IV. Der Erdspiegel.

Auf einem Kreuzweg stehen zwei Männer in der Nacht;
Wird einer finstern Gottheit ein Opfer dargebracht?
Rund um ein Feuer legen sie Schädel und Gebein,
Und streuen Zauberkräuter in seine Gluth hinein.
Mit Henkerschwertern graben sie still den Boden auf;
Was suchen sie da drunten, was fördern sie herauf?
Sind's Truhen, voll von Golde, von Prachtkleinoden schwer?
Ist's einen Hünen Leichnam und seine Zauberwehr?
Die Windsbraut tanzt wie rasend den tollen Ringelreihn,
Wild in die Flammen blasend, umsaust den Rabenstein;
Dort wogt es nebelduftig, dort stöhnt's und wimmert's leis,
Und Schatten, bleich und luftig, drehn wehend um im Kreis.
Wer sind die Nekromanten, die dort so still bemüht,
Wo bleiche Schädel grinsen, wo Gluth in Funken sprüht?
Was ist's das sie vollbringen im Graun der Mitternacht,
Und haben nur des Werkes, nicht der Gestalten Acht?
[21]
Der alte finstre Zaubrer ist Heilinger genannt,
Dess unheilvolle Seele sich längst dem Heil entwandt.
Der Zweite, der so kühn blickt, den keine Furcht durchgraust,
Der Jüngling ists, der Wandrer, der Astrolog, der Faust.
Ihn lehrt der alte Meister die Werke dunkler Kunst,
Und feurig buhlt der Jüngling um solchen Lehrers Gunst.
Der Wandrer fand die Formel, die Geister ruft und bannt,
Der Astrolog hat freudig nun seinen Stern erkannt.
Und ämsiger sie graben, und wilder braust der Sturm;
Laut krächzen heis're Raben vom Burgruinenthurm.
Und Irrlichtflämmchen bläulich umwehn das Kreuzwegfeuer,
Und grausig naht und gräulich, formlos manch Ungeheuer.
Zwei bleiche Schatten schweben gar nah, gar nah heran,
Mit Augen voll von Zähren sehn sie den Jüngling an.
Sie winken ihm, so flehend, so schwermuthvoll, so mild,
Der Jüngling sieht mit Beben der theuren Aeltern Bild.
Der Zaubrer aber winkt ihm nicht ferner hinzusehn,
Wo die Gestalten trauernd, gleich Marmorurnen stehn.
Dem Grabe seiner Unschuld die eine scheint geweiht,
Die zweite gilt dem Grabe von seiner Seligkeit.
Und beide schwinden seufzend, und wilder wallt's umher,
Von Wolken und Gestalten wogt rings ein Zaubermeer,
Das um die Männer fluthet wie Windeswirbellauf,
Doch Keiner steht entmuthet, und Keiner achtet drauf.
[22]
Ein Schatz ruht in den Tiefen der alten Mutter Nacht,
Den die Dämonen hüten und halten fest im Schacht;
Der nimmer leichten Preises herauf ans Licht sich hebt,
Und den der Nacht verbündet, der solches Gut erstrebt.
Und unerschüttert grübt noch das düstre Männerpaar,
Drauf hebt sich aus den Schollen ein Spiegel rund und klar.
Und in der Hölle Namen erfasst der Jüngling ihn,
Da schwinden Gluth und Flammen, und die Phantome fliehn;
Der Spiegel ist gewonnen, gewonnen der Krystall;
Er ist ein Zauberbronnen, darinnen quillt das All.
Was tief in Nacht vergraben, was in der Ferne blüht,
Der Magus kann es haben, der in den Spiegel sieht.
Ein düstres Phosphorleuchten in seiner Fläche wohnt,
So zitternd als im feuchten Fluthgrab das Bild vom Mond.
Gleich eines Glühwurms Schimmer es magisch ihn durchwallt,
Wie Demant blitzt er leuchtend, und ist doch eisigkalt.
Ernst auf dem Kreuzweg stehen zwei Männer in der Nacht;
Der Frevel ist geschehen, der Zauber ist vollbracht.
Was in der Hölle Namen geschah im düstern Ring,
Das war ein gift'ger Samen, den ein Drachenleib empfing.
[23]

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TextGrid Repository (2011). Bechstein, Ludwig. 4. Der Erdspiegel. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-22F8-9