[104] Landschaften und Stimmungen

Wo lauschen deine Thale?

Land des Friedens mit den roten Herzflammfahnen der Liebe,
Die wie Heerdrauch leise in lauen Winden wellen,
Gelobtes Land, o Kanaan meiner Seele,
Nach dem mein Sehnen seine Sucheaugen
Hinaus läßt leuchten in goldenen Glaubensblicken,
Grünes Friedensland:
Wo lauschen deine Thale?
In Sommersonne lachend liegen sie,
Die Vögel ziehen lautlos drüber hin,
Der Himmel ist von Seligkeiten tief;
[105]
Und du und ich,
Ein kleines Haus,
Ein Rosenbusch,
Ein Nelkenbeet,
Und du und ich,
Oh, du und ich ....
Und unsrer Herzen Liebe
Verflammt sich mild
Zur Sonne uns,
Die über unserm Hause steht,
Wie einst der goldene Winkestern
Ueber der Krippe in Nazareth.

Dämmerung

Dämmerung mit den milden, grauen Augen
Schreitet über die Erde.
Kühl weht ihr Atem,
Weich und kühl,
Milde wie ruhiger Atemzug
Eines schlummergeküßten,
Backenroten Kindes.
An lauschender Ferne ruhendem Rund
Ein goldenes Glänzen, matt verscheidend,
Zerrinnend in zarten, grauen Duft ...
[106]
Oh Ruhe! Ruhe! Gabe der Seligkeit,
Die du auf Flügeln der Dämmerung linde
Vom Himmel niederschwebst, gelinde
Das Herz mit warmem Hauche,
Sorgenscheuchend, rührst;
Oh Ruhe, Frieden, Fülle des Seins!
Heut aus grauen Dämmeraugen
Blickst du mich liebreich an und verheißend,
Und mein Dank schwillt auf im Herzen,
Wie im Auge der seligen Braut
Warme, lachende Thränenflut, –
Aber mein Herz muß an verklungene
Tage höheren Glückes denken,
Da ihm friedevolle Liebe
Gütig fromm entgegenleuchtete
Aus zwei braunen Mädchenaugen,
Sonnen der Liebe.

Nachtgang

Wir gingen durch die dunkle, milde Nacht,
Dein Arm in meinem,
Dein Auge in meinem;
Der Mond goß silbernes Licht
Ueber dein Angesicht;
Wie auf Goldgrund ruhte dein schönes Haupt,
Und du erschienst mir wie eine Heilige: mild,
[107]
Mild und groß und seelenübervoll,
Gütig und rein wie die liebe Sonne.
Und in die Augen
Schwoll mir ein warmer Drang,
Wie Thränenahnung.
Fester faßt ich dich
Und küßte –
Küßte dich ganz leise, – meine Seele
Weinte.

Abend

Die grauen Geierfittiche der Nacht
Rauschen über den See.
In seinen erzenen Fängen hält der Riesenvogel
Die Leiche des Tages.
Ein Blutspur hinter ihm her
Wellt nach Westen.
Die schwarzen Augen des Waldes
Heben die Nadelwimpern
Und starren stumm
Dem Fluge des Räubers nach,
Dem eine Schaar verdrossener Schatten folgt.
Vom Himmel herunter
In frostigen Winden
Haucht ein Gedanke:
[108]
Auf schwarzen Schwingen
Schwebt alles Leben
Schweigend
In das Thal des Todes.

Gottesdienst

(An Hanns von Gumppenberg zur Erinnerung an Dachau im Mai 1891.)


Auf steiler Höhe stand ich schauend.
Mein Auge trank in tiefen, großen
Zügen die Schönheit.
Weit in graue, webende Fernen
Schweifte der Blick auf fröhlichen Fittichen,
Holte die schimmernde Schönheit mir,
Bettete tief sie ins Herz mir ein.
Rotes Moor in schmalen Strichen,
Lilafarbener Sammt lockerer Frühlingsackererde
Weich dazwischen gebreitet;
Junges, lachendes Wiesengrün
Wellig hineingeschlungen:
Freudebanner der jubelnden Hoffnung
In des Keimdrangs bräutlich leuchtender,
Lustiger Farbe.
[109]
Flüssig glitzerbewegtes Silber
Hurtig eilenden Wassers blinkt
In weiten Windungen bogengeschlungen:
Wie ich dich liebe mit jauchzender Seele,
Oh du frische, rauschende, fröhliche,
Tummelnde Freiheit!
Grünbehauchte Weiherspiegel
Sinnen tiefen, stillen Traum
Mitten in der übermütigen Farbenheiterkeit.
Dunkle, trotzige Wäldermassen,
Braun,
Breit,
Brüten gewaltigen Ernst und das dunkle
Geheimnis wipfelumrauschter Einsamkeit.
Zwischenhinein hellrote Dächer,
Bläulich wirbelnder Rauch daraus;
Blitzende Fenster von Menschenhäusern
Leuchten wie lachende Augen.
Aber weit, weit drüber hinweg,
Weit, in duftiger blauender Ferne,
Weit, oh weit über dem Kleingespiel,
Starr,
Gewaltig,
Mit rissigen Schroffen,
In Schnee und Eis krystallen gehüllt,
Ragen die Alpen.
Stille, Stille über dem Riesenrund.
Ueber mir
[110]
Hoch in den Lüften
Schreit ein Falke,
Langsam kreisend durch das tiefe Lüfteblau.
Stille, Stille .... die schweigende Schönheit
Atmet leise, voll. – Da schwebt
Aus der Tiefe der kleinen Stadt
Hell ein Singen empor, es klingt:
»Der Mai ist gekommen« ....
Von Kinderlippen.
In enger Stube sitzen die Kleinen.
Ich sehe im Geiste die frischen roten
Mäulerchen sich gleichmäßig öffnen,
Sehe den Lehrer die Fiedel streichen,
Sehe die lustig mitsingenden Augen, –
Kindheit, Kindheit,
Fröhliche, frische,
Singende Unschuld!
In die Ferne noch einen Blick,
Noch einen Blick über die Schönheit hin,
Ueber das Farbenwechselspiel
Lebender, atmender, wunderreicher
Schönheit.
Und ich folge dem Kindergesang,
Der durch das schönheitstrunkene Herz mir
Wie ein Frühlingsdranghauch weht.
[111]
Hinunter steig ich durch Gassengewinkel,
Immer den langausklingenden Tönen
Lauschend nach,
Gefangen, gezogen ....
Da verscheidet der Sang.
Vor einem großen, grauen Hause
Steh ich still.
Durch offene Thore
Weht von Weihrauch
Kühl mildharziger Duft. In die Kirche
Tret ich ...
Da starb meiner Schönheit Bild.
Häßliches freches Bunt an den Wänden,
Grausam thörichter Spott mit den Leiden
Eines gewaltigen, liebedurchloderten,
Göttlichen Menschen.
Kniende Weiber mit dumpfen, blöden,
Aengstlichen Zügen murmeln Gebete.
Klappernd gleitet durch die harten,
Gekrümmten Finger die abgegriffene
Perlenschnur des knöchernen Rosenkranzes.
Ein dickes Priestergesicht aus Speckstein
Neigt sich und nickt
Und wackelt und wendet sich
Vorn am Altare.
Eine tiefe, schneidende Bitternis grub
Aetzend sich in mein Herz.
[112]
Was der Natur hold heilige Schönheit
Mir geschenkt, verdarb vor dem armen
Menschenkram,
Dem Menschenbettelvolk,
Das sich vor fremdem Leid in den Staub
Winselnd wirft,
Statt freudig hinauf,
Jauchzend freudig mit vollem Herzschlag,
Hoch hinauf sich zu heben zu seliger,
Lebender Schönheit.

Sonntagmorgen

(An Gabriel Max in dankbarer Verehrung.)


Durch den breiten Fensterbogen
Blick ich hinaus in stürmischen Frühling.
Grobgraue Wolken in dicken Flocken
Schieben sich drängend über das bleiige
Blau des Himmels, schwarze, geballte
Wolkenfäuste drohend voran.
Unten der Sturm faucht in das junge Grün
Wie eine gierige Löwenkatze,
Zaust die buschigen Wipfel, rauft,
Zerrt in den zitternden Locken des Laubs.
Steinern starr, spitzig schlank,
Ragt im grünen Sturmgeschwank,
[113]
Schnörkelblütig, rankenumklettert,
Keck in die Höh zu den jagenden Wolken,
Hochaufreckend ein goldenes Kreuz,
Der gotische Turm.
Und es klingt durch den Sturm
Vom Turm herab,
Dunkeltönig, wellig, breit,
Dumpf, ernst, tief
Kirchengeläute:
»Kommt – kommt, kommt – kommt,
Gott – ruft, Gott – ruft, – Kommt ...!«
Der Sturm stößt weiter, die Glocke verklingt,
Die Wolkenfäuste spreizen die schwarzen,
Knolligen Finger: Der Regen träuft.
Da schweigt der Sturm.
Ein Nebelgespinnst, eintönig, grau,
Schwankt vor dem Fenster.
Leises Rieselrauschen flirrt,
Frische Düfte atmenden Lebens
Kühlen herein.
Und ferne, ferne, über dem Mosaik
Des langen Kirchendaches (ein Meßgewand,
Steif golden hangend von Priesterschultern)
Thut lachend ein blaues Himmelsauge
Sich heiter auf.
Fröhlichen Lichtes ein kleines, blaues
Flämmlein, blinzelt es liebenswürdig
[114]
Und ein wenig malitiös
Ueber das protzige, fromme Dach,
Lacht und leuchtet, lacht und leuchtet,
Und wird größer im Lachen und Leuchten,
Und unermeßlich groß
– Gottes Auge! –
Wie die dumpfen Kirchenglocken
Heimwärts bimmeln ihre Heerde:
»Geht – geht, geht – geht!
Fromm – fromm, fromm – fromm, fromm ...
Heiter milde lacht das große,
Blaue Gottesauge.«

Lichtglaube

(An Karl Henckell.)


Gestern die Welt in Grau,
Rieselnder Regen troff,
Himmel und Erde ersoff;
Heute der Himmel blau.
Sonnenschein goldgüssig träuft,
Ueber die Halme läuft
Wogewind lau.
[115]
Zürnegotts Reich zerfällt!
Heiteres Heidentum
Leuchtet das Leidentum
Froh aus der fröhlichen Welt.
Siegendes Licht zerriß
Hockende Finsternis.
Alles erhellt!

Frühling

Lachender Himmel. Es ziehen gemächlich
Schaumige Schäfchenwolken darüber,
Sonnenscheinschimmer durchflutet die Luft.
Maiengrün, die reine, feine,
Jungfernfarbe der Natur,
Lächelt bräutlich hold und heiter
Von Millionen leise schwankenden,
Zierlich auf- und niederschwebenden
Zarten Blättern.
Frühling!
Welch ein Glanz ruht auf der Wiese.
Oh, du lockendes, leises Klingen
Ueber der ruhig blühenden Schönheit!
Hoffnung weht mir in die Seele
Friedevoll bewegt.
[116]
Weich umhaucht mich Wärme der Liebe,
Wie der Atem des bebenden Mädchens,
Das den schlummernden Freund an die wogende,
Heiße sehnsuchtsvolle Brust,
Leise sich überbiegend, preßt.
Oh, Fülle! Fülle! Drängende, treibende
Fülle des Glücks!
Eben, eben noch klang die Klage,
Klang die Klage um Heißbegehrtes,
Schönheitsstrahlendes, Großes,
Klang die Klage um das Geheimste,
Herzerfüllende, Heiter-Heilige mir im Herzen.
Nun, im grünen Blätterschwanken,
Nun, im blauen Himmelslächeln,
Nun, im goldigen Sonnenstrahlen,
Ist mir schnell das Glück geworden,
Glück im Schönen und im Schauen
Werdender Schönheit.
In mein Auge strahlte das Glück,
Mir im Herzen hebt es die Flügel:
Ach, du lachendes, lustiges Ding,
Lustiges, lustiges Ding!
Meine Arme breite ich aus:
Glück! Glück!
Könnt ich es allen Menschen schenken,
Allen Menschen im drückenden Joch,
[117]
Allen Menschen mit krampfendem Herzen,
Allen denen, die im Hochflug
Ihre Flügel zur goldenen Sonne
Breiten möchten und im Schmutz
Harter Not sich mühen müssen;
Aber denen, denen zuerst,
Deren Herzen liebemächtig
Selbst in Kümmernis gütevoll, milde,
Still in treuer Neigung schlagen:
Dir zuerst drum, oh du mein braunes,
Scheues Rehaug.
Oh du Gute, Liebe, Milde!
Ob auch im Herzen das Glück mir lacht,
Lacht und tanzt, das lustige Ding:
Dein muß ich denken,
Traurig,
Dein und deines gütigen
Wehevollen Blickes.

Farben

Auf dem Moose mein Kopf,
In den Himmel mein Blick,
In die Himmelsbläue durch Blättergrün,
In die klare, stille, unendliche Welt
Der leuchtenden Luft.
[118]
Wie im Märchen, gebannt
Zu schweigendem Schlaf,
Starr stehen die Bäume.
Kein Wipfel rauscht,
Es schaukelt kein Blatt,
Kein Vogel hüpft
Von Zweig zu Zweig,
Von keinem Zweige
Klingt Vogelgesang.
Dem schönheitsoffenen Auge allein
Gehört diese stumme, lebendige Welt.
Des Himmels Blau,
Der Blätter Grün,
Der Stämme und Aeste Schwarz-Grau-Braun:
Sie leuchten ein Lied in den lauschenden Blick,
Wohl lautlos, still, doch voll Harmonie
Und lebenden Glückes voll, das fest
Im Herzen haftet, wie ein Gesang,
Der leise später aus Herzensgrund
Erinnerungsmelodien herauf
In flatterndem Schwellen erklingen läßt.
Du sinnst und fragst: Wo kamen sie her?
Wo klangen sie einst sich
Ins Herz mir ein?
Und lauschst dem Lied aus der eigenen Brust,
Und tauchst hinab in des Glückes Tiefen,
Aus denen geheimnisdämmerweich
Der süßen Töne Erinnerung quillt ...
[119]
Wo klang so voll und zart in Eins
Das Himmelsblau,
Das Blättergrün,
Von wechselndem Grau dumpf untertönt?
Die stumme, leuchtende Melodie
Drängt tief ins Herz:
Ich fühle, einst
Klingt sie herauf
In farbenleerer, dunkler Zeit.
Mein Auge, trinke, trinke die tönende, leuchtende Flut,
Sauge, sauge sie ein, oh Herz,
Waffne, rüste mit Schönheit dich
Gegen die Finsternis!

Sonnenblicke

Leises Blätterrauschen rings,
Traumhaft, wie im Märchenwalde ...
Vogelsingen von den Zweigen,
Schmelzend bald in langgezogenen,
Schluchzenden Tönen, bald in lautem,
Hochaufschmetternden Jubelruf. –
Leise der Wind weht ... Leise die Düfte
Ferner Blumen schwanken im Winde.
[120]
Schweigend kreisen Blüten und Blätter
Langsam nieder – frühgewelkte;
Milde blickt mit tausend blauen
Augen durchs Geäst der Himmel ...
Blaue, milde, schöne Augen,
Feucht erglänzend in fraulicher Güte,
Haben mir tief in die Seele geleuchtet –
Sonnenblicke, Sonnenblicke ...
Trüb und dumpf, von Qual und Zweifel
Aufgestachelt und niedergedrückt,
Schwankte mein Herz in öder Leere.
Sehnsucht, Sehnsucht breitete aus,
Schloß und breitete wiederum
Ihre dürren Arme aus ...
Träume, nur Träume kamen und schauerten
Holde Bilder in meine Seele,
Schönheitsvolle glückselige Bilder,
Buntgestaltige, schön in Liebe, –
Aber mit rauhem Griffe zerriß
Grausam kalt die unerbittliche,
Grelle Wirklichkeit die schimmernden,
Und mein thränenloses Auge
Sah in die Welt zu klar, zu klar. –
Drinnen, tief im leeren Innern,
Ewige Nebelnacht der Seele,
Kalt und schweigend,
Einsam,
Todt –:
Unkrautüberwucherter Friedhof
[121]
Hingestorbener Gefühle.
Gräßliche Ruhe. Ruhe des Scheintods;
Stummes Krampfen, jäh unterbrochen
Schmerzlich von zuckenden, heulenden Stößen
Wühlenden Verzweiflungssturms.
Milde glanzvoll, feucht erschimmernd,
Sonnenstrahlenklar und wärmend
Drang in dieses stumme Dunkel
Zweier Augen seliges Licht.
Helle wards. Und heiter weitete
Sich das Herz im freundlichen Schimmer
Dieser Menschen-Sonnenblicke,
Und es keimte, schwellte, wuchs,
Drangvoll, frühlingsgläubig, selig
In dem milden, warmen Lichte
Hoch empor die Blüte der Liebe.

Umschlag

Sturm ist dem Frühling gefolgt
Und grauer Regen.
Wie ein niederes Bleidach steht der Himmel.
Sonne, wo bist du, flammende Sonne des
Frühlings!
[122]
Alle Hoffnung wehte der Sturm hinweg,
Jagte sie fort wie das tiefe, leuchtende
Blau des Himmels, auf dem verliebte
Schäfchenwolken in engem Reihem
Heiter wandelten.
Grau, grau, grau ...
Siehe sein Riesenpanier
Pflanzte der Tod in den Lenz.
Träge schwankt, breit über die Erde hin,
Dein gewaltiges Banner, Verderber,
Hüllt in kalte Schatten uns ein.
Leise und dicht über mein Herz
Zieht sich der Flor des Grams.
Schlafen, schlafen, träumen von sonnigem Blau
Träumen vom seligen, schönen Lenz,
Träumen von zwei braunen,
Seligmachenden Augen!

Rabenflug

Mattheller Wintertag. Wie goldene Bronce
Liegt auf dem Schnee der Sonne schwacher Schein.
Das Leben schläft in träumender Agonie.
War Frühling einst? In dieser grauen Luft
Hat farbiges Falterschwingenspiel geweht
Und Blumendüften? Wo das kalte Weiß
[123]
Starr liegt und eben, wogte Maiengrün,
Von buntem Blumensternenschmelz, durchflockt?
Wie ist es still geworden, todesahnungsstill ...
Der Park ist offen. Niemand trat durchs Thor.
So einsam ists, als wärs die Toteninsel.
Die Marmorgötter auf den hoben Sockeln,
Von Schnee behaubt, stehn da wie Gräbermale;
Die Tannallee, schnurgrad hinausgezogen
Vom weißen Schloß bis an die Mauertürme,
Ist eine schwarze, steife Leichengarde,
In Reih und Glied zum Trauern kommandiert.
Von jedem Schritte knistert, wie in Schmerz, der Schnee,
Mein Hauch dampft aus in grauen Nebelwölckchen;
Bin ich allein das Leben in dem Tod?
Mein warmes Herz, du nimmer müder Quell
Voll roten, heißen Lebensweines, ströme
Die Purpurwogen voller Liebe aus,
Gieß aus durch meinen Leib die Flut der Liebe,
Denn leben will ich, heiß in Liebe leben!
Wo ist die Bank, da die Syringentrauben
Geschämig blau aus dunklem Laube winkten?
Im hellen Lindgezweig, das drüber dachte,
Barg sich ein Finkenpaar im kleinen Nest,
Ein Marmorfaun auf rotem Porphyrsitze
Ließ sich die Liebe einer kleinen Nymphe,
Die eng sich schmiegte seinem feisten Leib,
Mit Grinsen wohlthun ... Suchend geh ich schneller
[124]
Und finde meine Laube. – Armer Faun!
Die kalte Flockenmütze sitzt ihm schief,
Sein armes Nymphchen ist ihm schier verdeckt,
Ihr Schmiegen sieht mir gar nicht mehr wie Liebe,
Ach sieht nur noch wie bittres Frieren aus.
Das Finkenpaar? Ein alter Rabe sitzt
Im krummen Knorrgeäst der kahlen Linde
Und preßt die Flügel an den kalten Balg.
Du schwarzer Leichenbitter, kannst du sagen,
Wo jetzt die Liebe weilt? Er hebt die Flügel,
Und krächzend, schwanken Fluges, schwebt er fort
Und fliegt zur Stadt. – Schnell bin ich nachgegangen
Der Richtung seines Flugs. Und sollt mans glauben?
Ich fand auf dieses alten Raben Weg
Ein kleines Haus, darin die Liebe wohnt.

Sonne

Nach langen Nebelwochen voll kaltem Schattengrau
Heute der erste Tag,
Da sich der Himmel hellt,
Die Sonne wieder scheint,
Das heilige Licht des Lebens.
[125]
Ich erkenne dich, gütige Gottheit,
Und meine Augen beten dich an
Mit hellen Blicken,
Im Lichte beten sie das warme Leben an
Und saugen seine gütigen, goldenen Strahlen
Mit Kindes Wollust ein,
Das an der Mutterbrust
Nahrung aus heiligem Leibe saugt.
Also trink ich mit strahlenden Augen den Gnadenstrom
Unerschöpflicher Werdenskräfte mit Lust,
Der von der Sonne, dem heiligen,
Liebeflammenden Leibe kommt.
Lebensglut-schürender Feuerwein sind die
Goldenen Strahlen der Sonne, und der begnadete,
Betende Trinker taumelt im Herzen begeisterten Tanz,
Ob auch sein Fuß bedächtig hin
Ueber der Erde rauhen Rücken geht,
Denn seine Seele ist auf der Sonne,
Denn seine Seele brennt in den Gluten
Lebenschenkender Güte.
In der seligsten Liebesbrunst brennt sie,
Tanzgewirbelt ein stäubender Funken
[126]
In dem riesigen Sonnenfeuer,
Sie, auch sie ein jauchzendes Flackerteilchen
Der großen Liebeslohe, die in die kreisende Dunkelheit
Ihre lebenanfachenden Fackeln reckt.

Metamorphosen

Winterkrank war meine Seele,
Und sie kroch wie eine faule Kröte
Zwischen kalten Steinen.
An den leeren Stunden klebte sie
Wie eine müde Fliege am angelaufenen,
Undurchsichtigen Fensterglas.
Sonst war meine Seele ein Schmetterling,
Ein leichter, feiner, blütenverliebter Schmetterling,
Der sich im Sonnenscheine von weichen Winden
Gerne tragen ließ, wie ein Blumenblatt;
Und er steckte sein Saugrüsselchen gerne in alle Süßigkeit,
Und er berauschte sich gerne am Tausendblumengeist,
Und im offenen, samenstaubduftigen Schoße üppiger,
[127]
Buttergelber Rosen schlief er gerne,
Der sorgenlose, leichtsinnige,
Frei schwebende Schmetterling meiner Seele.
Weißt du noch, meine Seele, wie du zum letztenmale
Schmetterling warst?
Das war ein heller, herber Tag,
Hell wie ein braunes Mädchenauge,
In dem der Spott lacht:
»Liebe, – was ist denn das?«
Solch ein Tag wars: Herbstbeginn.
Da flogst du, meine leichtgläubige Seele,
Durch die kalte Helligkeit und suchtest Blüten;
Aber fallende Raschelblätter,
Niederzitternd in zagender Schwäche,
Störten deinen Flug, und du wurdest verzagt
Und frorst in dieser leeren Helle.
Da wurdest du ein kriechendes Thier, meine Seele,
Und du hast dich verkrochen vor dem lieblosen Winter
Und dumpf geschlafen.
Ohne Seele,
Ohne Liebe,
Ohne Rausch und Taumel ging ich
[128]
Durch diesen Winter, ein verdrossener Krüppel,
Und sah ich die Sonne, so fragte mein Auge:
»Was soll diese blinde, angelaufene Scheibe?«
Ein einziges, großes Elend war mir dieser Winter.
Da, mitten in der Nacht,
Gestern,
Wachte meine Seele auf, und ich fühlte es hell:
Sie hob Flügel wieder, meine Seele,
Und sie ist wieder Schmetterling.
Und ich weiß: Zwei blaue, leuchtende Blumen
Sucht sie, und nie noch kostete sie solche
Süßigkeit, wie in diesen beiden
Blauen Blumen ist.

Winter

Der alte Säemann geht übers Land;
Sein grauer Sack ist voll und wird nicht leer,
So viele Hampfeln auch die Hand verstreut.
Und alles ist ihm Feld: Wald, Wiese, Berg;
Allüberallhin sät er seine Saat,
Die niemals aufgeht. Schweigend thut er so.
[129]
Ich seh ihm zu. Mich überschüttet weiß
Der kalte Segen seiner toten Saat.
Und wie ein Baum, aus dem der Lebenssaft
Sich in die Erde schlug, so steh ich starr
Und fühle innerlichst mich selbst vergehn.
Und Schlaf und Tod ist mir nur noch ein Gott.

Alexandriner

Dort lag der See gewellt, ein blauer Schimmerplan,
Wie weiße Möven drauf manch schneller Segelkahn;
Das Ufer drüben hell, der Himmel drüber klar,
Wie das doch wundersam, gar heilig heiter war!
Es tuschte noch der Herbst mit feiner Künstlerhand
In Sammetbraun und -Rot Wald, Wiese, Berg und Land.
Unendlich weit der Blick, und umrißreinlich, fein,
Fiel Alles, fern und nah, dem satten Auge ein.
Die Zacken des Gebirgs scharf vor dem Himmelsblau,
Ich sah der Schroffen Grat, der Schründe Spalt genau,
Und wenn zur Dämmerzeit der Mondkahn drüber schwamm,
War silberüberblitzt der blaue Höhenkamm.
[130]
Der fernsten Dächer Rot, der weitsten Wälder Braun,
Ich sah, wie weit es war, und konnt es nahe schaun,
Selbst kleinster Bäche Band, wie Silber eingestickt
Dem Sammetdunkelrot, hab deutlich ich erblickt.
Und heute. Eingebannt bin ich in kleinem Raum,
Das nahe Dorfgehölz, seh ich als Schleier kaum.
Es fällt ein schneller Schnee, breitflockig, dicht gedrängt,
Und hat in leeres Grau mich drückend eingeengt.
Wo ist der See, der Wald, der blaue Höhenkamm,
Darauf der Silberkahn des halben Mondes schwamm?
Wie bin ich plötzlich arm. Ein König im Exil,
Dem über Nacht vom Haupt die goldene Krone fiel.
Er legt von sich den Prunk, die Pracht, die Macht, den Tand,
Und in sich selbst entdeckt er tief ein neues Land,
Das nie er noch geschaut, das, unveräußerlich,
Ein reiches Königreich: staunend entdeckt er – sich.
Mein Auge ward beraubt, mein Herz ward reich beschenkt,
Das in sich selber sich mit stiller Kraft versenkt.

[131] Frühlingsanfang

Quasimodogeniti:
Der Lenz, der Lenz, der Lenz ist hie!
Maienkätzchen baumeln im Winde,
Schon übersproßt es Birke und Linde,
Grün webt es über Busch und Baum.
Der Winter war ein dummer Traum!
Daß Schnee gewesen und Frost und Eis
– Herr Gott, brennt schon die Sonne heiß –
Man glaubt es kaum.
Zwar Alm und Berg ist noch beschneit;
Dort sitzt der Winter in Einsamkeit,
Der thronverstoßene Alte;
Zorngrüße sendet er, kalte.
Jagt Graupelschauer herunter ins Thal,
Möchte gar zu gerne noch einmal
Auf Stürmen geritten kommen.
Mag ihm aber doch nichts frommen.
Zu fest sitzt schon der Lenz im Land,
Und seine liebe, linde Hand
Ruht segensicher über den Fluren,
Die seines Hauches Glück erfuhren.
Schon sprießt die junge Saat heraus;
[132]
Auf jedem Tisch ein Frühlingsstrauß
Erzählt vom bunten Werden.
Es ist kein Traum, das Heil geschah,
Der Lenz, der Lenz, der Lenz ist da
Und neues Leben auf Erden!

Frühlingsabend

Das junge Feld vor mir. Es wächst in ihm,
Die Säfte steigen stetig auf zum Halm,
Kein Wind bewegt die stille, grüne Kraft.
Der Wald dahinter. Starr der Wipfel Wuchs;
Es zeichnet sich ihr Zackenrand am Himmel,
Tiefdunkel, schwarzgrün vor gestähltem Blau.
Ein rosagelber Streifen, lang und schmal,
Ruht segnend drüber, eine Heilandshand.
Das ist der Friede. Fruchten lebt in ihm.
Ein einziger Vogel singt im tiefen Wald.

[133] Die Mauer entlang

Die Mauer entlang,
Wo das Wässerchen rinnt,
Wo die Rosablüte des Apfelbaums
Das ernste, dunkle Baumgrün grüßt,
Da stehen die schönsten Blumen.
Von jeglicher Art,
Vielfarbenhell,
Leis duftgewiegt und schattengeschützt
Lachen sie her aus grünem Gras;
Ach, wollen sie sterben im Frühlingsglanz?
Ich breche die flammglührote.
Dir, Liebe, geh ich sie, die du still
Im schwarzen Kleide traurig gehst
Zwischen Lautenschlag und blühender Pracht
An deiner Brust aufprange sie hell,
In dein Herz lohe ihr Lebensrot,
Dir singe ihr Duft aus tiefem Kelch:
Sieh, dir auch lacht die Au!

[134] Die Birke

1.

Die junge Frühlingssonne
Mit zarten Strahlenfädchen
Flirrt um die Jungfer Birke
Mattgoldenes Filigran.
Wie eine Braut im Schmucke,
So schämig schön, jungfräulich,
Steht zwischen schwarzen Tannen
Die schlanke junge Birke.
Könnt ich ein Bildchen malen
Mit zartgehauchten Farben,
Ich malte meine Birke
In junger Frühlingssonne.
Der Himmel sollte sie küssen,
Der heiter helle Himmel,
Und eine weiße Wolke
Schwömme über sie hin.
Das Gras zu ihren Füßen,
Halb hoch im Halm, durchflockt ich
Mit zarten Rosakelchen
Und blassen Margeriten.
[135]
Die sollten still wie Kinder
Aufblicken mit hellen Augen
Zur holden Jungfer Birke
In junger Frühlingssonne.

2.

Birke, wie warst du schön,
Als du im grünen Kleid,
Zierliche Jungfrau, standst
Und dir der Frühlingswind
Leise durchs zage Gezweig
Strich, wie des Bräutigams Hand
Zärtlich der Braut durch die schimmernden Locken streicht.
Birke, wie bist du schön,
Die du im goldnen Kleid,
Schöne Matrone, stehst.
Ruhig in klarer Luft
Hängt nun das fahle Gezweig,
Wie die Arme der Frau
Lässig herab im ermüdeten Schooße ruhn.

Sommerglücksmusik

(Für Richard Dehmel.)


Oh Mond der Ernte des goldenen Korns!
Oh Sichelrauschen durch reife Frucht!
Oh Segensang des Sensenschwungs!
[136]
Sonne spielt in schweren, satten
Farben ein Strahlenlied der Macht,
Goldkorngarbenüberdacht
Sitzt der große Pan im Schatten.
Gelb ist des Liedes Tiefton; breit
Flutet es unter dem Klanggewelle;
Fanfaren in Rot; das Blau schalmeit;
Ein lustiges Grün schwillt flötenhelle.
Mit dem Haupt dem hörnerschweren,
Nickt den Takt der große Pan:
Langsam kommt die Zeit heran,
Da die Götter wiederkehren.
Oh Mond der Ernte des goldenen Korns!
Oh Sichelrauschen durch reise Frucht!
Oh Segensang des Sensenschwungs!

Spätsommer

Hellster, grellster Sommertag,
Sonnenglutdurchschwelte Luft,
Schwüler, schwerer Blumenduft,
Müd verhaltener Finkenschlag.
[137]
Satte Reife weit und breit,
Leis schon übergilbt der Wald;
Bunt in Herbst verraschelt bald
Sommertraumstrosteinsamkeit.

Nacht überm Meere

Sommermondnacht. Wie mit drängenden Brüsten
Wirst das Meer sich über das dunkle Land;
Nebelgrau saugt Horizont und Küsten;
Lind ein Blinzellicht vom unsichtbaren Strand.
Wie der Schlange Schuppen schillern die breiten Wogen;
Steigen die phosphorglühen Tiefen des Meers empor?
Auf den Wogenkämmen kommt ein Glanz gezogen,
Den die Sonne an die Nacht verlor.

Sonnenaufgang

Rauch über Acker und Moor;
Ueber das ganze Land
Ist, aus Nebeln gerafft,
Riesig ein Netz gespannt.
[138]
Wird Leviathan gejagt,
Da er entstiegen dem Meer?
Hui, wie tobt er im Netz,
Schleppt es und schleift es umher.
Sieh! Da blendets im Ost:
Offen der Himmel, es schießt
Goldene Speere der Tag,
Und der Wurm zerfließt.
Hoch seinen goldenen Schild
Ueber den Wolkenwall
Hebt der siegende Tag;
Licht lacht über das All.

Tiefe Stunde

Die Sonne ist gegangen.
Ein letzter roter Schein
Liegt auf den höchsten Gipfeln,
Die glühen wie von Wein.
Die Luft ist voller Bangen.
Auf leicht bewegten Wipfeln
Schlafen die Vögel ein,
Die eben noch aus voller Kehle sangen.
[139]
Wie tief ist diese Stunde!
Aus unsichtbarem Munde
Trifft mich ein seltsam Wort:
Gegeben und genommen,
Gegangen und gekommen,
Wo ist dein Hier, dein Dort?
Ein Schweben in der Runde –
Dein Leben geht zu Grunde
Und lebt doch fort und fort.
Nun in den Wipfeln – Ruhe,
Auf allen Gipfeln – Dunkelheit.
Auf thut sich schwarz und weit
Die ungeheure Truhe:
Nacht und Vergessenheit.

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Zitationsvorschlag für diese Edition
TextGrid Repository (2011). Bierbaum, Otto Julius. Landschaften und Stimmungen. TextGrid Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-316A-3