Klinglieder

1813.

1.

Geliebtes Eiland, mütterliche Erde,
Wo ich von siebzehn schönen Jugendlenzen
Die Bäume und die Hügel sah bekränzen,
O Rügen, Land voll lieblicher Gebärde!
Sprich, ob ich je die Taten sehen werde,
Wovon die Bilder also lieblich glänzen,
Daß ich in andern Völkern, andern Grenzen
Stets suchen muß nach Arbeit und Beschwerde?
All deine süße Schöne mußt' ich lassen,
All deine holde Stille mußt' ich fliehen,
Ich mußt' ein größres Vaterland mir suchen.
O diesen Stolz, werd' ich ihn je erfassen?
Wirst du, Germanien, noch in Freiheit blühen,
Wo Sklaven stöhnen und Tyrannen fluchen?

[138] 2.

So klingst du wieder, längst verklungner Klang?
So blüht ihr wieder, längst verwelkte Rosen?
So wollt ihr, Phantasien, mit mir kosen,
Wie mit dem Lenz der muntre Waldgesang?
Was will dies? Wandelt nicht mein Lebensgang,
Wo Furien wild in Kriegsposaunen stoßen?
Wo Männer blutig um das Schicksal losen?
Was täuschet mich der Himmlischen Empfang?
Gewiß, ihr Holden, habt ihr euch verirrt,
Ihr sucht den Mann nicht, dem die Locken grauen,
Ihr sucht den Mann nicht mit dem finstern Blick.
Was hör ich? Eine süße Stimme girrt –
Was ist's, das die entzückten Blicke schauen?
O bleibe, Traum! O bleibe, träumend Glück!

3.

Was klingt mir für ein süßer Wunderschall
Mit Himmelstönen tief im tiefsten Herzen,
Gleichwie die Stimme klingt der hohen Schmerzen,
Die ewig liebekranke Nachtigall?
Was blüht ihr, längstvergangne Wonnen, all
Und zündet mir die Brust mit Himmelsschmerzen?
Und laßt die finstern Geister in mir scherzen?
O das ist Liebe, das ist Liebesschall!
O bliebst du ewig, süßer Wunderschall!
O würd' ich selber ganz zur Philomele
Und klänge mich in Liebesklagen tot!
Denn wer die Liebe hat, der hat das All,
Die Liebe ist der Seelen große Seele,
Der Götter Leben und der Götter Tod.

4.

Woher, du süßes Schmachten, frommes Wähnen,
Die sich mit Inbrunst auf zum Himmel drängen?
Die mir die heiße Brust wie Ströme sprengen
Im Ozean von Träumen und von Tränen?
[139]
Woher, du tiefes wunderbares Sehnen
Mit Todesliebe und mit Todesklängen,
Gleich jenen wonnereichen Grabgesängen,
Womit der süße Tod erklingt in Schwänen?
O in der Töne Wollust so verklingen!
In süßen Tränen Wellen gleich verrieseln!
In süßen Träumen Geistern gleich verschweben!
O Schwäne, welche mir im Busen singen,
Ihr schmölzet wohl die Brust von harten Kieseln,
Euer Sterben gäbe wohl dem Tode Leben.

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Citation Suggestion for this Edition
TextGrid Repository (2011). Arndt, Ernst Moritz. Klinglieder. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-064B-2