Chassané und die Waldenser

Geschichtlich.


1540


Der heil'gen Kirche waren zwei Pilaster
Von Arl' und Aix die würdigen Prälaten,
Ankämpfend wider Ketzerei und Laster.
Das Unkraut auszugäten aus den Saaten
Der Wahrheit und zu werfen in die Glut,
Bezweckten unablässig ihre Taten.
Waldenser wird genannt die Otterbrut.
Auf jener Antrieb hat zu Recht erkannt
Das Parlament, verfemet ist ihr Blut.
Es gilt für Recht: lebendig wird verbrannt,
So Weib als Mann, so viele ihrer sind,
Die zu dem falschen Glauben sich bekannt;
Mit ihrer Asche spielen soll der Wind;
Es fällt dem Schatze zu, was sonst ihr eigen,
Nebst Hab und Gut auch das unmünd'ge Kind;
Wo blühend ihre Städt und Dörfer steigen,
Soll ebnen, Schutt und Asche, sich der Grund,
Und da die Wildnis fluchbelastet schweigen.
Solch Urteil sprach der Richter strenger Mund;
Vollziehen lassen soll's der Präsident,
Den Schergen wird durch ihn ihr Blutamt kund.
Die Feder schon berührt das Pergament,
Da fühlt er leise sich den Arm gehalten,
Und einer tut's, den er von Jugend kennt.
Alenius spricht: »Sei drum nicht ungehalten,
Wirst, Chassané, noch immer Zeit genug
Zu deines Namens Unterschrift behalten.
Dein Blutwerk, mein ich, duldet den Verzug;
Ich will aus deiner eigenen Geschichte
Dir ins Gedächtnis rufen einen Zug;
Du bist mir Zeuge, daß ich's nicht erdichte:
Einst kamen her die Bauern und verklagten
Die Mäuse vor dem geistlichen Gerichte;
Die Mäuse, die das liebe Korn zernagten,
Und, wie der Böse nur es stiften kann,
Sie sonder Zahl auf Feld und Tenne plagten.
Die Bauern trugen auf Vergeltung an,
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Die Mäuse, die so vieles doch verbrochen,
Zu strafen mit der Kirche Fluch und Bann.
Den Mäusen ward ein Anwald zugesprochen, –
Wer war der Anwald, hätt ich dich zu fragen,
Der Ketzer, denen ihr den Stab gebrochen? –
Der Advokat der Mäuse, wollt ich sagen,
Tat an den Tieren redlich seine Pflicht,
Und wehrte klug den laut erhobnen Klagen:
›Die Mäuse sind von Gott, vom Bösen nicht;
Da lasse nicht der Mensch den Mut erschlaffen
Und ziehe nicht den Schöpfer vor Gericht.‹
Er kämpfte siegreich mit des Rechtes Waffen,
Es wurde frevelnd nicht geflucht den Wesen,
Die Gott in seiner Weisheit auch erschaffen.
Du, Chassané, du bist es selbst gewesen,
Den Gottes ewige Gerechtigkeit
Zur Abwehr dieser Sünde hat erlesen.
Die Mäuse hast vom Bannfluch du befreit;
Als Mäuse zu verteid'gen es gegolten,
Da kannte doch dein Herz Barmherzigkeit.
Ich will nicht glauben, Richter unbescholten,
Daß Menschen, die zum Scheiterhaufen wallen,
Es Stein in deinem Busen finden sollten.
Du unterschreibst nicht? läßt die Feder fallen!
Hab Dank!« Sie drückten schweigend sich die Hand;
Der Ketzer Sache sollte so verschallen.
Doch die Prälaten! Nach vier Jahren stand
Es wieder anders, da erhellten fern
Die Scheiterhaufen das erschreckte Land,
Und jene sangen: »Lobet Gott den Herrn!«

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TextGrid Repository (2012). Chamisso, Adelbert von. Gedichte. Gedichte (Ausgabe letzter Hand). Sonette und Terzinen. Chassané und die Waldenser. Chassané und die Waldenser. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-4C44-D