Die Witwe

In dem Zimmer hat es minus 1 Grad.

Die junge Dame sitzt in der Mitte des Zimmers, auf einem hölzernen Stuhle. Sie hat einen braunen Schal um, ein Pelzkäppchen auf dem Kopfe. Die Haare sind zart, wellig, blond.

Ein alter Mann geht auf und ab, sagt: »Wir werden ein bischen heizen, Marie – – –.«

»Nein – – –« sagte sie.

»Ein bischen heizen – –« sagt der alte Mann.

»Nein – – –«.

Der alte Mann denkt: »Man könnte ein bischen heizen – – –.«

Sie fühlt: »Ich glaube, ich habe meinen Körper verloren, es sind nur mehr ein Büschel weisser Haare da. Woran stecken sie, bitte – – –?!«

»Ein Büschel weisser Haare – –« sagt sie, »Vater – – –.«

Der alte Mann denkt: »Nun gut, mein Kind. Man könnte zum Beispiel kleine Spähne machen und Zeitungspapier zusammenknittern. Man bereite überhaupt etwas vor, auf jeden Fall – – –.«

Die junge Frau sitzt unbeweglich. Das Pelzkäppchen sitzt ein wenig schief auf den zarten welligen Haaren, so entreprenant wie am Eis-Corso.

Der alte Mann denkt: »Auf den Fensterbrettern liegt Staub. Man könnte mit dem Finger schreiben:[182] »Winter, ex!« Eine Wohnung ist wie ein kleines Kind, gleich macht sie sich schmutzig.«

Die junge Frau sagt: »Mein Herr Gott – – –.«

Der Alte: »Nun, man könnte vielleicht – – –.«

Tiefe Stille.

Die Fenster zittern von vorüberfahrenden Wagen, schütteln sich, fahren zusammen, machen wie ein Kanonenschuss von ferne, beruhigen sich wieder. Dann beben sie, summen wie Sommerfliegen – – –.

Die Dame sagt leise: »Mein Herr Gott – –.«

Der alte Mann denkt: »Natürlich, wenn man im Pelzkäppchen sitzt! Ich habe es noch nie gesehen, in einem Zimmer im Pelzkäppchen zu sitzen! Man nehme Spähne, zusammengeknittertes Zeitungspapier –. Oder man kaufe Pech-Zünder, eine Mischung aus –, etwas Vortreffliches, gleich prasselt es, spuckt Funken aus, schiesst auf wie im »Feuerzauber« – –. Aber die Damen sind hartnäckig – – –.«

Er geht auf und ab.

Dann sagte er: »Du, ein heisser Kaffee, Marie –.«

Er denkt: »Es ist auch eine Wärme-Quelle.«

Sie steht auf, geht ruhig mit dem Vater in das kleine Café.

»Papa – – –« sagte sie auf dem Wege.

»Was denn?!«

»Du thust mir so leid – – –.«

Im Caféhaus.

Der Vater trinkt, sagt: »Die Wärme, die brauchen wir – – –. Schmeckt's mein Kind?!«

Sie kann aber gar nicht antworten – – –.

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TextGrid Repository (2011). Altenberg, Peter. Prosa. Wie ich es sehe. Die Witwe. Die Witwe. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0001-D925-1