann während der Predigt heimlich reckte und nicht mehr so atemlos horchte, das eine Bein ein wenig hob, welches ihm eingeschlafen war, das andere verschob oder sonst in Beschwer und Bedrängnis hin- und herzu-rucken versuchte, so wurde doch trotz allem ihr Sinn eine kurze Stunde lang auf die genannten kirchlichen Einrichtungen gelenkt,deren Unzulänglichkeit sie zuerst einmal deutlich zu erkennen hatten, ehe darin tatkräftig und wirksam Abhilfe geschafft wer-den konnte.
37 []Denn in dem Kirchlein waren wirklich auch für einen, wel-cher der Predigt nicht folgen wollte, noch Dinge außer den Kirchenbänken da, welche ihm auf ihre Weise predigten, wenn er die Blicke umherschweifen ließ. Das ganze Kircheninnere predigte gewaltig nach Umkehr, Besserung und einem erneuerten Dasein.
Bastian Pitschen Pott hörte am Sonntag diese Predigt um so deutlicher, je mehr er seine Ohren der Predigt des Geistlichen verschloß. Er sah diese halbblinden Kirchenfenster des Chores,welche bei jedem Windstößlein, das vom Mezdi den Lärchen-wald herunter kam, in ihren verwetterten Rahmen klirrten. Er sah das Netzwerk von Spinnweben, welches vom Bogen der Kirche, der das winzige Schiff vom Chore trennte, sich bis zu den Fensteröffnungen in abenteuerlichen Gebilden spann und jedesmal von dem leisen Luftzug, der die Scheiben erklirren ließ,wie eine kaum sichtbare Hexenwäsche, die da in der Kirche heim-lich über den Gläubigen getrocknet wurde, zu schwanken anhob.
Am bedenklichsten war es jedoch mit dem Deckengewölbe der Kirche bestellt. Währenddem die hölzerne Kanzel vor Jah-ren durch Josef Mansner mit einem wunderbaren Blau bemalt worden war, aus dessen Grund sich ringsrum ein Kranz feuer-roter Rosen effektvoll abhob, stach das Gewölbe der Kirche gerade gegen diese Kanzel höchst unvorteilhaft ab.
Bastian Pitschen Pott sah das. Er erinnerte sich, daß dieser Anstrich der Kanzel einst vorgenommen worden war als Entgelt dafür, daß Josef Mansner seine gesetzliche Gemeindesteuer nicht geleistet und hartnäckig versichert hatte, er sei nicht imstande,der Gemeinde eine Arbeit als Gegenwert zu leisten, da er als Maler und Musiker zu den schweren Arbeiten wie Holzfällen und Steineführen nicht herangezogen werden könne. Als dann der Vorschlag gemacht wurde, man solle von ihm den Anstrich der Kanzel‘ verlangen, hatte er sich dieser Aufgabe willig und mit Geschick unterzogen und wirklich weder Blau noch Rot
38 []gespart, so daß jedermann an der Kanzel eine Freude haben mußte außer der Frau Mastral, welche am ersten Sonntag unbegreiflicherweise den Kopf geschüttelt hatte.
Freilich war schon damals gesagt worden, es sei nun auch ein neuer Kalk- oder Ölanstrich des Deckengewölbes notwendig.Josef Mansner hatte offenbar auch schon zum voraus darauf spekuliert und gehofft, daß man ihm dereinst diese Arbeit über-geben würde, bei der er sich dann gründlich von dem Kanzel-anstrich erholen könnte. Er hatte aber in seinem Kostenvoran-schlag so hoch gegriffen, daß man die Sache beim alten ließ,denn jedermann hatte sofort gemerkt, daß er nun mit der Decke auch noch die Kanzel herausschlagen wolle, und niemand war dafür gewesen, Geld für eine immerhin nicht unumgänglich not-wendige Angelegenheit auszuwerfen.
In all den Jahren war der Deckenhimmel des Kirchengewöl-bes nun aber so grau und wolkig geworden und zudem dermaßen von kleinen Rissen und schmutzigen Flecken verunstaltet, daß die Sache nun doch einen eigentlich beschämenden Anblick bot.
Währenddem Bastian Pitschen Pott selbst durch die blinden Scheiben den tiefblauen, reinen Märzenhimmel in das Kirchlein scheinen sah, wölbte sich über den halb und ganz andächtigen Kirchgenossen von Pralöng dieser graue, schwere; griesgrämige Kirchenhimmel, von dessen modrigem Kalkbesatz sich Stücklein lösten, welche einen einstmals blauen Untergrund hervorgucken ließen, der gewiß schöner gewesen war als der neue Anstrich.
Die Predigt des Kirchleins ging Bastian Pitschen Pott doch nahe. Und als der Pfarrer das Amen sagte und dann verkündete,daß der Herr Landammann Mastral Maini die ehrsamen Gläubi-gen von Pralöng zu einer Versammlung in bezug auf kirchliche Angelegenheiten auf den Nachmittag in den «Löwen» einlade,fuhr er sich mit der Hand zwischen Hals und Kragen und kratzte sich eine Weile nachdenklich im Genick, indes der Ge-meinde der Segen erteilt wurde und der Schlußgesang anhob.
[39]Zweites Kapitel
Als am Nachmittag desselben Tages Landammann Mastral Maini die Wirtsstube des «Löwen» betrat, war die Versammlung be-reits so gut wie vollständig beieinander. Nicht allein die stimm-fähigen Männer waren da, sondern auch ein Teil der konfirmier-ten Jungmannschaft war aufgerückt. Denn allgemein erwartete man, daß große Dinge im Tun sein müßten, da der Landammann die Versammlung selber hatte einberufen lassen. Es war eben doch ein Mann, der Mastral! Er bekümmerte sich um das Wohl-ergehen und die Ehre seines Dörfleins, auch wenn er lange Land-ammann war! Gespannt horchte man auf seine Worte, als er anhob:
Die Tatsache sei allen bekannt und sie hätte leider in letzten Zeiten oft zu unliebsamen Reibereien geführt , daß die Glocken von Pralöng den Verhältnissen und dem Ansehen des Dorfes nicht mehr entsprächen. Mit einem gewissen Rechte werde dar-über gespöttelt, wenngleich er diesen Spott in keiner Weise billi-gen könne. Ja, er müsse betonen, gerade dieser dörfliche Gegen-satz, der sich zwischen seinem Pralöng und einer ehrenwerten Nachbargemeinde herausgebildet habe, sei bedauernswert; und dies sei, neben der Liebe zum eigenen Dorf, der Grund, warum er sich erlaubt habe, die ehrsame Bürgerschaft des Gemein-wesens heute zu einer Zusammenkunft einzuladen.
Er habe über die Sache, welche er jetzt unterbreiten wolle, des öfteren nachgedacht; sie sei in jeder Hinsicht planvoll und reif-lich erwogen und entspringe ganz und gar nicht etwa einer
LI.40 []augenblicklichen Regung. Heute nun habe er die Glockenver-hältnisse vor dem Gottesdienste noch besonders eingehend be-sichtigt und sei dadurch in allen seinen Erwägungen durchaus bestärkt worden. Was in Pralöng unumgänglich notwendig ge-worden, sei ein neues Geläute.
Er denke nicht etwa an eine einzige Glocke, sondern an zwei ganz neue, an ein gut zusammenklingendes Glockenpaar, das zu diesem Zweck eigens hergestellt werden müßte.
Jedoch sei dazu auch ein vollständig neuer, eiserner Glocken-stuhl unumgängliche Notwendigkeit, und er nehme in dieser Hinsicht von vornherein an, daß man dies auch ohne weiteres einsehe; um so mehr, weil ja andere Gemeinden hierin mit auf-fallender Sicherheit vorangegangen seien und damit ganz ent-schieden fortschrittlichen Sinn an den Tage gelegt hätten.
Das Ziel nun, welches ihm vorschwebe, sei nichts anderes als das genannte Doppelgeläute und der neue Glockenstuhl, und er möchte nichts Geringeres, als der Gemeinde den Antrag stellen,die Frage zu prüfen oder unter Umständen gleich einen Beschluß zu fassen, ob man in Pralöng diese notwendige Sache nicht im Laufe des kommenden Jahres ins Auge fassen und verwirklichen könnte, um dadurch mit der Zeit und den anderen Gemeinden würdig Schritt zu halten.
Nun wisse er aber wohl, daß für Pralöng der Weg, der zur Verwirklichung dieses Zieles führen könnte, nicht so einfach sei,wie er für andere Gemeinden gewesen. Ihr Kirchenfonds sei unantastbar, verwertbare Kirchengüter seien so gut wie keine vorhanden. Um die Sache dennoch möglich zu machen, sei er zu dem Entschlusse gekommen, der Gemeinde Pralöng zu anerbie-ten, er selber wolle die Kosten für das neue Geläute übernehmen,wenn man ihm den Ertrag, welcher aus den alten Glocken gelöst werde, zusichern wolle. Der Gemeinde selber bliebe dann als Leistung die Übernahme des eisernen Glockenstuhles, dessen Kosten ja schließlich auf dem Steuerwege gedeckt werden könn-
AI []ten. Damit, meine er, wäre dann die Sache befriedigend erledigt,und jedermann könnte dann Freude haben an dem schönen Doppelklang ihrer neuen harmonischen Glocken, der aus dem Tal hinauf bis in die Höhen von Pranöv und Prazöl klingen werde.
Das größte Wohlgefallen an dieser Sache hätte er selber; es wäre für ihn ein gewisser Abschluß seiner Tätigkeit im Tal, da er bei der kommenden Wahl seines vorgeschrittenen Alters wegen abdanken und jüngeren Kräften das Ruder übergeben wolle, und zugleich wäre es der Dank gegen dasjenige Dorf des Tales, dessen Mitbürger er sei, und welches er stets am meisten geliebt habe.
Mit sichtlichem, aber stillschweigendem Wohlgefallen hatte man die wohlerwogene, fast abgezirkelte Rede mitangehört.Dann kam langsam Rede und Gegenrede in Fluß, und bald ent-spann sich eine frohe Gesprächigkeit.
Bastian Pitschen Pott sah gut, wo hinaus die Sache wollte. Die rührselige Schlußäußerung hatte ihn stutzig und mißtrauisch gemacht. Nie und nimmermehr glaubte er an diese Rücktritts-äußerungen des Landammanns! Sie waren bloß der Pfeffer, den der alte Fuchs so fein in die Augen streute, um jegliche Spur zu verwischen, welche darauf hätte hindeuten können, was ihn zu seinem Glockenantrag bewogen habe. Ja, gerade durch diese schlaue, verschlagene Hineinziehung der Wahlsache merkte Bastian Pitschen Pott, daß er dem Landammann auf den Fersen sei und das ganze Angebot eine Stimmungsmache für die Wahl bilde, vor welcher dem Alten offenbar bange war. Wohlan denn,so sollte er ungerupft nicht davonkommen! Hatte er durch sein Verfahren den Gegner glücklich so weit gebracht, daß er durch ein Opfer die Stimmen von Pralöng erkaufen mußte, so ärgerte sich Bastian Pitschen Pott, daß Mastral Maini sich so gnädig als Stifter hinstellte, und dann für Zeit und Ewigkeit als Spender der Kirchenglocken gelten würde und schon in vierzehn Tagen
42 []selbstverständlich die Bezahlung dafür einsacken konnte durch eine unzweifelhaft einstimmige Wiederwahl, währenddem das Opfer, das er gewillt war zu bringen, nur scheinbar so groß war.
Im Grunde genommen hatte ja bei dieser Lösung doch die Gemeinde die größten Lasten zu tragen. Aus dem Erlöse der beiden alten Glocken würde Mastral Maini gewiß die kleinere der beiden neuen Glocken bestreiten können, und somit hatte er dann nur noch den Betrag der anderen zu tragen. In der öffent-lichen Meinung stünde er aber doch als Spender des ganzen Geläutes da, währenddem der Glockenstuhl, welcher dazu unum-gänglich notwendig war, sowie die damit verbundene Maurer-und Bauarbeit von seiten der Gemeinde so gut wie nichts gerech-net würde, wenngleich gerade diese Arbeiten die Gemeinde wahrscheinlich ziemlich hoch zu stehen kämen vielleicht höher als den Landammann die zweite. Glocke! Dies schon aus dem Grunde, weil jedermann, welcher dabei mithelfen würde, nach dem Rezept, das Pranöv gegeben hatte, selbstverständlich erwar-ten würde, daß derlei Arbeit glänzend entschädigt würde.
Er stand auf und begann seine Rede.
Er sei der festen Überzeugung, daß nicht allein er, sondern alle in der Gemeinde Herrn Landammann Mastral Maini immer zu Dank verpflichtet sein werden für den Vorschlag, welchen er vorgehends gemacht habe. Und als Präsident der löblichen Ge-meinde Pralöng danke er für das hochherzige und uneigennützige Angebot bestens. Er zweifle nicht daran, daß man diese Sache,welche doch hoffentlich nicht das letzte Werk des allgemein verehrten Herrn Landammanns im Tale sei, gemeinsam durch-führen könne. Vor allem jedoch hoffe er, daß das neue Geläute,wenn auch nicht die nächste Wiederwahl (die ja vor der Türe stehe!), dafür aber die übernächste Neuwahl ihres verehrten Herrn Landammanns einläuten werde.
Wenn er sich nun im näheren erlaube, einige Äußerungen zu tun, so wolle man dies nicht etwa im Sinne einer Kritik ver-
43 []stehen, sondern selbstverständlich nur als beiläufige Bemerkun-gen, welche er aber doch nennen möchte, ehe die gute und schöne Sache zum Beschluß erhoben werde.
Es scheine wohl, daß der Glockenstuhl die Gemeinde fast auf nichts zu stehen komme, aber man wolle doch die Arbeit, die dabei jeder mitzuleisten hätte, genau bedenken; und als Präsident der löblichen Gemeinde müsse er jetzt schon sagen, daß diese Arbeit nicht so bezahlt werden könne, wie man vielleicht im Hinblick auf andere Orte erwarte.
Ganz abgesehen von den Kosten dieses Glockenstuhles seien mit der Einsetzung desselben umfassende Reparaturen am Turme nötig. In Pralöng hätte man leider keinen Kirchenwald zur Ver-fügung, um aus dessen Erlös all das bestreiten zu können. Die Waldungen seien Besitz der politischen Gemeinde. Ja, er frage heute schon an, aus welchen Geldern denn die entstehenden Un-kosten alle bestritten werden sollten? In Pralöng seien im gan-zen dreiundzwanzig Familien, wovon sieben kaum die Hälfte der Steuern bezahlen könnten. Die politische Gemeinde hätte nun die Straßensteuer fast verdoppeln müssen, seit der letzte Rüfi-gang die Poststraße bei Puntnov mitgenommen habe. Dazu kämen die alljährlichen großen Steuern zur Verbauung dieser Rüfi selber, an welcher der Unternehmer wohl ein Sündengeld verdiene, die aber seiner Meinung nach für das Dorf eine eigent-liche Ursache zum Stillstand geworden sei und noch zur gänz-lichen Verarmung einiger Familien führen könne. Von den Ver-pflichtungen, welche die Gemeinde noch vom Bau des Wasser-werkes her habe, wolle er ganz und gar schweigen; jeder wisse am besten an sich selber, wie hart es manchen mitgenommen habe. Er selber sei erschrocken über das böse Sümmlein, welches ihn getroffen habe. Bemerken wolle er nur, daß auch hierin sechs Familien ihren Verpflichtungen nicht nachgekommen seien, und die Gemeinde habe von diesen ausstehenden Posten den Zins wiederum übernehmen müssen, da sie ja gezwungen sei,
44 []der Bank gegenüber die Pflicht zu tun, wenn sie nicht gewärtigen wolle, infolge fortwährender Rückstände noch unter Kuratel gestellt zu werden.
Nachdem er sachkundig und menschenerfahren derart das Steuergespenst an die Wand gemalt und der Mehrzahl in der Versammlung die Katze den Buckel hinaufgejagt hatte, fuhr Bastian Pitschen Pott nach einer kleinen Kunstpause fort:
Nun sei er aber keineswegs der Meinung, die Sache sei. des-wegen liegenzulassen. Er sei unter allen Umständen für den Fortschritt. Nur meine er, daß man sich hüten solle, auch in kirchlichen Dingen dermaßen in die Steuerwut zu geraten; es könnte einem die heiligste Sache verekelt werden, wenn man für dieselbe in einem fort den Geldbeutel öffnen müsse. Aber trotz alledem wiederhole er, daß er dem Herrn Landammann durchaus recht geben müsse, und auch er wolle es hier betont haben: Er halte die genannten Neuerungen für unumgänglich,und die Gemeinde würde sich als rückständig hinstellen, wenn sie nicht endlich einmal zur Lösung dieser Aufgaben schritte.
Ja, er wolle noch weiter gehen und es hier gesagt haben, daß ebenso notwendig wie die innere Turmumgestaltung für ihre Kirche eine neue Bestuhlung sei. Und da sei er nun der Meinung,man sollte, wenn überhaupt mit einer Renovation begonnen würde, auch diese Sache zugleich in Ordnung bringen. Ein Ge-stühl, meine er, könnte die Gemeinde aber ohne allzu große Geldopfer aufbringen, und dadurch würde sie ihr Teil an dem Gott wohlgefälligen Werke würdig beitragen. Die politische Gemeinde besäße ja große Wälder und könnte der Kirchge-meinde das Holz zu mäßigen Preisen liefern; einen ganz tüchti-gen Schreiner habe man am Orte er denke dabei an Jon Nicola , der schon in mancher Angelegenheit sein fachmännisches Urteil und seine Tüchtigkeit bewiesen habe und gewiß der Ge-meinde bei einer eventuellen Ausführung auch keine allzu hohen Ansätze berechnen, sondern den Auftrag gleichsam als Ehren-
45 []sache betrachten würde. Darum sei er der Meinung, die 1löbliche Versammlung solle die Renovation von Turm und Kirche be-schließen und zugleich den Herrn Landammann beauftragen,Nachforschung zu halten, wie der Gemeinde Mittel zugeführt werden könnten, um daraus nicht nur die Kosten des neuen Ge-läutes, sondern auch des Glockenstuhles und der Maurerarbeiten zu bestreiten, damit der Steuerweg nicht beschritten werden müßte, und als Leistung der Gemeinde noch die Erstellung neuer Kirchenstühle bliebe.
Bastian Pitschen Pott hatte nichts anderes im Sinne, als den Landammann moralisch zu zwingen, aus seiner eigenen Tasche auch noch den eisernen Glockenstuhl zu bezahlen, und glaubte seine Sache sehr schlau gemacht zu haben dadurch, daß er die Gemeinde auf die Kirchenstühle hinwies und in den Projekten noch weiter ging als Mastral Maini.
Zum ersten hoffte er dem Landammann die Stimmungsmache für die Wahl möglichst teuer werden zu lassen. Hatte er einst Geld für den Pranöver Weg gehabt, so sollte er jetzt auch den Glockenstuhl herschaffen, und zwar ungemarktet! Und von die-sem Knauser war der Kern nicht anders zu bekommen, als daß man ihn frank und frei in den Nußknacker seiner eigenen Ab-sichten und Wünsche legte und wacker drückte. Oh, diese Land-ammannswahl kam Bastian Pitschen Pott verdammt bequem!
Er hatte aber noch einen triftigeren Grund gehabt, den Plan einer Erneuerung der Kirchenstühle vorzubringen. Kam mit dem neuen Geläute zugleich auch eine neue Bestuhlung der Kirche,so war Pranöv einfach übertrumpft! Capol hatte dann die rechte Antwort auf die Brandrede, die er seinerzeit in der Gemeinde-versammlung gegen Pralöng gehalten hatte, die Bastian Pitschen Pott natürlich schon längst zugetragen worden war.
Vor allem: aber bedachte Bastian Pitschen Pott, welch eine ungewöhnliche Bereicherung sein eigenes Ansehen erfuhr, wenn nachher gesagt würde, daß er es gewesen sei, der diese Gesamt-
46 []renovation der Kirche, welche diejenige von Pranöv dermaßen überholte, angeregt und durchgesetzt hatte! Und daß Mastral Maini nicht sogleich anbeißen wollte, paßte ihm wie der Stift auf das Zündloch. Daran glauben mußte der Alte sowieso, da er die Sache nun einmal in Bewegung und zur Sprache gebracht hatte.
Man konnte dann nachträglich unter der Hand da und dort einen Wink oder Deut geben und es das gewöhnliche Volk merken lassen, was für eine Mühe es gebraucht hatte, mit dem Landammann alles fein zu fädeln, und was es gekostet habe, die Sache durchzudrücken und den alten Schläuling zurechtzuzwie-beln!
Nachdem die beiden Füchse durch ihre Reden und Drehun-gen vor der Versammlung das Huhn dermaßen um die Kirche herumgejagt hatten und beiden bei diesem Wettlauf selbstver-ständlich nur um den eigenen Braten zu tun war, geschah das,was noch jahrelang in Pralöng zu reden gab und in jenem Augenblick beiden Männern, die einander gegenüberstanden,Wasser auf ihre Mühle zu sein schien.
Christoffel Janett stand auf und hielt eine Rede! Keiner im Dorfe hatte den Glöckner jemals eine eigentliche Rede halten hören. Und rasch verstummte das Gekicher, als der Alte langsam,aber sicher anhob:
Es solle ihm als einem alten Manne erlaubt werden, sich zu der genannten Sache zu äußern, von welcher jedermann wisse,daß er keinerlei persönlichen Nutzen daran habe, noch einen solchen suche. Er habe gar nichts zu dem zu sagen, worüber seine Vorredner sich verbreitet hätten. An die Kirchenstühle sei er seit Jahrzehnten gewöhnt, aber es sei trotzdem eine schöne Sache,daß der Gedanke aufgekommen sei, auch sie durch neue zu er-setzen. Was aber das andere anbetreffe, so sei zu sagen, daß jene Sache gemacht werden müsse, und zwar unter allen Umständen.Pralöng müsse auch einen neuen Glockenstuhl haben. Das sage
7
Es t []er hier, und er kenne seinen Turm! Wenn man wolle, daß die beiden Glocken einmal herunterfallen wie zwei reife Arven-zapfen, solle man die Sache nur noch möglichst lange hinaus-schieben. Was aber die Glocken anbetreffe, so sei hoffentlich eine weitere Erklärung nicht notwendig. Ihr Zusammenklang sei dermaßen, daß ihm persönlich man möge ihm eine schein-bare Gottlosigkeit verzeihen das Gerumpel des Glockenstuhles nicht anders vorkomme, als rülpse der Herrgott selber über ein solches Kirchengewimmer, welches die Gläubigen zu einer solch heiligen Sache zusammenzurufen habe!
Mit diesem Treffer setzte er sich unter dem Beifallsgelächter der Jungmannschaft, unter die er sich postiert hatte.
Die Stimmung wurde nun eigentlich festlich. Man rückte zu-sammen und wurde warm. Und als Mastral Maini in einem kur-zen Schlußwort Bastian Pitschen Pott seine Anregungen und durchaus richtigen Bemerkungen verdankt hatte und auch Chri-stoffel Janett ein liebenswürdiges, schalkhaftes Sträußlein ge-bunden und erklärt hatte, er sehe ein, daß man nach allseitiger Überlegung am besten tue, in Kürze wiederum zusammenzu-kommen und zu tagen, schied man allseitig mit den besten Hoff-nungen und großen Erwartungen voneinander.Bastian Pitschen Pott hatte die feste Zuversicht, durch die er-reichte Vertagung zum Zwecke näheren Studiums der aufgewor-fenen Frage einen außerordentlich guten Zug getan zu haben und dadurch seinen heimlichen Widersacher, der durch seinen Reichtum und seine Stellung jahrelang nicht allein die Geschicke von Pralöng, sondern des ganzen Tales nach eigenem Ermessen bestimmt hatte, einmal sicher in den Sack zu bekommen.
2.48 []Aber Landammann Mastral Maini glaubte seinerseits einen ebenso schlauen Zug getan zu haben dadurch, daß er mit schein-barem Zögern auf Bastian Pitschen Potts Vertagungsvorschlag eingegangen war. Denn er hatte sofort gesehen, wo hinaus die Glockenstuhlsache weise, und war keineswegs gewillt, noch tie-fer in den Säckel zu langen und damit erst noch seinem Treiber den Hasen, um den es eigentlich ging, zuzujagen.
Mastral Maini sah aber, daß er durch die Einberufung der Versammlung schon erreicht hatte, worum es ihm eigentlich zu tun gewesen war: Er hatte die Gunst derer von Pralöng schon durch seinen Vorschlag gewonnen, und er war vor Wahltreibe-reien, die regelmäßig vor den Wahlen in Pralöng den Ausgang genommen hatten, gründlich gesichert.
Und im Hinblick auf das ebenso unruhige Völklein von Pra-növ kam es ihm außerordentlich gelegen, daß in der Versamm-lung noch kein bestimmter Entscheid gefallen war. Man konnte dem dort entstehenden Neide bis zu der Wahl gut dadurch be-gegnen, daß man im Hinblick auf die versteckten Klauseln und geäußerten Bedenken unter der Hand zu verstehen gab, daß die ganze Sache mehr hypothetischer Art sei, und sein Lächeln würde ihnen schon andeuten, ob diese Kirchenglocken so schnell die Glocke von Pranöv übertönen würden!
Und dementsprechend handelte er. Er schleppte die Sache über den folgenden Sonntag hinaus, und acht Tage später ließ er sich von der Talversammlung durch eine glänzende Wahl wie-derum zum Landammann wählen, und es fiel dabei auch nicht ein Wörtlein von Rücktritt. Er wußte, daß es die letzte Wieder-wahl sein würde. Aber vor der letzten Abrüstung wollte er im Tale, das in siebenmal so viele Interessenzwistigkeiten zerspal-ten war, als es Dörflein besaß, noch ein Wörtlein zu sagen haben.
Auch nach der Wiederwahl eilte er keineswegs mit der Einbe-rufung einer neuen Versammlung, sondern wartete ab, ob Bastian
49 []Pitschen Pott eine solche von Gemeinde wegen veranstalten würde.
Dem war zuerst ein heiliger Schrecken in die Glieder gefah-ren, als er inne wurde, daß Landamman Mastral Maini vor den Wahlen keine Versammlung mehr einberief. Er erholte sich aber wieder und begann eine eigene Tätigkeit für seine Sache zu entfalten und für dieselbe im Dorfe zu weibeln. Vor allem suchte er Stimmung dafür zu machen, daß man geschlossen für eine Gesamterneuerung der Kirche eintrete und keinem anderen An-trage beistimme.
Jon Nicola, welcher sich als zukünftiger Erbauer des neuen Kirchengestühls schon in seinem ganzen Wesen gehoben fühlte,weibelte und redete eifrig mit; denn Bastian Pitschen Pott hatte ihm zugesichert, daß die Konkurrenz für die Kirchenstühle auf Pralöng beschränkt bleiben werde, und darum nur er als Liefe-rant in Frage kommen könne.
Unter solchen Voraussetzungen kam die zweite Kirchenver-sammlung heran, welche Bastian Pitschen Pott nun von Ge-meinde wegen einberief, da Mastral Maini keinen Wank tat.
Diese Versammlung verlief wesentlich anders als die erste.
Bastian Pitschen Pott ergriff zuerst das Wort. Er sprach ziem-lich lange und eindringlich er gab das mangelhafte Geläute ohne weiteres zu, legte aber vor allem Nachdruck darauf, zu betonen,daß Glocken und Glockenstuhl zusammen erneuert werden müßten, schon um der Gefahr auszuweichen, die das letztemal ihr altvertrauter Glöckner erwähnt habe. Er nannte dabei die erneuerungsbedürftigen Glocken und den Glockenstuhl immer in einem Atemzug, als gehörten sie zusammen, und legte dann mit einer geschickt gemachten Wendung dar, wie edel, hoch-herzig und wahrhaft vornehm gesinnt ihr verehrter, neugewähl-ter Landammann gewesen sei, daß er die ganze Sache, welche schon so lange einer Erledigung geharrt hätte, in Fluß gebracht
So []habe und sich als ein gutes Vorbild, der Treue und Liebe seiner Leute von Pralöng gewiß, anerboten hätte, den weitaus größten Teil der Lasten bei dieser hochwichtigen Angelegenheit zu tra-gen. Bereits habe Pralöng ja auch bei der Wahl gezeigt, wie ge-schlossen sie hinter ihrem Landammann herschritten und daß sie darauf stolz seien, ihn ihren Mitbürger zu nennen. Und er hoffe des bestimmtesten, daß auch die Gemeinde ihrerseits bereit sei,Opfer zu bringen und das neue Kirchengestühl als Abschluß des ganzen Gott wohlgefälligen und die Gemeinde fördernden Wer-kes beschließen werde.
Er setzte sich. Ein feines Lächeln spielte um seine Lippen. Und dieses Lächeln setzte sich manchem unter den Zuhörern unwill-kürlich auch in die Mund- und Augenwinkel.
Ja, dieser Bastian Pitschen Pott war doch ein verteufelt ge-wandter, pfiffiger und lüpfischer Kerl! Der wagte noch mit dem Landammann umzuspringen! Herrgott noch einmal, zu tun,als wären der Gemeinde Glocken, und Glockenstuhl ein und dasselbe, und des anderen Ehrgefühl dergestalt durch den Ton der Selbstverständlichkeit zu fesseln! Geschickt und frech war er! Ob der, der den Landammann jetzt so in die Enge trieb,später nicht einmal dessen würdiger Nachfolger würde?
Der Landammann nickte freundlich vor sich hin.
Bastian Pitschen Pott erhob sich und fragte an, ob vielleicht jemand zu der wohlerwogenen und bereits bekannten Abstim-mungssache noch das Wort verlange.
Es herrschte Sonntagmorgenstille.
Dann erlaube er sich, abstimmen zu lassen, fuhr Bastian Pit-schen Pott eifrig und warm fort. Wer dafür sei, daß die Kirche dergestalt erneuert werde, ein neues Geläute samt einem neuen Glockenstuhl erhalte und mit neuen Kirchenbänken versehen werde, möge die Hand erheben.
Alle Hände gingen hoch. Selbst der Herr Landammann stimmte mit.w)[]Dann, fuhr Bastian Pitschen Pott fort, bleibe ihm nur übrig,Herrn Landammann noch einmal zu danken für sein großzügiges Entgegenkommen, ihn versichernd, daß Pralöng es ihm nicht vergessen werde, was er getan.
Landammann Maini erhob sich.
Da nun die Versammlung in so erfreulicher Einheit für seine von ihm angeregte Sache eingestanden und in ihren Projekten mit schönem Wagemut noch weiter gegangen sei, als er geplant,bleibe ihm nichts anderes, als seinerseits der Gemeinde zu sagen,wie sehr er das fortschrittliche Vorgehen begrüße. Zu bemerken habe er nur noch dies, daß er nach wie vor zu seinem Angebot stehe und daß er dafür sorgen wolle, daß die beiden Glocken einen rechten Klang bekämen, daß man sie im Tal herum dürfe hören lassen. Und er gewärtige dann gerne den Bericht, auf welchen Termin er das neue Doppelgeläute bestellen solle, und überlasse dies und alles übrige vertrauensvoll dem Herrn Ge-meindepräsidenten Bastian Pitschen Pott, welcher seine Geschick-lichkeit in dieser Sache ja bereits ausgewiesen habe. Er denke,derselbe werde auch in den letzten Wochen die Angelegenheit in bezug auf den ja bereits beschlossenen Glockenstuhl durch-gehends erwogen und einen geeigneten Ausweg erkannt haben.Es freue ihn, wie gesagt, daß seine Anregung auf so fruchtbaren Boden gefallen sei und man mit solch lebhaftem Eifer sich ihrer sofort angenommen hätte.
Bastian Pitschen Potts Lächeln machte einer merklichen Ge-sichtslähmung Platz, und auch die Versammlung erwachte lang-sam aus ihrem Pfiffigkeitsdusel, aus dem Mastral Mainis unbe-irrte Entschlossenheit sie freundnachbarlich aufgerüttelt hatte.
Ein Verlegenheitsengel schwebte durch die qualmige Luft und fand geraume Zeit keinen Ausweg aus dem schweren Tabak-dunst der Wirtsstube. Der Verlegenheitsengel fand die Türe erst, als sie ihm von Landammann Mastral Maini höflich geöff-net wurde und er selber mit freundlichem Nicken und allerseits
52 []einen recht guten Abend wünschend, nach seinem Hute griff und ruhig das Versammlungslokal verließ und behutsamen Schrittes die steinerne Treppe des «Löwen» hinunterstieg.
Da war das Schweigen gebrochen, und in den starr geworde-nen Kiefern regte sich das Leben.
Wie es vor dem Bienenhäuschen des alten Schulmeisters Bizoch, wenn es anfängt zu föhnen, weil ein Wetterlein ob dem Tale drückt, bei dem drohenden Wettersturz kreuz und quer in aufgeregter Hast bei jedem Flugloch des Bienenstandes fliegt,so surrten und summten nun die Meinungen in der Wirtsstube und verhießen einen Wettersturz mit Krach und drohendem Gebrüll der losbrechenden Elemente.
Christoffel Janett war in heller Wut und fuchtelte mit seinen hageren Armen wie ein Jüngling. Nun solle man diesen Be-schluß nur so bald als möglich abändern, denn wenn der be-stehen‘ bleibe und die Gemeinde für Glockenstuhl und Kirchen-bänke aufzukommen habe, wisse jedes Kind, wie es kommen werde. Bevor diese Arbeit in Angriff genommen werde, bröckle der Mezdi in einen Grießhaufen zusammen, und die Gemeinde habe dann vielleicht auch mit den Glocken das Nachsehen!
Und sofort hatte sich um ihn eine Partei gebildet, welche ver-langte, daß man auf den Beschluß zurückkomme, und die nun,ob des Schreckgespenstes neuer Steuern erbost, welches in der ersten Versammlung Bastian Pitschen Pott selber heraufbeschwo-ren hatte, mit wütenden Gebärden forderte, man solle sofort einen neuen Beschluß fassen, derart, daß die Kirchenstühle außer Betracht fielen und man sich verpflichte, nach Mastral Mainis Wunsch den Glockenstuhl zu leisten, nur um die Glocken zu retten.
Potz Blitz und Hagel, fuhr da Jon Nicolas auf. Ob man denn nicht sehe, daß man sich vor dem ganzen Tale lächerlich mache,wenn verlautbart werde, daß man den alten Beschluß, kaum gefaßt, brühwarm schon wieder umstürze? Ob denn das eine Art
53 []sei? Das sei ja wie in Rußland oder Zürich! Die Sache sei nun eben so beschlossen, und so’ müsse sie auch gemacht werden, die Kirchenstühle müßten kommen!
Ja, müßten kommen! höhnte Christoffel Janett. Aber wann,das sei die Frage! brüllte er mit rotem Kopf. Man ersaufe sonst fast in den Steuern, das wisse jeder und die Kirchenstühle würden denk auch nicht umsonst sein, meine er.
Auf diese Äußerung funkte der Zorn hell auf. Jon Nicola,welcher wohl einsah, daß die Kirchenbänke ganz sicher den Brölbach hinabschwimmen müßten, nachdem einmal in so drei-ster Art über sie geredet worden war, schrie in die Wirtsstube hinein: Aber jedenfalls sei er nicht schuld daran, daß die Be-schlüsse so und nicht anders gefaßt worden seien. Das wolle er gesagt haben, komme es, wie es wolle! Man solle denen danken,welche in ihrer vermeintlichen Schlauheit die Gemeinde und alle Steuerzahler hineingeritten hätten, so daß sie nun statt eines Apfels ein Wespennest in die Hand bekommen hätten!
«Potz Teufel, du Judas Ischarioth!» schrie in ausbrechender Raserei Bastian Pitschen Pott, «das Wort sollst du mir gleich bezahlen!» Und er langte über den Tisch und zog den Wider-sacher am Kragen zu sich über den stürzenden Wirtstisch.
Das war das Zeichen.
Alle griffen zu, und unter dem Hagelwetter ihrer groben Bauernfäuste entluden sie die Qual ihrer enttäuschten Herzen,und ihr Gebrüll dröhnte auf die Dorfstraße hinaus, auf welcher sich rasch die Weiber zusammentaten, um bald nachher ihre verstörten Helden in Empfang zu nehmen.
Christoffel Janett schwankte die Dorfstraße hinaus, seiner Hütte zu. Sein verbeulter Steifhut war ihm etwas in den Nacken gerutscht und gab ihm ein fast kühnes Aussehen. Jawohl, gesagt hatte er seine Sache, und seine Knochen waren doch ganz ge-blieben! Aufrecht hatte er sein Leben lang geläutet, aber so wohl wie heute war ihm darob noch nie geworden![]3.Ss
Niemand konnte leider verhüten, daß diese Begebenheiten im Tale ruchbar wurden.
Von den Ursulinendörflern kamen schon am zweiten Tag dar-auf einige zusammen, hockten in die «Post» hinein und trafen da richtig Capol;, welcher sie kordial begrüßte.
Als aus Pralöng Johann Nursett, welcher seine Krampfadern zu schonen hatte, zu seinem gewohnten Kranenbitter kam, be-gannen die Ursulinendörfler sofort: Warum man auch nieman-den sehe in den Straßen von Pralöng? Sie hätten gehört, es habe am Sonntag da oben gehagelt, und seien nun hinaufgekommen;hoffentlich habe das Wetter niemandem geschadet, so daß sie deswegen daheimsitzen müßten!
Oder ob es vielleicht gar in den Kirchturm geschlagen habe?meinte Capol trocken. Es wäre schade um die Glocken, denn ein solches Geläute wie in Pralöng könnte man in der ganzen Welt herum suchen gehen, und es wäre ein Jammer, wenn diese Einzigartigkeit dem Tale abhanden käme!
Zu ihrem Erstaunen fuhr jedoch Johann Nursett nicht auf,sondern blieb ganz ruhig und sagte offen, es sei eine leide und ungeschickte Sache, in die sie sich da hätten hineinreiten lassen.Jetzt scheine alles verfuhrwerkt und verdorben.
Capol roch bald, daß in Bastian Pitschen Potts Fähnlein ein verdammt schiefer Wind blies. Er gedachte diese günstige Zeit auszunützen und seinem Gegner nun die Trümpfe einmal gründ-lich aus der Hand zu spielen.
‚Er erschien nun fast jeden zweiten Tag unter irgendeinem Vorwand in Pralöng, und die Schar derer, die über Bastian Pitschen Potts Vorgehen jetzt ebenso eifrig schimpften, wie sie ihm vordem einstimmig zur Seite gestanden, mehrte sich.
Besonders eifrig tat sich in der Sache Jon Nicola hervor, der fest auf die Kirchenstühle gerechnet hatte und sich in seinen
J []Hoffnungen schnöd betrogen sah und doch nichts dagegen tun konnte.
Und kam einmal einer in den «Löwen» oder in die «Post»,der neutral in der Sache bleiben wollte, verstand es Capol aus-gezeichnet, ihn herumzubringen. In seiner ruhigen, aber giftig hänselnden Art fragte er nach dem Ergehen der blauen Augen und Schrammen, die man sich wegen der Kirchenbänke geschla-gen habe. Die von Pralöng hätten es halt mit dem Landammann Mastral Maini und den Kirchenglocken gehabt wie jener Tiroler Bauer, der schlau auf dem Markte die trächtigste Kuh ausgesucht habe; da sie ihm aber auf dem Heimweg mitten auf der Straße gekalbert hätte, sei sie ihm unterwegs umgestanden, und es sei ihm fürwahr ein teures Kalb zurückgeblieben. Ha, ha, in Pralöng sei auch nur ein hilfloses Kalb übriggeblieben!
Ja, Capol ging noch weiter. Er forderte nach solchen Hänse-leien die von Pralöng geradezu auf, sie sollten doch Bastian Pit-schen Pott zwingen, eine neue Kirchenversammlung einzuberu-fen; sie sollten einen neuen Beschluß fassen! Was sie da abge-macht hätten, brauche jetzt nicht für Zeit und Ewigkeit gebucht und festgenagelt zu sein; so etwas könne schnell wieder abgeän-dert werden nach Bedarf. Man habe ja in Pralöng schon geschei-tere Beschlüsse als diesen umgestürzt, wenn es einem gepaßt habe.Da wollte er denn doch beim Eide sehen, ob er das nicht zustande brächte! Den Pitschen Pott wollte er schon zwiebeln! Der habe ihnen die Sache beschert, nun solle er auch wieder zurückkreb-sen. Aber wenn sie dann wieder Kirchentagung hätten, sollten sie nicht vergessen, bei der neuen Reformversammlung gleich von Anfang an die Dreschflegel mitzunehmen. Das sei in Pralöng doch wohl ratsam, wenn über eine heilige Kirchensache Beschluß gefaßt werden müßte. Es sei doch immer besser, wenn man ge-wappnet sei, im Falle eine neue kirchliche Reformprügelei statt-finden sollte.
56 []Kurzum, Capol verstand es, die von Pralöng zugleich zu fop-pen und aufzuwiegeln, so daß dieselben nie recht ins klare kamen,ob sie seine Ratschläge als Spott oder Ernst aufzufassen hätten,und darum immer weniger wußten, wie sie sich aus dieser Falle,in die sie ungeschickterweise vereint unter Bastian Pitschen Potts Anführung im Galopp hineingetrabt waren, befreien sollten.
Das hinderte sie freilich nicht, Capol immer wieder willig zu-zuhören und zu manchen Äußerungen verbissen «Ja!» zu nicken, so daß die Unzufriedenheit im Dorfe zu kochen begann und überzusieden drohte, wenn es Bastian Pitschen Pott nicht rechtzeitig gelang, die Pfanne von diesem gefährlichen Feuer wegzulüpfen.
Bastian Pitschen Pott sah das ein. Und obwohl er sich sagen mußte, daß es vielleicht das klügste wäre, die ganze Sache rasch und entschlossen rückgängig zu machen, brachte er es nicht über sich, Mastral Maini und Capol diesen Gefallen zu tun und seinem eigenen Ansehen das Messer an die Kehle zu setzen. Denn ihm war an der ganzen verdrehten Sache das Leideste, daß man ihn nicht mehr mit dem gleichen Ansehen wie ehedem betrachtete.Er empfand diese Tatsache, die er hie und da versteckt zu spüren bekam, um so mehr, als er sich noch kurze Zeit vorher in so hoch-fliegenden und ehrgeizigen Plänen gesönnelt hatte. Ja, er mußte nun erkennen, daß er gerade darum, weil er sich schon allzu wohlig gesönnelt hatte, die Falle gar nicht gesehen hatte, die er selber dem Gegner gestellt, und in die ihn dann Mastral Maini so tückisch hineingestoßen hatte.
Dies war hinwiederum der Grund, warum er nun so bedacht-sam tat und dreimal überlegte, ehe er zugriff und etwas in der Sache machte. An dieser Pfanne, die überkochen wollte, und die er vom Feuer zu nehmen hatte, konnte er sich die Hände nach Noten verbrennen, wenn er nicht so geschickt tat wie ein Pro-fessor. Wer ein kochend Pfännlein in die Hand nimmt, soll zu-erst an den Stiel denken!
57 []Bastian Pitschen Pott dachte wohl daran, denn in dem Hafen der Dorfpolitik kannte er sich gut aus; hatte er doch oft genug darin sein eigenes Süpplein gekocht und ebenso oft darin Ge-richte eigener Erfindung zubereitet, die er freilich hinterher von Herzen gerne andere Leute hatte auslöffeln lassen, aus gerechter Furcht, ihn selber könnten ernstliche Verdauungsbeschwerden befallen!
Für dieses Pfännlein galt es zuerst einen Wischlappen zu fin-den, mit dem man dann getrost zugreifen konnte, und welcher ihn jedenfalls sichern würde, daß er Pfanne und Suppe fein säuberlich dorthin stellen konnte, wo es ihm behagte und zu-sagte und nicht Gefahr war, daß er am Ende mitten im Wegneh-men alles miteinander fahren lassen müßte und die ganze heiße,strodlige Bescherung zum Wohlgefallen seiner Feinde über ihn selber hinunterbrodeln würde.
Er überlegte sich die Sache gut. Würde er einen neuen Be-schluß veranlassen, so wäre erstens fraglich, ob Mastral Maini nicht dagegen protestieren und verlangen würde, daß der gefaßte Beschluß zur Ausführung gelange, oder sich am Ende ganz und gar zurückzöge, so daß das Glockenangebot verloren wäre. Den eigenköpfigen Herrn durfte man unter keinen Umständen noch mehr ertauben. Zudem würde er schon allein durch die Tatsache einer neuen Einberufung der Kirchgenossen Capols Rat Folge leisten, und der gab nie einen Rat ohne Nebenabsicht, und je schärfer die Falle schnappte, die er stellte, desto feiner pflegte er den Köder zuzubereiten, welchen er davorlegte. Was aber hinter Capols Einmischung für eine Absicht verborgen war, konnte erst die Zukunft weisen.
In diesem Wirrsal von Schwierigkeiten und Gefahren mußte sich aber Bastian Pitschen Pott eingestehen, daß so, wie der Be-schluß nun einmal gefaßt war, der tapfere Christoffel Janett voll-kommen recht behielte: Alles würde auf der langen Bank liegen-bleiben und ewig nie zur Ausführung kommen, weil die Kirchen-
58 []bänke und der Glockenstuhl ein Lupf wären, den Pralöng unmög-lich prästieren könnte.
Er kam darum immer mehr zu derselben verzweifelten Ein-sicht: Er konnte machen, wie immer er wollte, so hatte Mastral Maini den Gewinn und würde in seinen Fotzelbart lachen, und Capol konnte weiterhin Scheit um Scheit in die Glut des Feuers legen und dem wachsenden Zorn in Pralöng mit Vergnügen zu-schauen.
Bastian Pitschen Pott sah, daß es galt, rasch zu handeln. Vor allem mußte er darauf bedacht sein, sich von neuem auf irgend-welche Weise das alte Ansehen zu verschaffen, damit er dann tätig eingreifen konnte. Denn die Rebedaz * ist in der Politik,was die Eisenzwinge für den Stock: Sie ist es, die den Stock zusammenhält und ihn nicht splittern läßt, so daß man sich ordentlich darauf stützen kann.
War sein Ansehen wiederum hergestellt und damit die alte Unterwürfigkeit wiederum geschaffen, konnte man sehen, was weiter zu tun sei. Auf irgendeine Weise war dann dem alten Mastral schon beizukommen. Vorläufig verhielt sich derselbe glücklicherweise in der ganzen Angelegenheit noch passiv.
Das wichtigste war, den beiden ärgsten Kläffern, die seine Herde ergelsterten und unruhig machten, das Maul zu schließen.Vor allem Capol, der sich noch jedesmal in Pralöng eingestellt hatte, wenn etwas schief gegangen war, und dann in allen Pin-ten herumhöhnte. Diesmal wirkte er um so verhängnisvoller,weil er in Jon Nicola einen hitzigen Jünger und Eiferer gefunden hatte, der einst so felsenfest auf die Kirchenstühle gehofft und bereits zwei Sonntage in den alten drin schon von dem halben Viehstall geträumt hatte, den er sich von dem Gewinn der neuen kaufen wollte, und sich in seinem ganzen menschlichen Gehaben * Verstümmelung von Reputation.
59 []so erhöht vorkam, daß er beinahe den Gesang in der Kirche ver-gessen hätte.
Es stand Bastian Pitschen Pott fest: Zuerst mußte Jon Nicola stillgemacht werden. Damit nahm er Capol die Möglichkeit,weiterhin erfolgreich in Prälong zu hetzen. Er mußte ihm diesen eifrigen Diener wegnehmen und sich selber geneigt machen.
Zu gleicher Zeit aber gedachte Bastian Pitschen Pott gegen Capol einen Schlag zu tun, der ihm zeigen sollte, daß Pralöng noch lange nicht hinter dem elenden Pranöv zurückbleibe, auch wenn es augenblicklich in der leiden Kirchensache etwas in das Hintertreffen geraten war.
Sodann aber sollte der Plan, den Bastian Pitschen Pott jetzt ent-schlossen durchführen wollte, auch für Mastral Maini ein Wink sein, daß man auch ohne ihn etwas im Dorfe zustande brachte.
Er hatte nämlich nichts Geringeres im Sinne, als den alten Gedanken Jon Nicolas, in Pralöng eine Blechmusik zu gründen,von neuem aufzugreifen und durchzusetzen. Jon Nicola, der neidische Musiker, sollte zum Dirigenten gemacht werden.Bastian Pitschen Pott wußte ganz genau, daß derselbe dadurch alle Kirchenstühle verschmerzen werde, wenn er auf diese Weise samt seinen hervorragenden musikalischen Eigenschaften an das Tageslicht der öffentlichen Anerkennung gezogen würde. Pra-növ gegenüber aber konnte man zeigen, daß man in Pralöng Dinge zustande bringe, die sonst niemand im Tale aufzuweisen habe. Noch kein Dorf hatte es zur Gründung einer Blechmusik gebracht, und manches dumme Geschwätz, das jetzt über Kirche,Glocken und Kirchenstühle leider zirkulierte, und in welchem sein Name mitgenannt wurde, konnte gründlich totgemacht werden, und in Pralöng würde durch diese Neugründung auch der Glaube an anderes wiederum erwachen, was jetzt noch ver-wickelt und undurchführbar erschien.
Unverzüglich machte er sich ans Werk. Er nahm mit Jon Nicola Fühlung und machte ihm klar, daß seine zornigen Äuße-
60 []rungen, welche er nach jener unglücklichen Versammlung im «Löwen» getan habe, nicht so wörtlich zu nehmen seien. Jeder wisse doch vom anderen, daß sie sich von jeher gut gesinnt gewe-sen seien und sich für Ehrenmänner von der Sohle bis zum Schei-tel hielten.
Als er sodann von der Blechmusik zu reden begann, horchte Jon Nicola auf und begann sogleich zu drehen: Er wisse ja selber und habe es in den letzten Tagen erst wieder besonders deutlich erkennen lernen, was Capol für ein Wühler sei. Er seinerseits begrüße es, wenn die alte Einigkeit wiederhergestellt werden könne, und Pralöng nicht durch auswärtige Neider auf falsche Wege komme. Er selber sei durch jene Sache im «Löwen» nur deshalb so in Harnisch geraten, weil ihm sein Dorf am Herzen liege und es ihm darum zu tun sei, dasselbe zu heben. Es wäre ihm gerade darum eine Freude, ja eine eigentliche Genugtuung,wenn nun in der Blechmusik ein Werk erstehen würde, welches denn für Pralöng mindestens von ebenso großer Bedeutung sei als manches andere, worüber in letzter Zeit viele Worte verloren worden seien.
Bastian Pitschen Pott schluckte die kleine Pille, die ihm da mit dem neuen Freundschaftstrunk gereicht wurde, da ihm unter allen Umständen daran gelegen war, Jon Nicolas Mithilfe zu bekommen.
Bevor: Bastian Pitschen Pott aber die Blechmusik, die sein eigenes Loblied im Dorfe wieder tadellos machen sollte; in das Leben rufen konnte, hatte er freilich daheim mit seinen beiden Weibern, der Frau und der Schwiegermutter, noch einen harten Strauß zu bestehen, der mehr Kraft und Überlegung. kostete als der mit Jon Nicola.
Aber auch hierin benahm er sich als ein geschickter Mann, der in den Künsten dieses verzwickten Lebens wohl erfahren ist und sich in dem Irrgarten des Menschendaseins zu bewegen weiß.
GT []Er hütete sich vor allem, beiden Frauen zugleich den neuen Plan, welchen er mit Jon Nicola abgekartet hatte, zu offen-baren; wußte er doch aus Erfahrung, daß beide nicht nur über ein gleicherweise hochentwickeltes Spartalent, sondern auch über eine ebenso große Einigkeit und Zungenfertigkeit verfüg-ten, wenn es sich darum handelte, Bastian im Zaun zu halten,der ihnen manchmal, seitdem er vermöglich geheiratet, über die Stränge hauen wollte.
Er beschloß darum, zuerst seiner Frau, die ihm schließlich doch etwas näher stand als die Schwiegermutter, und bei der man immerhin in günstigen Augenblicken mit Herzenswallun-gen rechnen konnte, bei rechter Gelegenheit von der Sache zu sprechen und sie gleichsam selber auf den Gedanken zu bringen,welchen er längst gefaßt und angepackt hatte, und es dann, wenn er sie ganz gewonnen hatte, ihr zu überlassen, mit der Alten das Hähnlein, das er scheinbar seiner Frau darbrachte, noch fertig zu rupfen, ehe es gebacken und verspeist werden konnte.
Eines Abends, als er sich mit seiner Frau zur Ruhe gelegt hatte, beschloß er, einen Versuch zu wagen, und begann ihr in der Traulichkeit der Schlafkammer von der Sache zu reden.
Er klagte ihr ziemlich mutlos, daß er in Pralöng Capols und Jon Nicolas wühlerischen Einfluß zu spüren bekomme. Man begegne ihm nicht mehr mit derselben Hochachtung wie früher;und an alledem trage nur dieser verdammte Mastral Maini die Schuld mit seinem heimtückischen Gebaren, der ihm nun einmal nicht gönnen möge, daß er in die Höhe komme. Er fürchte gewiß um seine Landammannshoheit, aber die habe er nun für drei Jahre ja glücklich wieder im Sack. Es tue ihm weh, und er be-klage den Fortgang und die stete Zunahme dieser wühlerischen Strömung im Dorfe, die nun gegen ihr Haus einsetze.
Die Frau horchte auf. Sie hatte ihn noch nie so niedergeschla-gen reden hören. Sollte er recht haben? Über nichts wachte sie so eifersüchtig wie auf ihre angesehene Stellung im Dorf. Sie
62 []schmiegte sich an ihn und wollte ihn aufmuntern, er solle eben suchen, diese Männer stillezumachen.
Das sei schon richtig, flüsterte er, aber mit Capol sei über-haupt nichts zu machen. Den könne er nur ausschalten, wenn ihm Jon Nicola zur Seite stünde, und über den sei er eben damals im «Löwen» bös hergefahren im ersten Zorn. Man müßte Jon Nicola in einer Sache entgegenkommen können, bei der seine Eitelkeit befriedigt werde, und dann fügte ef noch leiser hinzu würde der mit der gleichen Leidenschaft wie jetzt für Capol für ihn durch das Feuer gehen. Und nur mit solchen Leuten, die sich dermaßen vorspannen ließen, bringe man den eigenen Karren vorwärts; wisse er doch ganz genau, daß selbst Mastral Maini vor Jahren allein durch ein paar derartig begeisterte Mitläufer Land-ammann geworden sei. Es sei wie bei der Jagd: solche Leute trieben einem das begehrte Wild zum Schusse zu.
Die Frau lag mäuschenstill : Landammann! Landam-mann! Es stieg ein wunderbarer Traum vor ihr auf. Einen klugen, ewig klugen Mann hatte sie halt doch!
An jenem Abend machte ihr dann Bastianchen gleichsam in hypothetischer Form den Plan der Blechmusik klar und bewies ihr, daß Jon Nicola als Dirigent derselben einem für Zeit und Ewigkeit verpflichtet wäre. Etwa acht bis zehn Instrumente wür-den vorläufig genügen. Diese Instrumente brauchte man der Musik ja nicht zu schenken, sondern man würde sie den Musi-kanten in Miete geben. Auch wären ja nicht unbedingt neue Instrumente notwendig, es dürften reichlich gebrauchte sein, so daß die Auslage doch gewiß durch den Gewinn, welchen diese Musik dem Hause Pott schaffen könne, aufgewogen würde. Frei-lich sei es ja nicht sogleich ein silberner Gewinn, aber halt doch ein Nutzen, der später noch Silber und Gold zu seiner Zeit auf-wiegen dürfte.
Bastian Pitschen Pott verstand es, in der rechten Art für sein Begehren zu reden und seiner Frau derart vorzumusizieren, daß
O3 []er daraufhin alles weitere ruhig seinem kleinen pfiffigen Weib-lein überlassen konnte.
Eine Woche später waren die Instrumente und eine kleine Trommel bereits da. Sie kamen, mangelhaft verpackt, ziemlich verpüfft über den Paß. Niemand hatte sich Mühe gegeben, sie wie recht und billig ordentlich zu versenden, da in dem Dorfe des Nachbartales das Unternehmen an der Uneinigkeit der Ge-sellschaft gescheitert war. Und da der Geldbetrag von den vor-sichtigen Verkäufern zum voraus eingefordert worden, konnte Bastian Pitschen Pott der Beulen wegen nichts tun, sondern mußte die Sache nun hinnehmen, trotzdem ihn diese Beulen wie böse, schadenfrohe Augen anblickten und ihm im ersten Augen-blick nicht viel Gutes verheißen wollten.
Aber er ließ sich nicht lange bedrücken durch derlei Ahnun-gen.
Der Erfolg seiner neuen Gründung war über alle Maßen groß.Capol blieb aus, die Stimmung im Dorfe schlug gewaltig um, und Bastian Pitschen Potts Fahne flatterte wieder hoch und frei. Pra-Jöng hatte etwas Einzigartiges bekommen! Man hatte nicht lange geplant und geredet, man hatte etwas getan! Diese Instrumente waren Tatsachen, die jeder mit Händen greifen konnte, und manche äußerten sogar geringschätzig gegenüber der Kirche:Eine Blechmusik könne man schließlich zu allerhand gebrau-chen, sie sei beweglich, währenddem Glocken und Kirchenstühle fürwahr eine schlechte Kapitalanlage seien!
Was nun die Kapitalanlage betrifft, so ist zu sagen, daß in bezug auf die Blechmusik hierin allerdings niemand in der Ge-meinde außer Bastian Pitschen Pott ein Risiko hatte. Er hatte sich aber den Rücken bereits dadurch zu decken gewußt, daß er jedem der Mitspielenden einen monatlich zu entrichtenden Amortisationsbetrag abforderte und diese Klausel als Bedingung zum Eintritt in die heiß umworbene neugegründete «Musikge-6A []sellschaft von Pralöng» gemacht hatte. Obendrein hatte er be-stimmt, daß die Instrumente so lange sein Eigentum seien, bis der ganze Betrag bezahlt sei. Erst dann sollten die-Musikgeräte in den Besitz der Gesellschaft übergehen.
Damit war nun, wie er gerechnet, die alte Glockengeschichte etwas zur Ruhe gebracht. Die Blechmusik überklang das alte Geschwätz, und Bastian Pitschen Pott sah, daß er nun wieder Bewegungsfreiheit für seine Taten bekommen würde, nachdem ihm wochenlang Kirchenbänke und Glockenstuhl auf Schritt und Tritt im Wege gestanden waren.
Eifrig und geräuschvoll wurde in Erwartung großer Dinge geübt, und Jon Nicola stolzierte gehoben in die zahlreichen Pro-ben, in welchen er, mit dem einen Fuß immer ein wenig Takt schlagend, geneigten Kopfes billigend oder mißbilligend diri-gierte und anleitete und, sich maßvoll bezwingend jedoch mit desto mehr Würde und Nachdruck die Gesetze der Harmonien zwischeninne darlegte, indes seine Schüler, welche dann von der schweren Lungenleistung ein wenig verschnauften mit roten Ringen um den Mund und großen Augen gespannt und andäch-tig seiner Weisheit lauschten.
Dieser Erfolg Jon Nicolas war auch imstande, die alte Geg-nerschaft zwischen ihm und Josef Mansner zu tilgen. Josef Mans-ner anerkannte es freudig, daß er nun auf dem Sonntagsgang über die Orgeltasten nicht mehr von einem gegnerischen Ge-sange gefährdet wurde. Er besann sich als kluger Mann nicht lange, sondern trat der Musikgesellschaft als tätiger Bassist bei,und mit diesem geschickten Zuge räumte er ein für allemal Jon Nicolas Aspirationen auf die Kirchenorgel beiseite, da er sich durch seinen Eintritt in die Gesellschaft unter die Führung des neuen Musikgestirnes gestellt und dadurch gewissermaßen des-sen leitende Oberhoheit für alle Zeit anerkannt hatte.
Freilich konnte einem sicheren Auge nicht entgehen, daß diese ganze Einigkeit der beiden Kunstgrößen mehr durch äußere
65 []Umstände herbeigeführt worden war; und darum blieb immer-hin zu befürchten, es könnte diese Harmonie der Seelen nicht so sehr dem Drange des Herzens als einer pfiffigen Kopfrechnung entsprungen sein und infolgedessen auch nicht von ewigem und unverbrüchlichem Bestande bleiben.
Doch war vorläufig alles noch ein Herz und eine Seele. Und währenddem der Frühling das kleine Dörflein langsam aus der Winterhülle des Schnees heraushülste und die Häuslein, welche vorher wie versunken geschienen hatten, wieder höher wurden,hörte man an Sonntagen und abends, oft bis tief in die Nacht hinein, aus einem Stall oder Gaden die gebrochenen Töne erklin-gen, welche die Musensöhne mit unerbittlicher Energie ihren Instrumenten abzuringen suchten.
Als dann im Juni, früh am Pfingstsonntagmorgen, der klare Tag hell und kühl ob den schneefrei gewordenen Hängen und den scharflinigen Graten des Tales aufgestiegen war und in blauer Reinheit über die leise grünenden Wiesen von Pralöng niederlächelte, erklang zum erstenmal durch diese keusche Mor-genstille vom Walde herunter in die Behausungen des Dörfleins holprig, aber deutlich erkennbar, der Choral:
Nun danket alle Gott
Mit Herzen, Mund und Händen,Der große Dinge tut
Bei uns und aller Enden ...
Bastian Pitschen Pott wachte darob im Bett auf, und ihm wie seiner Frau kam fast das Augenwasser vor Rührung über diese gute Leistung, und vor ihnen stieg eine Zeit des Glanzes und der Erhöhung auf; Träume, die sie sich zum erstenmal mit Nennung dieser Musik eingestanden hatten, und die sonst noch tief ver-borgen und verhüllt in ihnen schlummern mußten, tauchten auf,und dieses «Nun danket alle Gott» erschien beiden wie das Vor-spiel zu einem flotten Marsche, welcher kommen würde.
[66]Drittes Kapitel
Bastian Pitschen Pott hatte richtig kalkuliert. Die Blechmusik,welche in dem ganzen Tale etwas Einzigartiges darstellte, war für ihn ein guter Zug gewesen. Und hatte er auch in den Fami-liensäckel, über welchen sonst die Schwiegermutter behütend die Hand hielt, einen tiefen Griff tun und die verpüfften Blech-instrumente mit einem wackeren Silberhäuflein quitt machen müssen, so hoffte er zuversichtlich, diesen hohen Einsatz einmal mit Zins und Zinseszins wieder einstreichen zu können, wenn er seine letzten Trümpfe ausspielen würde.
Vorläufig war ihm die Sache, welche so vortrefflich Wurzel gefaßt hatte und ihm die Achtung seiner Untergebenen wieder gewonnen und seine Feinde schweigsam gemacht hatte, an und für sich gut genug, denn sie versprach eine günstige Weiterent-wicklung und Frucht zu ihrer Zeit. Er hatte seinen Gerstenacker gut angebaut.
Allein, es ist kein Feld so gut bestellt, so wird dafür gesorgt,daß darauf nicht eitel Gerste gedeiht. Und war das erlesene Saat-gut noch so fein gesiebt und durchgeprüft, ein Teufelskörnlein schlüpfte doch mit durch und trägt dann todsicher nach seiner Gattung Frucht.
Auch Bastian Pitschen Pott sollte auf seinem Äckerlein, wel-ches er da so liebevoll auf Gemeindeboden zu eigenem Nutz und Frommen für sich angebaut hatte, noch manche Distel aus-zuraufen haben und in den eigenen Händen zu spüren bekom-men, ehe er darauf seine Garbe binden konnte.d:G-[]Ungefähr in derselben Zeit nämlich, als die neugegründete Musikgesellschaft ihren Pfingstchoral mit Feuer übte, begann der Landammann zu kränkeln. Erst hieß es einfach, er habe sich bei der letzten Talversammlung in Ursulinendorf auf dem müh-samen Heimweg über Valdür durch den tauenden Schnee er-kältet.
Niemand schenkte der Sache besonderes Augenmerk, denn die Neugierde war im Dorfe ja durch große Geschehnisse ganz gebunden. Erst als der Einspänner des alten Doktors Hitz jeden Tag vorfuhr, streckten die.Leute die Köpfe zusammen.
Wenige Tage nach Pfingsten ging das Gerücht umher, mit dem Herrn Landammann stehe es mehr als bös. Das Doktor-wägelein stand den ganzen Tag vor dem Haus.
Bastian Pitschen Pott, dem wenige Tage vorher der Morgen-choral so verführerisch in das Bett geklungen hatte, horchte auf.Stand er so nahe an der Erfüllung seiner Wünsche? Griff das Schicksal selber ein und zwang den zähen Alten am Ende zu einer jähen Abdankung? Herrgott, wenn der Mastral nachher,nach langer Genesungszeit erklären würde: Leider melden sich bei ihm die Boten des Alters rascher, als er geglaubt habe, und nach rüstigen Jahren seien nun auch bei ihm die Tage gekom-men, die man nicht gerne sehe. Er sehe ein, daß er sich zuviel Kraft zugetraut habe, als er vor Wochen die Wiederwahl ange-nommen habe. Nun aber sei es an der Zeit, an sein eigenes Wohl zu denken; das Krankenlager habe ihm eine böse Lehre gegeben: Nämlich zu bedenken, daß ein Menschenleben nur siebzig Jahre dauere, und, wenn es hoch komme, achtzig. Und da denke er nun doch, daß es an der Zeit sei abzurüsten, und er könne dies ja um so eher tun, weil im Tal jüngere Kräfte seien,die wohl imstande wären, das Werk, an dem er gearbeitet, ehren-voll fortzusetzen ...
68 []Bastian Pitschen Pott träumte mit hellen Augen. Vielleicht,wer weiß, konnte das Tal heuer nochmals eine Landammanns-wahl vornehmen ...
Der Kahn seiner waghalsigen Träume schaukelte auf steilen Wellen. Er sah sich bereits von der Wahl heimkehren: Seine eigene Blechmusik hatte ihn abgeholt in Ursulinendorf, und er zog in «sein» Pralöng als Sieger ein! Hei, wie das lustig klang,als sie am Haus Mastral Mainis vorüberzogen tsching, tsching,bum, rassa, bum! und schon sah er Frau und Schwiegermutter die hölzerne Treppe vor seinem Haus hinuntereilen und ihren lieben, lieben, gescheiten Bastian umarmen.
Bastian Pitschen Pott mußte sich mit Gewalt aus seinen eige-nen Träumen aufreißen.
Er hatte keine Ruhe mehr.
Er wußte sich bald bestimmte Auskunft über den Gesundheits-zustand des Landammanns zu verschaffen. Die Tatsachen, die er da vernehmen mußte, bengelten ihn unsanft genug aus seinen ehrgeizigen Träumen herunter; denn es hieß, es sei nichts mehr und nichts weniger als eine Lungenverschleimung, von welcher es kein Aufstehen mehr geben werde. Noch mehr erschrak er,als man ihm klarmachte, die Krankheit sei schon so weit fort-geschritten, daß der alte Mastral nur noch in kurzen Augen-blicken licht, sonst aber gänzlich eine Beute des leichten Fiebers sei, das ihn in den uferlosen Halbschlaf wirrer Träume ziehe,dem er sich immer weniger entreißen könne.
Bastian Pitschen Pott, der so selten in Verlegenheit geriet und eben noch der Meinung gewesen war, daß er nur zu warten habe,bis er die Frucht seines bestellten Äckerleins heimholen könne,sah seine junge Aussaat, die so gut in Wurzeln und Halm gegan-gen war, von einem bösen Wetter bedroht, welches ihm mit einem Schlage alles verhageln konnte, was er so mühsam und vorbedacht angebaut hatte. Und das Verhängnisvollste daran war, daß er sich außerstande sah, dieses dunkle Wetter durch
50 []irgendeine Veranstaltung zu verjagen, sondern ohnmächtig war-ten und zusehen mußte, ob es losbrechen oder gnädig verziehen würde.
Denn was nützte ihm alle Begeisterung, welche seine neuge-gründete Musikgesellschaft hervorgerufen hatte, wenn er sie nicht ausnutzen konnte oder wenn auf dieselbe ein um so emp-findlicherer Rückschlag käme? Ja, die gegenwärtige Begeiste-rung drohte für ihn geradezu gefährlich zu werden, wenn ihr die Enttäuschung auf dem Fuße folgte und der Landammann weg-gerafft würde, ehe er ihn hatte veranlassen können, die Glocken-frage endgültig und zur Zufriedenheit der ganzen 1öblichen Ge-meinde zu regeln.
Bastian Pitschen Pott geriet in ein böses Fieber hinein: Was sollte werden, wenn der Alte starb und nicht einmal sein Ver-sprechen in bezug auf die Glocken einlöste, ganz abgesehen vom Glockenstuhl, den er ihm auch gerne noch abgezwackt hätte!Er sah das Unheil deutlich kommen: Die ganze Angelegenheit,die jetzt an dem fadenscheinigen Zwirn einer unsicheren Hoff-nung hing, mußte zerschellen, und er hatte die Schuld zu tragen, dafür würden seine Feinde, die er nun mit Mühe und Not still gemacht hatte, schon sorgen.
Das Fieber der Besorgnis stieg bei ihm besonders auch des-wegen so rasch in die Höhe, weil er sich sagen mußte, daß bei einem neuen Streit, der bei einem jähen Hinschied des Land-ammanns aus den enttäuschten und verstimmten Gemütern sich loslösen konnte wie Blitz und Donner aus der Wetterwolke,nicht allein infolge der verlorenen Glocken seine Stellung im Dorfe erschüttert sein würde, sondern auch die Blechmusik durch die Uneinigkeit gefährdet würde, was ihn hinwiederum in eine mehr als unangenehme Lage gegenüber den beiden ent-schlossenen Beherrscherinnen seines Hauses bringen würde,denen er dann vielleicht statt der vorgespielten und erhofften
"70 []Landammannswürde am Ende seiner Taten nur eine Anzahl teuer bezahlter Blechinstrumente vorlegen konnte!
Es war klar, daß er nicht untätig warten durfte, bis die Spule leergelaufen war, sondern suchen mußte zu retten, solange etwas zu retten war.
Vor allem mußte der sterbende Landammann veranlaßt wer-den, sein gegebenes Versprechen schriftlich niederzulegen.
Kundig und ohne auch nur einen Augenblick zu zögern, setzte Bastian Pitschen Pott die Schrift auf, brachte es aber nicht über sich, darin nur die Glocken zu nennen, sondern er setzte das Schreiben auf eine möglichst verdrehte Art so auf, daß der Land-ammann sich durch Unterschrift verpflichte, sein Wort in bezug auf die Erneuerung der Glocken und des Glockenstuhles, welche von ihm in der Gemeinde angeregt worden sei, als verpflichtend für seine Rechtsnachfolger zu erklären.
Bastian Pitschen Pott hatte zwei Gründe, die ihn veranlaßten,die alte Gaunerei noch einmal in neuer Form zu bringen. Zum ersten hoffte er, daß Mastral Maini die Sache, welche so gewun-den als nur möglich aufgesetzt war, in dem wachen Augenblick,da sie ihm präsentiert würde, matt von seinen Fieberzuständen,nicht bemerken oder darüber hinweglesen würde, da er doch kaum erwarten konnte, daß Bastian Pitschen Pott dasselbe Spiel noch einmal versuchen würde. Vor allem aber sollte die Person des Überbringers jeden Argwohn und Verdacht von vornherein zerstreuen und’ bei Mastral Maini überhaupt derlei Gedanken nicht aufkommen lassen, sondern ihn an die ewigen, unvergäng-lichen Güter gemahnen, welche in diesen Augenblicken wichti-ger seien als die verklingenden Dinge der Erde.
Ohne Verzug ging Bastian Pitschen Pott mit seinem Doku-ment in das Pfarrhaus hinüber. Er fand den Geistlichen in der engen, holzverschalten Veranda über einem Buche sitzen.
Bastian Pitschen Pott machte sein allerfreundlichstes Gesicht.Er halte es doch für seine Christenpflicht, den Herrn Pfarrer
73 []darauf aufmerksam zu machen, daß dem Dorf ein schwerer Schlag drohe, indem der Herr Landammann im Sterben liege. Er glaube auch, es wäre gut, wenn der Herr Pfarrer sich zu ihm be-geben wollte, vielleicht daß er doch gerne einen geistlichen Bei-stand hätte in seiner schweren Stunde.
Gewiß, das wolle er gerne tun, erwiderte der Pfarrer.
Auch hätte er, fuhr Bastian Pitschen Pott lebhaft fort, noch ein rechtes Herzensanliegen, das mit dem Kirchlein zusammen-hange, in welchem der Herr Pfarrer nun schon seit siebzehn Jahren der Gemeinde Pralöng so trefflich Gottes heiliges Wort verkündige. Der Herr Pfarrer werde ja gewiß Kenntnis haben von der Glockensache, obgleich er ja persönlich an den betref-fenden Versammlungen nicht teilgenommen habe, wohl darum,weil er gleich ihm der Meinung gewesen sei, die Sache werde sich von Anfang an anstandslos regeln lassen. Er möchte nämlich den Herrn Pfarrer bitten, den Landammann dazu zu bewegen,der Gemeinde den Betrag, welchen er seinerzeit für die Glocken habe ausgeben wollen, testamentarisch zu vermachen, im Falle er aus dieser Welt abscheiden müsse, und er habe zu diesem Zwecke der Einfachheit halber eine Geschrift aufgesetzt, so gut es eben ein ungeschickter und ganz ungelehrter Bauer könne, und er hoffe und möchte den Herrn Pfarrer inständig gebeten haben,seine Hand zu dem gotteswürdigen Werke, welches ihrem armen Kirchlein zugute käme, nicht zu versagen.
Er reichte dem Pfarrer die Schrift hin.
Bedächtig las der Pfarrer. Dann legte er die Schrift auf den Tisch, holte den Rock und Hut und sagte:
«Bastian Pitschen Pott, ich will sofort zu dem Sterbenden gehen und meine Pflicht an ihm tun in seiner schwersten Stunde.Eure Schrift da nehmt nur zurück und glaubet niemals, daß ich mein hohes Amt zum Henkersknechte für Eure Bübereien machen lasse. Eine Gemeinde, in welcher solche Leute wie Ihr am Ruder stehen können, kann ruhig mit den alten Schellen
7 []weiterbimmeln; es verschlägt nichts, denn es entspricht Euerem Christentum! »
Damit ging er und ließ Bastian Pitschen Pott stehen. Der griff nach dem Scheitel und schlich hintendrein.
Der Kübel wollte ihm vor Zorn und Erbitterung überlaufen.Aber er faßte sich rasch, denn nun galt es einfach zu handeln,zu handeln! Alles Persönliche konnte später erledigt werden.
Er wartete in seiner Stube mit düsterem Gesicht am Fenster,bis er den Pfarrer zurückkommen sah. Dann machte er sich schweren Herzens selber auf den Weg. Obwohl es der sauerste Gang seines Lebens war, sagte er sich, daß er um seiner selbst willen den letzten Versuch nicht unterlassen dürfe.
Mit seinem Fetzen durfte er nicht wieder kommen. Das ein-zige, was ihm nun blieb, war, sich auf das Bitten zu verlegen.
Allein auch hierin sah er seine Absichten vereitelt. Er traf im Hausgang den Arzt, welcher ihn durch seine Brille zwinkernd fixierte. Fast spöttisch zuckte es um das stark ergraute Bockbärt-lein herum.
«Zu Mastral Maini kann ich Euch keinen Zutritt geben, bittet nicht etwa darum!» sagte er, trocken zuvorkommend.
Bastian Pitschen Pott begann der Boden unter den Füßen gänzlich zu wanken.
«Herr Doktor, ich mwxß aber zu ihm, in einer dringenden Ge-meindeangelegenheit; Ihr versteht mich doch: In einer Sache,die nicht mich persönlich anbetrifft, sondern die dem Ganzen zukommt ...»
«Es sind bald alle Angelegenheiten, persönliche und behörd-liche, für den da drin erledigt. Ihr kommt wegen Euerer Glok-ken? Er hat nur noch eine nötig, und aller Mißklang stört dabei nicht mehr groß, wenn es einem ausläutet ...»
Der Arzt verschwand im Zimmer.
Bastian Pitschen Pott, der Beherrscher von Pralöng, stand wie gelähmt. Alle Sicherheit, das letzte Restlein Hoffnung ver-
7 []sank. Der große stattliche Mann stand mit seinem zerknüllten grünen Hütlein hilflos in dem gewölbten Gang des Hauses, in welchem sein Rivale ihn noch im Tode übertrumpfte, und be-gann wie ein Schulkind zu weinen.
In demselben Augenblick trat aus der Wohnstube Frau Land-ammann. Ihr kleines Figürchen stand neben dem großen, wei-nenden Manne, und sie winkte ihm in die Stube.
Da änderte Bastian Pitschen Pott sein Gebaren, und er schüt-tete in der Wohnstube vor der kleinen Frau, die in gebrochener Sprache nach seinem Begehr gefragt hatte, sein übervolles Herz aus.
Wohlweislich sagte er von den Glocken kein Wort mehr,sondern jammerte nur in einem fort über die Kirche von Pralöng,welcher durch den Tod des Herrn Landammann, den sie alle so sehr geliebt hätten, ein so schwerer Verlust bevorstehe ...
Gesenkten Hauptes horchte die kleine Frau. Sie dankte ihm für seine Teilnahme und entließ ihn mit dem Bemerken, sie habe in dem Kirchlein von Pralöng viel Kraft geholt.
Bastian Pitschen Pott saß in seiner Wohnstube und studierte schwer. Alle Wege, die er zu seinem Ziele versucht hatte, waren abgeschnitten. Bloß in dem freundlichen Benehmen der Frau Landammann lag für ihn ein letztes Hoffnungsschimmerchen.Seine verkniffene Seele hatte bald herausgemerkt, diese Frau,welche sich dem Treiben im Dorfe stets ferne gehalten und so fremd gelebt hatte, könnte ihm am Ende doch von Nutzen sein.Um so mehr, als sie im Rufe stand, sehr fromm zu sein und nie-mals eine Predigt versäumt zu haben. Und da ihr die Frauen von Pralöng nicht gewogen waren, würde sie gewiß in dieser Zeit dem, der ihr Teilnahme entgegenbrachte und ihr an die
2:7A []Hand ging, erkenntlich sein. Auch rechnete Bastian Pitschen Pott von vornherein damit, daß sie gegen seine Person nichts haben könne, da sie gewiß in ihrer weltfremden Art kein Urteil über ihn haben konnte.
Er fand es darum gut und angebracht, in der Dämmerung sich noch einmal zum Hause des Mastral hinunterzubegeben und als Präsident der löblichen Gemeinde bei der Frau Landammann anzufragen, wie es mit dem Befinden des Herrn Gemahls stehe,und ob man nicht hoffen dürfe, daß durch Gottes gnädige Für-sorge eine günstige Wendung eintreten werde?
Als ihm ein verneinendes Kopfnicken sagte, daß es rückwärts gehe, versicherte er der Frau Landammann sein aufrichtiges Be-dauern, geriet dann aber mit seinen schönen Sätzlein selber in Verwirrung, denn bei einem Haar hätte er bereits die Kondo-lenzformel in Anwendung gebracht; dann aber faßte er sich rasch und sagte, seinen grünen Hut ganz ergebenst in der Hand,daß die löbliche Gemeinde selbstverständlich zu jeder Hand-reichung im Falle der Not gerne bereit sei; die Frau Landam-mann habe ihn nur zu benachrichtigen; man dürfe ihn übrigens auch während der Nacht rufen, denn er wisse aus eigener Erfah-rung, wie verwirrt man in solchen Zeiten sei und wie man sich für jede Hilfeleistung dankbar erweise ... Jedoch hoffe er, wie gesagt, noch immer das Beste; es sei ja kein Ding unmöglich,und er werde sich erlauben, am Morgen früh wieder anzufragen,wenn man ihn während der Nacht nicht gerufen hätte.
Er hatte eine unruhige Nacht. Alle seine Pläne, die mit dem Tode des Mastrals so gut wie zerschellten, kehrten wieder. Sie quälten ihn um so mehr, als sie vordem in so greifbarer Nähe gewesen waren und ihm nun doch im letzten Augenblick ver-unmöglicht wurde, seinem Gegner beizukommen und ihn zu veranlassen das zu tun, woran Bastian Pitschen Potts ganzes An-sehen hing. Er mußte sich eingestehen, daß in dem gegenwärti-
TS []gen Augenblick nicht allein seine persönlichen Absichten, son-dern auch seine Stellung im Dorfe gänzlich erschüttert würden,wenn der Tod in dem erbitterten Spiel, das er mit seinem pfiffi-gen Gegner gehabt, nun an Mastral Mainis Stelle die Partie übernehmen würde. Es müßte denn gerade sein, daß er das ganz unwahrscheinliche Glück hätte, mit der «Dame» den letzten Trumpf auszuspielen, durch den dann endlich dieser verfluchte Jaß zu seinen Gunsten entschieden wäre.
Ungewöhnlich früh am Morgen war er schon auf den Beinen.Er besorgte seinen Stall eine gute halbe Stunde eher als sonst,zog sein besseres Jöpplein an und ging durch die morgenstille Straße hinunter zum Hause des Landammanns.
Es war schon geöffnet, und die Magd führte ihn in die Stube,wo auf der Ofenbank die Leiche des Landammanns fertig ge-sonntaget zur Schau gestellt lag.
Bastian Pitschen Potts Gesicht, welches eben noch wohlwol-lende Erkundigungen hatte spiegeln wollen, verzog sich jäh in eine starre Leichenbittermiene, welche sich auf eine höchst natür-liche Weise bei ihm einstellte; denn der Tod seines Gegners machte auf ihn einen geradezu niederschmetternden Eindruck,um so mehr, weil damit eine für ihn ganz ungewisse und gefähr-liche Sachlage, die er schwer ersorgt hatte, mit einem Schlage zur festen Tatsache wurde.
Als dann Frau Landammann eintrat, fand er jedoch gut, diese innere Qual einigermaßen nutzbar zu machen, und indes er helle Tränen über seine Wangen perlen ließ, schluchzte er:
«Wir haben so viel miteinander zu tun gehabt, aber ich habe ihn fürwahr geliebt ... und hoch geachtet...»
Sie ergriff seine Hand.
Sogleich bemeisterte er sich, brachte ihr in ihrem schweren Leid seine eigenen und die Beileidsversicherungen der löblichen Gemeinde dar und anerbot sich, im Namen der löblichen Ge-meinde für die Frau Landammann das Nötigste zu tun. Zuerst
0 []wolle er zum Glöckner, damit derselbe sogleich das Ende läute;es sei Ja schon heller Tag und notwendig, daß man die Leute von dem Verluste benachrichtige. Hernach werde er ohne Verzug die nötigen Vorkehrungen zum Leichenbegängnisse treffen; die Frau Landammann wolle ihm gestatten, daß er ihr hierin zur Seite stehe. Denn bei der Begräbnisfeierlichkeit müsse deutlich zum Ausdruck kommen, daß der selig Verstorbene nicht allein ein Mann der Gemeinde, sondern des ganzen Tales gewesen sei.
Als ihm nun gar die Frau Landammann versicherte, daß ihr die Worte des Herrn Gemeindepräsidenten überaus wohl täten und sie seine Hilfe gerne annehme und ihm bekanntgab, daß auch der Herr Landammann die Gemeinde gewiß sehr geliebt habe, was er übrigens auch in letzter Stunde dadurch bekundet habe, daß er einen ansehnlichen Betrag für die Kirche von Pra-löng ausgesetzt habe da war es Bastian Pitschen Pott nach allen Bekümmernissen und schweren Stunden, die er um dieser Sache willen bereits durchgekostet hatte, als falle ihm eine ganze Alp samt Käserei und Viehgaden ab dem überlasteten Herzen,und dienstbeflissen eilte er durch das Dörflein, um das große Ereignis zu verkündigen.
Christoffel Janett hieb sich im Holzschöpflein ein paar Klötze entzwei, um sich hernach seinen Morgenkaffee bereiten zu kön-nen. Er war übel gelaunt, denn das Wetter wollte ändern und die gichtigen Hände taten nicht gut.
Vor allem beschäftigte ihn seit Tagen das jähe Todesringen Mastral Mainis. Mit unbeirrbarem Glauben hatte er von ihm erwartet, er werde schon dafür sorgen und mit seiner überlege-nen Meisterschaft Mittel und Wege finden, die verbückte, be-technende Rotte von Pralöng zu zwingen, den neuen Glocken-stuhl hinzustellen, welcher die Voraussetzung für sein ersehntes Glockenpaar bildete.Dr []Ja, das wäre ein Läuten! Der Wohlklang dieser beiden Glok-ken jauchzte und zitterte ihm durch die Seele, und sein altes Glöcknerherz jauchzte und schwang mit diesen Glocken. Herr-gott, wie wollte er läuten! und ihm selber würden sie einst sein eigenes Leben reinen Tones ausläuten ... Und nun lag der,der all das allein zustande bringen konnte, im Tode?
Christoffel Janett zerschlug das Grotzenholz, daß die Stücke flogen. Und währenddem sein zahnloser, schiefgezogener Mund die kalte Pfeife hielt, murmelte er unverständlich nach seiner Gewohnheit die Gedanken vor sich hin.
Da stand Bastian Pitschen Pott neben ihm und hieß ihn eilig mitkommen er müsse Mastral Maini das Ende läuten.
In den Alten kam sein ganzer gäher Zorn, und er schlug wort-los den Holzklotz, welchen er an der Axt hängen hatte, so hart auf den Scheiterstock, daß die Stücke flogen und die Axt stecken blieb.
Geschäftig und eifrig zerrte ihn Bastian Pitschen -Pott am Ärmel:
«Es bleibt Euch noch Zeit genug zum Spalten übrig, Ihr sollt jetzt kommen!» drängte er.
Da brüllte Christoffel Janett, ohne auch nur die Pfeife aus dem verzerrten Mund zu nehmen, mit fürchterlicher Stimme den erschrockenen Gemeindepräsidenten an, indes er zum Schopf-tor hinaus gegen den Kirchturm von Pralöng wies:
«So lasset ihn wenigstens erst recht kalt werden, ehe Ihr ihm das Ende läuten lasset, sonst wacht er am Ende noch einmal auf im Zorn über diese Zweischellenkuh!»
Ganz unheimlich stand er da in seiner verwetterten hageren Gestalt. Die eine Hand lag am Axtstiel, indes er mit der Linken mit mäjestätischer Gebärde krummfingerig gegen den Kirch-turm von Pralöng zeigte.
Bastian Pitschen Pott fand es gut, schweigend zu verziehen.
8 []Eine Viertelstunde später schwankte Christoffel Janett mit weitausholenden Schritten Pralöng zu.
Dann wimmerte das Totenglöcklein dem großen Mastral Maini das Ende, um alle daran zu erinnern, der Seele zu geden-ken, welche aus dem harten Gedränge des Irdischen in die ein-same Bahn des Ewigen geschoben wurde, und es allen Frommen von Pralöng mahnend in die Herzen zu klagen, welch harter Schnitter alle mäht, Krumme, Grade, Klüppische, Klobige,Feine und Verbückte, Geliebte und Ungeliebte, daß sie ein-knicken und stille liegen.
Christoffel Janett läutete gut.
Feierlich und steif lag der tote Mastral Maini auf der Ofen-bank, den Rücken so gerade, wie er ihn selten im Leben zu Werk und Tat gehabt hatte.Inzwischen saß Bastian Pitschen Pott in seiner Wohnstube und erzählte. Es war ja ein Triumph ohnegleichen, wenn ein Legat da war! Und erst ein bedeutendes! Mastral Maini hatte beigeben müssen !Er hatte nicht noch im Tode schäbig vor aller Welt da-stehen wollen! Die Summe für die beiden neuen Glocken hatte er gewiß nicht so rappengenau heraustifteln können, daß Pra-löng dabei nicht einen kleineren oder größeren Gewinn machen konnte! Den Ertrag der beiden Glocken, die im Turme hingen,hatte er ja unmöglich ganz genau abschätzen können! Vielleicht hatte er sie überhaupt nicht in Berechnung gezogen, sondern einfach eine bedeutende Summe für die neuen ausgesetzt. In die-sem Falle, behauptete Bastian Pitschen Pott zuversichtlich seinen Weibern gegenüber, bringe man aus den alten Glocken den neuen Glockenstuhl heraus. Er hatte gewonnen!
3.79 []Die Kunde von dem Legate, welches der Gemeinde zukom-men sollte, erfüllte die Gemüter in Pralöng augenblicklich mit einer kaum zu beherrschenden Spannung, und Bastian Pitschen Pott gedachte dieselbe möglichst kraftvoll auszunützen.
Schon am Abend berief er die Gemeinde zu einer außerge-wöhnlichen Sitzung ein, und als er die einundzwanzig stimm-fähigen Mannen in der Schulhausstube beisammen sah, rief er ihnen einleitend mit feierlichem Gesicht das Ableben ihres ver-ehrten, von allen so geachteten und geliebten Landammanns in Erinnerung, dessen Tod ein so schwerer, kaum zu ersetzender Verlust für die löbliche Gemeinde Pralöng bedeute. Denn des seligen Herrn Landammanns Name sei eng verknüpft mit der Geschichte des Dorfes gewesen, und niemand werde ihn so schnell vergessen können, da er, wie nicht gerade ein zweiter, um das Gesamtwohl des Tales, besonders aber um Pralöng sich ver-dient gemacht habe. Das Dorf müsse diesem Manne um so mehr verpflichtet sein, als derselbe auch noch im Tode seiner freund-lich gedacht und in geradezu vorbildlicher Weise seine hilfreiche Hand zum letztenmal geöffnet hätte. Er könne der Gemeinde mitteilen, daß sich ihm gegenüber Frau Landammann geäußert habe, daß der Selige der Kirche ein bedeutendes Legat gestiftet habe, und somit stehe der Verblichene vor ihnen allen da als ein Mann von Wort auch noch im Tode,
Man horchte gespannt.
Christoffel Janett strahlte!
Bastian Pitschen Pott räusperte sich, fuhr mit der Rechten über das Kinn und hob von neuem an:
Er sei nun der Meinung und deswegen habe er als Präsident der löblichen Gemeinde sich erlaubt, sie zu einer nur halboffi-ziellen Sitzung auf diesen Abend einzuladen , daß diese Dank-barkeit bei dem Begräbnis des Herrn Landammanns zum Aus-druck kommen sollte. Freilich sei er sich nicht recht klar, wie dies geschehen könnte, aber er möchte doch nicht versäumt
80 []haben, eine Umfrage zu eröffnen, in welcher Weise die Ge-meinde bei der Begräbnisfeierlichkeit ihr Zugehörigkeitsgefühl kundgeben wolle.
Da rief Christoffel Janett im Hochgefühl seiner Freude:
Wenn die Sache so sei, solle doch die neugegründete Musik-gesellschaft auf den Plan treten! Das scheine ihm die würdigste Repräsentation der Gemeinde zu sein!
Dieser Rat kam mehr als einem in der Versammlung recht und wurde darum bald allgemein gutgeheißen.
Vor allem paßte er Bastian Pitschen Pott. Denn die Blech-musik, welche bereits eine rechte Probe ihres Könnens abgelegt hatte und im Tale als Neuigkeit galt, war angetan, auch den Namen ihres Gründers ehrend hervorzuheben, und es war Bastian Pitschen Pott sehr daran gelegen, daß dieser Name ge-rade in dem Augenblick, da Landammann Mastral Mainis Name erlosch, immer von neuem genannt würde. Denn binnen weni-ger Monate hieß es im ganzen Tale sich über den Namen des neuen Landammanns zu einigen. ...
Bastian Pitschen Pott rechnete damit, daß mit Nennung. der Blechmusik dann von selber auch seine übrigen Taten an das Tageslicht gezogen würden; Taten, die ja nun in nächster Zeit aus Plänen zu Gewißheiten heranreifen würden. Oh, die von Pralöng würden um des errungenen Geläutes und des Glocken-stuhles willen nicht versäumen, mit der nötigen Bewunderung von dem zu reden, der all das endlich zurechtgebogen hatte,trotz Pfaff und Not!
Zugleich aber konnte er in seinem eigenen Hause ein Trümpf-lein ausspielen, an dem ihm ebensoviel gelegen war; denn seine gelbe Schwiegermutter hatte den Kredit zur Anschaffung der Instrumente nur mit größtem Widerstand gebilligt und ihm diese Geldanlage trotz allen Versicherungen, die er immer wieder abgegeben hatte, bei jeder Gelegenheit vorgehalten. Nun kam davon ein unerwartet Zinslein!
ST []Der Vorschlag Christoffel Janetts war aber auch den jungen Musikanten willkommen, welche seit: dem Choral am Pfingst-sonntagmorgen schon von Waldfesten, Anlässen und Ehren-zeichen träumten.
Vor allem aber paßte er Jon Nicola ausgezeichnet in den Kram. Nun kam endlich seine Stunde! Sein Tag brach an, wo er vor einer Versammlung, daran das ganze Tal beteiligt sein würde, seine musikalischen Kenntnisse ausweisen konnte und in einer öffentlichen Sache leitend hervortreten und die Genug-tuung dabei haben konnte, daß selbst sein ehemaliger Neben-buhler sich zu ihm bekehrt und vor aller Augen unter seiner Leitung mitblase.
Als sich nun Josef Mansner erhob und bemerkte, es scheine ihm doch nicht ganz richtig, die Blechmusik schon jetzt auftre-ten zu lassen, nachdem sie vor kaum viel mehr als anderthalb Dutzend Wochen in das Leben gerufen worden sei und für Pra-löng ein eventueller Mißerfolg doch recht unangenehm wäre,verzog Jon Nicola wegwerfend den Mund zum Zeichen, wie gering er dieses Urteil einschätze, welches sachliche Aussetzun-gen und Zweifel gegen sein Können in sich barg.
Jedermann deutete natürlich Josef Mansners Äußerung als ein Zeichen des neu erwachenden Künstlerneides zwischen den beiden Kunstgrößen von Pralöng, dem ein rasches Ende bereitet wurde durch die Abstimmung, welche ergab, daß man allgemein der Ansicht sei, den Rat Christoffel Janetts gutzuheißen und dem Dirigenten der Musikgesellschaft Auftrag zu erteilen, bei der Begräbnisfeierlichkeit mit seinen Kräften würdig mitzu-wirken.
Die getroffenen Maßnahmen einer würdigen Bestattungs-feierlichkeit wurden in Pralöng allgemein mit großer Genug-tuung aufgenommen. Selbst diejenigen, welche bis dahin noch geneigt gewesen waren, bei der Nennung der Blechmusik, deren
82 []Dirigent in mancherlei Fehde verwickelt war, mit den Achseln oder Mundwinkeln zu zucken, äußerten sich zufrieden über die Sache. Alle persönlichen Angelegenheiten und Widerstände traten zurück in dem Augenblick, wo es galt, vor dem Tal die Repräsentationsfähigkeit von Pralöng zu beweisen. Und da war es begreiflicherweise allen recht, mit einer Blechmusik hervor-treten zu können, welche für die vereinzelten Spötter unerwartet genug bewiesen hatte,daß sie leistungsfähig sei. Denn der Pfingst-choral hatte nicht nur Bastian Pitschen Pott und seinem ehelichen Gemahl, sondern noch manch anderem in die Ohren geklungen,wenn auch nicht dermaßen lockend und einschmeichelnd.
Bastian Pitschen Potts Name, welcher von Anfang an mit der Musik verbunden gewesen war, wurde nun in diesen Tagen wie recht und billig oft genannt, und man rühmte allgemein seinen für das Gemeinwesen vorausbedachten Sinn, den er nun doch in manchen Angelegenheiten schon gezeigt habe, und welchen ihm niemand absprechen könne!
Vor allem aber wurde der Takt und die Würde, die er dem Mastral Maini noch im Tode angedeihen lasse, gelobt, obwohl er ja zu seinen Lebzeiten mit demselben gar nicht in allem eines Sinnes gewesen sei. Es sei doch das Zeichen eines nobeln und großen Charakters, einem Gegner im Tode die schuldige Ehre nicht zu versagen.
Man erwartete darum allgemein das Leichenbegängnis mit Spannung, und nie wurde in Pralöng über eine Sache in so kurzer Zeit so vielerlei gewerweißt und so ergiebig geredet. Der hölzerne Brunnen vor dem «Löwen» erfreute sich einer gerade-zu ungewöhnlichen Frequenz, und lustig sprudelte er sein Was-ser in das Weibergewäsch.
Es erging nämlich den Frauen ähnlich wie den Männern.Man fand es für schicklich, in diesen Tagen der Dorftrauer und der kaum zu unterdrückenden Erwartungsneugier und Span-nung alle rein persönlichen Angelegenheiten und Reibereien 83 []hintanzustellen. Die Weiber legten darum, in der Erwartung großer Dinge und ergriffen von dem Repräsentationseifer des ganzen Dörfleins, alle Feindschaften beiseite und schlossen nach stillschweigendem Übereinkommen einen kündbaren Waf-fenstillstand; sie trafen sich wieder an dem alten, ehrwürdigen Brunnen, der schon bei unzählbaren hitzigen Disputen fröhlich und kühl dazwischengeplätschert hatte. Es herrschte an ihm ein reges Leben und Treiben; man nickte und lächelte sich wieder zu und überströmte von Herzlichkeit und Wohlwollen. Etwa so,wie man in einem rechten, ehrbaren Hause bemüht ist, die Stube aufzuräumen und von der vorteilhaftesten Seite zu zeigen,wenn Besuch kommt. Und wie es in einem solchen Falle vor-kommen kann, daß es beim besten Willen nicht möglich ist, in so kurzer Zeit alle Wäsche sauber zu waschen, die in den Ecken herumlag, gibt sich dennoch jedermann Mühe, diese unsaubere Wäsche wenigstens hinter den Ofen oder sonst einem passenden Orte zweckdienlich zu versorgen und den Blicken der Gäste schonungsvoll zu entziehen.
Unzufrieden in Pralöng war einzig Josef Mansner.
Er ertrug die Ehrung nicht, welche Jon Nicola durch diese Herbeiziehung zu einer öffentlichen Angelegenheit so unerwar-tet zuteil wurde. Und all der heimliche Groll des Kirchenorglers,welcher sich gegen seinen Rivalen aufgehäuft hatte, der die zu-gespitzte Situation im Dorfe so schlau zu seinen Gunsten hatte fädeln können, so daß er eigentlich über Nacht Dirigent einer achtköpfigen Blechmusik geworden war, wachte nun aus seiner Unterdrückung mit doppelter und dreifacher Gewalt auf und wurde durch den Umstand, daß ihn Josef Mansner niemandem sagen durfte und machtlos den Beschluß der Gemeinde in bezug auf die Mitwirkung der Musik hatte hinnehmen müssen, zu einer heimlichen furchtbaren Wut gesteigert.
Denn er war seinerzeit der Musik beigetreten, um in keiner Weise den Anschein zu erwecken, als fühle er sich durch diese 8,[]Gründung beleidigt oder zurückgesetzt. Zudem hatte er damit Jon Nicolas kriegerischen, heimtückischen Kirchengesang ab-gestellt, der, in das geistliche Lammsfell der Frömmigkeit ge-hüllt, stets gedroht hatte, seiner Orgelsicherheit in den Rücken zu fahren.
Vor allem aber hatte Josef Mansner damit gerechnet, daß sich für ihn mit Zeit und Gelegenheit als Mitglied der neuen Musikgesellschaft schon das Ränklein finden ließe, mit dessen Hilfe er sein verbeultes, gurgelndes Baßungetüm mit dem leich-ten Taktstock vertauschen könne, oder im schlimmsten Falle hoffte er, der ganzen Blechsache durch einen angezettelten Streit unter den Teilnehmern einmal ein rasches und bestimmtes Finale zu setzen.
Vor allem empfand er es als eine Demütigung ohnegleichen,nun öffentlich unter der Leitung seines Nebenbuhlers mitwirken zu müssen und ihm durch diese Blaserei obendrein zu dem Lor-beer der anerkannten Meisterschaft zu verhelfen.
Weil er sich aber außerstande sah, gegen den einmal gefaßten Beschluß aufzukommen, entschloß er sich, mit Jon Nicola selber darüber zu reden und ihn zu veranlassen, von sich aus von dem Unternehmen zurückzutreten, um so mehr als er glaubte, einen unter allen Umständen einleuchtenden Beweis. für die Unmög-lichkeit der geplanten Musikdarbietung gefunden zu haben.
In frühester Morgenstunde so früh wie er seit Jahren nicht mehr aufgestanden war begab er sich zu Jon Nicola hinüber und fand den Meister im Stall beim Melken.
«He du, Jon! Und was sollen wir denn morgen beim Begräb-nis blasen? Wir haben doch keine Zeit, ein neues Stück zu lernen!»
«Nun, wir blasen den Choral! An Pfingsten ging er ordent-lich; morgen wird er sehr gutklingen! Wir proben heute abend!»
Josef Mansner lachte hellauf, so daß ihn Jon Nicola befrem-det anschaute.
85 []«Du denkst wohl nicht an die Worte, die dieser Choral hat!Du willst also beim Begräbnis des Landammanns ‚Nun danket alle Gott’ spielen? Weißt du auch, daß wir uns bloßstellen wür-den vor dem ganzen Tal?»
Jon Nicola stieß einen Fluch aus.
Er kam unter der Kuh hervor und kraute sich an der Schläfe.
«Entweder heißt es so rasch als möglich an die Arbeit gehen und in anderthalb Tagen eine Leistung zustande bringen, an der wir beim Pfingstchoral wochenlang pusteten oder. die ganze Sache bleiben lassen!» lächelte Josef Mansner schadenfroh:
Aber damit hatte er bereits zu viel gesagt für Jon Nicola,welcher an diesem Begräbnistage für seine dürstende Musikan-tenseele endlich einmal einen rechten Schluck aus der Flasche des Ruhmes zu ergattern hoffte.
Trotzig verlegen sagte er mit rotem Kopf:
«Du weißt es ist beschlossen du weißt wir können nicht mehr zurück. Ich muß sehen, einen Ausweg zu finden. Ich werde am Nachmittag zu dir kommen. In einem Teil hast du ja recht, ich dachte gar nicht an diesen ungeschickten Text ...»
Er hockte aufgeregt wieder unter seine Kuh; und im Wechsel-takt sang der weiße Strahl in den Eimer.
Zufrieden lächelnd schob Josef Mansner heim.
Wenn er aber geglaubt hatte, seinen Gegner dauernd aus dem Sattel der Selbstsicherheit geworfen zu haben, hatte er sich arg verrechnet. Denn es hatte noch nicht Mittag geläutet, so stand Jon Nicola aufgelebt und mutig in Josef Mansners Stube, ganz erfüllt von einem Gedanken.
«Ich habe den Ausweg gefunden, Josef», hob er lebhaft an.«Du wirst sehen, daß es auf die Weise gut gehen wird. Ich habe den Choral gewissermaßen für unsern Zweck umgeschafft. Zu-erst das Tempo: Wir spielen ihn ganz langsam, getragen feier-lich, so daß der Choral nach der Abdankung des Herrn Pfarrers von selber wie ein versöhnendes friedvolles Nachspiel zum
0 []Leben des Herrn Landammanns werden wird. Vor allem aber ist in der steigenden Mittelpartie des Chorals eine Anderung einge-treten, nicht stark, aber eben doch wesentlich. Du weißt, sie lag der Tonfülle unserer Instrumente von Anfang an nicht so recht,es klang zu dünn. Nun hab ich vereinfacht und damit zugleich verstärkt. Eine kleine Idee lang weichen wir einfach ab von der Choralmelodie, ich habe für jene Stelle eine viel einfachere und treffendere Lösung gefunden; aber mir scheint, daß durch diese hineinkomponierte Stelle und die Veränderung des Tem-pos das Ganze eigentlich etwas durchaus Neues wird, ohne daß wir viel Neues zu lernen brauchen. Siehst du, es klingt dann ungefähr: bem, räm, tem, ti, ra, tsim, rassa, tsim, te, ru, tsim,tsim ...»
Ganz hingerissen von sich selber stand er in der Stube, mit einem Fuß den Takt anschlagend, mit der Hand dirigierend, die Augen schloß er halb andächtig, wenn er zu intonieren begann,und zwischeninne wiederholte er. stets von neuem, daß er diese kleine Idee lang abweichen wolle und daß er komponiert habe;es schwirrte nur so von Fachausdrücken, so daß Josef Mansner der Kopf wirbelte und er vor lauter Fis, Gis und Ais selber stille wurde wie eine große, erstaunte Pause.
Und da eine Pause bekanntlich nur dann einen Wert hat,wenn man sie nicht hört, wurde Josef Mansners Stillschweigen immer tiefer; indes es in seinen Augen seltsam heimlich und verborgen funkte, nickte er zustimmend zu diesem ganzen fach-technischen Konzert des Musikmeisters mit ergebenem Kopf-nicken.
Da Jon Nicola diese ehrfürchtige Bewunderung seines Unter-gebenen nicht entging, wurde er seiner Sache noch sicherer, und er brach seine Vorlesung ab mit einem fast vornehm kühlen Hinweis auf die Probe, die abends stattfinden werde, und dem Bemerken, er müsse leider nun weg, da er noch Pflichten im Dorfe habe.en []Sein erster Gang war zu Bastian Pitschen Pott hinüber, dem er von neuem unter der Stalltüre die kleine Idee, welche er kom-poniert habe, auseinandersetzte. Dazu tsimte und tsemte er wie-der wie eine Wespe, die an einem Stubenfenster den Ausweg sucht.
Da Jon Nicola als ein ganzer Künstler offenbar gut bemerkt hatte, daß man gut daran tat, sein Licht nicht allzu bescheiden unter den Scheffel der Demut zu stellen, wenn man wirkliche Erfolge erstrebe, sondern dieses Licht als helle Fackel schwingen muß, selbst wenn dem einen oder andern der Näherstehenden einmal ein feuriges Harztröpflein oder ein hitziges Fünklein in das Gesicht fliegt und ihn recht verdammt brennt, handelte er auch nach dieser Erkenntnis. Und bis zum Betzeitläuten wußte es ganz Pralöng, daß bei der Abdankung die Blechmusik unter der Leitung ihres Dirigenten etwas ganz unerhört Schweres,Komponiertes vorblasen würde. Bei allen Türen hatte er es auf-geregt und immer hastiger herumgesagt: «Ich habe komponiert Ihr werdet sehen an einem Ort müssen wir eine kleine Idee lang abweichen die Melodie lag der Tonfülle unserer Instru-mente nicht ganz, aber ich habe komponiert . . .»
Freilich war bei dieser Zukunftsmusik, die sich Jon Nicola da vormachte, doch ein kleiner Taktfehler mit unterlaufen, wenn er nämlich Josef Mansners Stillschweigen ohne weiteres für Bewunderung ausgelegt hatte. Denn es ist gewiß leichter, sieben Sünder zu Heiligen zu machen, als auch nur einen einzigen Fachmann zu Bewunderung oder Anerkennung zu bringen.
Für Josef Mansner standen natürlich ganz andere Dinge im Vordergrunde. Er sah sich an die Wand gedrückt. Er glaubte nun ganz deutlich zu sehen, daß der Antrag Christoffel Janetts,die Blechmusik zu dem Anlasse beizuziehen, diesem offenbar von Jon Nicola zugesteckt worden war und daß seinem ehrgeizi-gen Nebenbuhler die ganze Begräbnisfeierlichkeit bloß eine
QQ []willkommene Gelegenheit war, sein Können vor aller Welt zu zeigen.
Josef Mansner hatte einen schweren Nachmittag. Je länger er auf seiner Ofenbank über die Sache nachdachte und brütete,desto deutlicher glaubte er das ganze Absichtennetz Jon Nicolas zu entdecken. Und da er sich nach seinem verunglückten Versuch vom Morgen her außerstande sah, das Unternehmen zu vereiteln,fand er schließlich, nach menschlichem Ermessen sei es doch das Ratsamste, gute Miene zum bösen Spiel zu machen und mitzu-blasen, wo andere bliesen.
Freilich muß man sagen, daß Josef Mansners Entschluß,tapfer mitzuhornen und sich nichts anmerken zu lassen, nicht so sehr einer wirklichen Überlegenheit entsprang, sondern einfach der letzte Ausweg war, welcher ihm nun einmal offenstand wenigstens vorläufig!
Als der Herr Dirigent jedoch am Abend bei der Probe von neuem seine lächerliche Posse begann, und er auch dort zusehen mußte, wie ihm die Jünger willig zuhorchten und mit offenem Munde staunten, ansetzten und den Lobgesangschoral richtig zum Trauerstück nach ihres Meisters Inspiration abtuteten, so daß manchem vor lauter Eifer die Wangen blau wurden und die Augen wie auf Stielen nach den Notenblättern starrten und Jon Nicola, der große Mann der Zukunft, welcher das musika-lische Gewicht des ganzen Tales so gut wie in der Tasche hatte,vor denselben dazu eifrig tänzelte, klopfte und korrigierte, da packte ihn eine so ohnmächtige Wut, daß er sich schwor, an seine Geißel den letzten Zwick zu knüpfen!
Mochte denn dieser Meister sich gebärden, als wenn er alle Kunst gepachtet hätte und als ob es alle seiner Größe verdank-ten, daß sie morgen von diesem musikalischen Freudenweinlein trinken durften! Wohlan, wenn er so stolz und sicher als Gast-geber die Flaschen entkorken wollte, so sollte er auch in drei Teufels Namen die Zeche bezahlen!
[809]Viertes Kapitel
Was Wunder, daß man gespannt war, welch eine wunderbare Leiche das geben würde!
Die Spannung wuchs und wuchs, als am Begräbnistage schon zwei Stunden vor der Beerdigung aus Pranöv, Surom, Valdür und Ursulinendorf, ja selbst von den entlegeneren Höfen her sich Trüpplein um Trüpplein von Teilnehmern einstellten, welche vorläufig die Lokale der «Post» sowohl wie des «Löwen» bis zum Erdrücken füllten und sich in ihrer Art das Leben des Land-ammanns noch einmal zurechtlegten und all sein Tun und Las-sen, von dem sie ganze oder‘ halbe Kunde hatten, durch den Spießrutengang ihrer Meinungen gehen ließen.
Dann hob vom Turm das erste Läuten an, die Menge wurde still und umscharte das Haus des Landammanns im Halbkreis.Die vier Träger setzten den Sarg vor die Freitreppe des Hauses nieder. Bleich und ohne eine Bewegung zu verraten stand Frau Landammann daneben. Ihre kleine Gestalt schien noch unschein-barer neben dem Geleite der abgeordneten Gemeindevertreter,aus welchem namentlich Capols und Bastian Pitschen Potts knochige Gestalten hervorragten, die mit gesenkten Häuptern nebeneinander standen und ihre schwarzen Hüte von Zeit zu Zeit in der Hand drehten.
Es war ein strahlend heller Vorsommertag, und prangend spielte er auf dem tiefen Grün der weiten Matten und leuchtete im Widerschein von allen Kämmen nieder in das Tal. Und wohl-gefällig lächelnd warf sich das Licht auch auf die blankgescheuer-
I 00 []ten Instrumente der Blechmusik und spielte mit dreistem Glitzer-glanz neckisch darin, indes dieselbe, noch bescheiden im Hinter-grunde postiert, ihrer Taten harrte.
Dann wurde es still. Das scheue Gewisper verstummte ganz,als der Pfarrer, den radförmigen Amtsmantel über der Schulter,die Treppe betrat.
Er redete lange und ruhig. Er sprach von all dem, was Land-ammann Mastral Maini für das Tal getan habe. Er redete von Verdiensten, die er sich erworben, von dem schweren Schlag, der das Tal betroffen habe. Dann ging er auf die menschlichen Eigenschaften des Verstorbenen über. Man horchte gespannt und lauschte befriedigt. Er rühmte seine Offenheit und den Mut sei-ner freien Meinungsäußerung.
Es herrschte lautlose Stille. Über der dunklen Trauerversamm-lung, die entblösten Hauptes dastand, falterten zwei Kohlweiß-linge in schalkigem Spiel.
Und darum sei es auch für Pralöng ein besonders schwerer Schlag. Aber sein Geist, seine Gesinnung, seine Größe werde weiterleben und Früchte tragen für die Zukunft. Er sei nicht tot;er lebe unter ihnen. Landamman Mastral Maini könne nicht sterben im Tal. Sein Name werde fortklingen in die kommenden Jahre zu den kommenden Geschlechtern.
Der Pfarrer kannte seine Zuhörer und überschaute die Sach-lage gut. Er wußte, wie man eine rechte Totenrede zu bauen hat.Er hatte des Tales Art und Erfahrung in sich aufgenommen und wußte, daß bei der Abdankung einer Persönlichkeit des öffent-lichen Lebens das Totenhemd derselben stets auf Glanz gebügelt werden muß. Er wusch darum Mastral Mainis Wäsche gut und vergaß die Stärke nicht!
Indes schaute Pralöng und das ganze Tal voll ehrfürchtigster Bewunderung nach dem Geistlichen, der alles so geschickt sagen konnte und dessen würdiger Bart in wallender Fülle vom har-
OI []schen Wind hie und da zur Seite geweht wurde. Beim Eid, er war doch gut! Fast so gut wie der von Ursulinendorf!
Der Pfarrer hatte geschlossen.
An der Ecke des Hauses, wo die Blechmusik aufgestellt war,bewegten sich die gleißenden Instrumente. Jon Nicola stand ein wenig erhöht auf einer Kiste.
Dann setzte die Musik ein. Es hob getragen und würdig an,stieg und schritt vorwärts dann kam die Komposition. Aus einem Mißton wurden zwei. Dann entstand ein greuliches Durch-einander. Jon Nicola dirigierte hastiger aber fürchterlich wütete Josef Mansners zorniger Baß dazwischen. Es klang, wie wenn der «Löwen»-Wirt zwei leere Mostfässer nebeneinander über den gepflasterten Steinflur vor dem Hause rollte und die Katze gerät ihm dazwischen.
Mit Mühe und Not fand die üble Sache ein erträgliches Ende und landete der Choral wieder an der Stelle, wo Jon Nicola nicht mehr komponiert hatte.
Es ging ein Zucken über manche Gesichter. Die von Pralöng schauten mit ehernen Mienen unbeweglich drein.
Nach dem Schlußgebet setzte sich der Leichenzug in Bewe-gung und zog feierlich gegen das Friedhöfchen. Vor seinem Tore jedoch löste er sich ziemlich rasch auf.
Ebenso rasch füllten sich die beiden Wirtsstuben von neuem.
Jon Nicola saß schon zu Abwehr und Verteidigung bereit.
Dann begann es. Capol machte natürlich den Anfang.
«Unser Pfarrer weiß, was er redet», hob er trocken und be-dächtig an, «aber was ihr heute auf euern Blechröhren gepfiffen habt, war mehr getrommelt als geblasen.»
Christoffel Janett lachte, daß es schien, als wolle er aus den Nähten gehen. Sein zahnloser Mund stand schief verzerrt, denn selbst während des Lachens pflegte er seine Pfeife nie daraus zu nehmen, sondern ließ sie vorher mit meisterhafter Gewandtheit
92 []einfach in den Mundwinkel hinuntergleiten, wo sie dann ein-geklemmt wie ein schwerer Tannzapfen im Geäst baumelte.
Jon Nicola fuhr auf und wollte mit fachmännischen Aus-drücken sich herausreden, wie es in solchen Fällen am besten ist.Aber der Lärm wurde immer toller. Man schrie, die neue Musik sei gewiß nach den Kirchenglocken gestimmt worden, das gebe nun einen guten Klang zusammen!
Die hitzige Debatte ging stundenlang hin und her. Sie wurde hie und da von einem scharfen Triller des Kanarienvogels, der im Bauer ob dem einzigen Fensterchen hing, wie mit einem Messer durchschnitten, als wolle das Tierchen dem maßlosen Lärm oder dem immer dichter werdenden Tabakdunst Einhalt gebieten, welcher sich als schwere und scharfe Atmosphäre’ im-mer tiefer über die laute Gesellschaft senkte.
Als im Laufe des Nachmittags auch Josef Mansner vergnügt die Wirtsstube betrat und auch er angegriffen wurde, nahm der Meinungskampf eine recht unerwartete Wendung.
Josef Mansner sagte nämlich ganz gelassen, er gebe zu, daß sie alle die Sache nicht ganz gut erfüllt hätten, wie sie zusammen gehofft und erwartet. Er selber müsse gestehen, daß er seiner Partie nicht gewachsen gewesen sei, doch rühre das nur davon her, daß ihm Jon Nicolas Komposition zu schwierig gewesen sei.
In diesem Augenblick fuhr ihm Jon Nicola an den Kragen,und die Sitzung nahm im «Löwen» das übliche Ende mit Gebrüll und Gedröhn.
Schlimm zugerichtet verließ Josef Mansner, welchen sein Dirigent arg zurechtgeklopft hatte, die Wirtsstube, und als spät in der Nacht der «Löwen»-Wirt die Stube räumte, wirkte es auf ihn wie ein schlimmes Vorzeichen für die musikalische Weiter-entwicklung von Pralöng, daß der Kanarienvogel im Bauer auf dem Rücken lag.
93 []Capol, der, als letzter auf dem Plan, den Vogel daliegen sah,welcher im Tabakrauch und Stubenstaub verendet war, rief dem Wirt beim Gutenachtsagen zu, er würde an seiner Stelle der Ge-meinde eine Schadenersatzforderung schicken. Dieselbe könnte ja eventuell aus dem Ertrag der Instrumente entrichtet werden,wenn. über dieselben nicht schon anderweitig verfügt sei he he he!
Als der Wirt etwas verletzt brummte, so weit seien sie vor-läufig in Pralöng noch nicht, und auf jeden Fall würde man nicht nach Pranöv um Geld bitten kommen, knurrte Capol noch draußen auf der Treppe, er wolle wie immer das Beste hoffen;es habe ja in Pralöng nie an ausgezeichneter Führung gefehlt,wenn auch das Schiff niemals vorwärts gekommen sei.
Die musikalische Entwicklung von Pralöng wurde in der Tat durch diese Vorkommnisse und ihr gesellschaftliches Nachspiel keineswegs gehoben.
Jon Nicola fühlte sich in seiner Ehre um so mehr gekränkt,als er seinen Verdacht bestätigt sah, daß an seinem Schiffbruch Josef Mansner die verborgene und tückische Klippe gewesen sei,an der er so übel gestrandet. Er schiumte vor Wut und hatte nicht im Sinne, es bei dem einen handgreiflichen Meinungsaus-tausch im «Löwen» bewenden zu lassen. Diesem Kirchenorgler wollte er zeigen, daß er sich nicht zu scheuen habe, seine Machen-schaften vor aller Welt in das rechte Licht zu stellen!
Freilich ist zu sagen, daß auch Josef Mansner sich klar dar-über war, daß er nun die Sachlage möglichst gut ausnützen müsse, wenn er aus allem Geschehenen Gewinn für seine Ab-sichten ziehen wolle. Und da es offenbar wurde, daß man über die Musik spöttelte, und ihre Fähigkeiten im Tal mit den derb-sten Ausdrücken in das Lächerliche gezogen wurden, befand er sich Jon Nicola gegenüber im Vorteil; denn er verstand es aus-gezeichnet, den Mißmut der sieben anderen Mitspielenden zu
02 []benützen, indem er ihnen die Scham über das Mißlingen ge-schickt in Zorn gegen den hochmütigen Dirigenten auszuwech-seln wußte, welcher durch seine großsprecherische Schwätzerei die Erwartungen im Dorfe ins Maßlose gesteigert habe und des-sen musikalische Unfähigkeit und Leichtfertigkeit sie alle durch eine solche Entgleisung hätten bezahlen müssen.
Als er gar zur Bekräftigung seiner empörten Behauptungen klug berechnend ausstreute, er trete von der Beteiligung zurück,seinetwegen könne diese Baßgurgel blasen wer wolle; er seiner-seits habe es satt, für andere Leute die Lorbeerblätter des Ruh-mes holen zu müssen und dabei in die Dornen und Brennesseln gestoßen zu werden, da nickte bald der und bald jener «ja» und «in der Tat», und Josef Mansner sah, daß der Teig, welchem er seine Hefe zur Zeit beigemischt hatte, gewiß so aufgehen würde,daß er sich daraus das Brötlein backen konnte, nach welchem ihn so gierig gelüstete.
Als in der Montagprobe Jon Nicola einleitend die geschehe-nen Dinge streifte und mit einem rechten Seitenhieb bemerkte,wenn sie weiterhin gedeihlich und erfolgreich zusammenarbeiten wollten, müsse er allerdings von allen Mitgliedern der Gesell-schaft erwarten, daß sie zu ihrem Können auch den guten Willen mitbrächten, und zwar nicht nur in den Proben, sondern auch bei den Darbietungen.
Diese Äußerung kam Josef Mansner mehr als gelegen.
Er warf ein, daß allerdings ein Dirigent die geäußerten Eigen-schaften von den Mitspielenden erwarten dürfe vielleicht dürf-ten aber auch die Mitglieder von einem Dirigenten einiges erwar-ten! Zum Beispiel positive Qualitäten, solide Arbeit! Er stehe nicht ab davon, hier noch einmal zu erklären, daß die ganze Sache in bezug auf die Mitwirkung beim Begräbnis des Land-ammanns von Leuten beschlossen worden sei, die nicht einen blauen Dunst von der Kunst verstünden, und daß ihr Dirigent in viel zu übereifrigem Entgegenkommen darauf eingegangen
95 []sei. Ob nun etwa sie, die einzelnen Mitglieder, die alleinige Ver-antwortung für den Mißerfolg tragen sollten? Ob sich Jon Nicola nicht erinnere, daß aus dem Kreise der Gesellschaft Be-denken gegen das Unternehmen geäußert worden seien? Ob er vergessen habe, daß man sie vor eine ganz neue Aufgabe gestellt hätte? Ob er sich entsinne, daß man ihnen für diese doch ziem-lich schwierige Komposition er brauchte diesen Ausdruck mit einem hämischen Mundwinkelzucken samt und sonders eine einzige Probe eingeräumt habe? Ob eine dermaßen überstürzte und leichtfertige Anordnung jemals an einem einzigen Orte in der Welt für ein gutes Gelingen gebürgt hätte? Man solle die Schuld nur suchen es sei recht , aber man solle sie am rechten Orte suchen. Das sage er nicht allein zu seiner eigenen Ent-lastung, sondern im Namen der Mitglieder!
Als daraufhin die Debatte noch hitziger und erboster wurde,spielte Josef Mansner seinen Trumpf aus. Er stellte seinen Baß vor dem Dirigentenpult nieder, erklärte seinen Austritt aus der Musik und verließ ohne weiteres die Schulstube.
Der Erfolg war, wie er gerechnet hatte. Die Äußerungen wurden daraufhin noch erregter, und schon am andern Morgen ging die Kunde durch Pralöng, die Musikgesellschaft habe sich entzweit und bis auf den Dirigenten aufgelöst!
So war es auch. Jon Nicola hatte spät am Abend Bastian Pitschen Pott geholt, der zwischen dem erbosten Dirigenten und der erbitterten Künstlerschaft vergeblich zu intervenieren suchte. So nahm die Angelegenheit, bei der sich alle Beteiligten beschämt und bloßgestellt vorkamen, ein klägliches Ende.Bastian Pitschen Pott, der Finanzmann und Politiker von Pra-löng, sah sich am Ende neben Jon Nicola allein in der Schul-stube, und rings um sie standen, auf ihre Schallöffnungen ab-gestellt, die Mundstücke nach oben, der Kranz von Instrumen-ten, einer Schar Enten nicht unähnlich, die in friedlicher Gesel-
96 []ligkeit in einem trüben Teiche auf dem Kopfe stehen und nach einem guten Bissen im Wasser suchen.
Der Gemeindepräsident und der Dirigent hatten dann ge-meinsam im Schutze der Dunkelheit die Instrumente aus dem Schulhaus in Bastian Pitschen Potts Wohnung hinübergeschafft und im hintern Hausgang, neben der Schlafzimmertreppe, vor-sichtig deponiert. Sie taten es mit der angesichts der Tatsachen vorläufig etwas kühnen Hoffnung, daß der große Rest des darin steckenden Kapitals durch eine friedliche Neubelebung der musikalischen Interessen später noch gerettet werden könne.
Jon Nicola und Bastian Pitschen Pott verabschiedeten sich an jenem Abend ziemlich niedergeschlagen und ohne viel Worte zu machen. Und währenddem der eine durch die helle Sommer-nacht die Dorfstraße hinaus nach seiner Hütte ging und der Vollmond sich augenscheinlich eine boshafte. Freude daraus machte, seine säbelbeinige untersetze Dirigentengestalt in allen möglichen Verzerrungen auf den taghellen Weg oder die Wie-sen zu schattieren, stieg Bastian Pitschen Pott seufzend die Treppe zur Schlafkammer empor und sann sorgenvoll darüber nach, wie er mit seiner Frau fertig werde und das unsichere Schifflein der inneren häuslichen Angelegenheiten und des Ehe-friedens dermaßen lenken könne, daß es nicht gänzlich um-kippe. Denn durch diese vermaledeite Blechmusik, die da unten im Gange stand, war die Fracht nun wirklich etwas schief gela-den, und er lief Gefahr, auf der Weiterfahrt einiges zu riskieren.
Glücklicherweise fand er seine Frau noch wach. Vorsichtig teilte er ihr die Sachlage mit, stellte sie aber so dar, daß sie nicht für unbedingt verloren genommen werden konnte. Und wie er es stets in solch schweren Sturmeszeiten geübt, bat er sie um ihrer Liebe willen, das Steuer des häuslichen Schiffleins in ihre kundige Hand zu nehmen und auf ihre Weise nach Gutdünken zu lenken. Vor allem bat er sie, die Schwiegermutter zu beruhi-
07 []gen, wußte er doch, daß ein Weib dem Weibe gegenüber Steuer und Segel zugleich bedienen kann.
In richtiger Ahnung hatte Bastian Pitschen Pott die Leitung seines Familienschiffleins in die bewährten Hände seiner Frau gegeben. Denn er sollte mit seinem Kahne, der so vollgeladen mit Absichten war, in einen derartigen Wirbelsturm von wider-streitenden, verzwickten und gefährlichen Winden geraten, daß das Heil der Insassen sowie der ganzen Fracht wesentlich von dem kühlen Blut und der raschen, sicheren Hand abhing, welche das Ganze führte.
Denn seit dem Mißgeschick mit der Blechmusik war es in Bastian Pitschen Pott wie eine dumpfe Ahnung, es könnte am Ende auch mit dem Legate nicht alles so geraten, wie er hoffte und baute.
Hatte er bis dahin in lauter Zuversicht geschwommen und keinen Augenblick an dem gewünschten und so leidenschaftlich begehrten Ausgang gezweifelt, so änderte sich hierin einiges.
In seine Freude, den alten Gegner gründlich schachmatt und seine geschickte Hand sowie alle Befürchtungen, die an seine Persönlichkeit geknüpft waren, außer Spiel zu wissen, mischte sich je länger-je mehr eine Bangigkeit, daß dieser Partner seinen letzten Zug vielleicht doch noch zu einem rechten Schlag be-nützt haben könnte.
Obwohl Bastian Pitschen Pott nicht aufrichtig genug war,sich einzugestehen, daß er im Sinne hatte, durch sein ganzes Gebaren dem Roß, das nun auf dem Rücken lag, und mit wel-chem er so oft umsonst. auf dem Gemeindeplan von Pralöng wettgelaufen war, noch einen rechten Eselstritt zu verabfolgen,so hatte er von früher her doch Grund und Ursache, den Pferde-
2.08 []fuß zu fürchten, den es vielleicht selbst im Tod noch zeigen könnte.
Er machte aus seinen Befürchtungen an jenem Abend seiner Frau gegenüber kein Hehl, denn er fand es besser, sie auf noch heftigere Niederschläge vorzubereiten, da er stets die Erfahrung gemacht hatte, daß sie dann tapfer zu ihm.stand, wenn sie sich auf eine Sache genügend vorbereiten konnte und alle Möglich-keiten mit sicherem Frauenblick zum voraus hatte abwägen und berechnen können. Pflegte sie doch stets zu sagen, die Männer könnten eine Sache wohl gut anreisen, aber sie mit ihren Stie-renschädeln noch schneller zerstören. Denn es komme im Leben nicht allein darauf an, mit Hüst und Hott und Gebrüll den be-ladenen Wagen heil durch das enge Tenntor zu bringen; es gebe auch noch Angelegenheiten, wo die sichere Hand und das kluge Auge den Erfolg ausmachten, die es verstünden, den miß-lichen Faden rasch einzufädeln und mit ihm die rechten Stiche zur Zeit zu tun. Es sei kein Nadelöhr zu fein eine rechte Frau finde dafür einen noch feineren Zwirn. Ein gutes Weib finde noch in jeder Lage einen Weg und Rat; es sei kein Netz so dicht gewoben, daß ein kluges Mücklein nicht eine unregelmäßige Masche finde, daraus man noch entschlüpfen könne; das aber sei gescheiter, als zornig und sinnlos darin herumzuhornussen,was gewöhnlich Männerart sei.
Sie nahm Bastian Pitschen Pott darum immer in Schutz, und er hatte nie etwas von der Schwiegermutter zu fürchten, solange sie in einer Angelegenheit durch ihr Mitwissen gleichsam gei-stige Teilhaberin an den Werken ihres Mannes geworden war.Nur wenn er sich Heimlichkeiten und selbständige Taten hinter ihrem Rücken hatte zuschulden kommen lassen und ihm dann bei diesen voreiligen Ladungen hie und da der Schuß hinten hinaus gerannt war, hatte sie ihm nie Erbarmen und Entgegen-kommen gezeigt, sondern ihn im Verein mit ihrer Mutter stets dafür zu belangen gewußt, so daß er jedesmal deutlich zu spüren
99 []bekommen hatte, was es heißt, Schwiegersohn zu sein, während-dem die Geldkiste noch unter dem Bett der Alten liegt.
An der Bleckmusik lag Bastian Pitschen Pott an und für sich nicht so viel. Er war schließlich durch die Instrumente vor Scha-den gedeckt; und vielleicht wurde das Unternehmen doch noch-mals versucht und konnte er dadurch sein Manko quitt machen!Der Zweck, den sie seinerzeit zu erfüllen gehabt hatte, war er-reicht worden, wenn auch nicht dauernd. Hatte es sich einmal entschieden, ob er dem Kirchturm von Pralöng die beiden neuen Glocken, die ihm schon so lange im Kopfe läuteten, samt Zube-hör durch das Legat verschaffen konnte, so war es;sicher, daß dadurch die Stimmung im Dorfe dermaßen beeinflußt wurde,daß es ein leichtes sein würde, auch diese zornigen Musikanten wieder zusammenzubringen. Diese Kunstkrisis konnte erst ge-fährlich und verhängnisvoll für ihn werden, wenn die Glocken-frage keine befriedigende Lösung fand und vielleicht gar der alte Mastral, füchsisch, wie er stets gewesen, sein eigenes, öffent-lich gegebenes Versprechen zu umgehen gewußt hatte.
Er wurde noch in derselben Woche von dieser verzwickten Ungewißheit befreit.
Am Freitag brachte der Postbote einen schwer versiegelten Brief an die Adresse des Herrn Gemeindepräsidenten von Pra-löng, dem zu der Geldsumme ein zierliches Schreiben beigelegt war:
«Hochgeehrter Herr Präsident!
In dem Schreiben beigeschlossen finden Sie die Summe von Franken zweitausendzweihundert, welche mir mein Gatte, Herr Landammann Maini, mit dem Bemerken übergeben hat, es seien dieselben ganz für die Instandstellung des Kircheninnern zu verwenden. In bezug auf die Glocken und den Glockenstuhl könne die Gemeinde dann nach Belieben walten, da sie seiner-zeit mit den von Herrn Mastral Maini getroffenen Bestimmun-
100 []gen infolge eines kleinen Mißverständnisses nicht einiggehen konnte.
Indem ich die Gelegenheit benütze, Ihnen, sehr geehrter Herr Präsident, für Ihre Anteilnahme während der Erkrankung und beim Hinschied meines Gatten zu danken, bin ich Ihre in vor-züglicher Hochachtung ergebene
Witwe Mastral Maini,Landammanns.»
Bastian Pitschen Pott starrte auf das Papier. Seine Ahnung!
Schweigend reichte er den Brief seiner Frau hin. Diese war schneller gefaßt als er. Den größten Eindruck machte auf sie ihr Mann selber, welcher dermaßen stumm wurde.
«Nun gut, jetzt weiß man, woran man ist, und kann sich darnach einrichten», sagte sie entschlossen und angriffig.
Nicht einen Augenblick ließ sie Steuer und Segel aus der Hand, um so weniger, als sie mit rechter Weibernase fein her-ausspürte, wie tief ihrem lieben Bastian der Schlag ging. Sie konnte sich diese Tatsache um so besser erklären, wußte sie doch, wie oft sie beide seit jenem Abend und dem Pfingstsonn-tagmorgen, da Bastian seine versteckten Pläne vor ihr aufgerollt hatte, miteinander in heimlicher Zwiesprache diese süße Zu-kunftsmusik heraufgezaubert hatten. Besonders abends im Bett,in der Stille ihrer Kammer dem einzigen Orte, wo sie unbe-dingt gesichert waren vor der Schwiegermutter hatten sie im-mer und immer wieder einen Plan nach dem andern besprochen,hatten unzählige Male zusammen die neuen Glocken geläutet,und die Frau hatte um so eifriger dabei gezogen, weil sie wußte,daß diese Glocken das Vorspiel einläuten sollten zu einer ganz anders bedeutungsvollen Sache, zu welcher sie allerdings ganz Pralöng entschlossen auf ihrer Seite haben mußten. Mit der scheuesten Heimlichkeit hatten sie fast regelmäßig nach dem
Glockenaufzug davon zu reden begonnen. Wie hatte sie dann
TIOTF []ihren «Landammann» umarmt und war nicht müde geworden,ihn aufzustacheln nach Frauenart, als sei sie ängstlich, er könnte erlahmen in der hitzigen Jagd nach seinem verborgenen Ziel.
Sie tat dies mit um so mehr Bedacht, weil sie wohl wußte,welchen Einfluß sie auf ihren Mann habe. Und da es um die Ehre ging und die Frauen ehrgeiziger Männer von diesem Fest-weinlein ja gewöhnlich nie genug bekommen, hatte sie den Teig so gut geknetet, daß sie hoffen konnte, er werde auch aufgehen.
Als sie nun sah, wie tief ihrem Manne der Schlag ging, fand sie es gut, das Ihrige in der Sache zu tun.
Währenddem nämlich Bastian Pitschen Pott in seiner Hart-köpfigkeit einen bösen Schachzug seines Gegners wohl gefürch-tet hatte, aber in seiner Besorgnis niemals recht daran hatte glauben wollen, gerade der damit verbundenen Befürchtungen wegen, hatte sie selber diese Möglichkeiten fest in das Auge ge-faßt und damit rechnen und alle Chancen abwägen gelernt.
Für sie war die Sache gerettet in dem Augenblick, da ein Legat vorlag, und darum blieb sie auch ganz gefaßt. Es war ja so einfach: Gelangte man nicht vermittels neuer Glocken an das Ziel, so ging es auf einem andern Wege, dachte sie praktisch.Die Männer sind wohl klug, aber die Frauen sind gescheit!
Für Bastian Pitschen Potts Frau war die ganze Sache eine reine Bewegungsfrage und eine Frage der Geschicklichkeit.Wenn man die Wäsche nicht an der Sonne trocknen kann und sie hängt immer feucht und schwer, da besinnt sich ein rechtes Weib nicht lange, sondern hängt das Zeug difig hinter das Haus,wo das barsche Windlein von der Multa her weht. Wohl duftet die Wäsche, die in der Sonne trocknete, besser, aber wer unter allen Umständen das Hemd wechseln will, fragt schließlich nicht mehr lange nach Duft und derlei Spezialitäten.
Sie war darum unermüdlich, ihrem Manne diese höchst ein-leuchtenden Gedankengänge in dem Augenblik der Not geläu-fig und plausibel zu machen.
102 []Bastian Pitschen Pott war durch die Wendung so sehr be-troffen, daß er sich dankbar an seiner Frau halten lernte. Der alte Fuchs war also im Tode noch Meister über ihn geworden!Im Tode noch hatte er zäh auf seinem Willen bestanden und überließ es nun Pralöng, mit den alten Glocken weiterzuläuten!Er war von Mastral Maini noch im Tode gebodigt worden!
Kein Wunder, daß Bastian Pitschen Pott seine Pläne stran-den sah. Düstern Blickes sah er es kommen, wie diese Lage der Dinge von seinen Gegnern bald ausgenützt würde. Schon hörte er in Gedanken Capol seine Sprüchlein zu dem Handel so gut setzen, daß sie bald jedes Kind auf der Straße ihm nachrufen konnte.
Er bangte um so mehr davor, weil die leide Musikgeschichte derart verkracht war. In seiner übeln Laune würde nun auch Jon Nicola, dessen Wankelmut er zur Genüge kannte, schnell genug wieder mit Capol in derselben Tonart hornen, und wenn einmal die Gemüter von Pralöng mit Pranöv einig waren im Unmut gegen ihn, entstand ein Konzert, zu dem fürwahr seine Zukunftsmusik übel paßte.
Aber Bastian Pitschen Pott lernte bald einsehen, daß er an seiner Frau eine ausgezeichnete Beraterin hatte. Vorläufig sei einmal das Legat in seinen Händen und niemand im Dorfe habe davon genaue Kenntnis, machte sie ihm klar. Es sei doch für ihn ein großer Vorteil, daß er die Lage überschauen, abschätzen und gut ins Auge fassen könne vor allen andern. War das alte Spiel mißglückt und die Karten zusammengeworfen, tat er am besten, sie nun, da die Gelegenheit so freundlich lächelte, kurz entschlossen auf seine Weise noch einmal zu mischen und zu verteilen.
Dank der Mithilfe seines klugen Weibes begann sich Bastian Pitschen Pott von seiner Gemütsabspannung zeitig zu erholen.Nachdem der Wind so tückisch umgeschlagen und er einge-sehen hatte, daß die kluge Hand seiner Frau das Segel zu drehen
103 []verstand, so daß er sich die neue Windrichtung nutzbar machen konnte und daß man mit gedrehtem Segel dennoch in alter Richtung weitersegeln könne, fuhr er mit neuerwachter Tat-kraft sichern Kurses zur Vollendung seines Werkes dem ersehn-ten Hafen entgegen.
Der erste Schritt, welchen er für die Kirchensache tat, war zu Jon Nicola.
Denn gerade durch die in Aussicht stehende Umgestaltung des Kircheninnern, für welche Jon Nicola damals mit so maß-loser Leidenschaft eingetreten war, ließ sich sein Groll, der seit der Abdankung der Blechmusik in ihm fraß, am besten beseiti-gen.
Hatte er erst Jon Nicola neu für sich gewonnen und ihn durch eine neue Hoffnung und durch den vertraulichen Einblick an sich gekettet, welchen er ihm vor der öffentlichen Erledigung in die Angelegenheit gewährte, so konnte er sicher sein, daß der Antrag, welchen er an der Versammlung stellen würde, auch einhellig angenommen wurde. Denn er wußte ja aus Erfahrung,daß für eine Sache in ganz Pralöng niemand als Stimmungs-macher so gut zu gebrauchen war wie Jon Nicola, der Maul für sieben hatte.
Denn Bastian Pitschen Pott war entschlossen, jetzt, da alles dermaßen gegen seinen Strich geraten war, dieses Legat ganz so zu verwenden, daß er sein Zinslein davon zog und ihm zu-gleich die unbeirrbare Treue derer von Pralöng auf die Land-ammannswahlen hin damit so gut gesichert würde, als hätte er ihnen ein neues Kirchengeläute ergattert.
Es schien ihm dabei ratsam, in der Weise zu verfahren, daß Jon Nicola vorläufig in dem festen Glauben gelassen wurde,
+ -104 []es handle sich in erster Linie darum, eın neues Gestühl zu er-stellen. Doch stand es für ihn von Anfang an fest, daß in der Kirche auch nicht eine Stuhllehne geändert werden sollte, da ja der Betrag einfach unter Nennung einer Innenrenovation aus-gesetzt worden war.
Schon des Pfarrers wegen hätte es Bastian Pitschen Pott nie-mals über das Herz gebracht, neue Kirchenstühle hinsetzen zu lassen. Auch nur der Gedanke, daß nun der Pfarrer durch dieses mit so viel Gescher glücklich ergatterte Geld einen Vorteil haben sollte, ließ ihm die Galle überlaufen. Denn er hatte nicht vergessen, wie sehr ihn damals, als der Landammann im Sterben gelegen, der Pfarrer abgeführt hatte und es nicht allein bei einer ruhigen, bestimmten Absage hatte bewenden lassen,sondern sich noch obendrein abschätzige Bemerkungen erlaubt hatte. Wie hätte ihm dieser hohe Herr damals durch eine wahr-haft kleine Gefälligkeit nützen können, ehe er selber auf den glücklichen Gedanken gekommen war, sich hinter die Frau zu machen und mit der «Dame» zu trumpfen. Statt dessen, so schien es jetzt Bastian Pitschen Pott, hatte er ihm eine Handvoll Sägemehl in die Suppe geworfen, die er sich so mühsam zu-rechtgeköchelt hatte. Kein Wunder, daß er sie so schwer ver-daute!
Nun sollte der Pfarrer zu spüren bekommen, wer in Pralöng auf den Kutscherbock der Regierung zu sitzen kam! Wer von Anfang an recht knallt mit der Peitsche und auch ein Zwick-lein nicht scheut, hat besser kutschieren als einer, der nur mit der Zunge schnalzt.
Ja, es war für ihn zum voraus schon eine Herzensfreude, die Sache so zu ränkeln, daß auch der Pfarrer zum Glauben kom-men mußte, er bekomme ein neues Gestühl. Aber im entschei-denden Augenblick wollte er ihm dann die Kirchenbank unter dem Hintern wegziehen, daß er am Boden durch einen harten Stoß aus seinen Träumen erwachen sollte und sich ein für alle-
I05 []mal merken würde, was es hieß, Bastian Pitschen Potts Willen zu mißachten!
Er wollte dann im rechten Moment schon eine Arbeit aus-findig machen, bei welcher alle interessierten Bewohner von Pralöng mitmachen konnten gegen gute Löhnung, so daß jeder-mann von dem Legate einen wirklichen, greifbaren Nutzen hatte, ähnlich wie es in Pranöv bei der Instandstellung des Tur-mes der Fall gewesen war. Und wenn die List gut gelang, so wußte er zum voraus, daß alle aus vollen Kehlen mitlachen würden, wenn man zugunsten der eigenen Tasche die einem doch schließlich näher liegt als der gefräßige Kirchenmagen ein Profitchen machen und dem geistlichen Manne obendrein eines versetzen konnte, was doch schließlich einem «Diener des Herrn» von Zeit zu Zeit nur gut tun konnte, schon deswegen,damit er wieder einmal inne würde, daß die Gemeinde «Herr»sei!
Denn Bastian Pitschen Pott wußte recht gut, daß eine Hand-voll harter Fünfliber im Sack seine lieben Mitchristen besser beruhigen und andächtiger machen würde als das bequemste Gestühl und ihnen sicherlich auch besser im Hosensack klinge als zwei neue Glocken im Turm! Er kalkulierte, daß ein paar Fünfliber im Sack obendrein den Ton auf eine Abstimmung hin gewöhnlich besser treffen als manches schwere Kirchengeläute.
Bastian Pitschen Pott machte darum Jon Nicola klar, daß die Glocken bis auf weiteres erledigt seien. Jedoch habe sich der Landammann durch ihn bestimmen lassen, eine entspre-chende Summe zur Renovation der Kirche zu stiften. Wohl-weislich nannte er dabei keinen Betrag, sondern beschränkte sich darauf hervorzuheben, wie recht es ihm sei, daß eine gründ-liche Erneuerung der Kirche zustande komme. Er habe ja schon bei der letzten Kirchenversammlung auf die Notwendigkeit derselben hingewiesen. Nach seiner Schätzung könne sie nun
)rolf []auch aus dem gestifteten. Betrage durchaus würdig durchgeführt werden.
Als Jon Nicola von einer Innenerneuerung der Kirche reden hörte, spitzte er die Ohren und wurde zugänglich.
Noch zugänglicher wurde er, als Bastian Pitschen Pott ihm auseinandersetzte, er teile ihm diese Sache vor den andern im Vertrauen mit, weil ihm daran liege, daß an der Versammlung,welche die Annahme des Legates und die Erneuerung des Kir-cheninnern zu beschließen habe, ein einmütiger Beschluß zu-stande komme und die Gemeinde nicht wie letztes Mal nach außen ein Bild der Zerrissenheit zeige. Es sei darum unbedingt notwendig, daß die gereifteren Leute sich vorher über den zu fassenden Beschluß verständigten, und er ziehe ihn auch beson-ders deswegen in das Vertrauen, weil er wohl wisse, wie schwe-res Unrecht er durch den Zusammenbruch der Musikgesellschaft habe leiden müssen. Es sei ihm für seine Person auch völlig aus-gemacht, wer der Anstifter zu dieser beschämenden Büberei gewesen sei. Er selber habe ja durch den Verbleib der Instru-mente, die er wohl nicht so schnell wieder verkaufen könne, den allergrößten Schaden erlitten. Allein, er sei der Meinung, daß einmal nach Instandstellung des Kircheninnern sich Gelegen-heit bieten werde, diese Hinterlist Josef Mansners gründlich zu vergelten und einige Dinge in bezug auf Besetzung musikali-scher Posten neu zu prüfen. Die Lust und Freudigkeit unter der Jungmannschaft werde dann von selber wiederkehren und das musikalische Leben könnte dann unter einheitlicher Leitung einen verheißungsvollen Fortgang finden.
Nachdem Bastian Pitschen Pott ihm auf diese Weise die Speckschwarte der Ehren und des Gewinnes umständlich und vorsichtig durch den Mund gezogen hatte, taute Jon Nicola förmlich auf, und Bastian Pitschen Pott konnte hoffen, daß der-selbe zu seinen Gunsten nun gut funktionieren werde.
Jon Nicola versicherte Bastian Pitschen Pott seiner selbstver-
107 []ständlichen, eifrigen Mithilfe und sprach sogar von einer För-derung des kirchlichen Lebens, wenn es gelingen würde, Kirchen-und Dorfmusik unter eine einheitliche, zielbewußte und sach-liche Leitung zu bringen.
Bastian Pitschen Pott lächelte und nickte verständnisvoll, als er die Wirkung seiner Worte bemerkte und das Süpplein im Topf so rasch aufkochen sah, dem er einen Bengel untergelegt hatte.
Dann schüttelten sich die beiden Freunde zu dem neuen Bund ihre kräftigen Hände und schieden.
Wenn Bastian: Pitschen Pott damit gerechnet hatte, daß es leichter ist, einen eiteln Menschen zu fangen als eine Fliege an der Wand, so hatte er richtig kalkuliert.
Jon Nicola blieb in schweren Gedanken zurück. Es sagte sei-ner maßlosen Eitelkeit gut zu, daß Bastian ihn dermaßen in das Vertrauen gezogen hatte. Er verschlang diesen Eitelkeitsköder gierig und merkte nicht, wie fein das Häklein darin verborgen war, durch welches er sachte in Bastian Pitschen Potts Bereich der Absichten gezogen werden sollte.
In seinem Kopfe orgelte es bereits, und zwar nicht allein von Kirchenliedern, die er an Josef Mansners Stelle viel trefflicher spielen wollte; nein, eine ganz neu erstandene Blechmusik, vor welcher er den Taktstock wiederum schwang, klang darin mit.Und wer weiß, ob dann aus dieser Blechmusik von Pralöng nicht eine Talmusik würde, mit einer ganz andern Beteiligung und einem ganz andern Ansehen ...
Als er aus seinen üppigen Phantasien erwachte, beschloß er,seiner Sache vorläufig durch vermehrten Besuch der Gottes-dienste vorzuarbeiten und durch seinen wiederaufgenommenen Wettgesang Josef Mansner entweder zum Sturz oder doch zu andauernder Unsicherheit zu bringen. Welch ein Triumph wäre es für ihn, auf solche Art jene heimtückische Entgleisung beim Grabchoral durch eine Bloßstellung in der Kirche prompt zu
108 []quittieren und den eitlen Dilettanten von der Orgelhöhe seiner eigenen Aufgeblasenheit in den Katzenjammer der Überflüssig-keit hinunterzustürzen!
Vor allem aber war er gewillt, Bastian Pitschen Pott, gegen dessen sichere Führerschaft eben in Pralöng doch keiner auf-kommen konnte, den Boden zu einer ersprießlichen Kirchen-versammlung zu ebnen.
Er begann schon am Nachmittag, diesen schönen Vorsatz zur Tat zu machen und ging in das Dorf. Er stand hier eine Weile still und erkundigte sich dort mit wichtiger Miene, ob man noch nichts Genaues wisse vom Legate des Landammanns?
Da man überall verneinte, trat er bei Murezzi Pintur eine Weile unter die Stalltür und fragte auch ihn. Als ihm auch dort der Bescheid gegeben wurde, niemand wisse etwas Be-stimmtes von der Sache, warf er ein, er hoffe nur, daß alles dies-mal anstandslos verlaufen werde; es sei schon wegen des Rufes,in welchen Pralöng sonst käme. Er selber habe doch hinterher den Eindruck bekommen, es wäre gut gewesen, Bastian Pitschen Pott in allem gewähren zu lassen. Er sei eben doch ein Mann,dem die Zukunft gehöre, und man müsse doch anerkennen, daß er der einzige gewesen sei, der jemals gegen Mastral Maini habe auftreten dürfen. Im übrigen wolle er ja gegen keinen von bei-den etwas sagen; er sei mit dem einen gut gestanden und habe mit dem andern auch schon Gemeindekorn gedroschen, womit er auf seine hitzigen Debatten und Streitigkeiten abzielte, durch welche er im ganzen Tal berüchtigt worden war.
Erst zum Melken ging er heim. Kaum war er damit fertig geworden, litt es ihn nicht mehr länger. Trotz dem Gekeife sei-ner Frau, es sei wieder, wie wenn ihn der Teufel in ein neues Unternehmen reite, seitdem dieser Bastian Pitschen Pott dagewe-sen sei, ging er am Abend noch in die «Post» zu einem Schoppen.
Bastian Pitschen Pott saß bereits dort vor seinem zweiten Halbliter. Er hatte einen roten Kopf wie ein Schwefelzünd-
100 []hölzchen und war eitel Zufriedenheit. Bis um zehn Uhr hatte sich eine ganze Gesellschaft zusammengefunden. Man war guter Stimmung, und jeder merkte dem andern frohe Erwartungs-laune an. Man stieß an, sprach, diskutierte und war ein Herz und eine Seele. Jon Nicola passierte es sogar beim Anstoßen,daß er zu Bastian Pitschen Pott statt «Gesundheit!» ein «Gut Glück!» nickte, was übrigens von niemandem weiter beachtet und von Bastian Pitschen Pott als gutes Zeichen aufgenommen wurde. Er sah, daß seine Sache erwünscht stand. Die Karten waren gemischt und verteilt, der Jaß konnte beginnen. Gut Glück!
Es wurde spät nach Mitternacht, ehe man auseinanderging.Lautes Gelächter schallte die Dorfstraße hinauf. Die Jungen stimmten einen Gassenhauer an.
Zuhinterst schritt Bastian Pitschen Pott neben Jon Nicola.Sie gingen dicht nebeneinander, und Jon Nicola flüsterte halb-laut und wichtigtuerisch.
Bastian Pitschen Pott achtete dessen nicht groß; er war schwer berauscht. Nur soviel verstand und merkte er gut, daß er einen eifrigen Jünger hatte, der das Maul für ihn auftat. Er hatte an dem Abend wohl verspürt, wie aller Blicke vertraut und ach-tungsvoll auf ihm geruht hatten.
So unsicher seine Beine waren, so sicher war er seiner Sache.Er glich einem feinen Weinkenner, der, schon ehe er einen Schluck getan, die Marke kennt, wenn er das Glas an seine Nase hält und die Blume ihm entgegenduftet.
Mit heißem Kopf stieg er die ausgetretene Holztreppe vor seinem Hause hinauf und hielt sich mühsam an der Lehne. Dann tappte er sich zur Türe und stand endlich in dem dunkeln Haus-gang, wohlbedacht, den Aufstieg in die Kammer unter Um-gehung aller unnötigen Geräusche zu bewerkstelligen. Frauen wollen im Schlafe nicht gerne gestört sein wenigstens Schwie-germütter nicht!
IIO []Leider mißriet ihm diese wohlgemeinte Absicht ganz und gar. Er fand sich in dem dunkeln Hausflur nicht mehr zurecht und stolperte in seine abgestellte Blechmusik hinein, daß es eine Art hatte. Und da er im Bemühen, mit den Händen zuzugreifen,selber das Gleichgewicht verlor und mit einem nicht mehr zu-rückzuhaltenden Fluch unter seinen Instrumenten lag, wie eine Kegelkugel, bei der aus einem Zweier ein Volltreffer wurde,klang und polterte es durch das stille Haus: Tschong, bom,1
Als der Präsident der löblichen Gemeinde Pralöng endlich Kopf und Hals wiederum frei hatte und richtig auf den Füßen stand, leuchtete ihm im Nachthemd von der obern Treppe hin-unter die hagere, hohe Gestalt der Schwiegermutter mit der Laterne, und zwar in so deutlicher Weise, daß er trotz seinem Zustand alles noch recht gut verstehen konnte, aber mit seinen unklaren, weinseligen Bemerkungen und Entschuldigungen nicht dagegen aufzukommen vermochte und es daher vorzog,seinen schwankenden Kahn rasch in die sichere Schlafkammer einlaufen zu lassen, ohne sich weitere Mühe zu geben, ehrenvoll aus der Situation, der er nicht. gewachsen war, hervorzugehen.
LIT []
Fünftes Kapitel
Die Kirchenversammlung, welche Bastian Pitschen Pott auf den Freitag in den «Löwen» einberufen hatte, wurde eine eigent-liche Volksversammlung. Das enge Lokal faßte kaum die Schar.Es herrschte eine ungewöhnlich gehobene Stimmung, denn in-zwischen war doch, selbst durch die bekanntlich gut verschlos-sene Blechbüchse der Amtsverschwiegenheit, so viel durchge-sickert, daß eine frohe Post zu empfangen sei. Es wirbelte durch-einander von Mutmaßungen. Die einen behaupteten, der Land-ammann habe neue Glocken samt dem Gestühl gestiftet; die andern wollten etwas von einem neuen Kirchenfonds wissen;dritte prophezeiten, er habe eine Stiftung mit vielen Klauseln gemacht. Alle aber waren darin einig, daß es heute abend gelte,die Hand zum Nehmen zu öffnen und zu feiern. Wußte man auch noch nicht recht, wie die Sache herauskommen würde, so harrte man doch freudigen Sinnes auf die Ankunft Bastian Pitschen Potts. Sie waren fast wie Gevattersleute, die bei einer Kindstaufe vergnügt vor den Tellern sitzen und warten, bis die Weiber aufzutischen beginnen.
Bastian Pitschen Pott ließ ihre Neugier denn auch nicht all-zulange lüstern. Er eröffnete die Versammlung mit einer gelas-senen ruhigen Einleitung, rief ihnen noch einmal das Andenken ihres unvergeßlichen, hochgeschätzten, allgemein geliebten Landammanns in Erinnerung, der jahrelang uneigennützig für das Tal gearbeitet habe. In einem Nebensätzlein brachte er auch geschickt an, daß Prälong stolz darauf sein dürfe, dasjenige Dorf
RK LI?[]im Tale zu sein, welches den Herrn Landammann, ihre einfluß-reichste Obrigkeit, zum Bürger gehabt und beherbergt habe.Herr Mastral Maini habe auch gezeigt, wie sehr. er an dem Dorfe gehangen habe, indem er in einem Legate der Gemeinde zweitausendzweihundert Franken vermacht habe, welche ihm bereits von der Erbin zugestellt worden seien. Dieselben sollten nach dem Willen des verehrten Verblichenen dazu verwendet werden, das Innere des Gotteshauses derart zu erneuern, daß es sich würdig präsentiere, und er hoffe, die Gemeinde werde da-durch auch angeregt, bald die Glocken des Turmes dement-sprechend zu ersetzen. Jedenfalls sei man einmal einen großen Schritt vorwärts gekommen, und der Landammann habe seinen gottesfürchtigen Sinn nicht allein durch diese Schenkung be-wiesen, sondern auch darin, daß er ihnen in der Glockenfrage,in welcher er seinerzeit mit der Gemeindeleitung nicht ganz einiggehen konnte, freie Wahl gelassen habe und seine Gabe zu einem Zwecke bestimmt hätte, der ganz getrennt von jener Sache für sich sofort in Angriff genommen werden könne. Er denke, daß er im Sinne jedermanns gehandelt habe, wenn er diese Schenkung im Namen der löblichen Gemeinde Pralöng angenommen und bereits verdankt habe. Er sei aber der Mei-nung, es sollte noch durch eine besonders zu ernennende Dele-gation der hinterbliebenen Frau Landammann der Dank der Kirchgemeinde und der politischen Gemeinde ausgesprochen werden.
Nachdem man diese Kommission mit vergnügtem Wohl-wollen rasch gewählt hatte und mit der Aufgabe Bastian Pit-schen Pott selber, Jon Nicola und der alte Schulmeister Dumeng Bizoch betraut worden waren, erhob sich Bastian von neuem und legte der Gemeinde dar, worum es sich bei einer kirchlichen Innenrenovation handeln müsse.
Er sprach mit größter Ruhe und Sicherheit und war der Sache dermaßen gewachsen, daß er auch nicht einen Augenblick sein [I3 []Ziel aus den Augen verlor und mit jedem Worte auf den Zweck seiner Sache hinarbeitete.
An ihrem Kirchlein sei ja eingestandenermaßen eigentlich alles außer den Mauern erneuerungsbedürftig. Gerade deswegen begrüße er es ja, daß der Herr Landammann selig den ersten Schritt zur Instandstellung getan habe. Er denke jetzt nach dem Willen des Testators in erster Linie an das eigentliche Kirchen-innere: An die rissige Decke, welche seit Menschengedenken nicht mehr gereinigt worden sei. Sie sei jetzt von kleinen Rissen wie mit einem Netze überzogen und sollte, wie die Seitenwände auch, unbedingt neu gekalkt werden. Bei dieser Gelegenheit ließe es sich. dann natürlich überlegen, ob man der Decke nicht zugleich durch einen tüchtigen Maler einen verschönernden,künstlerischen Anstrich geben sollte, ähnlich wie dies vor Jah-ren bereits mit der Kanzel geschehen sei.
Sodann seien aber die Fenster des Chores wirklich schadhaft.Aber dort könne es sich mitnichten um ein bloßes Flickwerk handeln, sondern man müßte sich in diesem Falle entschließen,zum mindesten die drei an der Wetterseite ohne weiteres durch neue zu ersetzen.
Ebenso schlimm sei es natürlich mit dem Wandgetäfer be-stellt, welches bis zu halber Brusthöhe das Kircheninnere um-kleide. Vielleicht hätten es die wenigsten beachtet, daß durch die Feuchtigkeit dasselbe unten zum Teil ganz durchfault sei in all den Jahren. Auch da wäre eine gründliche Änderung zu wünschen.
Bereits erwähnt worden sei in früheren Meinungsäußerungen sodann das. Kirchengestühl, das nicht schadhaft, wohl aber höchst unbequem zu nennen sei. Darüber brauche er wohl gar keine Worte mehr zu verlieren; jeder habe es gewiß schon am eigenen Leibe erfahren, daß in den Kirchenstühlen von Pralöng noch niemand der Bänke wegen eingeschlafen sei.
I1I4 []Kurzum, alle sähen wohl, daß die Stiftung des Herrn Maini nicht unangebracht gewesen sei.
Es frage sich jetzt nur, wie man vorgehen wolle. Ob man eine einheitliche Gesamtreparatur vornehmen wolle, wobei dann freilich die Gemeinde damit zu rechnen hätte, daß sie eventuell aus der Kirchen- oder Gemeindekasse einen kleine-ren oder größeren Zuschuß gewähren müßte.
Es bliebe aber auch ein anderer Weg offen: Man könnte nach und nach aus dem gestifteten Gelde einen nach dem andern der genannten Schäden verbessern, soweit eben der Be-trag reiche.
In diesem letztern Falle wäre man vor Nachtragszahlungen und erhöhten Steuern gesichert; aber man müßte sich dann allerdings entscheiden, welche der genannten Erneuerungen zuerst in Angriff genommen werden müßte.
Er überlasse es jetzt der Versammlung, sich zu der Angele-genheit frei zu äußern, deren gemeinnützige Erledigung gewiß allen gleicherweise am Herzen liege.
Er setzte sich lächelnd. Die Sache war gut geraten! Er fühlte sich sicher im Elemente.
Langsam und zögernd kamen die Meinungsäußerungen in Fluß. Da Bastian Pitschen Pott mit feiner Berechnung darauf hingewiesen hatte, daß man mit einer Nachtragszahlung der Gemeinde rechnen müsse, wenn man eine einheitliche Gesamt-erneuerung durchführen wolle, war man allgemein der Ansicht,es sei ein Gebot der Besonnenheit und weiser Gemeindeverwal-tung, schrittweise vorzugehen und nicht allzuviel auf. einmal vorzunehmen. Es sei nicht im Interesse der Gemeinde, wenn die Kassen über Gebühr belastet würden durch derlei Ausgaben;denn dadurch würden ja nur die Steuern, welche auf allen so schwer drückten, noch mehr vergrößert.
II5 []Mit großem Wohlgefallen und beifälligem Kopfnicken nahm Bastian Pitschen Pott diese Äußerungen entgegen und ließ dann abstimmen.
Einhellig wurde beschlossen, es seien die zweitausendzwei-hundert Franken zu einer angemessenen Erneuerung des Kir-cheninnern zu verwenden, in der Weise, daß man dasselbe nach und nach neu gestalte, soweit der ausgesetzte Betrag es erlaube.
Ungleich viel lebhafter wurde Rede und Gegenrede, als dar-auf die Frage gelöst werden sollte, welche der genannten Arbei-ten, die Bastian Pitschen Pott mit solch ausgerechneter Art zum voraus geschildert hatte, zuerst in Angriff genommen werden sollte.
Augenblicklich entstanden drei Gruppen, und es war un-schwer zu erkennen, daß eine jede ihren geistigen Führer hatte,den das finanzielle Interesse seines Handwerks in Eifer und Hitze versetzte. Wenn der Teufel ja in einer Gemeinde das unterste zuoberst kehren will, so greift er in den Sack und macht ein Legzat.
Gleich zu Beginn tat sich besonders der alte Bizoch hervor:
Wenn man in diesen Sachen etwas tun wolle, sollten zuerst die Fenster gemacht werden. Auch das faule Getäfer sollte her-gestellt werden. Was hülfen ihm die schönsten Reparaturen,und was nütze ihm überhaupt ein ganz neues Kircheninneres,wenn es durch die Fenster ziehe wie durch ein Kamin? Er ge-stehe hier. offen ein, daß ihn persönlich nichts anderes vom Gottesdienste fernhalte als die ewige Zugluft, welche vom Chore her zur Türe hinüberwehe, und älteren Leuten könne es gewiß niemand verargen, wenn ihnen schließlich in diesem Zuge die Frömmigkeit abhanden komme; denn man könne vom besten Christen denn doch nicht erwarten, daß er der Kirche wegen seine Rheumatismen geradezu kultiviere. Zudem wolle er noch bemerken, daß die Fäulnis in dem Kirchengetäfer nach seiner Meinung viel weniger von der Feuchtigkeit der Mauer als
1TG []von der Feuchtigkeit der Kirchenluft herrühre, welche durch die ganz und gar mangelhaften Fensterrahmen eindringe und in das Getäfer sitze.
Manche nickten Beifall, hatte er doch eine nicht unbeträcht-liche Anzahl von Vettern um sich und auch ein Trüpplein armer Schuldner, welche wußten, daß sie ihm mit ihren Pöst-chen und rückständigen Zinslein auch unbedingte Nachfolg-schaft schuldeten.
Die Mehrzahl der Zuhörer blickten jedoch mit unbeweg-lichen Gesichtern, sogen eifriger an ihren Pfeifen und schienen von seiner Argumentation nicht sonderlich überzeugt und von seinem Vorschlage nicht erbaut. Wußte man doch zu gut, daß er einen Sohn hatte, der zuerst das Küferhandwerk hätte lernen sollen, sich aber als unfähig dazu erwiesen hatte und nun da-heim ein wenig: herumtischlerte und als Allerweltsflicker im Dorfe unter dem Spottnamen der «Scheibenküfer» ein ziemlich ruhmloses Dasein neben seinem einflußreichen Vater fristete und von diesem selten ein gutes Wort bekam; nun aber erschien er diesem doch gut genug, um des Gewinnes willen dem Got-teshaus neue Fensterrahmen und ein Getäfer zurechtzubosseln.
Josef Mansner, der sonst kaum je einmal dem hohen Herrn Bizoch in einer Sache dawidergeredet hatte, erinnerte sich nun aber in dieser Stunde seiner künstlerischen Fähigkeiten auf dem Gebiete der Malerei, wovon im Tale so manche Türe und mancher Kasten ein verblümtes Zeugnis ablegte:
Er wolle zwar dies müsse er vorausschicken die Richtig-keit dessen, was Herr Dumeng Bizoch soeben gesagt habe, nicht etwa in Zweifel stellen, wenngleich er selber, der doch jeden Sonntag seiner Pflichten wegen in der Kirche zu sitzen habe,beim besten Willen den Durchzug in der Kirche noch nicht dermaßen habe herausspüren können, obwohl er doch an seiner Orgel an einem recht exponierten Orte sitze und der Zugluft in erster Linie ausgesetzt sein müßte. Es handle sich bei einer Innen-
EI []erneuerung der Kirche aber darum, scheine ihm, das Gotteshaus würdiger, feierlicher und kirchlicher auszugestalten. Es scheine ihm, daß man dem heiligen Raume nachher etwas ansehen sollte, daß ein so namhafter Betrag zu dessen Verschönerung gestiftet worden sei. Darum meine er, könne es sich in erster Linie doch wohl nur darum handeln, die Ausmalung der Kirche,welche doch zugestandenermaßen mit Ausnahme der Kanzel sehr zu wünschen übriglasse, sogleich in Angriff zu nehmen.Auch sei diese Arbeit nicht mit so bedeutenden Kosten verbun-den, daß man nicht dessen ungeachtet sofort nach ihrer Voll-endung die Erneuerung der Fensterrahmen und des Getäfers durchführen könne.
Da hielt es Jon Nicola nicht mehr aus. Das Blut stieg ihm jäh in den Kopf, als er seinen Leidwerker, diesen verhaßten Kirchen-musikanten, so geölt und ausgerechnet reden hörte. Kaum hatte Josef Mansner geschlossen, schoß er schon auf, ohne vom Präsi-denten erst das Wort erhalten zu haben:
Er müsse denn doch fragen, was in einem Gotteshause die Hauptsache sei. Ob die Mängel der Fenster überhaupt ernsthaft in Frage kämen? In mancher Stube seien die Fenster schlechter daran als in der Kirche, und man lebe auch. Man solle erst ein-mal gründlich verkitten lassen und den Kitt nicht sparen, so werde man sehen, daß nicht der Atem eines Kindes mehr durch die Scheiben winde. Von dem Getäfer sage er gar nichts da müsse er Herrn Bizoch durchaus beistimmen, obgleich es einem wirklichen Fachmann klar sei, daß die genannten Ursachen der Fäulnis falsch seien. Die Fäulnis stamme von der Bodenfeuch-tigkeit her, darum faule auch das Getäfer von unten herauf.Diesem Übelstand wäre ohne weiteres abzuhelfen, wenn unter den Bänken ein guter Holzboden angelegt würde.
Vor allem aber müsse er sich in aller Schärfe gegen Herrn Josef Mansner wenden; er könne sich da kurz fassen, indem er eine einzige Frage an die Gemeinde richte: Wer denn eigent-
ITI8 []lich etwas von einer bemalten Kirchendecke habe? Ob es zum Beispiel nicht zehnmal wichtiger wäre, endlich einmal mit dem alten Gestühl abzufahren, welches wie ein vorsintflutliches Kno-chengerippe sich in ihrer Kirche breitmache! Ob man nicht allen, Kindern sowohl wie gebrochenen Greisen und den Frauen,aber auch allen Männern die größte Wohltat erweise, wenn man endlich einmal Stühle errichte, in denen sich sitzen lasse! Er wolle zum Beispiel nur den Namen der Frau Mastral selber nennen, die bekanntlich zu den besten Kirchenbesucherinnen gehöre und zwar nicht etwa allein des Orgelspiels wegen ; ob man nicht einsehe, daß solche Leute doch wahrhaftig an ganz andere Sitzgelegenheiten gewöhnt seien. Aber ganz abgesehen davon, wolle er einmal fragen: ob man denn wirklich verpflich-tet sei, in der Kirche eine geschlagene Stunde lang auf diesen sogenannten Bänken zu sitzen, die schlimmer seien als Faß-lager; welche Lehnen hätten, an die man nicht lehnen dürfe,und deren Sitzflächen derart bearbeitet seien, daß jeder von ihnen, der den Gottesdienst besuche, aus eigenster Erfahrung wisse, daß einem darin die Beine todsicher einschlafen, was ge-wiß unangenehmer für den betreffenden Besucher sei, als wenn der ganze Mann eingeschlafen wäre. Oder ob man etwa meine,es sei ein besonders gottwohlgefälliges asketisches Werk, die Sitzfläche und die Beine in der Kirche derart malträtieren zu lassen? Er könne darin nichts Verdienstliches sehen, oder jeden-falls sehe er nicht ein, warum es dann nicht ebenso gottwohl-gefällig sei, wenn die obere Körperhälfte dieses verdienstliche Werk besorge!
Ermutigt durch ein schallendes Gelächter, welches seine theo-logischen Randglossen begleitet hatte, fuhr er eifrig fort, er stelle den Antrag, man solle Beschluß fassen, es seien zualler-erst, ehe auch nur ein Franken des gestifteten Geldes ausgege-ben werde, die Bänke vollständig zu erneuern durch ein würdi-ges, bequemes und angenehmes Gestühl.
119 []Josef Mansner biß ärgerlich auf das Mundstück seiner Pfeife.Dem alten Bizoch aber schwollen an der Stirne die Adern über den verwünschten Widerstand; er sperrte den Mund schon auf,ehe er imstande war, vor Zorn etwas zu sagen.
Bastian Pitschen Pott sah, daß das Feuer aus allen Herd-löchern flackerte, auf denen sich jeder der drei Redner seinen Schmarren kochen wollte. Er hatte dies kommen sehen, ja, fest damit gerechnet. Nichts hätte ihm den Faden seiner Absichten besser zwirnen können. Nun aber knüpfte er in bestimmter Rede seinen Faden zum festen Knoten:
Er sehe und habe auch damit gerechnet, daß man sich nicht von Anfang an inder Lösung der Frage einigen könne. Er sei der Meinung, daß diese Sache aber auch nicht unbedingt heute abend gelöst werden müsse. Man sei ja in Pralöng nicht so weit auseinander und könne in aller Ruhe und Gelassenheit über diese wichtige Angelegenheit wieder reden. Es täte ihm wirk-lich leid, wenn die Sache überstürzt würde, schon darum, weil er den andern Gemeinden nicht gerne von neuem das betrübende Schauspiel der Uneinigkeit geben möchte. Es scheine ihm, daß sie alle überzeugt seien, man müsse sich der Sache warm anneh-men und von diesem Standpunkt aus betrachtet, freue ihn wirk-lich die ungehemmte Äußerung der verschiedenen Meinungen.Eine jede habe ja etwas für sich, und es sei keine einzige darun-ter, die man ohne weiteres von der Hand weisen sollte. Nur möchte er, in Rücksicht auf das Ansehen der Gemeinde Pralöng und des Stifters, alle herzlich bitten, die Sache in Ruhe und Kaltblütigkeit zu überlegen.
Und wenn die Versammlung ihm nun gestatten wolle, in der Angelegenheit des nähern etwas zu sagen, so sei es in Kürze dies: Getäfer, Holzboden, Fenster und Gestühl, alle erneuerungs-bedürftig wenn auch nicht in dem gleichen Grade , heischten zur Erstellung Holz! Dieses Holz könnten sie aber aus ihren weiten Gemeindewaldungen zum laufenden Preise abgeben. Es
120 []scheine ihm, man sollte dies einmal festhalten, um so mehr, als ja in nächster Zeit sowieso ein großer Holzschlag vorgenom-men werden müsse. Die Kirchgemeinde solle da zugreifen und sich von den schönsten Stämmen eine rechte Anzahl. sichern.Sie könne dieses Holz vorläufig in der Talsäge verbrettern las-sen und dann aufbewahren, bis die Bretter durch und durch getrocknet seien. Bis dann werde man ja gewiß einig werden,welche der genannten Holzarbeiten man zuerst in Angriff neh-men wolle, und es sei dann von Nutzen, genügend dürres Holz bereit zu haben, damit sogleich nach dem Beschluß die Sache ausgeführt werden könne und keine Zeit mehr verloren werde.
Damit sei auch. der Vorschlag einer würdigen Ausmalung der Wandflächen keineswegs von der Hand gewiesen, da Josef Mansner selber betont habe, daß es sich dabei nicht um bedeu-tende Auslagen handle. Ja, selbst wenn diese Ausmalung der Kirche zuerst zur Ausführung gelangen sollte und von den Holzarbeiten nur ein Teil der genannten, so blieben der Kirch-gemeinde immer noch die Bretter, die man getrocknet von einem Tag auf den andern wiederum losschlagen könne, viel-leicht sogar noch mit Gewinn, falls man ihrer nur teilweise be-dürfe.
Der Gemeinde aber täte es gut, etwas Holz abgeben zu kön-nen. Sie alle hätten ja schließlich den Gewinn davon, wenn die Erträgnisse der Gemeindewaldungen zum Besten des Ganzen und zur Erleichterung der Gemeindelasten tunlichst gesteigert würden. Damit wolle er aber den Beschlüssen in keiner Weise vorgreifen. Er habe hier nur das gesagt, was ihm als Mitchrist und Mitbürger von Pralöng gut und ratsam scheine und vor allem verhindere, daß man die Beschlüsse voreilig überstürze.
Der Vorschlag Bastian Pitschen Potts bestach alle. Dumeng Bizoch sowohl wie Jon Nicola sahen darin einen geheimen Wink, daß ihre Begehren erfüllt würden und vorerst nur noch der gangbarste Weg zu deren Ausführung gesucht werden
IT []müsse. Auch Josef Mansner schien es, seine Sache stehe auf guten Füßen, denn er glaubte herauszuhören, daß es sich nur um Fenster und Getäfer oder Kirchenstühle handeln könne und also auf jeden Fall noch so viel übrigbliebe, daß seine Kunst in Tätigkeit geraten und sein Geldsäckel gefüllt würde.
Der Mehrzahl gefiel dieser Vorschlag aber deswegen, weil sie darin die Stärkung ihrer ewig leeren Gemeindekasse sahen und bereits von einem Jahresabschluß mit bloß halben Wiesen-und Weidgeldern und verminderten Steuern träumten.
Als Bastian Pitschen Pott darum zur Abstimmung schritt und Vorschläge gemacht werden sollten, einen wie großen Teil des Betrages man auswerfen wolle, um der Kirche das notwen-dige Bretterholz zu verschaffen, griff kein Vorschlag zu niedrig,und man einigte sich bald darauf hin, daß für achthundert Fran-ken Stammholz von der politischen Gemeinde gekauft werden und das Sägegeld sowie die Fuhren von der Kirchen- und Ge-meindekasse gemeinsam bestritten werden sollten.
Bastian Pitschen Pott betrieb die Lieferung dieses Holzes mit einer geradezu fieberhaften Eile und betonte stets, man wolle doch der Frau Landammann zeigen, daß etwas in der Sache ge-schehe. Es dürfe nicht den Anschein haben, als werde die Gabe wohl hingenommen, aber die Ausführung auf die lange Warte-bank geschoben. Es sei Gemeindeinteresse und Anstandspflicht,die Sache nun rasch zu einem erfreulichen Anfang zu fördern.
Bastian Pitschen Pott war um so eifriger am Werke, als bald nach dem Hinschied des Landammanns, schon wenige Tage nach dem Begräbnis, unklare Gerüchte aufgetaucht waren, die Frau Landammann beabsichtige das Tal zu verlassen und wie-derum nach Frankreich zu ziehen. Diese Gerüchte entbehrten jedoch vollständig der Grundlage, und die meisten hielten sie für eine bare Vermutung, da die Frau ja mit niemandem Ver-kehr pflegte. Bastian Pitschen Pott sagte mehrmals, daß er kein Wort davon glaube; die Weiber hätten schon seit Jahren weiß
1292 []der Himmel was über die fremde Frau zu klatschen gewußt. Und wenn es so wäre, müßte man erst recht bestrebt sein, ihr vor dem Weggang das begonnene Werk der Kirchenerneuerung zu weisen.
Der Holzschlag wurde denn auch mit aller nur wünschens-werten Eile durchgeführt; es herrschte eine Woche lang auf der Talstraße nach Valdür ein geschäftiges Fahren. Mit Hüst und Hott und Peitschenknall fuhr man, am Hause des Landammanns selig vorbei, mit den schweren Stämmen zur Talsäge hinunter.
Jedermann beteiligte sich daran nach Kräften, denn man hatte gute Tagelöhne ausgemacht, da es ja Gemeinde und Kirche nur zur Hälfte traf!
Es waren auch kaum vierzehn Tage vergangen, so lagen die fertigen Bretter in hohen Stößen zum Trocknen neben der Kir-chentüre rechts und links und längs der Friedhofmauer sorg-fältig aufgeschichtet.
Und ebenso eilig verschluckte die Gemeindekasse wohlgefäl-lig die acht Hunderterscheine, mit denen dieses Holz bezahlt wurde.
Die Vorarbeiten zu der großen Kirchenrenovation waren also im besten Gange, und man durfte gespannt sein auf ihre Weiter-führung.
In der darauffolgenden Woche jedoch tat Bastian Pitschen Pott einen Zug, der bedeutungsvoller war als alles andere, was er bis dahin für seine Pläne hatte tun können.
Es ist nämlich zu sagen, daß er selber genau wußte, daß Frau Landammann das Tal verlassen wollte, und er bestritt die Rich-tigkeit des beharrlichen Gerüchtes nur deswegen so entschlos-sen, weil er seine Gründe dafür hatte.
2 123 []Bei der Delegationsentsendung zu Frau Landammann hatte sein spähendes Auge gesehen, daß in dem Hause einige Dinge nicht mehr an ihrem Platze standen und ihm dadurch eine Be-stätigung jener genannten Gerüchte wurden. Er fand es darum gut, einige Tage nach der offiziellen Dankabstattung der Frau Landammann nochmals unauffällig seine Aufwartung zu machen. Niemand im Dorfe sah darin etwas Besonderes, da Bastian Pitschen Pott durch das Legat ja in enge Verbindung mit dem Hause Mastrals gebracht worden war.
Bastian Pitschen Pott verfolgte seine Sache mit Vorbedacht.
In kurzen, würdigen Worten setzte er der Frau Landammann auseinander, er habe gehört, sie gedenke aus dem Tale fortzu-ziehen. Er wisse nun nicht, was an der Sache sei; es werde soviel in Pralöng geredet, insonderheit die Weiber hätten immer etwas Neues, und mit ihren müßigen Mäulern zögen sie vom Spinnen-netz ihrer Düfteleien bald den einen Faden über die Straße,bald von einer Stube in die Kammern oder Gaden. Frau Mastral möge ihm seine Frage nicht übelnehmen, aber es lasse ihm keine Ruhe. Es wäre ihm leid, wenn sie aus dem Tal verzöge. Er denke dabei nicht in erster Linie an das Steuerkapital, welches der 1öb-lichen Gemeinde verlorenginge, obschon sie zwar den besten Steuerzahler des Tales schwer vermissen würden. Es dränge ihn aber heute in erster Linie deswegen zu ihr zu kommen, um ihr zu sagen, daß sie bei einem allfälligen Wegzuge jederzeit seine Mithilfe in Anspruch nehmen könne. Es sei ihm ein Herzensbe-dürfnis, als Vertreter der löblichen Gemeinde ihr in jeder Weise die Dankbarkeit derselben durch die Tat zu beweisen. Und bei einem Wegzug würde sie ja die Mithilfe eines kundigen Man-nes in mehrfacher Hinsicht brauchen. Im Falle zum Beispiel die ausgedehnten Güter zum Verkauf oder auf Steigerung gebracht werden müßten, packe ein Mann dergleichen ja stets richtiger an als eine Frau, die derlei nicht gewohnt sei.[2A []Er sprach mit überzeugender Wärme. Er drehte sein grünes Hütchen dabei in den Händen herum. Und nach dem letzten Auftritt, wo er die Frau Landammann weinend gebeten hatte,um das Wohl der Gemeinde besorgt zu sein, machte nun diese herzliche Dankesäußerung offenbar den gewünschten Eindruck.
Sie erwiderte ihm, daß sie das Tal bald verlassen werde, in welchem sie nun nichts mehr halte. Es sei ein Tal der Schmerzen für sie. Einen Teil des Hausrates nehme sie mit. Den Rest ge-denke sie samt den Gütern auf öffentliche Steigerung zu brin-gen. Bloß das Haus werde sie nicht veräußern; es könnte doch sein, daß sie nach Jahren wieder einmal den Wunsch hätte, als Gast darin einige Wochen zu wohnen; sie lasse darin ja ein Stück ihres Lebens.
Bastian Pitschen Pott schaute unbeweglichen Gesichtes. Die Flügel seiner schiefen Knollennase zuckten ein bißchen. Was er gewollt, wußte er nun. Es erregte ihn auf das allerhöchste.Dennoch machte er der Frau gelassen klar, daß er ihr vielleicht gerade beim Verkauf der Güter mit wertvollem Rat an die Hand gehen könne. Es wäre für sie gewiß vorteilhaft, wenn man vor der öffentlichen Steigerung Umschau nach Interessenten halten würde, natürlich nur unter der Hand, damit nicht etwa auf der Gant die Leute, wie dies hier leider manchmal der Brauch sei,mit Rücksicht aufeinander die Überbietung und Steigerung der Angebote unterließen. Sie könne ja sowieso nur auf Käufer aus Pralöng rechnen, da der Boden für Käufer aus andern Gemein-den wohl zu weit abliege.
Das Angebot seiner Mithilfe wurde darnach von Frau Land-ammann dankend angenommen.
Bastian Pitschen Pott wußte zuerst nicht, ob ihre Zusage eine bloße Höflichkeitsannahme sei, oder ob ihre gänzliche Uner-fahrenheit in derlei Geschäften bereitwillig nach der ersten besten Hand griff, die sich ihr entgegenstreckte. Fast konnte er nicht glauben, daß ihm ein solches Glück über den Weg laufe.
125 []Denn mit diesem Quell, der ihm da aufging, wollte er sein Land wässern, daß Klee und Korn fürwahr gut geraten sollten!
In seinem findigen Hirn hatte sich blitzschnell eine Gedan-kenverbindung gebildet: Unter den Gütern des Landammanns waren die beiden großen Äcker Champsura und Stabel. Sie ge-hörten zu den allerschönsten auf dem Gebiete von Pralöng und lagen steil gegen Pranöv hinauf, ganz zuoberst am Hang. Der eine reichte bis dicht vor die ersten Häuser von Pranöv.
Kamen die Ländereien auf öffentliche Steigerung, so wußte er zum voraus, daß Capol für diese beiden Äcker so lange bieten würde, bis er sie hatte. Denn so wie er hatte im ganzen Tal kei-ner sein Gebiet zu arrondieren gewußt. Ihm selber und man-chem andern hätten diese beiden Äcker auch gut gepaßt. Wollte er sich aber mit Capol nicht noch mehr verfeinden und den Abstand zwischen Pranöv und Pralöng noch größer machen, so mußte er vor allem dafür sorgen, daß dieser beiden Stücke wegen kein Streit entstund. Es war am besten, sie von vornher-ein Capol zuzuhalten. Nahm er die Sache geschickt in die Hand,so konnte er sich damit Capol für das ganze Leben verpflichtet machen, und er bekam ihn obendrein dadurch einigermaßen in die Obmacht, daß Capol auf diese Weise steuerpflichtiges Gut auf dem Boden von Pralöng besaß.
Denn Bastian Pitschen Pott paßte die Feindschaft mit Capol nicht mehr. So recht sie ihm seinerzeit gewesen, so schwer lag sie ihm jetzt auf dem Magen, in einer Zeit, wo es bald darauf ankommen würde, nicht nur die Sympathie der eigenen, son-dern aller Gemeinden im Tal zu besitzen. Und in dieser Bezie-hung war Pranöv für ihn der härteste Knoten, den es noch zu lösen gab.
Für Pralöng fürchtete er nicht mehr. Durch das Legat bekam er alle in die Hand. Es war ihm, so wie die Dinge nun lagen,eine kleine Sorge, die Einigkeit im Dorfe so lange zu erhalten,
126 []als es ihm paßte. Wer den Säckel zum Verteilen in der Hand hat, vor dem strecken sich die Hände empor.
Gelang es ihm, diese beiden Äcker billig zu ergattern und sie dann scheinbar aus Gefälligkeit vor der Gant an Capol abzu-geben, konnte er sicher sein, daß der Wind von Pranöv nicht mehr so bissig nach Pralöng hinunterblase.
Er hatte in jenen Tagen keine Ruhe. Er tat alle Arbeit nur halb, so daß seine Frau ihn einmal anfuhr:
«Wo hast du nur deinen Kopf? Du bist wie eine Bremse vor dem Gewitter man weiß nicht, wohin du schießen willst!»
Er nahm ihr das Wort nicht übel. Erst als er zwei Tage dar-auf die beiden Äcker der Landammännin unter dem Vorwand,sie liegen am weitesten ab und man müsse diese zuerst loszu-werden suchen, um einen Spottpreis abgenommen hatte, zog er seine Frau ins Vertrauen.
Denn nun brauchte er sie, um zu bewerkstelligen, daß es in Pranöv möglichst rasch bekannt wurde, Frau Landammann ver-kaufe Grund und Boden und ziehe weg.
Sie besorgte das auch mit großem Geschick und verstand es,unter der Hand zu tun, als habe ihr Mann im Sinn, vielleicht einige Bodenstücke vor oder an der Gant zu kaufen.
Zwei Tage darauf kam Capol unter Licht in Bastian Pitschen Potts Stall. Der wischte sich eilig die Hände an der Stallschürze ab, hieß ihn willkommen in seinem Hause und führte ihn in die Stube hinauf.
Capol war zuerst ziemlich wortkarg. Dann aber ging er auf die Sache ohne Umschweife los; denn er wußte schon, daß zwei Füchse, die sich unter Licht treffen, nicht lange plauschen.
«Ich habe gehört, die Güter des Landammanns sollten zur Gant kommen, und möchte Euch fragen, ob dem so sei. Die Leute schwatzen eben mancherlei, und ehe ich der Sache nicht gewiß bin, möchte ich keinen Narrengang tun. Ich dachte, daß Ihr gewiß sichere Auskunft habet.»
Te
L2Z []«Es freut mich Euch sagen zu können, daß dem so ist. Frau Landammann will diesen Herbst schon weg und bringt die ge-samte Bodenhabe zum Verkauf. Ich denke, daß Ihr Euch für die Steigerung interessiert? »
Zögernd rückte Capol heraus.
«Nur die beiden obern Äcker Chompsura und Stabel kom-men für mich in Frage. Und da ich glaube, daß sie auch für Euch nicht ohne Wert sein dürften, schien es mir, es sei um der Einigkeit und des nachbarlichen Einvernehmens willen doch das klügste, sich vor der öffentlichen Ausbietung über die Sache auszusprechen.»
«Ich meine, Ihr habet wohl recht in allen Stücken», antwor-tete Bastian Pitschen Pott, und sein Gesicht glättete sich vor Freude. «Ich wußte zum voraus, daß um dieser beiden Äcker willen, die ja zu den sonnigsten, fruchtbarsten und fettesten ge-hören, die wir im Tale haben, Gescher an der Gant entstehen könnte. Darum habe ich in der Sache sogleich Schritte getan es braucht aber niemand darum zu wissen. Chompsura und Sta-bel sind bereits in meinem Besitz. Ich bin aber wohl bereit, sie Euch um denselben Preis abzutreten, denn mir liegt vor allem daran, daß dieser Boden von Pralöng in rechte Hände kommt.Es ist nicht im Interesse unserer Gemeinde, daß die Stücke an einen armen Schlucker geraten, der am Ende nicht einmal die Steuern darauf berappt. Wenn ich Euch dadurch einen Dienst erweisen könnte, so lohnt ihr mir denselben am besten durch Stillschweigen. Denn Ihr wisset ja aus eigener Erfahrung, daß man im eigenen Hause übel angesehen wird, wenn man einem Freund auf der Straße einen Brocken zum Fenster hinaus reicht.Noch mehr aber würdet Ihr mich Euch verpflichten, wenn da-durch unser freundnachbarliches Einvernehmen von Dorf zu Dorf gestärkt würde. Denn mir scheint, daß wir beide hierin vorangehen müssen, sind es doch immer die leitenden Männer,welche dem Volke das Benehmen predigen.»
128 []Er schob dabei Capol den Kaufbrief hin.
Betroffen schaute der daraus empor.
«Ist das möglich? Nur zweiundeinviertel Franken die Latte?»
«Nun ja, die Äcker liegen für Pralöng am Rand. Ich sehe nicht ein, warum das nicht in Abzug gebracht werden sollte.Außengut hat Außenpreis, so dachte ich, als ich handelte; nun greift nur zu!»
Capol langte in den Sack, zog den schweinsledernen Beutel hervor und zählte das Geld auf. Er faltete den Brief zusammen und steckte ihn ein.
«Ihr habt nachbarlich für mich gehandelt», sagte er zufrie-den. «Was das andere betrifft, so verlaßt Euch auf mich, Ihr könnet in Pranöv auf einen rechten Nachbar bauen.»
Als einen Monat später die Versteigerung der Güter statt-fand, waren in Pralöng nur wenige Häuser, welche nicht zu-griffen bei solch günstiger Gelegenheit. Und allgemein fand man es großmütig von Bastian Pitschen Pott, daß er mit allen Angeboten zurückhielt und die Preise nicht unnötig in die, Höhe trieb, trotzdem man das befürchtet hatte. Denn er hatte vor der Versteigerung oft gesagt, es gelüste ihn, einige an seine Güter grenzende Fettwiesen zu kaufen. Es sei, sagte man, eben doch ein Zeichen, daß Bastian Pitschen Pott leben lasse und nicht von dieser rücksichtslosen Gefräßigkeit sei wie Capol, der es richtig verstanden habe, die beiden fettesten Stücke hinten herum und verschlagen wie immer zum voraus zu ergattern.
Bloß bei der Versteigerung des Hausrates ergantete Bastian Pitschen Pott ein halbes Dutzend friedlicher Heugabeln. Und als auch der hochlehnige Landammannsstuhl ausgerufen wurde und niemand auf das Möbel bieten wollte, ersteigerte er ihn lächelnd und fast zögernd um fünf Franken. Ein wenig obenhin sagte er: Luxus sei sonst nicht seine Schwäche; aber die Schwie-germutter komme nun in das Alter, da sie ihren schwachen Rücken spüre und in diesem Stuhle vielleicht guten Halt finde.
129 []Wenige Wochen später, um die Zeit, da man bald daran dachte, die Alpen zu entladen, stand das Haus des Landam-manns bereits geschlossen.
Die Bretter längs der Kirche waren gut getrocknet den Som-mer über, und als Bastian Pitschen Pott eines Tages nachprüfte,fand er, die Sache sei nun so weit gediehen, daß man die Erneue-rung des Kircheninnern vornehmen könne.
Bastian Pitschen Pott benahm sich an der Kirchenversammlung vollkommen anders als das vorhergehende Mal. Er eröffnete sie mit kurzen Worten, wies darauf hin, was in Sachen der Renova-tion bereits geschehen sei, erinnerte auch vorübergehend an den Wegzug der Frau Landammann und betonte, daß die Holzliefe-rung der politischen Gemeinde aus dem Legate berichtigt wor-den sei. Der Holzbedarf für die in Aussicht genommenen Arbei-ten werde nach seiner Ansicht vollkommen gedeckt sein, und in dieser Beziehung könne man sich der Zuversicht hingeben, daß die Arbeiten jederzeit in Angriff genommen werden könnten.
Jedoch scheine ihm, daß man vorher nun noch an etwas anderes zu denken habe. Wolle man wirklich die Kalkung der Seitenwände und die Bemalung der Decke ausführen und das gehöre doch unbedingt mit zu einer würdigen Ausgestaltung des Gotteshauses , so sollte man beizeiten daran denken, den notwendigen Kalk zu beschaffen. Denn diese Mal- und Kal-kungsarbeiten müßten vor dem Winter, solange noch gut Wet-ter sei, vollendet werden. Die Holzarbeiten ließen sich in der langen Winterszeit daheim besorgen.
Die Bretter, sagte er in etwas wegwerfendem Ton, fräßen ja inzwischen an der Kirchenmauer kein Gras, und je trockener sie würden, desto müheloser werde deren Verarbeitung. Ja, er
3°[30 []möchte sogar warnen, in einer so wichtigen Sache Holz zu ver-wenden, welches nicht durch und durch getrocknet sei.
Inzwischen könne die Pause zur Kalkbeschaffung verwendet werden. Es scheine ihm, daß in diesem Augenblick, wo die Herbstarbeiten fast fertig seien, von der Gemeinde aus ein Kalk-ofen gebaut und vor Winter Kalk gebrannt werden sollte, um so mehr als er glaube, es seien eine ganze Anzahl von Familien in Pralöng, die gerne von der Gemeinde zu eigenem Bedarf Kalk beziehen würden. Soviel er wisse, sei es mehr als acht Jahre her, daß man Kalk gebrannt habe. Er glaube, manchem Hause täte eine kleine Reparatur not. Es scheine ihm, dies könnte vor Beginn des Winters gut durchgeführt werden. Kalksteine hätte ihnen die Rüfi mehr als genug gebracht. Von dem Legate seien noch fast zwölfhundert Franken da. Das Sammeln und Führen der Steine, der Bau des Ofens und das Überwachen des Kalk-brandes würde natürlich daraus bestritten werden, und jeder-mann, der Lust zum Arbeiten habe, könne da etwas verdienen.Der Kalk, den die einzelnen Familien im Dorfe bezögen, könnte dann ganz wohlfeil abgegeben werden, da ja unter diesen gün-stigen Umständen der Ofen sowie das Brennen der Steine nicht so hoch zu stehen komme und ja auch der Brandholzverbrauch gedeckt würde. Auswärtige Bezüger, deren er schon eine ganze Anzahl wisse, müßten natürlich mit höherer Taxe rechnen, und so sei nicht ausgeschlossen, daß man durch Abgabe des über-schüssigen Kalkes ein rechtes Stück Geld für die Gemeinde-kasse löse.
Wohl entstand nach seiner Rede in der Versammlung eine Pause, in welcher sich der eine mit «Hrkm» und der andere mit «Hmkr» räusperte. Als aber Bastian Pitschen Pott in gewandter Eilfertigkeit abstimmte, gingen die Hände, wenn auch etwas zaghaft, vollzählig in die Höhe.
Mochten auch da und dort in Stuben und Ställen heimliche Bedenken geäußert werden, ob nun wirklich das Legat noch
: I
DR []reiche zur Erstellung des gesamten Holzwerkes der Kirche, so wurden diese Stimmen insgesamt still, und niemand sagte mehr ein Wörtlein, als es an den Bau des Kalkofens ging und dafür Taglöhne entrichtet wurden, daß allen das Herz im Leibe lachte und es allgemein hieß, solchen Landammannskalk möchte man alljahr zweimal brennen! Und man überließ dem bewährten Führer um so lieber die Verantwortung, als ja Frau Landam-mann fort war und sein Ansehen schon darum täglich stieg,weil alle durch ihn während Wochen zu einem guten Tagesver-dienst gekommen waren.
Bastian Pitschen Potts Ansehen stieg aber noch um ein be-deutendes, als bekannt wurde, daß er sich mit Capol versöhnt habe. Ja, es ging sogar das Gerücht, er habe die Instrumente der Blechmusik an Capol verkauft und die Musikgesellschaft werde in Pranöv neu gegründet werden. Teufel noch einmal!Man mußte es dem Pott lassen: er wußte sich zu helfen!
Freilich war die Rede in bezug auf die Blechmusik vorerst bloßes Gerücht, dem noch jede Bestätigung fehlte. Man hatte um so mehr Grund, demselben nicht sogleich zu trauen, weil es von Josef Mansner ausging, der behauptete, eines Abends ge-sehen zu haben, wie ein Leiterwagen mit den Instrumenten nach Pranöv gefahren sei, und offenbar spie er schon ob des Gedan-kens Gift und Galle.
Als aber in derselben Woche der «Freie Talbote» unter der Rubrik «Kunst und Musik» eine anerkennende Notiz brachte,daß in Pranöv dank der Opferwilligkeit ihres bekannten Gön-ners Capol und infolge des Entgegenkommens von Herrn Bastian Pitschen Pott ein für das ganze Tal wichtiges und erfreuliches Unternehmen. in Pranöv wiederaufleben werde unter der be-währten Leitung von Jon Nicola, und man demselben nur Erfolg wünschen könne und hoffen dürfe, daß dieses neue Unterneh-men sich bald zu einer eigentlichen flotten Talmusik auswach-sen werde, an der mitzumachen der Stolz der Jungmannschaft 132 []sei, deren sanges- und musikfrohe Art dadurch eine angemessene Betätigung finde, da sprach man in Pralöng erstaunt, aber ehr-fürchtig von der großen Wandlung der Dinge und dem klugen Benehmen Bastian Pitschen Potts, welches von seltener Energie und Tatkraft zeuge.
Josef Mansner wagte kein Wörtlein zu sagen; er fühlte den Boden unter seinen Füßen unsicher werden, als er seinen ehr-geizigen Plan derart vereitelt sah.
Was aber schlimmer und verhängnisvoller für ihn wurde,war die Tatsache, daß ihm auch die Tasten der Kirchenorgel unter den Fingern unsicher wurden. *
So kam es am darauffolgenden Sonntag in dem merkwürdi-gen Künstlerringkampf in der Kirche zu einer denkwürdigen Katastrophe: Jon Nicola übersang seinen Gegner an der Orgel derart, daß derselbe wie verloren auf den Tasten herumfingerte und ein Durcheinander entstand, welches nur mit demjenigen bei der Abdankung verglichen werden konnte.
An demselben Sonntagnachmittag hatte Bastian Pitschen Pott in seiner Stube eine vertrauliche Unterredung mit Josef Mans-ner und legte ihm in sicheren und gütigen Worten nahe, sein Amt als Organist nach diesem Fall zu quittieren und es wenigstens für einige Zeit Jon Nicola zu überlassen.
Er tröstete ihn aber damit, daß nun der Kalk gebrannt sei und mit der gänzlichen Renovation der Wände unverzüglich begon-nen werden müsse und er ihm diese Arbeit fest übergebe. Es seien dafür von dem Legat des Herrn Landammann selig noch dreihundertundfünfundvierzig Franken‘ bereit. Damit sei er ehrenhaft aus der Sache; Auswärtigen könne man ja sagen, daß er für die Dauer dieser Arbeit ganz nur seiner Malerei leben müsse und keinerlei Ablenkungen in seinem Werke ertrage.Nachher könne man dann immer wieder sehen.15 []Josef Mansner gehorchte. Es schien ihm das klügste zu seın.An dem neuen Kirchengewölbe konnte er sich schadlos halten und zugleich sein brüchiges Ansehen etwas restaurieren.
Als in den letzten Oktobertagen Bastian Pitschen Pott von neuem eine Kirchenversammlung einberief, konnte er mit Be-friedigung den Weg zum «Löwen» gehen.
Denn alle waren wohl zufrieden mit dem Ertrag der Tag-lohnarbeiten. Er wußte, daß niemand den Holzarbeiten nach-fragen würde. Auch Dumeng Bizoch nicht, denn der Scheiben-küfer hatte beim Kalkbrennen wacker gehandlangert.
Als er darum als Präsident der 1öblichen Gemeinde das Aus-gabenbüchlein vorlegte und über gekauftes Holz, ausbezahlte Fuhren, Sägelöhne, Taglöhne, Stundengeld und Lieferung des Brennmaterials berichtet hatte und dann dartat, daß Josef Mans-ner nun die Übermalung und Kalkung des Kircheninnern um dreihundertundfünfundvierzig‘ Franken übernommen habe mit der Klausel, das Werk bis Ende des Jahres fertigzustellen, und nun allerdings nur noch fünfundzwanzig Franken und einige Rappen von dem Legate blieben, fragte er zugleich an, ob man mit der Erstellung der Holzarbeiten zuwarten oder einen Zu-schuß aus der Kirchenkasse gewähren wolle? Ihm scheine, man solle zuwarten bis bessere Zeiten kommen. Es scheine ihm nicht ratsam, die Kirchensteuerlasten unnötig zu erhöhen.
Habe man vorläufig auch nicht alles erreicht, so sei doch etwas Bedeutendes gemacht worden. Was getan worden sei, sei jedenfalls getan, und er glaube, sogar der Herr Pfarrer werde nicht ohne Befriedigung ihr Reformationswerk betrachten, wenn Josef Mansner beim Himmel Farbe und Tünche nicht spare. Die Herren Prädikanten seien ja im allgemeinen ideal veranlagt und hätten größere Freude an einem recht schönen Kirchen-himmel mit seinem Sternengelichter als an allzu bequemen Kirchenstühlen, welche doch im Grunde auch eine Kirchen-[]gefahr bedeuten könnten. Doch er wolle damit keineswegs ge-sagt haben, daß die Holzarbeiten nicht kommen müßten, be-sonders jetzt, da das Holz ja bereit sei. Aber vielleicht finde sich recht bald wieder ein edler Gönner, der zu diesem Zwecke etwas stifte und in wirklich hochherziger Weise dann auch nicht all-zusehr auf den Rappen schaue in einer Angelegenheit, die zu Nutz und Frommen des allgemeinen Ganzen ginge.
Sein Vorschlag wurde allgemein gebilligt. Jedermann fand es recht gut, daß die Kirchgemeinde nicht mit erhöhten Steuern behelligt werde, besonders nach einem Jahre, da man endlich einmal etwas vorwärtsgekommen war, dank der klugen Leitung eines führenden Mannes, welcher allen etwas gönnte und da-durch bewies, daß er Sinn hatte für das Wohl der Allgemeinheit.
Währenddem Josef Mansner Anstalten traf, die Ausschmük-kung, Besserung und Hebung der verwahrlosten Kirchenwände vorzunehmen und dadurch seinen Ruf eines kunstverständigen Mannes wiederherzustellen suchte, herrschte auch in den Häu-sern von Pralöng meist reges Leben.
Fast überall wurden Küchen, Hausgänge, ja selbst Stalldielen geweißt, gekalkt und ausgeflickt. Und wenn sich die Weiber am Brunnen trafen, war es gewöhnlich, um sich die weißen Spritzer wegzuwaschen, die man sich bei der allgemeinen Verschöne-rungsarbeit zugezogen hatte. Denn niemand wollte bei der gro-ßen Reformationstätigkeit zurückstehen, um so weniger, als Kalk in Hülle und Fülle da war und der Preis sich für die Ein-heimischen so niedrig gestellt hatte, daß man mit dem Stoff nicht sparen mußte.
Trotz alledem erwies es sich, daß noch manche Fuhre an die andern Gemeinden abgegeben werden konnte. Sie kamen von Surom bis Ursulinendorf hergefahren mit ihren Karren. Und als in der Gemeindeversammlung Bastian Pitschen Pott erklärte,daß die Gemeindekasse durch den Erlös des übriggebliebenen
158 zz []Kalkes dieses Jahr mit einem rechten Überschuß rechnen könne,so daß der Steuerbezug nicht nur gänzlich unterbleibe, sondern noch ein erklecklicher Vorschuß für das kommende Jahr da-liege, da war man allgemein der Ansicht, es sei ein eigentliches Glück zu nennen, daß man in der Gemeinde einen Mann habe,der es verstehe, die Gemeindehaushaltung in allgemein befriedi-gender Art zu führen. Es sei doch in einem Gemeinwesen wie in einem Haus: wenn der rechte Koch am Herde stehe und man ihn gewähren lasse, brauche man um die Schüsseln, welche auf den Tisch kommen, nicht besorgt zu sein. Immer gehe die Sache erst dann schief, wenn alle bei den Pfannen fuhrwerken wollten.
In dem kleinen Gotteshaus waltete Josef Mansner bei ver-schlossenen Türen seines Amtes. Er hatte über dem Gestühl ein Brettergestell angebracht, und mit gewaltiger Kraft fegte er zu-erst einige Tage lang allen Kirchenstaub und die verjährte Un-sauberkeit von der Decke und den Wänden, so daß es wolkig über ihn hinunterstäubte.
Dann begann er nach gründlicher Vorarbeit sein Kunstwerk.Er weißte die Seitenwände blendend rein, daß sie von Helligkeit strahlten. Den Kirchenhimmel färbte er erst mit leichtem Blau.Als er ihm das erstemal etwas wolkig geriet, ging er mit seinem zwei Meter langen Pinsel noch einmal darüber. Und als er auch nach dieser zweiten Bearbeitung noch nicht in einheitlicher Bläue scheinen wollte, ging er mit entschlossenem Eifer, ohne nach-zulassen, noch ein drittesmal darüber. Dann war er ganz befrie-digt, und er begann auf den blauen Grund des Kirchenhimmels ein Heer von goldenen Sternen einzumalen. Das war weitaus das Schwierigste an dem Werke. Denn währenddem er beim Firmamente mit wuchtigen Zügen die Fläche hatte bearbeiten können, galt es jetzt in kluger Berechnung mit feinem Pinsel und sicherer Hand das blinkende Sternengelichter einzusetzen,das den Kirchenhimmel verschönern und freundlich auf die Gemeinde der Andächtigen niederstrahlen sollte.
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Da ZU []Gegen Ende November war das Werk vollendet. Bis zu Weihnachten trocknete die Sache.
Freilich mußte sich Josef Mansner zuletzt gestehen, daß er mit der blauen Farbe vielleicht doch zu ergiebig umgegangen sei und eine bloß zweifache Übermalung des Kirchenhimmels vorteilhafter gewesen wäre. Denn es stellte sich heraus, daß sich bis zur völligen Trocknung des Himmels an zahlreichen Stellen auf dem blauen Grund kleine Tropfen gebildet hatten, welche sich zwar, glücklicherweise nicht loslösten, sondern erstarrten,sich jedoch zwischen den goldenen Sternen seltsam genug wie kleine Warzen ausmachten. Er dachte zuerst daran, diese unan-genehmen Knötchen durch goldene Übermalung in ganz kleine Sternlein zu verwandeln. Doch kam er von dieser Idee glück-licherweise ganz und gar ab, indem er sich sagen mußte: An einem Kirchenhimmel schickten sich nur ganz große Sterne!Eine kleine Warze störe zwischen diesen großen Kirchenster-nen die Einheit weniger als ein minderes winziges Sternlein.
Auch hoffte er,’ daß dieser kleine Defekt an dem Kirchen-himmel unfachmännischen Blicken überhaupt ganz entgehen werde.
Und so war es auch.
Als Josef Mansner das Gerüstwerk entfernt, die Kirche sau-ber geputzt und die Fenster blank gescheuert hatte und sein Werk von dem Publikum zum erstenmal betrachtet wurde, fand es allgemeinen Beifall, und man war einig darüber, daß diese Innenrenovation nun wirklich ein würdiges Zeugnis dafür sei,daß man mit dem Betrage des Herrn Landammann selig ein sichtbares Werk der Erneuerung geschaffen habe.
Ja, manche gingen so weit, es offen zu sagen, man wolle die-ses bunte frohe Gotteshaus lieber als zwei neue Glocken. Und was die Stühle anbetreffe, so liege das Holz ja vor der Kirche,und sei man noch nicht am Ende der Leistungsfähigkeit ange-kommen.
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A?[]Was den letzten Punkt anbetrifft, so ist zu sagen, daß das Holz gut getrocknet bereit lag. Als es einzuwintern begann und man befürchten mußte, die schönen Bretter könnten über Win-ter in Schnee und Eis geraten, und ernste Gefahr bestand, auf diese Weise könnte kostbares Kirchengut bis zum Frühling zu-grunde gehen, war es wiederum Bastian Pitschen Pott, welcher einsichtig genug war, die guten Bretter beizeiten unter Dach und Fach zu schaffen; und es gelang ihm, noch einige einsichtige und fortschrittliche Männer im Dorfe zu finden, welche gleich ihm ihre Holzgaden gerne zur Verfügung stellten und einen Teil der Kirchenbretter sorgfältig darin bargen. Denn einem rechten Mann gilt jeder Besitz heilig!
So herrschte damals in Pralöng eine selten gekannte Eintracht und Zufriedenheit.
Nur in einem Herzen saß der Wurm.
Christoffel Janett kam über seine enttäuschten Hoffnungen nicht hinweg.
Als er das erstemal die Kirche betrat und als Ergebnis aller Anstrengungen diesen neuen Kirchenhimmel sah, der über den alten gestrichen worden war, stieß er im Gotteshause drin einen halblauten Fluch aus und riß an jenem Morgen barsch an seinen Glocken.
Am andern Tage teilte er Bastian Pitschen Pott mit, daß er mit dem letzten Sonntag des Jahres sein Glöckneramt nieder-legen wolle.
Über fünfzig Jahre hatte er an den beiden fettigen Glocken-seilen gezogen. Nun ließ er sie aus den Händen.
Niemand achtete groß darauf oder sprach davon; es war ja gut verständlich, daß er nach so vielen Jahren seines Glöckner-amtes müde geworden war. Auch lagen ganz anders wichtige Dinge in der Luft und bereiteten sich mählich vor: Im Februar sollte die Landammannswahl des Tales stattfinden; und man 38 []diskutierte und werweißte hin und her. Aber sowohl in Pralöng wie auch in Pranöv wurde nur ein Name genannt, der hiebei in Frage kommen konnte, und man war guten Mutes, daß Tal und Dorf einiggehen würden.
Christoffel Janett bekümmerte sich nicht mehr um diese Dinge. Einsilbiger als sonst besorgte er seinen Dienst, und als der letzte Jahressonntag herbeigekommen war, stand er sonn-täglich gerüstet im Turm und läutete. Gebeugt stand seine Greisengestalt.
Draußen lachte über dem ersten tiefen Neuschnee ein heller Wintertag und grüßte leuchtend durch die Scheiben des Chores in das kleine Kirchlein hinein, das sich gemach mit Besuchern füllte.
Und ehrfürchtig setzten ‚sich alle diese frommen Gotteshaus-leute in ihre alteingesessenen Bänke hinein; und während die einen dem kokett tremolierenden Vorspiel Jon Nicolas lausch-ten, die andern heimlich flüsterten, glitten ihre Blicke ab und zu an diesem herrlichen blauen Kirchenhimmel empor und blie-ben dort eine Weile haften. Und der blaue sternenflimmernde Himmel blickte in seiner .erneuerten Bläue unbeweglich und starr auf Gerechte und Ungerechte.
Durch die Kirchenfenster aber schaute in durchdringender Klarheit Gottes Himmel rein und hell herein; und das Sonnen-licht dieses Gotteshimmels umspielte goldig leuchtend die ver-sammelten Köpfe und übertrumpfte in jeder Weise den Kirchen-himmel derer von Pralöng und ihrer Kinder so sehr, daß es scheinen konnte, als lache der liebe Herrgott in höchsteigener Gestalt dreieinig über seine Christen und als läute Christoffel Janett, als sein bester und einziger Diener, gebeugten Hauptes mit den alten Glocken und dem rumpelnden Glockenstuhl zu diesem himmlischen Lachen heimliche Begleitung:
Bing... bäng ... rumpp ... bängbäng ... bing ...
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- TextGrid Repository (2023). Wolfensberger, William. Die Glocken von Pralöng: ELTeC Ausgabe. European Literary Text Collection (ELTeC). https://hdl.handle.net/21.11113/0000-000F-FD50-A