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Traum der eignen Tage,
Die nun ferne sind,
Tochter meiner Tochter,
Du mein süßes Kind,
Nimm, bevor die Müde
Deckt das Leichentuch,
Nimm ins frische Leben
Meinen Segensspruch.
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Siehst mich grau von Haaren,
Abgezehrt und bleich,
Bin, wie du, gewesen
Jung und wonnereich,
Liebte, wie du liebest,
Ward, wie du, auch Braut,
Und auch du wirst altern,
So wie ich ergraut.
Laß die Zeit im Fluge
Wandeln fort und fort,
Nur beständig wahre
Deines Busens Hort;
Hab ich's einst gesprochen,
Nehm ich's nicht zurück:
Glück ist nur die Liebe,
Liebe nur ist Glück.
Als ich, den ich liebte,
In das Grab gelegt,
Hab ich meine Liebe
Treu in mir gehegt;
War mein Herz gebrochen,
Blieb mir fest der Mut,
Und des Alters Asche
Wahrt die heil'ge Glut.
Nimm, bevor die Müde
Deckt das Leichentuch,
Nimm ins frische Leben
Meinen Segensspruch:
Muß das Herz dir brechen,
Bleibe fest dein Mut,
Sei der Schmerz der Liebe
Dann dein höchstes Gut.

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Zitationsvorschlag für diese Edition
TextGrid Repository (2012). Chamisso, Adelbert von. 9. [Traum der eignen Tage]. TextGrid Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-4B9B-6