Reime aus einem Gebetbuche für zwei fromme Kinder

1809.

1.

Ein Blümlein steh' ich im Erdental,
Mich lockt die Sonne mit warmem Strahl,
Mit meinen Blättchen buhlet der Wind,
Der Zephir nennt mich liebliches Kind,
Und Tau und Regen erquicken mich;
Wohl jung und lustig und schön bin ich,
Doch muß ich welken und sterben.
Und wann ich endlich gestorben bin,
So schläft und träumet mein kleiner Sinn
Im Winterwiegelein still und fromm;
Dann kommt der Frühling und rufet: Komm!
[41]
Komm, Kindlein! ruft die Sonne dazu,
Wach' auf vom Schlummer! Vorbei ist die Ruh'
Sollst wieder blühen in Freude.

2.

Zieh mich auf! Zieh mich auf zu dir!
Du, der im Himmel wohnet.
O wie schön, o wie schön bei dir,
Der überschwenglich lohnet!
Jugend flieht, Freude fliehet früh,
Glück wechselt leicht abwendig,
Gott versäumt, Gott vergisset nie,
Ist immer gleich beständig.
Sei denn fromm, sei denn still in mir,
Mein Herz in süßer Freude!
Denn er wohnt und er zieht in dir
Und kennt die Kindlein beide.

3.

Es saß ein Kindlein im weißen Kleid,
Ein Kränzlein trug es der Herrlichkeit
Von Rosen und Lilien schön gewunden,
Solche Blumen sind nicht auf Erden erfunden;
Auch war das Kindlein schön und süß,
Als käm' es aus dem Paradies.
Und wer das liebliche Kindlein sah,
Dem wunderbarliche Lust geschah,
Als wär' er zum Himmel schon hoch erhoben
Und hörte Gott Vater von Engeln loben
Und säh' die Stern' im Jubelring
Lobpreisen den Schöpfer aller Ding'.
Wohin das liebliche Kindlein kam,
Alle Zwietracht plötzlichen Abschied nahm,
Und Liebe und Friede und stille Freude,
Als wär' es schon Himmel, erfreut' die Leute.
Das Kindlein lieb, das dies getan,
Gleich Gottes Engel all' empfahn.
[42]
Das Kind auf Erden die Unschuld heißt,
Im Himmel auch ist es hoch gepreist
Vor heiligen Mächten und hohen Thronen,
Die rings um den Höchsten im Lichte wohnen,
Steht Gott zunächst zur rechten Hand
Und wird sein Liebling dort genannt.
Denn alles Schöne geworden ist
Durch Kindereinfalt zu jeder Frist,
Die Sonnen und Monden und hellen Sterne,
Die leuchten und winken aus weiter Ferne,
Der Blumenkeim, das Menschenherz:
Drum will es alles himmelwärts.
Das Kindlein hab' ich gekonterfeit
Mit seinem Kränzlein und weißen Kleid,
Daß Glaube und Sehnsucht der ewigen Liebe
Uns brünstig zum Himmel der Freuden hübe:
Denn wer das Kindlein zu sich hält,
Dem ist das Herz gar wohl bestellt.
Besonders Kindelein fromm und zart
Und holden Mägdlein von stiller Art,
Auch helles Gespiegel den reinen Frauen
Ich habe dies Bildchen gestellt zu schauen,
Daß drin sie spat und frühe sehn
Und werden gleich der Unschuld schön.

4.

Himmlische Auen,
Wo meines Daseins Wiege stand,
Eh' ich zu schauen
Ging das betränte Erdenland,
Holde Gespielen,
Engel des Himmels, kennt ihr mich?
Wähnen und fühlen,
Träumen mit euch, nur das kann ich.
Aber die Wonne
Flüchtig wie Schatten vorüberrauscht.
Hier, wo die Sonne
Gleich mit der Nacht die Stunden tauscht,
[43]
Hier, wo die Klage
Über der Todesurne schallt
Und mit dem Tage
Schönheit und Jugend vorüberwallt.
Traurig gefangen
Schmachtet die Seele auf zum Licht,
Doch ihr Verlangen
Stillet die Erde unten nicht;
Leuchten die Sterne,
Schau' ich nach oben sehnend hin,
Dort zu der Ferne,
Dort zu den Frommen steht mein Sinn.
Himmlische Auen,
Wo meines Daseins Wiege stand,
Werd' ich euch schauen
Frei von dem eitlen Erdentand?
Süße Gespielen
Himmlischer Kindheit, Engelein,
Werd' ich bald spielen
Mit euch droben den Ringelreihn?
Eija! wie fröhlich
Geht mir im Busen frisch das Herz!
Eija! wie selig
Fühl' ich versinken Erdenschmerz!
Ewige Lichter,
Strömet ihr Lebensglut auf mich?
Engelgesichter,
Himmelsgespielen, grüßt ihr mich?

5.

Unter Blumen spielen
Gern die kleinen Kinder,
Blumen sind süß und schön.
Wie den Sonnenkindlein,
Wie den bunten Blumen,
Soll den Kindern das Herzchen stehn.
Denn die Blumen heben
Gern die Liebesäuglein
[44]
Liebend zum Lichte auf;
Wann die Sonne sinket,
Sinken sie in Schlummer,
Stehn zugleich mit der Sonne auf.
Wißt ihr, kleine Kinder,
Droben hoch auf Sternen
Blühen viel tausendmal
Tausend bunte Blumen,
Und die Englein winden
Kränze daraus im Himmelssaal.
Wann die Kinder schlafen,
Hängen sie die Kränze
Ihnen am Bettchen auf,
Und in goldnen Träumen
Tut der ganze Himmel
Sich mit Sternen und Blumen auf.

6.

Ein Kind wollt' Blumen pflücken gehn
Des Morgens früh im Taue,
Und tausend Blümlein bunt und schön
Entblühten auf der Aue;
Lenz war es rings und Sonnenschein,
Und alle Blümlein groß und klein
Standen da in süßer Freude.
Und als das Kindlein tritt ins Feld,
Die Blümlein werden munter,
Und jedes gleich sein Köpfchen hält
Hinaufwärts und hinunter,
Wohin des Kindchens Händchen langt:
Ein jedes Blümlein sehr verlangt
In seiner Hand zu sterben.
Da plötzlich tritt ein Engel weiß
Gar freundlich zwischen beide
Und spricht: »Gegrüßt der Jugend Preis!
Und Blümlein auf der Heide!
Voll Himmelslust und Himmelschein,
Von innen und von außen rein,
Blumen schön und fromme Kinder!
[45]
Willkommen, Veilchen still und zart!
Willkommen, Lilie reine!
Und du, von Königinnenart
Und Königin alleine,
Du Rose, hohes Purpurrot!
Euch, Holde, segne alle Gott,
Wie er dies Kindlein segnet!«
Er drauf das Kindlein freundlich küßt
Und küßt die Blumen schöne,
Dann rauscht er, wie er kommen ist,
Dahin wie Saitentöne.
Das Kindlein schaut ihm brünstig nach
Und lauscht den Worten, die er sprach,
Und ruft: »Ach! komm doch wieder!«
Und als er doch nicht wiederkömmt,
So geht es traurig weiter,
Und nichts die heißen Tränen hemmt,
Die fallen auf die Kräuter
Und auf die Blumen ringsumher;
Dem Kindlein wird das Herz so schwer
Und will ihm fast zerbrechen.
Da, siehe! wie ein Himmelschein
Fällt ihm ein Glanz entgegen,
Es schießt ein helles Kränzelein
Herab als Himmelssegen
Und fällt dem Kindlein in den Schoß,
Ihm wird das Herz in Freuden groß
Wohl ob dem lieben Kränzel.
Und diesen Kranz von Engelhand
Das Kindlein hat getragen,
Solang es ging im Erdentand,
In Nächten und an Tagen.
Das Kränzlein schön von Himmelsart
Hat weiß und rein das Kind bewahrt
Und ihm das Herz behütet.
Sooft nun Kinder Blumen sehn,
Sie solln des Engels denken,
Daß ihnen auch er wolle schön
Ein solches Kränzel schenken.
[46]
Mit Erdenblumen spielt der Wind,
Doch Blumen, die vom Himmel sind,
Die blühen unvergänglich.

7.

Gott, deine Kindlein treten
Mit Freuden zu dir hin,
Sie stammeln und sie beten;
Du kennst der Worte Sinn:
Was aus dem Borne quillet,
Der nimmermehr versiegt,
Was ihnen selbst verhüllet
Im tiefsten Herzen liegt,
Das lockst du hoch nach oben
In seliger Begier,
Die Milde dein zu loben
Und Güte für und für.
O du, der in den Höhen
Und in den Tiefen wohnt,
Laß kindlich uns verstehen,
Was überschwenglich lohnt.
Gib fromme Kinderworte,
Gib süßen Kinderwahn!
So wird uns nur die Pforte
Der Himmel aufgetan.

8.

Du, der in flammende Gebete
Des Lebens höchste Kraft gelegt
Und aus des Busens tiefster Stätte
Das Herz in süßer Sehnsucht regt,
Du, aller Himmel höchster Meister,
Du, alles Lebens höchster Schein,
Komm, führe in das Land der Geister
Dein sehnend Kind zum Lichte ein.
Wo Myriaden Sonnen kreisen,
Der Morgenröten Jubelklang
In tausendfach verschiednen Weisen
Ertönt, ein heiliger Gesang,
[47]
Wo Millionen Heil'ge knien
Und schauen dir ins Angesicht,
O Vater! Gott! laß dort mich blühen
Am kleinsten Strahl von deinem Licht!
Denn ach! zur kalten Erde wollen
Die Himmelslichter nicht herab,
Und ihre goldnen Lampen rollen
Gefühllos über Sarg und Grab;
Der Wechsel hier vom Leid zum Glücke,
Vom Glück zum Leide ist zu schwer:
Es bricht die zarte Geisterbrücke,
Und Paradiese blühn nicht mehr.
Drum Himmel steige! Sinke Erde
Und irdisch Leben unter mir!
Daß ich ein weißer Engel werde,
Steht, weiße Engel, neben mir,
Und helft im Glauben mir vollenden
Der Erde mühevollen Streit,
Und traget mich auf reinen Händen
Empor ins Land der Seligkeit.

9.

Wir wandeln hier in Finsternissen
Und schaun vergebens nach dem Licht;
Nicht trösten mag uns, was wir wissen
Und was wir können, helfen nicht:
So wickelt ewig auf und ab
Sich Labyrinth aus Labyrinthen,
Und heute sehen wir verschwinden,
Was gestern süße Täuschung gab.
Doch liebt der Stolze seine Irre,
Der Eitle seinen Lügenschein
Und wirret in das Truggewirre
Sich jede Stunde fester ein,
Verschmäht die Wahrheit für Gedicht,
Verschmäht die Flamme für den Schimmer,
Und hascht und sucht und findet immer,
Doch ach! sich selber find't er nicht.
[48]
O du, durch den die Sonnen brennen
Und leuchtend durch die Himmel gehn,
Gott, lehre du mich selbst erkennen
Und meiner Künste Lug verstehn,
O hebe dein demütig Kind
Empor mit deinen Liebesarmen
Und laß sein Herz in dir erwarmen,
Vor dem die Engel Stammler sind.
Aus deines Lichtes reichem Meere
Floß einst ein einziger Tropfen aus
Und zündete die Sternenheere
Und Lampen all im Himmelshaus –
O einen Funken nur für mich!
Nur einen Schimmer von dem Glanze!
Und droben in dem Sternentanze
Mit allen Seligen preis' ich dich.

10.

Es lebt ein Geist, durch welchen alles lebt,
Durch den die Sonne kreist,
Der Blumenbusch die goldnen Köpfchen hebt,
Den Lenz der Vogel preist;
Durch den das Menschenherz, das Wunderding,
Vor eignen Wundern bebt,
Wann er es mächtig zu dem Sonnenring
In tiefster Sehnsucht hebt.
O Geist der Geister, knieend bet' ich an,
Was keine Zunge spricht;
Zieh, ew'ges Licht, den kleinen Funken an,
Er will zu deinem Licht.
Er floß vom sel'gen Götterlande aus
Herab zur Erdenflur
Und sehnt sich ewig nach dem Sonnenhaus,
Nach himmlischer Natur.
O Geist der Geister, trage mich empor!
Und mache ganz mich dein!
Es ist mein Vaterland, was ich verlor:
Der Himmel ist ja mein.

[49] 11.

Lehr' mich beten,
Gott der Herrlichkeit,
Kindlich vor dich treten,
Wie das Herz gebeut.
Mach' unschuldig,
Mache fromm dein Kind,
Denn die Welt ist schuldig,
Übervoll voll Sünd'.
Nach dem Bilde
Schufest du mich dein,
Vater aller Milde,
Laß mich heilig sein!
Nimm die Erde,
Nimm die Schuld von mir!
Daß ich Engel werde,
Wohne du in mir!
O Gedanke!
Himmelschein voll Licht!
Erd' und Himmel wanke,
Gott verläßt mich nicht.

12.

Hebe mich empor zu dir,
Der die kindliche Begier
Mir im tiefsten Busen zündet,
Daß mein Herz die Wahrheit findet,
Die dein heil'ges Wort verkündet:
Suchet mich, so findet ihr.
O verheißungsvolles Wort!
Sei mein Schild und sei mein Hort!
Sei mein Licht im finstern Staube!
In Verzweiflung sei mein Glaube:
Daß mir nichts die Wahrheit raube:
Gott ist hier und Gott ist dort.
Ach! Ich bin ein schwaches Kind,
Sehe viel und bin doch blind,
[50]
Wähne viel und kann nichts wissen,
Suche Licht in Finsternissen,
Wanke, tausendfach gerissen,
Hin und her vom Erdenwind.
Du, der einzig helfen kann,
Vater, nimm dich meiner an,
Helle mir Verstand und Augen,
Daß sie dich zu sehen taugen
Und aus deiner Liebe saugen,
Was die Bien' aus Blumen kann.
O mein Gott, ich fühle dich
Freundlich und herzinniglich.
O wie wohl wird mir von innen!
Erd' und Erdenqual zerrinnen,
Und mit allen meinen Sinnen
Fühle, habe, lieb' ich dich.
Fahre hin, du Erdental!
Schon bin ich im Himmelssaal,
Schwebe auf den sel'gen Höhen,
Wo die Zehnmaltausend stehen
Und den Lobgesang erhöhen
Mit den Frommen allzumal.

13.

Traum ist das Leben,
Schatten von Träumen der Jugend Lust,
Wolken verschweben,
Also die Bilder der Menschenbrust;
Alles ist Wanken,
Sinken und Steigen,
Selbst die Gedanken,
Sterblicher, sind nicht dein Eigen.
Doch willst du bauen,
Bauen auf das, was vergänglich ist,
Doch willst du trauen
Dem, was das Maß der Sekunde mißt;
Trug aus Betruge
Spinnen und weben
Taumelnd im Fluge,
Eitler, das heißet dein Leben.
[51]
Sagt mir denn keiner
An, wie die Unruh' zu Ruhe wird,
Tröstet denn keiner
Sehnsucht, die schmachtend im Busen girrt?
Himmlischer Glaube,
Magst du nicht finden,
Wie auf dem Staube
Wir uns das Bleibende gründen?
Ach! nicht hienieden,
Nicht wo in Gräbern die Asche liegt
Suche den Frieden,
Nicht wo die Freude mit Winden fliegt.
Arbeit und Tränen
Irdischem weihe,
Aber dein Sehnen
Stelle zur himmlischen Bläue.
Da gehn die Lichter,
Ewige Spiegel der reinsten Lust,
Liebende Richter,
Liebende Tröster der Menschenbrust;
Dahin gerichtet,
Was dich bedränget!
Da wird gelichtet,
Was dir hier Nacht noch verhänget.

14.

Traum der fliehenden Minuten,
Wie auf Fluten
Mondenschimmer wechselnd bebt,
Wie auf grünen Sommermatten
Licht und Schatten
Flüchtig durch einander schwebt –
Also stürzt des Lebens Welle,
Nacht und Helle
Wechselnd sich ins eigne Grab,
Und das Liebste, was wir hatten,
Flieht als Schatten
Mit zur Schattenwelt hinab.
Stolzer Mensch, was ist dein Eigen?
Wie ein Reigen
[52]
Lieblich, aber kurz verklingt,
So verklingt der Jugend Schöne,
Deren Töne
Nur die Wehmutsglocke ringt.
Was ist Liebe? Süßes Sehnen,
Banges Wähnen,
Recht des eitlen Traumes Traum.
Die unsterblichen Gewalten
Willst du halten,
Und du hältst dich selber kaum.
Was ist Schwur und feste Treue?
Wolkenbläue
Wechselt nicht wie Menschenwort;
Und du nimmst, was auf dem Sande
Steht, zum Pfande?
Doch wie Sand so fließt es fort.
Das Unendliche ergründen
Willst du, finden,
Was die Weltenräder treibt?
Weise hab' ich viel vernommen,
Doch beklommen
Lernt' ich, daß es Rätsel bleibt.
Deine Kunst, dein eitles Wissen
Teufelskissen
Ist es leerer Eitelkeit;
Dennoch weckst du Dunst aus Dünsten,
Mit Gespinsten
Webst du golden dir dein Leid.
Auf! aus Nacht der Eitelkeiten
In die weiten
Welten, leuchtend über dir!
Aus des Lebens reinen Quellen
Trinke hellen
Himmelsgeist und Wonne dir!
Trinke heitern Geist der Wahrheit!
Und in Klarheit
Wird die Täuschung vor dir stehn;
Weinen wirst du bittre Tränen,
Doch dein Sehnen
Wird durch alle Himmel gehn.
[53]
Und von Gottes goldnen Kerzen
Zünd' im Herzen
Sich die Flamme keusch und rein,
Die unsterblich Leben fodert,
Aufwärts lodert
Durch der Erde Nebelschein.
Auf! mit stolzem Angesichte
Zu dem Lichte!
Zu dem Lichte alles Lichts,
Wo die tausend Sonnen brennen!
Lern' erkennen:
Gott ist alles, du bist nichts.
Und vom finstern Erdenstaube
Schwingt der Glaube
Rettend deine Seele auf,
Erde sinkt und Erdgewimmel,
Und der Himmel
Tut sich der erlösten auf.

15.
Abendgebet

Der muntre Tag ist wieder still,
Und alles schlafen gehen will,
Das Wild auf weichen Mooses Flaum,
Der Vogel auf den grünen Baum,
Der Mensch in seine stille Kammer,
Sich auszuruhn von Müh' und Jammer.
Doch tritt er aus der Hüttentür
Zuvor noch in die Nacht herfür,
Sich christlich erst bereiten muß
Mit Liebesdank und Liebesgruß,
Muß sehen, wie die Sterne blinken,
Und noch den Odem Gottes trinken.
Du, der von oben Wache hält,
Du milder Vater aller Welt,
Vernimm mein stammelndes Gebet,
Das zu den hellen Sternen geht,
Wollst mich von deinen Sonnenkreisen
Im rechten Beten unterweisen.
[54]
Ich war den Tag in deiner Hut,
Behüt' auch heint mich, Vater gut,
Durch deine milde Freundlichkeit
Vorm bösen Feind und seinem Neid;
Denn was den Leib mir mag befallen,
Das ist das kleinste Leid von allen.
O sende von dem Strahlenschein
Den liebsten Engel zu mir ein
Als Friedensboten unters Dach,
Als Wächter in mein Schlafgemach,
Daß Herz und Sinne und Gedanken
Sich fest um deinen Himmel ranken.
Dann geht der Tag so lustig fort,
Dann klingt die Nacht ein Liebeswort,
Dann ist der Morgen Engelgruß,
Dem alles Böse weichen muß,
Und wir hienieden schon auf Erden
Wie helle Kinder Gottes werden.
Und fällt der letzte Abendschein
Einst in das müde Aug' hinein,
Sehnt meine Seele sich hinauf
Zum ewig sel'gen Sonnenlauf,
So werden alle Engel kommen
Mich heimzuholen zu den Frommen.

16.
Morgengebet

Die Nacht ist nun vergangen,
Der Morgen steht so herrlich da,
Und alle Blumen prangen
Und alle Bäume fern und nach;
Auf Feldern und auf Wiesen,
In Wald und Berg und Tal
Wird Gottes Lust gepriesen
Von Stimmen ohne Zahl.
Die frommen Nachtigallen,
Sie klingen hellen Freudenklang,
Die Lerchen, höchst vor allen,
[55]
Zum Himmel tragen sie Gesang,
Der Kuckuck auf den Zweigen
Und auch das Zeisiglein,
Sie wollen sich dankbar zeigen,
's will keiner hinten sein.
Und ich? ich sollte schweigen,
Ich, Gottes reiches Ebenbild?
Durch das mit Liebesneigen
Der Feuerstrom der Gottheit quillt,
Dem er die Sternenlichter
Zur Brüderschar geweiht
Und Engelangesichter
Verklärt in Herrlichkeit?
Das Wild im grünen Walde,
Der Vogel auf dem grünen Baum,
Sie priesen alsobalde
Den Vater überm Sternenraum?
Es sumsete die Imme,
Das Würmchen seine Lust,
Und ich hätt' keine Stimme
Des Lobes in der Brust?
Nein, Vater aller Güte,
Du meiner Seele Freudenlicht,
Wie gern will mein Gemüte!
Doch meine Worte können nicht.
Wer mag dich würdig preisen,
Durch den die Welten sind,
Vor dem die tiefsten Weisen
Kaum lallen wie ein Kind!
O Herr, laß mich auch heute
In deiner Liebe wandeln treu,
Daß ich der Sünden Beute,
Der Eitelkeiten Spiel nicht sei,
Laß mich nach deinem Bilde
Den Weg der Tugend gehn,
So wird der Tag mir milde,
So kommt die Nacht mir schön.

[56] 17.

Wer hat den Sand gezählt,
Welcher im Wasser haust?
Wem hat kein Blatt gefehlt,
Wann der November braust?
Wer weiß im Januar
Wieviel der Flocken wehn,
Wie viele auf ein Haar
Tropfen aufs Weltmeer gehn?
Wer mißt den Ozean,
Wo er am tiefsten fließt?
Wer mag die Strahlen fahn,
Welche die Sonne schießt?
Wer holt das Lichtgespann
Fliegender Blitze ein?
Nenne den Wundermann!
Keiner mag größer sein.
Gott ist der Ohnezahl,
Vor dem die Zahl vergeht,
Der durch den Sternensaal
Sonnen wie Flocken weht;
Gott ist der Überall,
Gott ist der Ohnegrund,
Schneller als Licht und Schall,
Tiefer als Meeresgrund.
Sandkörner zählest du,
Nimmer die Freundlichkeit,
Weltmeere missest du,
Nie die Barmherzigkeit,
Sonnenstrahl holst du ein,
Nimmer die Liebe doch,
Womit sein Gnadenschein
Sündern entgegenflog.

18.

Gottes süße Liebe,
Gottes freundlich frommes Herz,
Ziehe meine Triebe
Alle himmelwärts.
[57]
Unten sind nur Tränen,
Unten ist nur eitel Lug,
Ungestilltes Sehnen,
Täuschung nur und Trug.
Unten ist nur Mühe,
Kampf nur, wann's am besten ist,
Hader spat und frühe,
Daß man dein vergißt.
Alle, gleich den Blinden,
Tappen wir in Biesternis,
Können dich nicht finden
In der Finsternis.
O du reiche Quelle,
O du Brunnen jeder Lust!
Mache mir es helle,
Hell in Aug' und Brust!
Ziehe, süße Liebe,
Aus dem Dunkel mich zum Licht,
Alle meine Triebe,
All mein Angesicht.
Gottes Liebe, ziehe,
Zieh in dich mich ganz hinein!
Daß ich hier schon blühe
Wie ein Himmelsschein.
Gottes Liebe, Spiegel
Aller Freude, alles Lichts,
Gib mir Sonnenflügel,
Zu entfliehn dem Nichts:
Daß ich gleich der Lerche
Flieg' empor ins Sternenhaus
Über Tal und Berge
Und die Welt hinaus.

19.

O du süßes Engelbild,
Das mir Sinn und Seele füllt,
[58]
Himmelsglanz von bessern Sphären,
Friedensbote hoher Ehren,
Meine Sehnsucht, mein Verlangen,
Sprich, wo bist du hingegangen?
O wie war mit dir es süß,
Alle Welt ein Paradies,
Eitel Friede, Lust und Freude –
Was erzählten wir uns beide
Von den wunderbaren Dingen
Jenseits, wo die Sphären klingen!
Kehre wieder, komm zurück,
Alte Unschuld, altes Glück!
Daß die bösen Schatten weichen,
Die mir Gottes Sterne bleichen,
Daß die wilden Triebe schweigen,
Die mein Herz zur Sünde neigen.
Tröste dein verwaistes Kind,
Ach! der kalte Erdenwind
Hat es gnug in Finsternissen
Irrend hin und her gerissen –
Komm, du süßer Trost der Frommen!
Laß den Frieden wiederkommen.

20.
Frühlingslied

Frischauf! liebe Kinder! Es ist Maientag.
Heute sei fröhlich, wer froh sein mag!
Frisch! alle zu den Blumen hinaus!
Der Himmel öffnet sein Sonnenhaus,
Alle Engelein kommen mit Prangen,
Sie wollen den Frühling empfangen.
Frischauf! liebe Kinder! Es ist Maientag.
Seht, wer das Schönste sich pflücken mag:
Demut, das Veilchen, lächelt so blau,
Die Unschuld winket als Lilie im Tau,
Und die Rose, die himmlische Liebe,
Auf Dornen trauert sie trübe.
[59]
Frischauf! liebe Kinder! Es ist Maientag.
Horcht, was der Engelgespiele sprach:
Schön bist du Erdenmaitag und süß,
Das holde Bildnis vom Paradies,
Aber auf himmlischen Blumenauen
Da sollt ihr Schöneres schauen.
O du süßer Himmel und dein Maientag!
Seliger himmlischer Maientag!
Droben verwelket Demut nicht mehr,
Die Unschuld klagt nicht: Die Welt ist leer,
Und die Rose, die himmlische Liebe,
Sie steht auf Dornen nicht trübe.
O du süßer Himmel und dein Maientag!
Glücklich, wer schon deine Blumen brach!
Frisch! alle zu den Blumen hinaus!
Der Himmel öffnet sein Sonnenhaus,
Und die Engel wollen mit Prangen
Die frommen Kinder empfangen.

21.

O wie sehr tut mich verlangen
Nach den süßen Himmelsauen,
Wo die Tage selig prangen,
Wo die Nächte Wonne tauen,
Wo die Unschuld und die Freude
Stehn als Himmelswache beide!
O wie sehr tu' ich mich sehnen
Nach den süßen Paradiesen,
Nie benetzt von Trauertränen
Wie die kalten Erdenwiesen!
Himmelsrosen, Himmelsnelken
Blühen dort, die nie verwelken.
O die schönen Reigentänze,
Welche selige Engel schwingen!
O die immergrünen Kränze,
Die der Frommen Stirn umschlingen!
Land der Sehnsucht, Land der Frommen,
O wann werd' ich zu dir kommen!
[60]
Ach! die Erde ist ein Schwanken
Auf und ab von Ruh' zum Streite,
Himmel wollen die Gedanken,
Doch die Sünde stellt auf Beute:
Drinnen lechzet Sternenliebe,
Draußen locken Erdentriebe.
O du süßer Himmelsfrieden,
Komm mit deiner Engelmilde!
Führe doch den Streitesmüden
Wieder auf die Lustgefilde,
Wo wir wie die Kinder spielten
Und nur Lust und Unschuld fühlten.
Komm, du süßer Friede! kehre
Mit den Kinderfreuden wieder!
Stiller Engel, komm und lehre
Mir die alte Unschuld wieder,
Daß ich schon auf diesen Auen
Kann das Leben Gottes schauen.

22.

Lockst du mich, du Gottesfrieden,
Zu den schönen Himmelsauen,
Die wir Dunkle, ach! hienieden
Nur in blassen Schatten schauen?
Lockst du mich, o Sehnsucht, immer,
Wie die Frommen Glockenläuten,
Wieder hin zum Sternenschimmer?
Wieder in die alten Zeiten?
In die Zeiten, längst vergangen?
In der Seelen Kindertage?
Dahin schmachtest du, Verlangen?
Dahin, Herz, mit jedem Schlage?
Ja, der Funke will zur Sonne,
Und die Seele will zum Himmel,
Zu des stillen Lebens Wonne
Aus dem tollen Erdgewimmel.
Nein, es ist kein Wahn der Träume,
Ist kein Irrlicht düstrer Nächte,
Mein sind jene Sternenräume,
Mein sind jene Götterrechte:
[61]
Fremdling bin ich nur im Staube,
Meine Heimat such' ich wieder,
Meine grüne Himmelslaube,
Meine Himmelsblumen wieder.
Was soll ich hienieden streben
Zwischen Kummer stets und Freude,
In dem unruhvollen Leben
Der Minuten schnelle Beute?
Wie die Vöglein auf den Zweigen
Wechselnd hin und wieder fliegen,
Schwebt des Menschen Tun und Neigen,
Schwebt sein Wünschen, sein Vergnügen.
Wie soll ich hienieden finden,
Was die heiße Liebe stillet,
Wo die Unruh' wilder Sünden
Aus der Erdenfreude quillet?
Wo wir heute lassen müssen,
Dem wir gestern angehangen?
Wo Begierde und Gewissen
Sind in stetem Krieg befangen?
Was soll ich hienieden schaffen,
Hier, wo nichts beständig bleibet?
Wo vom Staub und Blut der Waffen
Stets die wilde Rennbahn stäubet?
Wo die Lüge auf dem Throne
Gaukelnde Orakel singet
Und mit blut' ger Dornenkrone
Wahrheit kaum vernommen klinget?
Fahre hin, du Land der Tränen!
Hin, du Land der süßen Lügen!
Damit wir uns hinnen sehnen,
Darum mußt du viel betrügen;
Damit wir das Feste wollen,
Darum muß in dir nichts bleiben,
Alles durcheinander rollen
Und die Welle Welle treiben.
Locke, stiller Gottesfrieden!
Süße Sehnsucht, schweige nimmer!
Werfet Himmelschein hienieden
Auf der Nichtigkeiten Trümmer,
[62]
Daß die Seelen innewerden
Unter Zittern, unter Bangen:
Wahres gibt es nicht auf Erden,
Jenseits sollen wir erlangen.

23.

Ich bin so traurig in dem Herzen
Und weiß nicht mehr, wo hin noch her,
In meinem Innern braust von Schmerzen
Ein weites, kaltes wüstes Meer,
Es reißt mich Sehnsucht und Verlangen
Vom Süd zum Nord, vom Ost zum West,
Gleich einem Menschen, der von Schlangen
Im Busen trüg' ein ganzes Nest.
Ich bin so traurig in dem Sinne,
Der sonst so still und freundlich war,
So voll von Gottes süßer Minne,
Von Gottes Licht so hell und klar;
Bei Menschen fühl' ich mich verlassen,
Und einsam faßt mich schlimme Not,
Ich kann mich selber nicht mehr fassen
Und wünsche oft: O wärst du tot!
Denn ach! mein Gott hat mich verlassen,
Weil ich zuerst mich selbst verließ
Und auf des Lebens breite Straßen
Mich töricht gnug verlocken ließ.
Im bunten, gaukelnden Gebrause,
Wo floh es hin, mein altes Glück?
Wie find' ich zu der stillen Klause
Der Kinderunschuld mich zurück?
O du, der in das Land der Nächte
Die Liebe selbst herabgesandt,
Daß sie uns allen Gnade brächte
Und Heilung mit der milden Hand,
Der sie ans harte Kreuz geschlagen,
Mit Dornen blutig sie zerriß,
Daß wir in Sünden nicht verzagen,
Der unerschöpften Huld gewiß.
[63]
Du tröste, was den Trost verloren,
Du richte das Gefallne auf,
Und zu den steilen Himmelstoren
Gib Mut und Licht dem Pilgerlauf.
Du bist die Güte, du die Treue,
Ich bin der Staub, ich bin das Nichts,
Das sehnend lechzt zur heitern Bläue
Des reinen Glücks, des reinen Lichts.

24.
Gott der Gärtner

Die Erde ist ein Garten
Voll süßer Blümelein,
Gott selbst will ihrer warten
Und gerne Gärtner sein,
Will ihrer spät und früh
In frommer Treue pflegen,
Mit Sonnenschein und Regen
Und Tau erquicken sie.
Die erste Blum' vor allen
Das muß die Liebe sein,
Der Menschen Wohlgefallen,
Der Engel schönster Schein:
Sie ist die Rose rot
Und muß auf Dornen stehen,
Sobald die Winde wehen,
Ist ihre Schöne tot.
Die zweite, die Gott liebet
Nächst Liebe allerbest',
Ist, die das Gute übet
Und sich nichts merken läßt;
Ihr Name Demut heißt,
Auf Erden auch das Veilchen,
Sie blüht ein kurzes Weilchen
Und kaum die Blüte weist.
Der Glaube heißt die dritte,
Sie duftet nur bei Nacht
In aller Geister Mitte
Bei voller Himmelspracht:
[64]
Da tut das Herz sich auf
Der frommen Nachtviole,
Wann hell von Pol zu Pole
Sich schwingt der Sterne Lauf.
Auch Hoffnung ist nicht minder
Ein liebes Gotteskind,
Wohl liebstes seiner Kinder,
Die nur hienieden sind.
Schneeblümchen grün und bleich,
Holdselig von Gebärden,
Du bist ihr Bild auf Erden,
Kommst mit dem Lenz zugleich.
Auch du, die im Gemüte
Beständig ist und treu,
Du, aller Zeiten Blüte,
Mir lieb gegrüßet sei!
Merlblümchen frisch und bunt!
Beständigkeit soll leben!
O wolle Gott uns geben
Solche Lieb' zu jeder Stund'!
Und du, die auf dem Throne
Des Blumengartens sitzt
Und mit der weißen Krone
Gleich einem Engel blitzt,
O Lilie, Unschuld süß!
Du winkest lieb uns hinnen
Mit Herzen und mit Sinnen
Zurück zum Paradies.
Noch Blumen viel und Kräuter
Hat Gott der Gärtner mehr,
Wer sie erzählte weiter,
Zählt wohl den Sand am Meer:
Wieviel er ausgestreut,
Wie könnt' ich alle zählen
Die zarten Blumenseelen
Im bunten Sonnenkleid!
Sollt' ich mir eine nehmen,
Die Lilie müßt' es sein,
Steht wie ein Geisterschemen
Mit hellem Himmelschein;
[65]
Wehmütig geht ihr Blick
Empor zum Licht der Sterne,
Sie wäre gar zu gerne
Zum Vaterland zurück.
O Gärtner treu und milde,
Der alles kann und weiß,
Mach' mich zu ihrem Bilde,
Mach' mich so rein und weiß.
Dann kann ich droben froh
Als Lilienmädchen kommen
Und unter allen Frommen
In Unschuld blühen so.

25.

Der Heil'ge Christ ist kommen,
Der süße Gottessohn,
Des freun sich alle Frommen
Am höchsten Himmelsthron,
Auch was auf Erden ist,
Muß preisen hoch und loben
Mit allen Engeln droben
Den lieben Heil'gen Christ.
Das Licht ist aufgegangen,
Die lange Nacht ist hin,
Die Sünde ist gefangen,
Erlöset ist der Sinn,
Die Sündenangst ist weg,
Und Liebe und Entzücken
Baun weite Himmelsbrücken
Aus jedem schmalsten Steg.
Verwaiset sind die Kinder
Nicht mehr und vaterlos,
Gott rufet selbst die Sünder
In seinen Gnadenschoß,
Er will, daß alle, rein
Von ihren alten Schulden,
Vertrauend seinen Hulden,
Gehn in den Himmel ein.
[66]
Drum freuet euch und preiset,
Ihr Kindlein fern und nah!
Der euch den Vater weiset,
Der Heil'ge Christ ist da;
Er ruft so freundlich drein
Mit süßen Liebesworten:
»Geöffnet sind die Pforten,
Ihr Kinder, kommt herein!«

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Citation Suggestion for this Edition
TextGrid Repository (2011). Arndt, Ernst Moritz. Reime aus einem Gebetbuche. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-067A-7