[8] Herzenssünden

[9] Ich sprach zur Taube: Flieg' und bring im Schnabel

Das Kraut mir heim, das Liebesmacht verleiht;

Am Ganges blüht's, im alten Land der Fabel.

Die Taube sprach: Es ist zu weit.

Ich sprach zum Adler: Spanne dein Gefieder,

Und für das Herz das kalt sich mir entzog,

Hol einen Funken mir vom Himmel nieder,

Der Adler sprach: Es ist zu hoch.

Da sprach zum Geier ich: Reiß aus dem Herzen

Den Namen mir, der drin gegraben steht,

Vergessen will ich lernen und verschmerzen.

Der Geier sprach: Es ist zu spät.

Fr. Coppée.

[10]

Er denkt:

Ich werde sie nicht los die alte Weise,
Ich muß sie summen schon seit langen Stunden,
Als hätt' ich ein vergeß'nes Lieb gefunden,
So schmeichelt, bittet, lockt es immer leise.
Welch reiches Fest das war! wie schön die Frauen!
Und doch nur Puppen gleichend, seelenlosen,
Die man geschmückt mit duftig-frischen Rosen ...
Zuweilen packte mich ein fröstelnd Grauen.
Stets diese Nacken, diese künstlich-weißen,
Und stets dieselben gutgeschulten Augen!
Ich weiß, was all' die Marionetten taugen,
Wenn jene Drähte, die sie führen, reißen ...
[11]
Manchmal ist mir, als ob in's Ohr mir raune
Den Liedertext die unbekannte Schöne;
Die Worte hör ich dann, die dunklen Töne,
Die sie mir sang in rasch erwachter Laune.
Ja ... jedes Wort war nur für mich gesungen,
Mir flammten ihrer Augen scheue Sonnen,
Mich lockten alle gleißenden Dämonen,
Die aus dem Liederkuß sich aufgerungen.

[12] Ihr Lied

Alte Träume, alte Leiden,
Hörst in meinem Lied Du sprießen,
Alte Thränen siehst Du fließen
So wie einst bei unserm Scheiden.
Alte Träume, alte Leiden
Hörst Du leise bittend flüstern:
Nimmer sollst Du schmerzenslüstern
Lippen, die Dich küßten, meiden.

[13] Sie denkt:

Es erlischt
Jeder Schmerz,
Jedes Leid
Ist hinweggewischt,
Der Erde Gewühl,
Die Welt versinkt
In Einem Gefühl
Der Seligkeit ...
Jeder Blick, er trinkt
Die rauschende Zeit,
Wenn Auge und Herz
An dem Zeiger hängt
Und alles Leben
Zusammendrängt
In den Einen
Einzigen Gedanken:
Er kommt!
Bald ist er da! ...

[14] Er spricht:

Du rufest mich? ... Nun sag', was soll ich hier?
Die Affen sehen und die Papageien
Und die Gemächer voll von Spielereien?
Dich singen hören? Sag', was bin ich Dir? ...
Und selber Du? ... Was könntest Du mir sein?
Ich glaube nur an Deine schöne Hülle,
An Deiner Locken goldigrothe Fülle,
Mit Dir vereint wär' dennoch ich allein.
Nicht schüttle stumm die Rosen aus dem Haar,
Und horche auf: Es taugen wohl zusammen
Verrauschte Fluthen und verwehte Flammen,
Doch niemals Herzen, alles Glaubens bar.

[15] Er denkt:

Sie wagt es dennoch! hat den Pakt geschlossen ...
Ich ließ sie keine grimmen Eide schwören,
Das alte Lied nur will ich manchmal hören
Und neue kümmerliche Weiberglossen.
Will hören, was ihr Welt und Menschen galten;
Will sehen, wie in guterfundnen Zügen
Als Wahrheit wiederspiegeln sich die Lügen,
Die ihr Gehirnlein rasch weiß zu gestalten.
Nicht Thorheit, Täuschung, feige Herzenssünden
Vermögen mich so bald von ihr zu trennen;
Vielleicht lehrt sie mich Weiberart erkennen,
Die Keiner noch vermochte zu ergründen.
[16]
Ich bin ein Thor ... denn einer Thörin Mund,
Die schier zu schwach zum Guten wie zum Bösen,
Soll mir das unheilvollste Räthsel lösen?
Was that sie mir seit langen Monden kund?
Nicht einen einzig' neuen Zug der Frau,
Nichts konnte ich aus ihrem Lachen lesen,
Aus ihren Thränen, ihrem Flimmerwesen,
Das sich oft abdämpft bis zum trübsten Grau ...
[17]
Wenn ich nur wüßte, warum ängstlich-fest
Oft ihre Hände meinen Arm umklammern,
Verstände ich der Augen scheues Jammern,
Das halbe Wort, das schwer sich deuten läßt!
Seltsames Weib ... das schüchtern, ungeliebt,
Halbwachend nur hin durch die Welt geschritten
Und wie im Traume jedes Leid erlitten,
Das die Verlassenheit dem Weibe giebt.
[18]
Ein Blättchen gab sie mir mit stummer Hast
Als Antwort auf die wohlbedachte Frage:
Ob Langeweile sie nicht längst schon plage,
Ob ich ihr nicht ein unwillkommner Gast.
Sie schüttelt mit der Feder fort die Last
Und wimmert redlich um vergangne Tage.
Ich weiß, es endet tragisch mit der Klage:
»Das Leben ist mir bitterlich verhaßt!«

[19] Sie schreibt:

Alte Träume, alte Leiden
Hörst in meinem Lied Du sprießen,
Alte Thränen siehst Du fließen ...
Laß uns nimmer, nimmer scheiden!

[20] Er denkt:

Warum sie lieben? ... Gleicht sie denn nicht Allen?
Wär' sie auch besser, was gewänn' ich dann?
Ein Glück, das meine Hand erfassen kann,
In meiner Hand zerbrechen kann, zerfallen.
Das ist vorbei ... doch wenn ich suchend drücke
Die Fänge meines Geistes in ihr Hirn,
Dünkt mich, daß hinter dieser hohen Stirn
Ein Etwas liegt, das einst gefehlt dem Glücke.
[21]
Ich grüble, denke, weil voll Uebermuth
Sie mich in einer tollen Stunde rief.
Weil sie nun selber sich vergarnt so tief,
Und zu mir spricht in schamvoll-scheuer Gluth?
Weil sie verwirrt und ungeschickt mir schreibt,
Und laut zu lachen sich vergeblich müht,
Und weil ihr feines Angesicht verblüht?
Das ist nicht gut ... Ist das vorbei, was bleibt?
Was bleibt am Weib Erträgliches uns noch,
Wenn er verschwand, der sanfte Schönheitsglanz,
Und über allen Herzensfirlefanz
Der erste graue Herbstesnebel kroch.

[22] Sie denkt:

Nicht weil Du fern bist,
Weil ich Dich misse,
Bin ich so traurig;
Nur weil Du stolz
Geheime Schmerzen
Schweigend erträgst.
Weil geisteseinsam
Mit kalten Fremden
Du Stunden verlebst,
Weil jedem Bettler
Auf deinem Wege
Du Mitleid zollst.
Weil jedes Thier,
Siehst Du es leiden,
Dein Herz bewegt.
[23]
Und nur für mich,
Die auf weiter Erde
Allein Dich liebt.
Fehlt Dir die Zeit,
Die Freundschaft, die Milde,
Fehlt Dir das Mitleid.
Wie arm bist Du! ...

[24] Er schreibt:

Wir müssen auseinander, Kind,
Mich drängt es in die Fluth hinaus.
Still wie Dein Wesen war Dein Haus,
Ich sehne mich nach Sturm und Wind.
Bekränze doch Dein Flammenhaar,
Sing' einem Anderen Dein Lied;
Der heute ruhig von Dir schied,
Ging wie er kam, der Liebe bar.

[25] Sie schreibt:

Ich schaue mit Entsetzen jetzt, wohin
Mein Herz ließ wehrlos sich allmälig zwingen,
Wie alle Demuth, alles Leiden, Ringen
Nicht wenden konnte Deinen kalten Sinn.
Da heute liebelos Du mir gestehst:
Daß Dir im Gleichmaß sei die Zeit verronnen,
Daß Du verloren Nichts und Nichts gewonnen
Und wie hinweg von einer Fremden gehst.
Von einer Todten – wo Dein Geist nur sann,
Ob Herz, ob Hirn der Sitz war ihrer Seele –
Sie meidend, daß ihr Anblick nicht erzähle,
Was am lebend'gen Wesen Du gethan ...

[26] Aus ihrem Tagebuche

»For thou hast been

As one, in suffering all, that suffers nothing«

Hamlet.


Seit Du mich verlassen
Ersticke ich schier
In meinen Gemächern.
Wo Alles mich mahnt
An das Vergang'ne,
Und Deine Gestalt
– Wohin ich nur blicke –
Entgegen mir tritt,
Wo Alles noch spricht
Mit einer Stimme
So wohl mir bekannt,
In einer Sprache,
[27]
Die Niemand versteht,
Als meine Seele ...
Wo für mich noch weht
Der Hauch Deines Athems,
Wo für mich noch schwebt
Der Duft Deiner Locken;
Wo für mich noch bebt
Im Ticken der Uhren
Ein ruhiger Pulsschlag
Der schlanken Hände,
Die auf meinem Haupt
Nur flüchtig lagen
Oh flüchtig und kühl,
Als Du mich verlassen
Für alle Zeit! ...
[28]
Wüßt' ich nur einmal
Dich noch zu finden
So wie Du gewesen,
Als ich Dich sah
Am ersten Tage.
Ich würde gehen
Dornige Wege
Mit nackten Füßen
Und blutigen Sohlen,
Stumm, ohne Klage ...
Ich würde Dich holen
Aus Noth und Elend,
Dein Heil erflehen,
Deine Sünden büßen!
Wüßt' ich nur einmal
Noch so Dich zu sehen
Wie Du gewesen
Am ersten Tage,
Ich würde suchen
Suchen ... suchen ...
[29]
Aber ich weiß es,
Wenn ich Dich finde,
Bist Du ein Andrer,
Bist wieder so hart
Wie an dem Tage,
Als ich Dich gesehen
Zum letztenmal.
So bist Du ein Andrer!
Dein schönes Haupt
Ruht an einem Herzen,
Das nimmer Dich liebt,
Das nicht an Dich glaubt.
Du lebst in Qual,
Nichtswürdige Schmerzen
Verzehren Dich,
Du fühlst, es giebt
Für Dich keinen Frieden,
Du fühlst, es wich
Dein Glück, seit wir schieden.
Ich aber, die stumm,
Ohne Hoffnung und Trost,
Gesucht Dich ... gesucht
Und endlich gefunden –
Ich stehe wiederum
[30]
Einsam, verstoßen,
Vor Deinem Haus,
Vor Deinem Herzen –
Verstoßen ... einsam!
[31]
Oh fehlte nur Erinnerung an die Stunde,
Die ich verlebt in fieberndem Entzücken,
Entgegenträumend Deinen ernsten Blicken,
Dem Druck der Hand, dem Wort aus Deinem Munde.
Und nun liegt Alles todt auf tiefstem Grunde,
Das ganze Traumglück sah ich Dich zerstücken,
Und uns zusammen führen keine Brücken ...
Oh fehlte nur Erinnerung an die Stunde!
[32]
Wenn in dieses Sterben
Der Glocke Schall
Oft plötzlich tönet,
Dann fliegen die Pulse,
Mein mattes Herz
Erzittert lauschend,
Als stünde das Leben
Vor meiner Thür
Und trüge versöhnt
Deine schönen Züge,
Die nur im Traum
Mich zärtlich grüßen.
[33]
Jäh ist mir manchmal durch den Sinn gegangen,
Was wohl geschieht, wenn wir uns nun begegnen?
Ich dachte mir, ich könnte Dich nicht segnen,
Wenn Deine Augen fremd an meinen hangen.
Doch als Dein kalter Blick jetzt traf den meinen,
Da schwankten rings die Menschen, Häuser, Gassen,
Ich aber wollte Deine Hand erfassen,
Anklammern mich und weinen, laut aufweinen ...
[34]
Die Welt ist so groß –
Leicht kann sich verbergen
Ein trauerndes Weib.
Wir können nicht weilen
Am selben Ort,
Es giebt kein Meiden.
Mir unbewußt führt
Mein Herz mich die Wege,
Die täglich Du gehst.
Und still wie Dein Schatten
Folg' ich Dir nach
Und bebe zusammen,
Wenn träumend oft hängt
Dein prüfendes Auge
An einem Antlitz.
[35]
In Jugend und Schöne,
Lächelnd, blühend,
Wie vormals das meine.
Die Welt ist so groß, –
Leicht kann sich verbergen
Ein glückloses Weib.

[36] Er schreibt:

Wenn jener echte Opfermuth
Noch heute Dir das Herz bewegt,
Wenn es ein treu Erinnern hegt,
So komm ... Es ging zu hoch die Fluth.
Am Strand lieg' ich in Seelennoth,
Großmüth'ger Thorheit eingedenk,
Die, unterwürfig, als Geschenk
Einst eine Welt von Liebe bot ...

[37] Sie denkt:

Sie fragen mich nicht
Die mitleidigen Sterne,
Was mich bewegt ...
Aus endloser Ferne
Leuchtet ihr Licht
Mir in die Brust ...
Sie fragen mich nicht
Die geduldigen Sterne,
Sie lauschen lautlos,
Als hörten sie gerne
Was Sehnsucht spricht.
Auch sie gehorchen
Willenlos schweigsam
Der lenkenden Kraft
Die herrschet unbeugsam.
Was mich bewegt
Fragen mich nicht
Die mitleidigen Sterne.

[38] Er spricht:

Wohl sind es Monde jetzt, seit ich Dich mied,
Doch vorwurfslos hast Du mich aufgenommen,
Mit freudiger Scheu sahst Du mich wiederkommen,
Von bleichen Lippen klingt Dein altes Lied.
Sei nicht so rathlos ... Ich bin kein Tyrann,
Bin kein Romanheld voll studirter Qualen
Ein Zweifler bin ich, innerlich zerfallen,
Ein glaubensloser, lebenskranker Mann.

[39] Sie spricht:

Ob ich zurecht mich in der Ferne fand?
Ich suchte Menschen auf und laute Straßen,
Ich konnte Keinen lieben, Keinen hassen,
Und Keiner bot mir mitleidsvoll die Hand.
So trieb ich ruhelos von Land zu Land,
Ein Blatt im Wirbel, einsam und verlassen,
Und sehnte mich nach Deinem Haupt, dem blassen,
Wie nach der Heimath, die ich niemals fand ...

[40] Er schreibt:

Warum der Liebelose wiederkam,
Das fragt mich oft Dein bang-beredter Blick,
Verödung führte mich vielleicht zurück,
Vielleicht ein Selbstgericht, vielleicht auch – Scham.
Denn oft frug ich in dumpfer schwüler Nacht,
Was Dich, Du großes willenloses Kind,
An mich gekettet einst so wahr, so blind
An mich, der hart geredet und gedacht.
Und forschend weilt' ich bei der Frage lang ...
Bald wuchs an Dich der Glaube unbewußt,
Und in der leeren, sturmzerwühlten Brust
Gar mahnungsvoll Dein altes Lied erklang.

[41] Sie schreibt:

Ich sagte Dir, daß ich Dich lange kannte,
Bevor Dein Auge jemals mich geschaut.
Gedenke nur der hellen Sommertage,
Die Du verlebt hast in den Alpen einst.
Da war ein Morgen, wo mich Vogelzwitschern
– Noch halbverhalten und doch traumgeschwätzig –
Hinausrief auf die blanke Holzaltane.
Es flüsterte ein schwacher, kühler Wind,
Und feuchte Nachtluft strömte aus den Büschen,
Und jeder noch so leise Ton war hörbar.
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Da stand ich lange, lauschte in die Ferne,
Mein Herz erbebte und schlug freudevoll,
Als harrte holder Zukunft es entgegen,
Die sacht heraufzog mit dem jungen Tag,
Der schon mit zartem Roth die Berge färbte.
[42]
Und wie ich also lauschend, betend stand,
Kam aus dem dunklen Thal ein Mann herauf
Und schritt auch achtlos-still an mir vorüber.
Der Wanderer ging einsam seinen Weg
Hin durch die würzig klare Morgenluft,
Kein Strauch, kein Baum stand auf dem Felsenfirst,
Nichts als dies Eine Wesen war zu sehen,
Das langsam unermüdlich aufwärts stieg ...
Bald hob die schlanke, männliche Gestalt
Befremdlich-scharf sich ab von Luft und Himmel
Hoch oben auf dem langgestreckten Grat.
Mit einmal aber schaute ich den Mann
Vor meinem Blick urplötzlich ganz verwandelt,
Denn aufgewachsen war er jählings jetzt
Zu einer mächtig-riesigen Gestalt,
Zu einer hehren, übermenschlichen ...
So ragte er schier dräuend in den Himmel
Und hob mit wilder, schmerzlicher Geberde
Die Arme auf, der Riese, der Titan! ...
Und wie des Falken Schrei flog auf ein Laut,
Vom Echo gellend wieder rückgegeben.
Da faßte mich ein unaussprechlich Weh,
Ein großes, unverscheuchbar-tiefes Mitleid;
Mir war, als müßte ich zu ihm hinauf
Und leise mich an seine Seite stellen
Und so geduldig harren, demuthsvoll,
[43]
Bis selber meine Hand er fassen würde
Und an des Weibes Herz die Qualen legen,
Die er hinauftrug in die Einsamkeit.
Zum erstenmal erschrak ich vor dem Sein,
Und unklar überfiel mich eine Ahnung,
Wie viel des Elends liegt auf jeder Seele,
Wie viel ich hülflos selbst seit jeher trug.
Ach Alles drängte mich zu ihm hinauf,
Mir war als müßte ich von ihm erflehen,
Daß neben ihm ich weiter schreiten dürfe
Den langen, staubbedeckten Weg des Lebens.
Doch als ich, solches träumend, aufwärts sah,
Erhob sich höher einmal noch sein Leib,
Aufreckend trotzig sich in Schmerzgeberden;
Dann ... sank er in den Boden jäh vor mir,
Vom Grat zur andern Seite niedersteigend,
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Du warst der Fremde auf der lichten Höhe,
Und mit dem Bildniß jenes Uebermenschen,
Des schmerzgequälten, einsamen Titanen
Bin ich zurückgekehrt in das Gewühl
– Das ich für Freude hielt in andern Tagen –
In das Gewühl der Stadt, zu ihren Festen,
Die schaal und leer mir wurden, weil ich Dich
Oh unablässig immer Dich nur suchte ...
Bis ich Dich endlich fand an jenem Abend,
Und nur für Dich ... das alte Liedchen sang.
[44]
Wenn ich Dich rief, und mich an Dich geklammert,
– Gedankenlos und launisch, wie Du denkst –
So war es nur, weil ich so tief Dich liebte.
Denn wie Dein Leib so hehr auf jener Alpe
In gottgeweihter, stiller Morgenstunde
Verklärt von Licht vor meinen Blicken stand,
So groß und herrlich dünkte mich Dein Herz,
Das großes Leid nicht kleinen Menschen klagt,
Und meine Seele hat sich angeschmiegt,
Und stumm gefleht, daß Du hinauf sie führest
Aus diesem Dämmerreich von Nacht und Licht
In eine klare, sonnenwarme Luft ...
Und wenn ich manchmal an Dir irre wurde,
Losringen wollte mich mit letzter Kraft,
Stand wieder vor dem angstverwirrten Sinn
Gepeinigt die titanische Gestalt
Und hob empor mit wildem Schrei die Arme,
Und mahnte, daß ich Dich nicht lassen darf,
Weil ich allein Dein herbes Leid erschaute.
Ich beugte stumm das Haupt und trug es wieder,
Was abzuschütteln nie den Muth ich fand,
Denn schmerzlich hab' ich immerdar gefühlt
In solcher Stund': ich kann Dich nimmer missen.

[45][47]

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Zitationsvorschlag für diese Edition
TextGrid Repository (2012). Christen, Ada. Herzenssünden. TextGrid Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-529A-B