[327] Betrachtende

Oft in der stillen Nacht

(Meinem werten Freunde Kriewitz.)


Oft in der stillen Nacht,
Wenn zag der Atem geht
Und sichelblank der Mond
Am schwarzen Himmel steht,
Wenn alles ruhig ist
Und kein Begehren schreit,
Führt meine Seele mich
In Kindeslande weit.
Dann seh ich, wie ich schritt
Unfest mit Füßen klein,
Und seh mein Kindesaug
Und seh die Hände mein,
[328]
Und höre meinen Mund,
Wie lauter klar er sprach,
Und senke meinen Kopf
Und denk mein Leben nach:
Bist du, bist du allweg
Gegangen also rein,
Wie du gegangen bist
Auf Kindes Füßen klein?
Hast du, hast du allweg
Gesprochen also klar,
Wie einsten deines Munds
Lautleise Stimme war?
Sahst du, sahst du allweg
So klar ins Angesicht
Der Sonne, wie dereinst
Der Kindesaugen Licht?
Ich blicke, Sichel, auf
Zu deiner weißen Pracht;
Tief, tief bin ich betrübt
Oft in der stillen Nacht.

[329] In Thomas Werkstatt

(Vor dem »Kinderreigen« und dem »Jüngling mit den Märchenvögeln«).


Wie Kinder sich fassen
An ihren unschuldigen Händen,
So, meine Stunden,
Wünscht ich euch eilenden,
Daß ihr, zum heitersten Spiele verkettet,
Tanzend euch zögt über blumige Wiesen,
Klarheit über euch,
Unschuld in euch,
Reiner Seele voll,
Junger Frische voll,
Lachend.
Ach, mein Himmel ist nicht so klar,
Und meine Stunden sind nicht so rein;
Unschuld, Kindheit, Spiel und Tanz
Sind mir wie entschwebende Wolken,
Denen die Arme zum Himmel auf
Meine Sehnsucht weinend breitet,
Wie der Jüngling am tosenden Flusse,
Der den Märchenvögeln nachblickt.
Daß ich einmal dem Meister gliche,
Der euch malte, Kinder und dich,
Betender Jüngling!
[330]
Stille und Güte,
Klarheit und Kraft,
Spielender Ernst und schaffende Treue
Wohnen und walten an seinem Herde;
Glück ward hier lebendige Gottheit,
Weilende, heimische, dauernde: Ordnung;
Glück, das fliegende, ward hier fest.
Schlichter Mann im weißen Haare,
Laß mich deine Hände drücken,
Dank im Herzen, stummen Mundes:
Segne mich mit deinen klaren,
Guten Augen, schlichter Mann!

Wenns dämmert

Und Tag um Tag geht still dahin,
Und meine ruhigen Augen sehn,
Wie alle Wünsche wunschlos still
In eine blasse Dämmerung gehn.
Dich lieb ich, du! Oh komm, sei mein!
Ein grauer Nebel kommt und steht.
Wo bist du?! Alles grau und leer.
Und mein Begehren wankt und geht.
[331]
Wohin, wohin!? Ich seh kein Licht,
Ins Graue schwindet, was ich will.
Laß gehn dahin und frage nicht,
Laß gehn dahin und blicke still.
Wunsch geht und Welt geruhig hin,
Und meine ruhigen Augen sehn,
Wie alle Wünsche wunschlos still
In eine blasse Dämmerung gehn.

Nachts an die Nachtigall

(Herrn Hugo von Hofmannsthal zugeeignet.)


Oh du Nachtigall mit süßem Sang,
Liebesruferin in dunkler Nacht,
Kleine Brust, von Seligkeiten bang,
Seele, die in Sehnsucht schluchzend lacht,
Flöterin aus dunkeltiefem Grund,
Warum macht dein Lied das Herz mir schwer?
Ach, ich fühls, noch immer ist es wund,
Dieses Herz, und duldet viel zu sehr.
Schlägt noch nicht im eigenen Genuß,
Liegt noch immer in der Sklaverei,
Daß es allem Leide frohnden muß,
Bebend lauschen jedem Weheschrei.
[332]
Wärs wie du und fühlte nur die Lust
Und die Schönheit dieses Lebensdrangs,
Seiner Sehnsucht stürmisch nur bewußt
Und der Fülle eigenen Gesangs,
Wärs wie du oh süße Nachtigall,
Glücklich wär dies Herz, und all sein Schlag
Wäre wie Gebet und Glockenschall
Zu der Sonne und dem lichten Tag.

Neujahrs-Besuch

(Für Frau Meier-Graefe.)


Kleine Hände, kleiner Mund,
Große Augen blau und rund,
Weiches, langes Ringelhaar,
Leise Stimme glockenklar –:
Also kam das neue Jahr
Heute zu mir in mein Haus.
Lieblich sahs und lustig aus.
Daß es bleibe, wie es ist,
Wünsche ich als Mensch und Christ.
Mög es nie mit Wutgeberden
Eine schrille Trulle werden,
Die mit Zank und Zorn regiert
Und das Schöne molestiert.
[333]
Leise bleib es, klar und lind,
Guter Gast und gutes Kind,
Bring mir bald in grüner Schüssel
Hohe, gelbe Himmelsschlüssel,
Rosen, wenn der Sommer glüht,
Wein, wenn blaß die Aster blüht,
Und im Winter zünd es dann
Mir die Weihnachtskerzen an.
Wird es dann von hinnen müssen,
Werd ich ihm die Hände küssen,
Die mich so mit Glück begütet
Und in Schönheit eingehütet.
Willst du, Jahr? Die Kleine lacht.
Hat mir einen Knix gemacht,
Hat noch einmal still genickt,
Eine Kußhand mir geschickt,
Und dann ist sie fortgesprungen.
Springend hat sie dies gesungen:
Zu Flöten und Geigen
Hintanz ich im Reigen,
Habe Blumen im Haar.
Oh laßt euch bewegen,
Ihr Trüben und Trägen,
Im Tanze ist Segen,
Die Freude macht klar.
[334]
Auf, wagt es, zu springen!
Es muß euch gelingen,
Was fröhlich ihr schafft.
Das grämliche Hocken
Bringt alles ins Stocken.
Frei wehn meine Locken,
Die Freude macht Kraft.

Fühle nur

Einsam bist du? Sieh, die vielen Sterne
Stehn, ein Weltenkranz, ob deinem Haupte,
Und die Lindenbäume, Kronenträger,
Schicken ihre Düfte dir ins Zimmer.
Fühle nur! Saug ein und gieb dich wieder!
Schmähe niemand, schmäh auch dich nicht selber!
Denk: du darfst auf dieser reichen Erde
Durch den sonnenvollen Weltraum fliegen,
Und dein Herz gehört auch zu den Sternen,
Die ein bischen Lust und Wärme strahlen.

[335] Frühsommerphilosophie

(Herrn R.A. Schröder zugeeignet.)


Die roten Tulpenflammen sind verglüht;
Maiglocken wachen auf; der Flieder blüht;
Die Eiche, die so lange sich besann,
Steht nun in Laub; es steckt die Kerzen an,
Die grünen Kerzen, übertrieft von Saft,
Der alten Fichten innerliche Kraft.
Um jede Blüte ist ein Surretanz
Von Schwebewesen, ein lebendger Kranz
Von Schillerflügeln gelb, grün, blau von Glanz,
Und an den Stengeln kriecht im Drängelauf
Das Käfervolk bunt, tausendfüßig auf.
Die liebe Wett! Ob sie auch lange ruht,
Sie machts zuletzt doch immer wieder gut.
Mag sie nicht schelten.
Eh eine andre uns nicht voller mißt,
Glaub ichs einstweil, daß sie die beste ist
Von allen Welten.

Spätsommerphilosophie

(An Gustav Falke.)


Ueber die Wiesen septembert der Wind,
Die Blätter wolln sich verfärben;
Jetzt gehts erst langsam, dann geschwind
Ans Sterben.
[336]
Unsinn! Jetzt wird die Welt erst bunt!
Glaub nicht an die Unken!
Wir sind verliebt und frech gesund;
Bald wird getrunken!
Paßt auf: Das Jahr giebt guten Wein!
Wie lachen die Trauben!
Sonst mag ich kein Prophete sein;
Das könnt ihr mir glauben.
Und schließlich: Käme der Senserich
Mit der Rippenweste
Und spräche zu mir: Jetzt hol ich dich
Vom schäumenden Feste.
Es wäre mir, ich gesteh es euch gern,
Nicht eben erfreulich,
Indessen, ich folgte dem kalkigen Herrn
Getreulich.
Ich kenne den Mann über dreißig Jahr;
Es ist wohl der Gleiche,
Der damals so liebenswürdig war,
Mich in die Reiche
Des Lebens zu rufen aus weiß nicht woher.
Er scheint es zu lieben,
Zwischen Sein und Nichtsein uns hin und her
Gemächlich zu schieben.
[337]
Ein etwas unverständlicher Sport.
Der Sportsman indessen
Scheint mächtig. Zu mucken wider sein Wort,
Das wäre vermessen.
Was nützt es der Kegelkugel, die
Sich sträubte, zu rollen?
Es giebt ein paar Punkte, da fragt man nicht, wie
Wir Würmerchen wollen.
Und also sag ich: Der Wein wird gut
Und werde getrunken!
Schief setzt ich auf Hallodrioh meinen Hut
Und pfeif auf die Unken.

Von Rosen und weisen Männern

(An Hugo Salus.)


Leute giebt's, mit langen grauen Bärten,
Dicke Brillen auf den breiten Nasen;
Feierlich, mit ungemeiner Würde,
Klagen sie, die Erde sei vom Uebel.
Glaube nicht sothanen Klagemännern!
Allerdings, nicht immer blühen Rosen,
Und zuweilen stechen dich die Dornen.
[338]
Aber, und dies Aber sei gepriesen,
Wo ein Dorn dich sticht, da darfst du hoffen:
Bald schwebt eine Rose hier im Winde.
Eine Rose, hundert, tausend Rosen,
Und die harten Dornen sind vergessen:
Kleine Mädchen tanzen um die Büsche,
Ihre Seelen wissen nichts von Dornen.
Dumm sind diese lieben kleinen Mädchen,
Und du Griesebart bist viel gescheidter;
Tief muß meinen Hut ich vor dir ziehen,
Denn du bist in Dornen sehr beschlagen.
Aber wenn im Wind die Rosen schweben
Und im Tanz die lieben kleinen Mädchen,
Dann, mein sehr gescheidter Mann im Barte,
Drücke dich, geh, mach dich in die Büsche.
Denn, verzeihe: Wenn die Rosen blühen
Und die lieben kleinen Mädchen tanzen,
Ist die Dornenweisheit überflüssig.
Wenigstens für uns. Du selber kannst ja
Eine Dissertation im Busche
Oder meinetwegen zweie schreiben.

[339] Kurzes Gespräch

Er:

Ach, die Welt ist hundetölig!
Nur wer seicht ist, ist heut fröhlich,
Wer da ernst ist, ist ergrimmt,
Ich:

So bekenn ich mich zur Seichte;
Nimm du's schwer, ich nehm es leichte,
Und du weißt ja: »Wie mans nimmt«.
: Gingst du zu den Grundsatzlosen?
Macht dich gar nichts wütend mehr?
–: Freund, ich gehe zu den Rosen;
Rosen, die erfreun mich sehr.
: Rosen statt der Ideale??!
Lüstling ohne Grund und Stand!
Und der Zukunft Feuermale?!
Ahnst du nicht den Weltenbrand?!
–: Rosen statt der Ideale!
Schönheit, die mir sichtbar blüht!
Und in mir die Feuermale!
Eine Welt, die mir erglüht!

[340] Der Eine und der Andere

Der Eine spricht:

Wüst ist die Welt; es rasselt rings von der Maschinen Stampf und Stoß,
Das Zweimalzweiistviere ließ graugrimmig alle Teufel los;
Mit Rechenfingern knöchern dürr und Augen allen Lebens leer
Schwirrt Thüren ein und Thüren aus das lustverlassene Larvenheer.
Die Nützlichkeit sitzt auf dem Thron, die Göttin, die Geschäfte macht,
Ihr erst Gebot heißt: Raffe zu! Ihr erst Verbot: Weh dem, der lacht!
Ein Wollsack ist, darauf sie sitzt, ihr Bannerstamm ein Riesenschlot,
Vom dem der Rauch als Fahne weht, der Rußgiftrauch der reichen Not.
Das schwarze Zeichen schlingt sich fest in alles Leben drosselnd ein,
Und keine Farbe siebst du mehr und nicht der Sonne lichten Schein.
Der Andere spricht:

Ich sehe alles, was du siebst, und sehe doch: es ist nicht wahr!
Laß nur den Ruß dir nicht ins Herz, so siehst du auch das Heute klar.
[341]
Sie schwingt den Hammer, diese Zeit, und ihre Seele, die ist schnell,
Doch hinter ihrem grauen Dunst, da liegt das Leben glüh und hell.
Kriech nur nicht in der Niederung! Steig auf die Höhn und blicke weit!
Noch ringt sie mühsam und gebückt, doch richtet sie sich auf, die Zeit,
Und sie empfindet, was ihr not, und daß sie sich vergebens quält,
Wenn ihrem lauten Werkgedröhn das Weihelicht der Schönheit fehlt.
Dann wirft sie um den Wollsackthron und richtet neue Götter sich
Und feiert ihre Neugeburt mit hohen Festen königlich.
Sei unverzagt und glaube stark! Glaube und schaffe! Jede That
Aus frohem Herzen ist ein Korn, ein goldenes, für der Zukunft Saat.

Das Klapperwerk

Vor meinem Fenster drauß,
Auf dem kahlen Pappelbaum
[342]
Sitzt ein Gespenst;
Das sieht scheußlich aus.
Sein Auge, das droht,
Ist innewendig rot,
Sein Maul, das trenst.
Ach, und wies redet und gestikuliert,
Jedwedes Wörtel mit Salbe beschmiert;
Schnappt über auch oft in Gezeter.
Sei nicht so unverschämt, wertes Gespenst;
Siehe, mein Pappelbaum ist kein Katheder,
Und ich bin kein Schulbube, wie du mich kennst.
Hab ich nicht rite hinaus dich geschmissen
Aus meinem Leben, du ledernes Scheuel?
Du bist mir widriger als der Tod,
Und eine Fahne flammfeuerrot
Will ich auf meiner Pappel hissen,
Daß sie dir droht
Und dich bannt, oh du Greuel.
Du bist die gelehrte Kümmerlichkeit,
Armselig weise, krüppelgescheidt,
Die nichts vermag,
Als Nacht und Tag
Dem Leben dekretieren,
Wies blühen soll und wachsen soll
Und ja nicht excedieren.
Macht einer vor Begeisterung
Jach in die Lüfte einen Sprung,
Gleich krähst du miserere,
Thust immer, als ob Gotteswelt
[343]
Ein tristes Geometerfeld
Aus graden Linien wäre;
Speist alles an, was freudig ist
Und bist voll eitel Hinterlist
Mit Regeln und mit Fallen,
Und manchen frohen Uebermut
Hat deine kalte Regelwut
Zerdrückt in ihren Krallen.
Du bist der Deutschen Erbgespenst,
Und wenn du dich Professor nennst,
Gleich werden zahm die Kecken,
Und heißt du gar Geheimer Rat,
Muß sich die beste, frohste That
Vor deinem Spruch verstecken.
Wie meinem Zorn ich genug gethan
Sah ich das Ding mir genauer an:
Da wars ein Klapperscheuchwerk nur,
Von einem Geiste keine Spur;
Oh zornige Verblendung!
Indes, mich deucht, wens nicht verdrießt,
Daß er aus dieser Märe liest
Wol eine Nutzanwendung.

[344] Vom Menschen

(Herrn Harry Grafen Kessler zugeeignet.)


Zwei Menschen fanden sich
Im dichten Garten des Lebens,
Wie sich zwei Blätter im Wirbelwinde finden;
Und sie zeugten mich.
Dann haben sie mich gehütet und genährt,
Gehalten und geführt,
Bis ich stark ward, allein zu gehen
In den großen, dichten Garten.
Ich bin aufs geradewohl gegangen,
Dahin, dorthin,
Hatte kein Ziel.
Irgend ein Ding in mir
Trieb mich,
Bald sachte drängend wie aus dunklen Tiefen,
Bald mit Stößen, die waren,
Als ob sie aus grellen Hellen kämen.
Manchmal stand ich still
Und lauschte:
Ob ich nicht einen Ruf vernähme, daß ich wüßte:
Wohin?
Kein Ruf.
Wanderte weiter in die Welt
Ohn Ahnen, wohin.
[345]
Aber das Ding in mir,
Das wußte wohl, wohin
Michs triebe.
Hat mich über Berge geführt,
Abgründen vorüber,
Hat mich durch schwüle Ebenen gedrängt,
Mitten durch Fieberdünste,
Warf mich aufs Meer und lehrte mich schwimmen.
Manchen Stoß erhielt ich in der Welt,
Wunden empfing ich,
Die Narben wurden,
Schmerzen wühlten sich Wohnungen in mir
Und kalkten sich ein;
Ich müßte mich selber zerreißen,
Wollte ich sie aus mir austreiben.
Ich vergaß sie, wenn sie nicht tobten,
Und, wenn sie tobten, schrie ich mit,
Bis sie stille waren.
Hetzte auch einen Schmerz auf den andern,
Daß sie sich fraßen,
Und ich lachte, wenn ich sah,
Wie sie im Uebereinanderherfallen
Stücke aus mir rissen.
Dann kamen weiche Hände und streichelten mich;
Wie ein schwarzer Baum, der grüne Knospen
Der Sonne aufthut, fühlte ich die Wollust
Im Sein zu werden.
[346]
Alles, das war,
War nur für mich,
Alle die Welt
War mein Geschwister.
Ich wuchs in die Welt, wie in der Blume
Der starke Samenstengel sich hebt,
Und mir war: Ich wäre der Sinn der Welt.
Wunderbar schwoll meine Seele aus,
Ueber mich weg in die Ahnungen des Seins;
Götter gebar ich aus mir
Und spielte mit ihnen
Spiele der Seligkeiten und Spiele der Angst,
Und schlug meine Götter tot,
Da ich ihrer müde wurde.
Nun ward ich still
Und spielte nicht mehr.
Ich sah mich selber an und erschrak,
Daß ich allein sei.
Endlos Leben an Leben um mich,
Ich aber allein,
Und nichts über mir.
Da bückte ich mich in mich selbst
Und verbarg mich in mir
Und träumte.
Was ich geträumt, war wirr und wild,
Aber als ich erwachte
[347]
War ich heiter und wußte
Den Sinn meines Lebens.
Der ist: Still mich treiben lassen von dem,
Das in mir ist und nicht fragen:
Wohin?
Dunkel sind die Ziele,
Dunkel sind die Götter,
Dunkel ist die Welt.
Aber eine warme Flamme leuchtet in mir
Und läßt mich wachsen.
Weiter weiß ich nichts als diese Flamme,
Aber in ihr ahne ich alles.
Ich laufe nicht mehr querhin durch den Garten
Und stoße mich an keinen Stein mehr.
Ich wachse wie ein Baum empor
Und fühle unendlich und immer die Wollust
Im Sein zu werden.

Genug

(Meinem Freunde M.A. Stremel.)


Ein Ritter ritt durch reifes Korn,
Den Zügel laß und ohne Sporn;
Es fraß der breite Gaul im Schritt,
Nahm manche gelbe Aehre mit.
[348]
Der Sommersonne heller Strahl
Lag funkelnd auf dem schwarzen Stahl
Des Rüstkleids, das der Ritter trug;
Im Schild stand ihm ein Wort: Genug.
Es lag die Lanze vor ihm quer,
Darauf die Eisenrechte schwer.
Als er an eine Quelle kam,
Den Helm er sich vom Haupte nahm,
Kniete nieder in den Kieselsand,
Schöpfte Wasser mit der Eisenhand.
Und ließ es wieder fließen dann;
Liebreich sah er das Fließen an:
Mein Herz war heiß im Kampfgetos,
Mich ließ die Liebe nimmer los;
Nun reite ich nach Haus im Schritt
Und bringe bloß ein Lächeln mit:

Genug.

[349] Die Straßburger Münster-Engelchen

(Für meinen lieben Franz Blei.)


Gieb dir weiter keine Mühe, mein Sohn, ohé,
Die kleinen thörichten Engelchen
Am Münster
Zu Straßburg
Sind viel gescheiter, als du.
Sie rennen nicht
Und reden nicht
Und sitzen auf keinen Stühlen nicht
Und schreiben nicht
Und dichten nicht
Und wissen von Haß und Liebe nicht –:
Stehn bloß so da, aus Stein gehaun,
Und thun den seligen Himmel anschaun
Und loben Gott in guter Ruh
Und machen ein lieb dumm Gesicht dazu
Mit ihren süßen Schnäbeln; – oh,
Was sind die thörichten Engelchen froh,
Aus Steine,
So kleine.
Gieb dir weiter keine Mühe, mein Sohn, ohé,
Die kleinen thörichten Engelchen
Am Münster
Zu Straßburg
Sind viel gescheiter, als du.

[350] Faunsmonolog

(Für Maximilian Dauthendey.)


Bin ein alter Faun mit langem, weißem Bocksbart,
Lobe Pan und blase meine grüne Bündelflöte,
Die so süß singt wie der Maienwind im Schilfe.
Sah schon viele, viele hohe Säulen fallen,
Schöne, schlanke Säulen, buntbekapitälte,
Zwischen denen Wein und rote Rosen rankten.
Unter Weingerank und roten Schlingerosen
Liegen nun die glatten, weißen Steinbaumstämme;
Menschenhand erhob sie, Menschenhand zerschlug sie.
Sinne nach, ich alter Faun am braunen Wasser,
Sinne nach, wozu dies wirre Menschgewimmel
Immerfort beklebt, befleckt die bunte Erde,
Immerfort bewegt mit Armen, Beinen, Mäulern
Ewig baut und bildet, schreit und zankt, – und wütig
Niederreißt Gebautes und Geschaffenes. Besser
Dünkt es mir, die leise Flöte blasen, träumen,
Aus dem grünen Gras zum blauen Himmel blicken.
Aber keine Ruhe mehr auf dieser Erde,
Ueber-überallhin dringt ihr wüstes Schrein.
Wäre nicht die laute Menschenarbeitsherde,
Wär es wonnevoll, ein alter Faun zu sein.

[351] Faunsflötenlied

(Für Peter Behrens.)


Ich glaube an den großen Pan,
Den heiter heiligen Werdegeist;
Sein Herzschlag ist der Weltentakt,
In dem die Sonnenfülle kreist.
Es wird und stirbt und stirbt und wird;
Kein Ende und kein Anbeginn.
Sing, Flöte, dein Gebet der Lust!
Das ist des Lebens heiliger Sinn.

Das Kreuz

Jüngst war ich auf einem Trödelmarkt
Und sah was das Leben zusammenharckt
Auf dem großen Gerümpelhaufen:
Lumpen und Plunder, Geraffel und Tand,
In Schmutz und Scherben allerhand;
Wer Geld hat kann sichs kaufen.
Da, unter altem Gerüst und Gerät,
Hab ich ein hölzernes Kreuz erspäht.
Zwei Hände lang wars, aus Fichtenholz schlicht;
Ich machte mir gleich ein rührsam Gedicht,
An welcher Andachtsstätte
Es einst gehangen hätte.
[352]
Dacht eine Bauernstube mir,
In ders die dürftige fromme Zier
Vielleicht gewesen wäre;
Hing in der Eck an der weißen Wand,
Und manche harte Bauernhand
Schlug vor ihm ihre schwere
Bekreuzung über Brust und Gesicht.
So dacht ich, aber 's war so nicht.
Denn sieh, als schärfer hin ich sah:
Am Querholz war ein Einschnitt da,
Und, als ich leicht darauf gedrückt,
Hat sich ein Dolch heraus gezückt.
Erschrocken schier sah ich das Eisen
Des Kreuzes in der Sonne gleißen.
War eine Blutrinn eingeschnitten,
Und dieses las ich ihr inmitten:
Kreutz und Messer Aines worden
In der Messerkreutzer Orden.
Schlecht bin ich leider nur beschlagen
In Wissenschaft aus alten Tagen,
Auch konnte, wie ich um mich that,
Mir keiner sichere Kunde sagen,
Was für ein Orden es gewesen,
Der Kreuz und Messer sich erlesen
Als Waffe und als Namen hat.
[353]
Doch hab das Kreuz ich mitgenommen
Und geb es, wenn sie zu mir kommen,
Als Rätsel gerne denen auf,
So da gehören zu den Frommen.
Mir scheints, als obs ein Sinnbild wäre
Für jenen wundersamen Lauf,
Den des Erlösers milde Lehre
Von Golgatha bis heut genommen.

Am Abend

Mir haben auch die Sinne wohlgethan,
Mich lachte auch das Leben süße an;
Nun bin ich matt.
Nun sehn ich mich nach einem stillen Schluß,
Nach einem tiefen Schlafe, der kein Muß
Und auch kein Wollen hat.
Ich sah das Glück, die Sonne war mir lieb,
Ich aß und nahm, bis nichts zu nehmen blieb;
Nun will ich gehn.
Mein Aug ist müd von Farbe, Licht und Glanz,
Es hat zu lange in den Mückentanz
Der bunten Welt gesehn.

[354] Leere

Meine Seele ist krank, ich weiß nicht, nach wem,
Meiner Träume Gestalten sind Schleier und Nebel,
Die Stimmen, die ich höre, sind fern und verweht.
Ach, schweifende Sehnsucht ohne Ziel!
Irrflug der Seele!
Ich stehe einsam, seelenverlassen, arm
In weiter Wüste, starre Wolken nach,
Leeren Gebilden der Winde, die ich liebe,
Weil sie wie meine Seele ziellos sind,
Wechselgestaltige, sonnenangeglühte,
Hochfliegende, die immer wieder
Zur Erde müssen.
Und ist doch um mich rings das Leben voll Gestalten,
Das blutgetriebene, blühende, voll von Früchten,
Und manchmal klingen Laute an mein Ohr,
Und im Vorübergehen streift mich manche Hand,
Und heiße Augen seh ich, rote Lippen, leuchtendes Haar,
Gewänder, die von schönen Gliedern hold bewegt sind, –:
Muß ich denn einsam sein?
[355]
Ich habe Freunde, die ich neidlos liebe;
Die kahle Not entfloh aus meinem Hause;
Was Große bildeten, darf ich genießen,
Dankbar, nicht mäkelnd, hingegeben, ruhig;
Und, wohl bewußt der Kraft, die mir geworden,
Nicht hastig frech ins Uebermäßige schweifend,
Selbstsicher im Bereiche meiner Kunst,
Füg ich fast mühelos mir zum Genuß
Gebilde an Gebild.
Was seh ich Wolken nach? Was schweifst du irr
Ins ziellos Weite, sehnsuchtkrank, oh Seele?
Ich weiß es wohl, was mich so einsam macht.
Dies alles, das ich habe, ist ein Tand,
Nicht wert, dafür des Morgens aufzustehn.
Du hast die Liebe nicht. Das Wort trifft mich.
Drum bin ich in des Lebens Fülle fremd,
Starr, wurzellos und blicke Wolken nach,
Verwehenden Gebilden ohne Sinn.
Die große Leere und das größte Leid:
Liebloses Leben, kalte Einsamkeit.

[356] Rosen, Goethe, Mozart

(Für Dora Hitz.)


Was will ich mehr? Auf meinem Tische stehn
In schönem Glase dunkelrote Rosen,
Der weiße Marmor-Goethe sieht mich an,
Und eben hört ich Mozarts Figaro.
Ich litt einst Schmerz? Ich war einst müd und krank?
Ich log mir Glück und dichtete ein Wunder
Von Weib, das nichts als gute Maske war? –:
Die Rosen glühen: Alles war ein Traum,
Der weiße Goethe leuchtet Heiterkeit,
Und in mir singt Susanne, Cherubin.
Wie aber: Hab ich denn nicht Kummers viel?
Verliebten Zweifel und des Schaffens Angst? –:
Die roten Rosen glühen: Sieh uns an,
Der weiße Goethe lächelt: Denk an mich,
Und Mozart singt mich süß und heiter ein.
Ich frevelte, wollt ich nicht glücklich sein.

Bilanz

So geh ich nun, Cylinder in der Stirn,
Den Schnurrbart aufgestrichen, wie sichs ziemt,
[357]
Und setz mein spanisch Rohr altväterisch,
Bedächtig, schrittbemessen vor mich bin.
Alt wohl noch nicht, doch auch nicht mehr ganz jung,
Ist man denn in der Mitte angelangt,
Beim à peu près, und hat Gelegenheit,
Vorwärts und rückwärts still sich umzusehn.
Kopfnicken. Stirnefalten. Hem und hum ...
Tja: Manches hat sich nicht so eingestellt,
Wies einst der ßolze Gymnasiast geträumt,
Und dies und das ging unerquicklich aus,
Das sich erst wunderschön zu machen schien.
Zieh die Bilanz, Mann im Cylinderhut!
Schlag Blatt für Blatt mit Rechnermiene um!
Sieh nach, Freund Ich, was dir noch übrig bleibt!
Wer stößt mich da? Um Gott!: die Adelheid!
Nanu, Madam, wo kommst denn du jetzt her?
Tanzst du denn nicht bei den Ambassadeurs?
– »Ich tanze nicht.« Sie sagts mit Düsterheit.
– Um Gotteswillen, Kind, was ist geschehn?
– »Ich bin ...«, sie streift den Handschuh sich zurück
Und zeigt mir, herkle! einen Ehering.
[358]
Da muß ich lachen, daß mein Seidenhut
Dem Dampfschiffschlote gleich schwankt, der im Sturm
Mit häuserhohen Wellen trotzig kämpft
– Du bist ... die Welt geht unter ... du ... oh Schreck!
Dagegen ich! Sie her! – Und frei und nackt
Zeigt meine Hand sich ohne goldnen Reif.
Nun geht ein Fragen nieder auf mein Haupt,
Daß neben ihm ein Donnerwolkenbruch
Ein Mückenniesen ist. Ich halte still
Und sage nichts und werde völlig stumm,
Bin lang schon nicht mehr da – wo bin ich nur? –
Und schließlich drück ich mich von Adelheid.
Wo war ich doch ...? Ja so, ja: die Bilanz.
Nun gut, was bleibt? Bin ich vielleicht bankrott?
Bin ich solvent, wenn mich das Schicksal mahnt
Und zu mir spricht, der grimme Gläubiger:
Her mit dem Darlehn, mit den Zinsen her!
Ist denn nicht alles, alles längst verthan?
Kam irgend nur ein kleiner Posten ein?
Mir scheint, mir scheint, Freund Ich, das Ding steht schlimm.
[359]
Bedeppt, beklommen, ein ertappter Dieb,
Steh ich gesenkten Hauptes, schuldbewußt,
Und sage meinem lieben Herzen: Ach,
Du dummes Herz, wie falsch hast dus gemacht!
Du schwaches Herz, nichts hast du ausgeführt!
Du böses Herz, was sündigtest du so,
Daß niemals Ruhe mehr dein Teil kann sein!
Was für ein Bursche war ich, keck und kühn,
Ein unbesonnener Lacher und ein Held,
Ein Greifer, Jager, ja ein Flieger fast,
Und trotzig, golden trotzig, – selbst dem Glück.
Hab ich nicht einst, mit diesem Herzen da,
Mit dir du Ding, das mich so angeführt,
Die ganze Welt umfaßt; war ich nicht einst
So voll von Liebe, daß ich manchmal rief:
Helft! Banden her! denn mich zersprengt das Glück! ...?
Und jetzt!? Da steh ich schwarzer Marabu,
Lack an den Schuhn, den Schädel überröhrt,
Den Schnurrbart hoch, Erfahrungsfalten tief,
Hier, in der Menschenmenge, steh ich da
Und bin so einsam, daß im Wüstensand
Niemals ein Büßender so einsam war.
Wo blieb mein Lachen, wo die Zuversicht
In meinen Stern, wo blieb mein Tänzerschritt
Und dieses Schwellen für die ganze Welt,
Die Liebe wo, die große, flammende,
Die mich emportrug und, die Schenkerin,
Mich rings mit Gnaden wie mit einem Wall
[360]
Umfriedete, – ach Herz, Herz, sprich, wo blieb
Mein Leben, meine Kraft, mein junges Glück?
Wo ... wo ...! Und meine Blicke irren so,
Als sucht ich in der Menge, was verflog.
Da: Stern und Sonne, Segen, Licht und Glanz!
Ein Strom von Klarheit und Beruhigung:
Im Wagen sie, die blonde Königin,
Die goldne Herrin und Gebieterin,
Die Adelige, Reine, Einzige.
Wenn sie die Hand hebt, bebt mein Herz vor Glück,
Wenn sie das Haupt neigt, faßt mich Seligkeit,
Ich seh sie gehn, und meine Seele singt,
Und alle meine Tiefen klingen mit,
Sagt sie ein einzig hingeschenktes Wort.
Ein Augenblick nur, und sie ist vorbei,
Ein kleiner Augenblick nur, und ich weiß:
Ich habe alles, alles noch in mir,
Es ist nicht not, daß ich verzweifeln muß,
Reich bin ich, unermeßlich reich und stark.
In die Arena! Leben, wehre dich!
Ich habe Schwerter und den hellen Mut,
Den heißen Mut, der in Gefahren lacht.

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Zitationsvorschlag für diese Edition
TextGrid Repository (2011). Bierbaum, Otto Julius. Betrachtende. TextGrid Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-2F75-7