[305] Verschwiegenheit

A.

Grabt dem jungen Buchenhaine
Eure Schäferinnen ein;
Tief dem Herzen soll die meine,
Schäfer, eingegraben sein!
Voll der süßesten Gefühle
Schlägt mein Busen; doch der Mund
[306]
Mache bei dem Saitenspiele
Niemals ihren Namen kund.
Reizender ist das Vergnügen
In der tiefsten Einsamkeit.
Unsre Freuden sind verschwiegen,
Ohne Zeugen, ohne Neid.
Selbst den Schwur, den wir geschworen,
Flüsterten wir leis' am Bach:
Eifersucht hat tausend Ohren,
Schilf und Bäche plaudern nach.
Da wo ihre Heerde spielet,
Siehet man die meine nie;
Schüchtern und bedächtlich schielet
Mein verstohlner Blick auf sie.
Unverfärbt hör' ich sie nennen,
Sorglos steh ich, wenn sie singt,
Und ich scheine nicht zu kennen
Ihren Hund, der auf mich springt.
Schäfer lernt von feinen Seelen
Kalte Worte, kalten Blick!
Nicht die Seligkeit erzählen,
Sie verschweigen, das ist Glück.
Immer, o Geliebte, hülle
Unser Bündnis sich in Nacht!
Liebe sucht allein die Stille,
Wenn sie glücklich ist und macht.
Unbedachtsam überfließet
Nur ein Thor von seiner Lust;
[307]
Doch ein kluger Hirt verschließet
Selbst den Wunsch in tiefer Brust.
Rein und heiß sind meine Triebe;
Ewig, ewig bin ich dein,
Sage dir daß ich dich liebe,
Aber – sag' es dir allein.

B.

Grabe, wems behagt, der Rinde
Der Geliebten Namen ein;
Welcher Hirtin ich empfinde,
Flüstert keine Buch' im Hain.
Unsers Bundes Knoten schlangen
Jahre fester, doch verrieth
Auch den Saiten, die ihr klangen,
Ihren Namen nie mein Lied.
Ach! die Blume des Genußes
Welkt am offnen Sonnenlicht.
Zeugen unsers stillen Kusses
Gaben Neidern schnell Bericht.
Selbst den Schwur der Treue schwuren
Wir im unbetretnen Wald.
Neugier spät die kleinsten Spuren,
Eifersucht hört leis' und bald.
Wo das Lamm der Trauten hüpfet,
Trift man meine Herde nie.
[308]
Schüchtern und bedächtlich schlüpfet
Mein verstolner Blick auf sie.
Unverfärbt hör' ich sie nennen,
Scherz' und lache, wenn sie singt,
Und will nicht ihr Hündchen kennen,
Das liebkosend mich umspringt.
Hirten, lernt euch selbst bewahren!
Plauderei gebiert nur Leid.
Müßens alle gleich erfahren,
Daß ihr zu beneiden seid?
Schweigend ist der Wonne Fülle,
Gern entweicht sie dem Verdacht,
Und erwählt des Schattens Hülle,
Der sie doppelt reizend macht.
Leichtes Sinnes schwatzen Thoren
Von der Seele Wünschen laut;
Was des Klügern Herz erkoren,
Wird auch Freunden nicht vertraut.
Andern kein Geheimnis, bliebe
Mir mein Glück nicht schön, nicht rein.
Sag ich denn, daß ich dich liebe,
Sag ich, Theure, dirs allein!

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Citation Suggestion for this Edition
TextGrid Repository (2012). Boie, Heinrich Christian. Verschwiegenheit. TextGrid Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-3B20-4