463. Meister Klinsor weissagt aus den Sternen

Der Meister Klinsor behielt seine Herberge in Eisenach der Stadt bei und saß eines Abends im Garten seines Wirts, des Hellegrafen, wohin die Hofdiener und viele ehrbare Bürger aus Eisenach kamen, um ihren Abendtrunk zu trinken, die ehrten den Sänger, der ihnen viel aus fernen Landen sagte und stetig neue Zeitung wußte, die er aus den Sternen las, und waren gern um ihn. So baten sie ihn wieder, daß er ihnen neue Zeitung möge ansagen, und er ging eine Strecke von ihnen und blickte hinauf in den Sternenhimmel, kam wieder und sprach: Heint nacht wird meinem Herrn, dem Könige Andreas von Ungarn, eine Tochter geboren, die wird dem Sohn eures Herrn, des Landgrafen, verlobt werden und also heilig, daß ihr Lob sich über alle Lande der Christenheit verbreiten wird. Als diese Kunde nun auch vor den Landgrafen und seine Gemahlin kam, waren sie erfreut und entboten Klinsor aufs neue zu sich auf die Wartburg und an ihren Tisch, und nach dem Essen gingen die Fürsten und Herren und die Sänger in den hohen Palas, auf daß nun Klinsor ihr Streiten schlichte, was ihm auch gelang, nur mit Wolfram von Eschenbach hatte der Meister vom Ungarland selbst schwer zu kämpfen, so daß er einen Geist statt seiner herbeirief, der hieß Nasias, allein auch gegen den behauptete sich Wolfram in hohen Dingen so kundig und erfahren, daß jener weichen mußte und Klinsor erstaunte und vermeinte, Wolfram möge wohl kein ritterlicher Sänger, sondern heimlich ein Priester sein, und da Wolfram seine Wohnung auch in der Stadt hatte, beim Bürger Titzel Gottschalk am Brotmarkt, [321] so sandte Klinsor ihm zur Nachtzeit noch einmal seinen Geist Nasias; der sah sehr grausenhaft aus und legte Wolfram so hohe Fragen vor, daß er sie nicht zu lösen vermochte, sondern verstummte. Da lachte der Geist laut auf, wie ein Teufel lacht, und schrieb mit seinem Finger in einen Stein an der Wand, als ob er ein weiches Wachs gewesen wäre:


Du bist ein laie snipen snâp –


und entwich. Die Schrift blieb in der Wand stehen und war zur Nacht feurig, da ward ein Gelaufe vom Volk in das Haus, und wollte jeder den Stein sehen, solches ärgerte den Hausbesitzer Gottschalk, und ließ den Stein aus der Wand brechen und in die Hörsel werfen.

Da nun Klinsor die Sänger versöhnt hatte, beurlaubte er sich von dem Landgrafen und ward mit Geschenken entlassen, darauf ist er wieder in seiner Lederdecke von dannen gefahren und hin, woher er gekommen war.

Der annotierte Datenbestand der Digitalen Bibliothek inklusive Metadaten sowie davon einzeln zugängliche Teile sind eine Abwandlung des Datenbestandes von www.editura.de durch TextGrid und werden unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung 3.0 Deutschland Lizenz (by-Nennung TextGrid, www.editura.de) veröffentlicht. Die Lizenz bezieht sich nicht auf die der Annotation zu Grunde liegenden allgemeinfreien Texte (Siehe auch Punkt 2 der Lizenzbestimmungen).

Lizenzvertrag

Eine vereinfachte Zusammenfassung des rechtsverbindlichen Lizenzvertrages in allgemeinverständlicher Sprache

Hinweise zur Lizenz und zur Digitalen Bibliothek


Holder of rights
TextGrid

Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2011). Bechstein, Ludwig. Sagen. Deutsches Sagenbuch. 463. Meister Klinsor weissagt aus den Sternen. 463. Meister Klinsor weissagt aus den Sternen. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-2BDE-A