[31] [1]Lieder

[1] [3]Des Musterknaben kläglich Lied

Manchen Wein hab ich getrunken,
Manchem schönen Kinde bin
Ich verliebt ans Herz gesunken;
Jetzt geht alles nüchtern hin,
Abgezirkelt, abgemessen,
Und das ist des Liedes Sinn:
Ach, vergossen, ach, vergessen!
Dunkelroter Wein im Becher
Und ein weißer Busen bloß, –
Ein Verliebter und ein Zecher
War ich selig, war ich groß,
Ritt auf Rausches roten Rossen
Mitten in der Götter Schooß, –
Ach, vergessen, ach, vergossen!
Einsam geh ich nachts nach Hause,
Und mein Keller steht mir leer,
Das verworrene Gebrause,
Ach, mein Herz kennt es nicht mehr;
[3]
Tugend hat sich eingesessen,
Exemplarisch, würdig, schwer, –
Ach, vergossen, ach, vergessen!
Soll mich gar nichts mehr entzücken?
Soll ich ewig nüchtern sein?
Wehe Tugend, deinen Tücken,
Denn sie machen mir nur Pein;
Sauertöpfisch und verdrossen
Trag ich meinen Heiligenschein, –
Ach, vergessen, ach, vergossen!

Notizen
Erstdruck in der ersten Auflage des »Irrgartens«, 1901.
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Zitationsvorschlag für diese Edition
TextGrid Repository (2011). Bierbaum, Otto Julius. Des Musterknaben kläglich Lied. TextGrid Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-312F-9