[54] Ein Tagebuch.

[Widmung]

[55] [57]Dem Dichter Theodor Storm in Verehrung und Dankbarkeit gewidmet.

[57] Was jetzt Dein Leben füllen wird,
Wohin Du gehst, wohin Du irrst,
Ich weiß es nicht; ich weiß allein,
Daß Du mir nie mehr lächeln wirst.
Doch kommt erst jene stille Zeit,
Wo uns das Leben läßt allein,
Dann wird, wie in der Jugend einst,
Nur meine Liebe bei Dir sein.
Dann wird, was jetzt geschehen mag,
Wie Schatten Dir vorübergeh'n,
Und nur die Zeit, die nun dahin,
Die uns gehörte, wird besteh'n.
Theodor Storm.

[58]
In einem Haus mit hohem Giebeldach,
Mit Erkerfenstern, einem großem Garten,
Der erst am Flusse seine Grenze fand,
Da lebte eine stille, alte Frau,
Und wer sie kannte, nannte sie nur »Base
Sie liebte alle Kinder wie die eignen,
Die armen, dummen, schlimmen schier am meisten;
Denn sorglich suchte sie die allerärmsten,
Und lehrt' mit Mühe und Geduld sie lesen,
Und lehrte Schreiben, Rechnen, Stricken, Nähen
Den kindisch-blöden oder kecken Mädchen,
Und schenkte allen warme Kleider, Schuhe,
Den Eltern Holz und Brod in Wintertagen.
Mich aber sah sie oft gar seltsam an
Und fragte dann mit sacht' gedämpfter Stimme:
»Was denkst Du, Kleine? Sag' es mir doch, Kind.«
Ich kicherte und zierte mich zuerst,
Versteckte mein Gesicht in ihren Schooß
Und schämte mich um nichts, nach Kinderart.
Sie lächelte, ich überwand die Scheu,
Und bald erzählt ich ihr die krausen Dinge,
Die durch den Kopf in bunten Bildern zogen.
Wie Weisheitssprüchen lauschte sie den Worten
[59]
Und ließ mich schwatzen oft gar manche Stunde,
Sie nickte nur zuweilen mit dem Haupte,
Strich lauschend mir die Locken von der Stirn,
Schloß ihre Augen, – aber horchte doch ...
Und einmal, als ich lange, lange sprach,
Preßt' plötzlich fest sie mich in ihre Arme
Und klagte, trübe-seufzend, vor sich hin:
»Du armes Ding! – so war einst mir zu Muthe!
Lern' lesen, Kind, und schreiben, lern', o lerne!
Und denke nur daran, den Geist zu bilden,
Sonst wird Dein Herz wie meines mißverstanden,
Verkannt, gebrochen werden, wie das Meine...
Du sollst nicht hülflos sein, wie ich einst war,
Sollst nicht unwissend bleiben wie die Base,
Sollst Jenem nicht ein geistig Hemmniß sein,
An dem Dein Herz mit allen Fäden hängt –
Dich, Kind, möcht' ich vor meinem Loos bewahren...«
Also sie sprach, und ihre Thränen flossen
In heißen Tropfen über meine Stirn;
Sie hatte nieder sich zu mir gebeugt,
Und ihre Lippe bebt' auf meinem Scheitel...
Ich wußte diese Worte nicht zu deuten,
Ich sprach sie nach wie Worte des Gebetes,
Das mir die Base jüngst zur Nacht gelehrt.
Doch prägten tief sich ihre Worte ein,
Weil ich zu tausend Mal sie wiederholte.
– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –
[60]
An einem Sommerabend saßen wir,
Ich und der armen Nachbarn kleine Kinder,
Und harrten, daß Maria, meine Schwester,
Uns bald zur Base Anna rufen würde.
Es war ein schwüler, heller Sommerabend,
Die Käfer schwirrten surrend durch die Luft,
Die Tauben girrten, trippelten und lachten
Und stürzten sich vom hohem Giebel nieder
Auf die Terrasse, von Gerank umflossen.
Die gelben Rosen, die das Haus umsäumten,
Die dufteten fast herb', und die Gardinen,
Mit blauen Palmen, dunkelrothen Vögeln,
Die flatterten vom Abendwind bewegt,
Aus unserer Base kleinen Erkerfenstern.
Die Kinder flüsterten und rückten ungeduldig,
Sie spähten aufwärts erst zu den Gardinen,
Erhoben dann sich, immer lauschend,
Und schlichen sich allmählig schüchtern fort...
Der letzte Sonnenstrahl war schon erloschen,
Auf grauen Schwingen sank die Dämmerung
Hernieder auf den großen, stillen Garten,
Hernieder auf das duftumwogte Haus. – –
Ich aber saß und lauschte jenem Klingen,
Dem süß-geheimnißvollen, weichen Laut,
Der leise hinzog durch die Abendlüfte,
So wie der letzte Ton zerriss'ner Saiten
Schwermüthig nachbebt, mählig erst verweht...
[61]
Ein Vöglein zwitscherte noch traumhaft-traurig,
Vom Fluß herauf ertönten Ruderschläge,
Der Lärm der Kinder, die weit draußen spielten,
Der scholl verlockend oft zu mir herüber,
Doch bald verstummten auch die lauten Scherze,
Die Kleinen aber eilten fröstelnd heim. –
– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –
Lautlose Stille herrschte rings umher;
Da plötzlich hörte ich ein Fenster klirren,
Doch ganz hoch oben war's, das Giebelfenster,
Und meine Schwester rief mit fremder Stimme:
»Du, Kleine! – bist Du da?« – »Ja, ja, Maria« –
»Getrau' mich nicht hinunter,« schluchzte sie,
»Die Base Anna ist schon lang' gestorben,
Und keine Menschenseele ist im Haus! –
Ich bin aus Furcht vor ihr heraufgelaufen,
Komm', hole mich, wenn Du Dich gar nicht fürchtest« ...
»Die Base Anna ist schon lang' gestorben?«
Was mag das sein, drob' sich Maria fürchtet?
So dachte ich und eilte zu der Base. – – –
Ich lief durch Saal und Zimmer, fand sie nirgend,
Bis ich sie sah auf ihrem Lieblingsplätzchen,
Auf der Terrasse, vom Gerank umflossen.
Sie lag in ihrem Lehnstuhl dort wie schlummernd,
Der Abendwind hob ihre grauen Locken,
Gefaltet lagen ihre weißen Hände
In ihrem Schooß, auf einem altem Büchlein.
[62]
Zu ihren Füßen setzt' ich still mich nieder,
So wollte harren ich auf ihr Erwachen
Und die Maria sich recht fürchten lassen ...
Die aber war gar bald hinabgelaufen,
Die Diener und die Nachbarn herzurufen.
Sie kamen eilig und mit Schreckensmienen; –
Wie ich auch winkte, bat und leise wehrte,
Die rüttelten die gute Base doch
Und klagten weinend: Ja, sie ist gestorben ...
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Mir in den Schooß fiel jenes alte Büchlein,
Das unter ihren Händen erst gelegen,
Ich barg es absichtslos in meinem Kleide.
»Das will ich selbst ihr morgen wiedergeben,«
So dachte ich, als mich mein müder Ahn
Gesenkten Hauptes langsam heimwärts führte.
Daheim versteckte ich das Büchlein rasch
Und konnt' die Nacht hindurch kein Auge schließen;
Denn immer mußt' ich an die Base denken...
Den nächsten Tag da durft' ich nicht hinüber,
Am zweiten Tag mußt' ich die Kleinen hüten,
Am dritten Tag lief ich dem Ahn davon,
Geraden Wegs hinüber zu der Guten. –
– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –
Durch's ganze Haus zog öder Weihrauchduft,
Und schwarzgekleidet waren alle Diener,
Die Spiegel waren alle schwarz verhängt,
[63]
Und alle Thüren waren weit geöffnet,
Und fremde Menschen füllten alle Räume.
Mit bloßen Füßen huscht' ich durch die Menge,
Und hastig vorwärts glitt ich durch die Zimmer,
Bis hin zu jenem Saal, wo stets sie lehrte...
Da standen Töchter, Enkel, fremde Kinder,
Der junge Mann, der aus der Ferne kam
Und jüngst ihr liebstes Enkelkind gefreit, –
Sie alle standen neben einem Sarg,
Und sie lag d'rin, verhüllt mit weißem Schleier,
Ein kleines Kreuz in ihren schmalen Händen,
Und sie lag dort – und regte sich nicht mehr ...
Mir schlug das Herz, daß ich es selber hörte. –
Entsetzliches, das ahnt' ich, war gescheh'n,
Konnt' ich auch alles noch nicht ganz erfassen...
Nun aber kamen schwarze, fremde Männer,
Die legten einen Deckel auf die Truhe
Und schlugen mit dem Hammer einen Nagel
In jenes enge Bett der alten Base. –
Mir war, als ging der Nagel durch mein Herz.
»Oh meine Base, meine Base Anna!«
So schrie ich auf und stürzte zu dem Sarg,
In wilder Angst stieß ich hinweg die Männer,
Ich zerrte an dem Deckel, bis er fiel
Und ich das Antlitz sah der Heißgeliebten...
Und ich umschlang sie fest mit meinen Armen,
Versprach ihr zitternd, ich wollt' fleißig lernen;
[64]
Ich wollte lesen, schreiben, stricken, nähen,
Wollt' Alles thun, nur sollt' sie wieder lachen,
Sollt' sich bewegen, sollte mich umarmen,
Sonst trügen fort sie jene schwarzen Männer.
Und leise, leise sagt' ich ihr in's Ohr:
»Sie werfen Dich in eine tiefe Grube,
Der Ahn hat ganz allein mir einst erzählt,
Daß sie den Vater einstens mir begraben,
Weil er nicht reden konnte und nicht athmen.
O rede Base! laß Dich nicht begraben,
Sonst muß ich ja allein, unwissend bleiben
Und auch im Winter ohne Schuhe laufen.« –
Doch sie blieb still ... die Andern schluchzten lauter,
Das starre Haupt es fiel aus meinen Armen,
Aus meinen schwachen Händen in den Sarg.
Der Base Tochter zog mich sanft hinweg,
Sie küßte weinend meine heiße Stirne
Und sagte Manches, das ich nicht verstand.
Mir aber flog ein Frösteln durch die Glieder,
Durch schwarze Nebel sah ich noch die Todte,
Die Hammerschläge dröhnten dumpf und schwer,
Es wurde Nacht – ich hörte nur mein Wimmern. –
– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –
An wilden Fiebern lag ich lang' danieder,
Und nur allmählig kam ein klares Denken
Und die Erinnerung an sie, die Todte ...
Zu ihrem Grabe war mein erster Gang.
[65]
Es war schon Herbst, sie schlief bei welken Blumen;
Ein glatter Stein sprach mit viel glatten Worten
Von Allem, was für alle Andern werth.
Er sprach von Haus und Rang und von den Jahren,
In welchen sie geboren und gestorben,
Zum Schlusse kamen auch noch schöne Verse
Von Glauben, Hoffen, Dank und Wiedersehen.
Ich konnte Alles schwer und langsam lesen,
Ich war ein Kind, mein kleines Kinderherz
Es frug vergeblich, wo die Worte ständen,
Die trüben Worte, die sie einst gesprochen.
Mir klang ihr »lerne, lerne!« durch die Seele. –
Das schwarze Büchlein hatt' ich aufbewahrt,
Ich las und langsam lernte ich begreifen
Das, was ich las, und sie, die todte Base,
Und als ich älter wurde, Manches litt,
Da wußte ich ein jedes Wort zu deuten. –
Ein ganzes, langes, schmerzensvolles Leben
Lag eingesargt in diesem kleinem Büchlein...
Ein wirres Leben las ich da aus Liedern,
Die eine Feuerseele hingeschrieben
Mit Blut und Thränen für Ein Menschenherz. –
Und wie der Sänger einstens sie genannt,
So will auch ich sie schlicht und einfach nennen:
Tagbuchfragmente eines Einsamen.

[66] Tagebuchfragmente eines Einsamen

1.

Habe wieder Dich geseh'n,
Habe wieder Dich gefunden
Und den Duft verträumter Stunden
Fühl' ich wieder um mich weh'n.
Doch Du wohnst im schönsten Haus,
Bist seither auch Frau geworden,
Menschlein, klein, mit großen Orden,
Schlendern bei Dir ein und aus.
Und es schwatzet nur von Dir
Schaaler Müssiggänger Meute,
Denn Du bist nicht weiser heute,
Aber schöner – dünket mir! –
Starr zu Deinem Haus empor
Gucken all' die faden Laffen,
Ihrem Schwatzen, ihrem Gaffen
Leihest Auge Du und Ohr! –
[67]
Und Dein blühend junger Leib
Ist umhüllt mit theuren Stoffen,
Hab' vor Zeiten Dich getroffen
In gar armem Röcklein, Weib!
Warst zuweilen wohl betrübt!
Konntest schreiben nicht, noch lesen,
Kopf und Händchen – armes Wesen! –
Waren schön, doch ungeübt.
Ach schon längst bin ich erwacht
Und ich glaube noch zu träumen!. –
Sag' – hast Du in diesen Räumen
Wahr geliebt und froh gelacht? ...

[68] 2.

Was haben sie aus ihr gemacht,
Was aus mir?
Sie hat so heiter einst gelacht,
Ich mit ihr!
Ich schrieb so manches schöne Gedicht
An das Kind,
Und sah nichts, als ihr schönes Gesicht, –
War ich blind?!
Was hat sie wohl heute von mir gedacht? –
Ah! das Weib,
Das sich putzt und Andere traurig macht
Zum Zeitvertreib. – –

[69] 3.

Er Dein Gatte! – er Dein Gatte!
Daß ich es kaum fassen kann –:
Die – die mich so lieb einst hatte,
Liebt den glatten sichern Mann?
Klingt das eitel? – Lache, Süße,
Aber blick' mich freundlich an,
Mich, den Deiner keuschen Küsse
Duftiger Zauber einst umspann.
Denkst Du noch der schmalen Gasse?
Mir genüber lag Dein Haus,
Daß ich Deine Hand erfasse,
Streckt' ich nur die meine aus.
Ach so nah', wenn auch geschieden,
Lebten, liebten, lachten wir;
Jene Zeit voll Glück und Frieden,
Sie entschwand mit Dir, – mit Dir! –
[70]
Für mich kamen trübe Tage,
Ein unsäglich langes Jahr;
Es verging in Noth und Plage,
Ganz so wie es ehmals war.
Deine liebe Stimme fehlte,
Wie ich auch hinübersah,
Deine Fensterscheiben zählte,
Du bliebst fort – was sollt' ich da?
Traurig wurde ich und klexte
Endlos lange Bogen voll,
Ließ die Stube, die verhexte,
Rannte in die Welt wie toll.
Ueberall dieselbe Leere. – –
Etwas fehlt' in meiner Brust,
Darum such' ich über'm Meere
Neuen Kampf und neue Lust.
Anna! – küsse meine Wange
Einmal wie vor alter Zeit;
Kind, wir scheiden heut' für lange
Für die ganze Ewigkeit. – – –

[71] 4.

Kam einst zurück
In später Nacht
Und sah zum Fenster hinaus,
Kein lieber Blick
Herüberlacht,
Im Dunkel stand Dein Haus.
Auf meinem Tisch
Ein Brieflein lag,
Geschrieben von fremder Hand,
Ich las den Wisch
Am nächsten Tag
Und fluchte, daß ich ihn fand.
Von Thränen war
Das Brieflein naß,
Vielleicht auch feuchtgeküßt –
Mir wurde klar,
Als ich so las,
Leer war die Welt und wüst.
[72]
»Ich gehe fort,
Du bleibe hier;
Für uns taugt nicht Ein Weg!
Dies letzte Wort
Ich bittend Dir
Auf Deine Seele leg'.
Du bist so klug
Und ich bin dumm
Und traurig oft und arm;
Weiß doch genug,
Ich weiß, warum
Ich liebte treu und warm.
Ich weiß genau,
Daß meine Art
Zu Deiner Art nicht paßt –
Ich würde grau,
Du würdest hart,
Das hab' ich längst erfaßt.
Warum ich geh'?
Ich weiß es wohl,
Du wirst es einst versteh'n,
Und wirst das Weh
Mir mitleidsvoll
Verzeih'n beim Wiederseh'n. –
Nicht schreiben kann
Ich selbst das Wort,
Den Brief, der zu Dir spricht.
[73]
Sei5 glücklich, Mann!
Oh – ich muß fort.
Der Herr verlaß' Dich nicht!« ...
– – – – – – – – – – – – –
Vor einem Jahr
Schriebst Du mir so,
Und jetzt lebst Du in Lust;
Was ist nun wahr? –
Heut' lacht' ich froh,
Jetzt gährt es in meiner Brust. –

[74] 5.

Du hörtest nicht mein thörichtes Herz
Aufstöhnen und trotzig jammern,
Du sahst mich nicht des Gitters Erz
In dumpfem Zorn umklammern.
Ich sah Dich lachen, ich lauschte dort,
Wie ein Dieb vor Deiner Thüre,
Ich wollte nur ein wahres Wort
Für all' Deine falschen Schwüre.
O sage mir, was Dich von mir trieb
Und mich so ruhlos machte,
Damit ich nimmer Dich, mein Lieb',
Und nimmer mich selbst – verachte!

[75] 6.

Und Du gingst einst
In dünnem Kleid
Und nähtest die Finger Dir wund,
Du theiltest einst
Freude und Leid
Mit mir – und den Bissen vom Mund.
Und Du warst einst
So treu und rein,
Du eitle, herzlose Frau,
Du wolltest einst
Mein eigen sein
Und treu – wie der Himmel blau. –
Du warst es einst
Und hast gefreit
Mit hostienreinem Leib,
Dein Herz befleckt,
Die Seele entweiht
Hat nur deine Ehe – Weib! ...

[76] 7.

Ich lausche lange oft in einer Ecke,
Bis ich auf der Terrasse Dich erspähe;
Du aber ahnest nimmer meine Nähe,
Ahn'st nicht die Qualen, die ich mir erwecke.
Du hüllest Dich in Deine weichen Tücher
Und trällerst leichthin Deine weichen Lieder,
O komm' zu mir, – komm' wieder, – komme wieder! –
Ich schaffe Gold – ich denke große Bücher;
Verlaß' dies Haus, ich will ein Neues bauen,
Ich will für Deinen Putz mich stündlich mühen,
Von Dir begeistert soll mein Lied erglühen,
Ich kann nicht dichten, ohne Dich zu schauen! –
Was ruhelos zu Dir mich hingetrieben,
Was ich ersticken wollt' mit eitlem Lachen, –
Nur Deine Nähe konnt' es klar mir machen:
Es ist mein tiefes, wahres, bestes Lieben ...

[77] 8.

Ich schmähte Dich, weil Du mir Lieb' gelogen,
Als ich einst arm, unwissend Dich gefunden,
Weil Du nun stolz und weil Dein Herz gebunden
An jenen Mann, der Dich belehrt, erzogen.
Ich zürnte Dir noch in den jüngsten Tagen,
Ich hab' Dich eitel, hart und kalt geheißen,
Ich wollte Deinem Gatten Dich entreißen,
Auf meinen Armen Dich durch's Leben tragen.
Dein Herz, so meint' ich, müsse lodernd schlagen,
Wie meines schlägt, seitdem ich Dich gesehen –
Du bebtest, doch vergebens war mein Flehen,
Nur dürft'ge Thränen flossen meinen Klagen.
»Ich bin sein Weib und will es fürder bleiben,«
So stöhntest Du, und mehr von Pflicht und Treue,
Mich aber konntest Du einst sonder Reue
Verlassen, einsam in das Leben treiben? –
Ein dunkles Räthsel, reich an tiefen Schmerzen,
Ist Dein Entfliehen, Lieben, ewig Trennen –
Doch wenn ich fern bin, wirst auch Du erkennen,
Wie fremd Du bist an Deines Gatten Herzen...

[78] 9.

Die letzte Nacht
Hab' ich durchwacht
Auf Deiner kleinen Terrasse. –
So nah' Dir – so nah'!
Durch den Spalt ich sah
Dein Antlitz, das liebe, blasse.
Als Dein Gatte kam,
Als er leise nahm
Deine kleinen weichen Hände,
Als er küßte die Stirn,
Da glühte mein Hirn,
Da war mir, als schwankten die Wände;
Er verließ Dein Gemach,
Du schautest ihm nach
Mit müdem, trostlosem Nicken;
Auf Deinem Gesicht
Kein Glück, kein Licht –
Mir bangte vor Deinen Blicken.
[79]
Es knurrte Dein Hund,
Da bebte Dein Mund,
In's Dunkel spähte Dein Auge;
Ich stand wie im Bann
Und lauschte – und sann:
Was uns das Leben noch tauge? ...

[80] 10.

Ich sah erblassen plötzlich Deine Wangen,
Als ich mich unter Deinem Fenster zeigte,
Als sich Dein Haupt zum letzten Gruße neigte,
Seither ist ein Jahrzehnt in's Land gegangen.
Ich schrieb Dir nicht; was konnt' es mir auch frommen –
Und doch!.. Vielleicht erzitterst Du noch leise,
Wenn Du gedenkst der frechen, bittern Weise,
In der ich Abschied einst von Dir genommen!
Denn meine Reue hast Du nie erfahren,
Daß ich doch damals nicht die Blätter sandte,
Daß ich so stürmisch in das Leben rannte,
Anstatt in Deiner Nähe auszuharren! ...

[81] 11.

Oh Weib! was hab' ich einst um Dich gelitten,
Wenn ich so einsam durch die Wälder irrte,
Das Eis der Zweige auf mich niederklirrte
Und alte Träume durch die Seele glitten! –
Wie schrie ich auf in finstern Phantasien
Und suchte doch vergeblich Trost im Liede!
Wie vor der Pest, so sah ich Glück und Friede
Vor meinem Schatten unaufhaltsam fliehen! ...

[82] 12.

Dein Gatte todt! ... Mein tolles Herz, es kreischt
Die Todesbotschaft in die öde Wildniß –
Dein Gatte todt! ... Ach, vor mir steht Dein Bildniß,
Das meiner Seele Schmerz und Trauer heischt.
Ich kann nicht trauern! – Eine heiße Lust
Erfaßt mich wirbelnd und dämonenhaft,
Und aufgewühlt drängt meine Leidenschaft
Zu Dir mich hin – zurück an Deine Brust.
Denn Du bist frei! – Geliebte! dieser Laut
Fliegt auf zum Himmel, oder flammet nieder
Zum Höllengrund, ich aber hole wieder
Von seinem Grab Dich heim, Dich, meine Braut ...

[83] 13.

Unheimlich-fremd ist mir das letzte Blatt,
Das ich im Fieberwahne schrieb vor Wochen,
Wie schnell war jener tolle Muth gebrochen,
War Leib und Seele wieder krank und matt.
Doch Du bist frei! – der eine Laut klingt nach,
Mit leisen Tönen schluchz' ich es, mit herben:
Du bist nun frei, ich könnte um Dich werben,
Ich träume nicht, ich bin gesund und wach. –
Und also tödte ich den letzten Keim
Des Trostes, den ich hegt' seit langen Jahren,
Der Bettler mit den ersten grauen Haaren
Darf nicht zurück – kehrt nimmer wieder heim.

[84] 14.

Ein Bettler nur, könnt' ich Geliebte nahen,
Denn ärmer bin ich, wie in jenen Tagen,
Wo lächelnd wir ein gleiches Loos getragen
Und jugend-heiter in die Zukunft sahen.
Ich habe heut' den ersten Block geschlagen,
Um mir mein eignes kleines Haus zu schaffen.
Ich suche Gold; – mit meinen guten Waffen
Und meinen Hunden geh' ich einsam jagen.
Du ahnest nimmer, wie die starren Schrecken
Der Einsamkeit das Menschenherz befehden,
Oft drängt es mich, die Bäume anzureden,
Die ihre Aeste hoch zum Himmel strecken.
Oft lieg' ich müd' an kleinen schwarzen Seen,
Dem trüben Stöhnen lausche ich der Unken;
Und oft laß' ich, von wilder Sehnsucht trunken,
Den wilden Sturm durch meine Locken wehen.
[85]
Oft, wenn des Landes Thiere alle schlafen,
Wenn jeder Vogel in sein Nest geflogen,
Laß ich mich treiben von des Meeres Wogen
Und frage: Menschenkind, wo ist Dein Hafen? ...

[86] 15.

Durch meine Seele wogt ein dumpfer Jammer:
Ein junges Weib mit schönen, welken Zügen,
Mit Todeszeichen, welche nimmer trügen,
Liegt leise weinend in der kleinen Kammer.
Ich fand sie heute noch vor Tages Grauen,
Die Hunde schlugen an vor einem Graben,
Sie lag wie todt, ich suchte sie zu laben,
Und trug sie heim durch nebelfeuchte Auen.
Ein Knäblein hatte sie im Arme hangen,
Ein Kind mit tiefen, sonderbaren Blicken –
Mich mahnt an Dich sein Lächeln wie sein Nicken,
Dir gleicht das Antlitz mit den bleichen Wangen.
Ein wüster Mann hat dieses Weib verlassen;
Er kam hierher, um Gold, um Glück zu suchen –
Er fand nur Hunger, lernte bald verfluchen
Die karge Erde und die Menschen hassen.
[87]
Er ging von ihr. – Ob er das Glück gefunden,
Ob er sie ließ, um einsam zu verderben?
Sie weiß es nicht. – Sie wird verlassen sterben
An Noth und Elend und an Herzenswunden.
Schon zucken um den Mund die grauen Schatten,
Und bald mit süßen, liebeweichen Tönen,
Und bald mit Schluchzen, angstvoll heißem Stöhnen,
Demüthig stets, ruft sie nach ihrem Gatten ...

[88] 16.

Hast Du vermocht wie jenes Weib zu lieben?
Du hast Dich lieblos einst von mir gerissen,
Und ich war krank, so krank an Wahn und Wissen,
Du hast's erkannt, Du hast ja einst geschrieben:
»Ich würde grau, Du würdest hart!« Es klangen
So schlicht und rührend damals Deine Klagen,
Was Du gefürchtet, hat dies Weib ertragen,
Und der Geliebte ist von ihr gegangen. –
Durch meine Seele wogt ein dumpfer Jammer
Und alle Pfeiler meines Lebens wanken,
Ein Heer von Fragen – schlummernde Gedanken
Weckt Jene, die nun stirbt in meiner Kammer ...

[89] 17.

Die Fremde starb. – Nur ich sah sie verlodern.
Erloschen ist ihr Leben und ihr Lieben.
Der Knabe ist als Erbe mir geblieben,
Sie ist dahin – und bald wird sie vermodern.
Auf einem Hügel hab' ich sie begraben,
Um den sich Epheu dicht und Reben schlingen,
Und morgen will ich ihr ein Kreuzlein bringen
Und wilde Rosen soll sie nächstens haben.
Mir ist so weh! – ich hör' den Knaben lallen,
Er läßt sich lächelnd von den Hunden tragen,
Lauscht auf die Drosseln, die im Busche schlagen,
Ein Vöglein selbst – das aus dem Nest gefallen. –

[90] 18.

Wie wir Gescheiterte zusammen taugen,
Ich ernster Mann und dieses junge Leben!
Ich fühle oft ein tief-geheimes Beben,
Schaut es mich an mit längstbekannten Augen.
Mit Deinen Augen! – ja – sie gleichen Deinen,
Der Kinderblick, er zerrt an meinem Herzen,
So schautest Du, so hülflos, stumm, in Schmerzen,
Oh weinen möcht' ich, Dir zu Füßen weinen ...

[91] 19.

Am nächt'gen Himmel flimmern helle Lichter,
Ihr blasser Schein umzittert diesen Hügel,
Und meine Seele regt wie einst die Flügel,
Des Nachtwinds Rauschen grüßt wie einst denDichter
– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

[92] 20.

Ein halb Jahrhundert ist dahingezogen,
Seit ich das erste Blatt für Dich geschrieben,
Nur die Erinnerung ist jung geblieben –
Ich bin gealtert in des Kampfes Wogen.
Hoch steht mein Haus, es blühen gelbe Rosen
So wie vor Deinem Hause längs der Traufen,
Gardinen gleich den Deinen ließ ich kaufen,
An grünen Balken oft die Stürme tosen.
Auch die Terrasse, von Gerank umflossen,
Gleicht jener, wo von Blüthenweiß umfangen
Ich Dich geschaut, wo einst im Dunkel rangen
Zwei arme Seelen – wo Du mich verstoßen...

[93] 21.

Ein Greis, der tändelt mit Erinnerungen,
Welch seltsam Bild! ... Oft muß das Haupt ich schütteln,
Muß mich an meinen eig'nen Schultern rütteln,
Mich dünkt, ein Lied hör' ich, das Du gesungen;
Die alte Weise hat sich aufgerungen
Aus tiefen, reinen, unsichtbaren Saiten,
Die Töne hör' ich leis' und leiser gleiten,
Wer weiß, ob morgen sie nicht ganz verklungen?
Ob morgen jene Saiten nicht zersprungen,
Ihr letzter Ton nur bebt in diesen Räumen,
Und Reue, Schmerzen, hoffnungsloses Träumen
Für ewig überwunden und bezwungen ...

[94] 22.

Mein Herzens-Sohn, doch nicht der meiner Lenden,
Das heimathlose Kind, das ich erzogen,
Es kommt auf raschem Schiff zu Dir geflogen
Nur diesen Boten will ich zu Dir senden.
Aus reinen Händen sollst Du rein empfangen
Die morschen Blätter sammt dem letzten Willen,
Selbst hören von dem alten Mann, dem stillen,
Der nach vollbrachter Arbeit heimgegangen. –
Und sollt' ein blühend Enkelkind Dir leben,
Ein Mädchen, ähnlich Dir an Reiz und Milde,
So werbe ich und fleh', vor meinem Bilde
Mögst ihre Hand Du meinem Knaben geben.
Laß' nimmer ihn aus Deinem Hause scheiden;
In seinen Augen kannst allein Du lesen,
Wie theuer mir der Herzens-Sohn gewesen.
Mög' doch mehr Glück ihm blühen als uns Beiden! –
[95]
Oh lächle nicht ob dieser letzten Bitten,
Der Knabe hat ein Herz, hat eine Seele
So fromm wie meine war – eh' Wahn und Fehle
In ihr genistet – eh' ich viel gelitten! ...
Wie war es einsam auf den fremden Wegen,
Wie wird es einsam sein in fremder Erde. –
Wirst Du auch beten, daß sie leicht mir werde?
Dir und der Heimath meinen – letzten – Segen! –

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Zitationsvorschlag für diese Edition
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