Frau Fabrikdirektor von H.
(Studien-Reihe)

[67] [69]Ein poetischer Abend

Vor jedem Teller stand ein Kelchglas mit glänzend rothen Zwerg-Georginen. Auf dem Tische lag ein Tischläufer, der mit rother Seide reich bestickt war. In zwei tiefen rothen Glasschüsseln lagen ganz rothe Blutorangen und die kleinen Bäckereien auf den silbernen Aufsätzen waren Alle mit rother Himbeer-Glasur überzogen.

Der Leutnant hatte rothe Aufschläge, das Fräulein neben ihm hatte rothe Wangen, die Braut erröthete, so oft der Bräutigam sie küsste und der rothseidene Lampenschirm überfluthete den Raum mit rothem feurigem Dunste. Nur die junge Hausfrau war bleich. Sie hatte diese ganze »Symphonie in Roth« componirt zu Ehren des Brautpaares und war wie alle Dichternaturen nervös und bleich.

Nach dem Souper kam Maitrank in schönen grünen Gläsern und die junge Hausfrau gruppirte Alle um sich und las mit einer wunderbar zarten Betonung ein liebliches Gedicht vor, das sie auf das Brautpaar verfasst hatte.

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Sie musste es noch einmal vortragen und wieder las sie es mit dieser wunderbar zarten Betonung.

Das Ganze klang wie eine Stelle aus dem Septett Beethoven's. Das Cello singt da in ganz reiner Freude vor sich hin, es tanzt fast, ja es tanzt wie die kleinen Mädchen, die sich die Schürzen halten, auf den Wiesen tanzen. Dann aber breitet das Cello plötzlich ein Paar Flügel aus und schwingt sich in die Sterne – – –.

Ganz so machte es das Gedicht. Es tanzte – –. Dann breitete es ein Paar Flügel aus und flog in den Himmel!

Später sagte die Hausfrau: »Macht Musik – –!«

Der rothe Leutnant und das rosige Fräulein spielten à quatre mains den Clavier-Auszug aus »Bajazzo.«

Weil Alle es bei den »Italienern« gehört hatten, machte es einen riesigen Eindruck.

Einer sagte: »Die sind auf einander eingespielt – – –.«

Besonders das Lied »povre Bajazzo« zündete. Die Herren sangen es im Chore mit, obzwar es ein Solo ist. Sogar der junge Englishman sagte: »allright – –«. Und das war das Höchste!

Dieses Lied klingt wirklich wie »gemordete Liebe.«

Die blühende Liebe aber, die wachsende, lehnte Hand in Hand am offenen Fenster und starrte in die milde Nacht hinaus und athmete die Luft, die vom Kahlengebirge herzog und Düfte brachte von Gras, auf dem der Schnee zerrinnt – – –.

Das war ein poetischer Abend.

[70] Als Alle fort waren, sagte der Hausherr: »Anita, Alles regt dich so auf, Gesellschaften sind Nichts für dich, du gehst in den Sachen auf – – –. Wozu?!«

Die Dame nahm die rothen Zwerggeorginen aus den Kelchgläsern, schnitt ein Stückchen Stengel bei jeder unten ab, damit sie besser Wasser saugen könnten, legte Alle in eine flache Wasserschüssel, stellte dieselbe vor das Fenster.

»Komm' – –«, sagte der Hausherr, »es ist spät und Du bist müde – – –.«

»Nächstens mache ich Alles in Blau« sagte sie, »einen blauseidenen Lampenschirm, blaue Hyazinthen, oh, giebt es eine blaue Zuckerglasur?! Vielleicht Heidelbeersaft – – –?!«

»Kindskopf – –«, sagte der Hausherr und küsste sie.


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Zitationsvorschlag für diese Edition
TextGrid Repository (2011). Altenberg, Peter. Ein poetischer Abend. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0001-DBFA-4