Wandernd

[43] Edelweiß und Raute spenden

Müden Wand'rern würz'ge Düfte,

Aber scharf und schneidend wehen

Selbst im Sommer hier die Lüfte.

Carl von Thaler.

[44]

Auf den Bergen

Freu' Dich nicht des blauen Himmels,
Bist Du noch so harmlos, Kind?
Fühlst Du's nicht? durch Erd' und Himmel
Zieht gewitterschwüler Wind!
Trau' nur nicht der Himmelslüge,
Nicht dem Sonnenlächeln trau',
Denn es regnet, weinet innen –
Nur nach außen lacht es blau!

[45] Gewitternahen

Bleischwer drückt die Nacht auf mich,
Wolken jagen rasch vorüber,
Trübe schon und immer trüber
Hüllt der Mond in Nebel sich.
In den Zweigen ächzt der Wind
Und es rauschen scheu die Blätter,
Bald vom dumpfen nahen Wetter
Ausgelöscht die Sterne sind.
Unkenruf im nahen See
Und im Gras ein leis' Geflüster;
Öde starrt der Himmel, düster –
Weint er stumm – ob unserm Weh?

[46] Ein Aufathmen

1.

Grüne Tannen, bunte Blumen,
Blauer Himmel, Luft und Duft,
Silberhelle Wasser rieseln
Aus der grauen Felsenkluft.
Helle Sonnenlichter zittern
Spielend auf dem feuchten Grund,
Und der Vögel heimlich Zwitschern
Gleicht dem Wort aus liebem Mund.
Grüne Tannen – kleine Vögel,
Ach, – ihr kennt ein Zauberwort – –
Euer Rauschen, euer Zwitschern
Scheucht die alten Schmerzen fort!

[47] 2.

Wie in süßen Morgenträumen
Liegt vor mir ein kleines Haus,
Blüthenweiße Bäume strecken
Winkend ihre Äste aus.
Liebes, lang' entbehrtes Grüßen
Ist der Lerche jubelnd Lied,
Das wie klingend helles Strömen
Ob dem Haupte wirbelnd zieht.
Kleines Haus und Blüthenbäume,
Ich versteh' den Zauber nicht;
Doch er spricht zum dunklen Herzen
Und es wird d'rin wieder Licht!

[48] 3.

Fremder Menschen bunte Massen,
Fremder Sprache milder Laut,
Große Häuser, helle Straßen,
Selbst der Himmel heller schaut.
Seltsam fremd, wie nie besessen,
Klingt mir hier der Name mein,
Auch mein Herz lernt hier vergessen,
Lernt vielleicht hier glücklich sein.
[49]

Abendbild

Grau der Himmel, grau die Erde,
Grau das weite dürre Land,
Sonn'verbrannte nied're Sträucher,
Schwarzer Sumpf und heißer Sand;
Doch schon weben in der Ferne
Abendnebel, dünn' und leicht,
Ihre grauen feuchten Schleier
Und die träge Stille weicht.
Denn ein mildes kühles Lüftchen,
Wie der reine Athemzug
Eines schlafumfang'nen Kindes,
Hemmt der Vögel matten Flug.
Aus den Büschen, still sich regend,
Ein geheimes Flüstern bricht,
Leise klagt's im Sumpf und silbern
Spiegelt sich das Mondenlicht. –

[50] Am Teich

Ich kenne dich, du schwarzer Teich,
Genau weiß ich den Tag,
Als eine Todte still und bleich
An deinem Rande lag;
Und als der Pöbel scheu und stumm
Sich langsam nahte dir
Und abergläubig, feig und dumm
Bekreuzte sich vor ihr;
Als eine Hand den schönen Leib
Mit Haken an sich riß –
Der rohe Hauf' das todte Weib
Ein gottverdammtes hieß. –
Das starre Antlitz hold und bleich,
Schaut' ich so manche Nacht,
In schwarzen Stunden, schwarzer Teich,
Hab' oft ich dein gedacht.

[51] Im Dorfe

Richtig da, die alte Scheuer
Steht noch auf derselben Stelle,
Vor der Thüre flammt das Feuer,
Flackert auf, wie einst so helle,
Und wie einst, so heute lagern
Kunstplebejer, Vagabunden,
Blasse Weiber bei den magern
Kindern und bei alten Hunden.
Jubelnd grüßt das längst-vergess'ne,
Jugend-mahnende Gelichter,
Ich erkenne schminkzerfress'ne
Kecke, thörichte Gesichter.
Wüst-poetisch, frierend, hungernd
Finde ich die Altbekannten
Ärmer noch, noch träger lungernd,
Echte Handwerks-Comödianten.
[52]
Hinter einem Zaume werden
Sie einst jämmerlich verenden,
Denn es giebt für sie auf Erden
Schon zu viel der Concurrenten.
Habt als Stümper angefangen
Und seid Stümper auch geblieben;
Kirch' und Parlament seit langen
Jenes Handwerk besser trieben.

[53] Prag.
Auf dem alten jüdischen Friedhofe

Sinnend stand ich bei dem Grabe
Rabby Löv's, des jüd'schen Weisen,
Hörte wie im Traum den Führer
Seine todten Ahnherrn preisen.
Und warum, so frug ich staunend,
All' die Juden, groß und kleine,
Auf das Grab mit leisem Murmeln
Werfen bunte Kieselsteine?
Und es wurde mir die Antwort:
»Um zu ehren, ist geboten,
Daß wir Blumen streu'n Lebend'gen,
Steine auf das Grab der Todten.«
Von solch' heidnischem Gebrauche
Sind wir Christen längst gereinigt:
Wir bekränzen stets die Gräber
Jener, welche wir gesteinigt.

[54] Allein!

Einsam stand ich auf den Bergen,
Wo der Falke kreischend flog,
Über schneebedecktem Gipfel
Seine stillen Kreise zog.
Einsam lag ich auf der Haide
Wenn die Sonne untersank,
Und der dürre glüh'nde Boden
Gierig feuchte Nebel trank.
Einsam saß ich oft am Meere,
Dessen alter Klaggesang
Bald wild-zornig, bald süß-traurig,
Bald wie dumpfes Schluchzen klang.
Einsam irrt ich durch die Wälder,
Nur die Eul' am Felsenriff
War mein krächzender Gefährte
Und der Wind, der wimmernd pfiff.
[55]
Einsam litt ich – aber tröstend
War die hehre Einsamkeit –
Nicht allein trug ich mein Elend,
Die Natur verstand mein Leid!
Doch allein – so ganz alleine –
Abgrundtief von Euch entfernt,
Fand ich mich in Euren Sälen –
Als ich Euch versteh'n gelernt!

[56] Auf dem Meere

Ausgetobt die wilden Stürme,
Heiter, friedlich glänzt das Meer,
Nichts erinnert an die Kämpfe,
Todesseufzer bang und schwer. –
Eine Kapsel, fest verschlossen
Schaukelt auf dem weißen Schaum
Und der Fischer, sorglos singend
Wirft sie in des Schiffleins Raum.
Ist die Kapsel erst zerbrochen,
Liest er von dem gelben Blatt –
Wie viel Schätze, Glück und Leben
Jüngst das Meer verschlungen hat,
Liest, was eines Menschenkindes
Todgeweihte Hand noch schrieb,
Als der Sturm das Fahrzeug näher –
Näher stets dem Abgrund trieb ....
[57]
Und so gleichet dieses Büchlein
Jener Kapsel, die zum Strand,
Schon versinkend, hülflos schleudert
Eine todgeweihte Hand. –
[58]

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TextGrid Repository (2012). Christen, Ada. Wandernd. TextGrid Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-5270-7