Vierter Teil

[179][181]

Subskriptionsanzeige

Da das Publikum so gut gewesen ist, auch mit dem zweiten Büchel meiner »Sämtlichen Werke« vor Lieb und Willen zu nehmen, und seitdem 4 bis 5 Jahre verflossen sind; – so wäre ich wohl gemeint, aber eins herauszugeben. Die Einrichtung bleibt wie bisher: wieder einige Kupfer, gutes Schreibpapier, und auf dem Schreibpapier allerlei, so gut ich es weiß und verstehe, nach meiner Einfalt und in Ermangelungeines Bessern. Also freilich kein Ambrosia, aber auch keine raffinierte blähige Konditorware, die wie mein Vetter sagt in der Welt für Ambrosia verkauft wird, sondern ehrlich hausbacken Brot mit etwas Koriander, das dem armen Tagelöhner besser gedeiht und besser gegen Wind und Wetter vorhält; zum Zierat und Abzeichen soll allerdings hin und wieder dran ein Herz oder ein Schlüssel eingedrückt werden. Zur Ostermesse, wenn Gott Leben und Gesundheit gibt, denk ich dies neue Büchel zu liefern, und möchte es wohl etwas stärker ausfallen.

Weil ich aber mit der neutralen Flagge eigentlich keine Geschäfte mache, sondern mein Handlungsgeheimnis mehr in dem »Kurs meiner Papiere« besteht; so ist, bei den dermaligen Preisen aller Staatsbedürfnisse, die Subskription, nicht Pränumeration, für ein Exemplar brutto, d.i. mit Fustage und Transport auf 40–50 Meile, beides in Quantitäten versteht sich, 1 Rtlr. oder 3 Mk. Hamburger Geld; doch nehme ich von denen H.H. Korrespondenten die kein schweres Geld haben, der bequemern Berechnung halben, auch 3 Mk. leichtes Geld oder den Louisdor zu 5 Rtlr. Damit ist nun das Büchel bezahlt, und so soll der Preis für die Nichtsubskribenten hernach nicht erhöht werden; doch wäre mir wegen der Industrie der Nachdrucker sonderlich damit gedient, wenn die etwanigen Liebhaber gefälligst subskribierten.

Ersuche denn die Gönner und Freunde, die Lust und Zeit haben, ihres Orts Subskription anzunehmen, und spätestens gegen Ende des Januars 1783 an mich einzusenden, unter der gewöhnlichen Adresse: »à M. Claudius Homme de lettres à Wandsbeck, abzugeben in Hamburg auf Herrn Herrmanns Apotheke.«

Ich habe, wem damit gedient ist, auch noch Exemplare von den beiden vorhergehenden Bücheln das Stück, zu 2 Mk., daß also mit dem neuen alle drei, einzeln gekauft, 7 Mk. kosten; wer sie alle drei zusammen nimmt, bezahlt 7 Mk. 8 Pfg.


Wandsbeck, den 1. Nov. 1782

Asmus.


(Siehe die Hamburger und Altonaer Zeitungen vom November 1782.)
[181]

Vorrede

Was ich in der Anzeige versprochen, meine ich im Büchel gehalten zu haben. So gut ich's wußte und verstand, hab ich's geschrieben, und daß es in Ermangelung eines Bessern ist weiß niemand so gut als ich. Übrigens habe ich hier wenig oder nichts vorzureden, und verweise den geneigten Leser auf das was vor den vorhergehenden Teilen zu lesen ist. Auch die Kupfer in diesem vierten Teil brauch ich nicht zu erklären, denn sie erklären sich selbst; und ich hoffe, daß viele Herren Subskribenten wenn nicht mit dem Büchel doch mit den Kupfern zufrieden sein werden. Der Inhalt der beiden Kupfer neben pag. 256 und 288 konnte, wie der Text und ich sie verlangten, nicht vorgestellet werden. Ich wollte ihn aber doch gerne von Herrn Chodowiecki vorgestellet haben, und meinte: so und so. Und darauf bezieht sich der Scherz des Herrn Chodowiecki auf diesen beiden Platten. Mein Vetter und ich können nichts zeichnen; wir können nur Sachen angeben, die sich nicht zeichnen lassen. Über viele Stücke im Buche steht's darüber: an wen sie gerichtet sind. Wo nichts darüber steht, kann jeder wenn er will ansehen als ob sie an ihn gerichtet wären. Die Briefe am Ende sind an Andres. Schließlich ersuche ich die Herren Nachdrucker, daß sie mir mein Büchel nicht nachdrucken, weder halb noch ganz. Es ist das einzige das ich vorlege, und es muß so beisammen bleiben.

Motet

Der Mensch lebt und bestehet
Nur eine kleine Zeit;
Und alle Welt vergehet
Mit ihrer Herrlichkeit.
Es ist nur Einer ewig und an allen Enden,
Und wir in seinen Händen.
Und der ist allwissend.
Erstes Chor: Halleluja!
Und der ist heilig.
Zweites Chor: Halleluja!
Und der ist allmächtig.
[182]
Drittes Chor: Halleluja!
Und ist barmherzig.

Alle Chöre:

Ist barmherzig – Halleluja! Amen!
Halleluja ewig ewig ewig seinem Namen!
Ist barmherzig – Halleluja! Amen!

Über ein Sprichwort

Unter andern tiefsinnigen Sprichwörtern und Rätseln, dadurch die Alten unterrichten und bessern wollten, ist auch eins: man soll auf einem Grabe nicht schlafen! und eben von dem ist hier die Rede.

Wenn ein Spruch tiefsinnig ist, so schwimmt der Sinn nicht obenauf; und denn pflegt er ziemlich sicher zu sein.

Die Sprüche der Weisen sind dem Schiff Royal Georg zu vergleichen, das mit dem wackern Admiral Kempenfeldt seit dem 29. August a.p. bis an den Topmast bei Portsmouth in See steht. Das Fähnlein züngelt da über dem Wasser, daß man wohl sieht: es sei im Grunde etwas vorhanden; wer aber den 29. August nicht in Portsmouth war oder sonst des Wesens kundig ist, der wird dem Feind nicht viel von dem Royal Georg verraten. Indes hat doch ein jeder seine Vermutungen, und es kommt bei solcher Gelegenheit allerhand nützliche Auslegung und Lehre an den Tag; und so soll es auch sein. Ein Umstand ist bei solchen Auslegungen noch zu bemerken, der manchem sonderbar dünken möchte, der nämlich: daß der letzte Ausleger allemal der klügste ist, und daß seine Vorgänger immer herhalten müssen. Dafür muß er aber zu seiner Zeit wieder herhalten, und so ist das Gleichgewicht hergestellt. Wollen es denn auch so machen, und zu seiner Zeit wieder über uns ergehen lassen was recht ist.

Einige Vorgänger also haben das Sprichwort so gedeutet, als werde darin den Leuten, die von einem Vetter in Ostindien eine reiche Erbschaft getan haben, der Rat gegeben: sich nicht bloß neben dem gesammelten Honig hinzusetzen und in Wollust und Müßiggang zu verrosten, sondern nützlich und tätig zu bleiben. Dieser Rat ist allerdings sehr gut, und vielleicht bedauern einige Leser, daß sie nicht in dem Fall sind von einem so guten Rat Gebrauch zu machen. Übrigens gehen doch aber bei dieser Auslegung [183] des Sprichworts alle, die keinen Vetter in Ostindien haben, leer aus, und warum sollen die leer ausgehen? Wir wollen lieber einige Auslegungen versuchen, dabei niemand leer ausgehen darf und dazu man nur braucht was ein jeder Mensch hat, wie folget:


  • a) Es sind freilich viele Gräber, um die sich niemand rote Augen weint; aber manchmal wird doch auch einer begraben, der einem andern nahe abgeht. Dieser andre denkt mit nassen Augen an den Begrabenen und sein Grab ist ihm ein Heiligtum. Du wärest wohl grausam, wenn du es entweihen und dich zum Schlafen darauf ausstrecken könntest! – und du sollst nicht grausam sein.
  • b) Wenn der Mensch im Grabe liegt und der Grabhügel ihm errichtet ist; so ist sein Los entschieden. Alea iacta est. Wir, die wir vorübergehen, können freilich dies Los nicht ändern, sondern bei dem, was geworfen ist, bleibt's. Es wäre aber doch zu hölzern, wenn sich einer auf den Würfeln wollte schlafen legen.
  • c) Die Verwesung ist und bleibt immer eine sehr nachdenkliche und ernsthafte Sache. Gewißlich geht kein Engel gleichgültig einen Grabhügel vorbei! und der ist doch eigentlich über die Grabhügel weg, und hat für seine Person dabei nichts zu gewinnen noch zu verlieren. Der Mensch ist noch nicht so ganz darüber weg, und hat noch allerlei dabei zu bedenken daran ihm gelegen ist. Muß denn so ein alter guter Vater, der den Leichtsinn der Menschen kennt, muß denn der nicht das Gesetz machen: daß man auf einem Grabe nicht schlafen soll?

usw.

Ein Lied vom Reifen,

d.d. den 7. Dez. 1780. Wandsbeck


Sirach C. 43. V. 21.
Er schüttet den Reifen
auf die Erde wie Salz.
Seht meine lieben Bäume an,
Wie sie so herrlich stehn,
Auf allen Zweigen angetan
Mit Reifen wunderschön!
Von unten an bis oben 'naus
Auf allen Zweigelein
[184]
Hängt's weiß und zierlich, zart und kraus,
Und kann nicht schöner sein;
Und alle Bäume rundumher
All alle weit und breit
Stehn da, geschmückt mit gleicher Ehr,
In gleicher Herrlichkeit.
Und sie beäugeln und besehn
Kann jeder Bauersmann,
Kann hin und her darunter gehn,
Und freuen sich daran.
Auch holt er Weib und Kinderlein
Vom kleinen Feuerherd,
Und marsch mit in den Wald hinein!
Und das ist wohl was wert.
Einfältiger Naturgenuß
Ohn Alfanz drum und dran
Ist lieblich, wie ein Liebeskuß
Von einem frommen Mann.
Ihr Städter habt viel schönes Ding,
Viel Schönes überall,
Kredit und Geld und golden Ring,
Und Bank und Börsensaal;
Doch Erle, Eiche, Weid und Ficht
Im Reifen nah und fern –
So gut wird's euch nun einmal nicht,
Ihr lieben reichen Herrn!
Das hat Natur, nach ihrer Art
Gar eignen Gang zu gehn,
Uns Bauersleuten aufgespart
Die anders nichts verstehn.
Viel schön, viel schön ist unser Wald!
Dort Nebel überall,
Hier eine weiße Baumgestalt
Im vollen Sonnenstrahl
[185]
Lichthell, still, edel, rein und frei,
Und über alles fein! –
O aller Menschen Seele sei
So lichthell und so rein!
Wir sehn das an, und denken noch
Einfältiglich dabei:
Woher der Reif, und wie er doch
Zustande kommen sei?
Denn gestern abend, Zweiglein rein!
Kein Reifen in der Tat! –
Muß einer doch gewesen sein
Der ihn gestreuet hat.
Ein Engel Gottes geht bei Nacht,
Streut heimlich hier und dort,
Und wenn der Bauersmann erwacht,
Ist er schon wieder fort.
Du Engel, der so gütig ist,
Wir sagen Dank und Preis.
O mach uns doch zum heil'gen Christ
Die Bäume wieder weiß!

Von der Freundschaft

Ich habe dir in der vorigen Lektion Feindschaft erklärt, und wie man dazu gelangen könne, und wann ein ehrlicher Kerl sie nicht scheuen müsse. Heute von der Freundschaft.

Von der spricht nun einer: sie sei überall; der andre: sie sei nirgends; und es steht dahin, wer von beiden am ärgsten gelogen hat.

Wenn du Paul den Peter rühmen hörst; so, wirst du finden, rühmt Peter den Paul wieder, und das heißen sie denn Freunde. Und ist oft zwischen ihnen weiter nichts, als daß einer den andern kratzt damit er ihn wieder kratze, und sie sich so einander wechselsweise zu Narren haben; denn, wie du siehst, ist hier, wie in vielen andern Fällen, ein jeder von ihnen nur sein eigner Freund und nicht des andern. Ich pflege solch Ding »Holunderfreundschaften« zu nennen. Wenn du einen Holunderzweig ansiehst, [186] so sieht er fein stämmig und wohlgegründet aus; schneidest du ihn aber ab, so ist er inwendig hohl und ist so ein trocken schwammig Wesen darin.

So ganz rein geht's hier freilich selten ab, und etwas Menschliches pflegt sich wohl mit einzumischen; aber das erste Gesetz der Freundschaft soll doch sein: daß einer des andern Freund sei.

Und das zweite ist, daß du's von Herzen seist und Gutes und Böses mit ihm teilest, wie's vorkömmt. Die Delikatesse, da man den und jenen Gram allein behalten und seines Freundes schonen will, ist meistens Zärtelei; denn eben darum ist er dein Freund, daß er mit untertrete und es deinen Schultern leichter mache.

Drittens laß du deinen Freund nicht zweimal bitten. Aber, wenn's not ist und er helfen kann; so nimm du auch kein Blatt vors Maul, sondern gehe und fodre frisch heraus, als ob's so sein müßte und gar nicht anders sein könne.

Hat dein Freund an sich das nicht taugt; so mußt du ihm das nicht verhalten und es nicht entschuldigen gegen ihn. Aber gegen den dritten Mann mußt du es verhalten und entschuldigen. Mache nicht schnell jemand deinen Freund, ist er's aber einmal, so muß er's gegen den dritten Mann mit allen seinen Fehlern sein. Etwas Sinnlichkeit und Parteilichkeit für den Freund scheint mit zur Freundschaft in dieser Welt zu gehören. Denn wolltest du an ihm nur die würklich ehr-und liebenswürdigen Eigenschaften ehren und lieben, wofür wärst du denn sein Freund; das soll ja jeder wildfremde unparteiische Mann tun. Nein, du mußt deinen Freund mit allem was an ihm ist in deinen Arm und in deinen Schutz nehmen; das granum salis versteht sich von selbst, und daß aus einem Edlen kein Unedles werden müsse.

Es gibt eine körperliche Freundschaft. Nach der werden auch zwei Pferde, die eine Zeitlang beisammenstehen, Freunde und können eins des andern nicht entbehren. Es gibt auch sonst noch mancherlei Arten, und Veranlassungen. Aber eigentliche Freundschaft kann nicht sein ohne Einigung; und wo die ist, da macht sie sich gern und von selbst. So sind Leute, die zusammen Schiffbruch leiden und die an eine wüste Insel geworfen werden, Freunde. Nämlich das gleiche Gefühl der Not in ihnen allen, die gleiche Hoffnung und der eine Wunsch nach Hülfe einigte sie; und das bleibt oft ihr ganzes Leben hindurch. Einerlei Gefühl, einerlei Wunsch, einerlei Hoffnung einigt; und je inniger und edler dies Gefühl, dieser Wunsch und diese Hoffnung sind, desto inniger und edler ist auch die Freundschaft, die daraus wird.

[187] Aber, denkst du, auf diese Weise sollten ja alle Menschen auf Erden die innigsten Freunde sein? Freilich wohl! und es ist meine Schuld nicht, daß sie es nicht sind.

Postskript. Es gibt einige Freundschaften, die im Himmel beschlossen sind und auf Erden vollzogen werden.

Paul Erdmanns Fest

Mein Vetter und ich waren auf Reisen die Welt und ihre Berge und Gewässer zu sehen, und ich rekommandiere einem jeden Menschen so 'ne Reise; es kommen gar liebliche Berge und Gewässer mit vor. Gleich den dritten Tag in der Morgendämmerung trafen wir auf einen Fleck, der schier nicht schöner sein kann. Mein Vetter ließ halten und wir sahen überallhin.

»Da drüben am See«, sagte mein Vetter zu mir, »soll Euer Haus stehen; dort oben am Berge Freund ** seins, und hier wo wir stehen will ich wohnen. – – – Aber, was ist Euch, Vetter, Ihr werdet ja so heroisch aussehen?«

»– Ich bin willens, von dieser Gegend Besitz zu nehmen.«

»Dacht ich's doch, daß so etwas im Werk wäre! – Wie macht Ihr denn das?«

»Wie's gemacht wird. Ich zieh meinen Hirschfänger heraus, und haue in alle vier Winde, und rufe überlaut, daß ich hiemit Besitz nehme; und denn gehöret die ganze Gegend meine mit allem was darin ist. So haben es ja die Europäer in andern Weltgegenden gemacht, und es ist reüssiert.«

»Wohl wahr, Vetter; aber die Umstände waren doch verschieden. Dazu reisen wir; so könnt Ihr ja doch nicht dableiben.«

»Nun, so laßt uns denn reisen.«

»Aber bei der Gelegenheit wollen wir's miteinander absprechen, was wir denn eigentlich für eine Reise machen wollen. Was meint Ihr?«

»Ich meine, wir machen le grand tour.«

»Was nennt Ihr le grand tour?«

»Immer vorwärts so wie der Wagen dasteht, bis wir herumkommen auf denselben Fleck; und denn zu Hause.«

»Der Vorschlag ist so übel nicht, auch in der Theorie ganz richtig; in der Praxis hat er denn freilich seine Schwierigkeiten, wie das wohl so zu sein pflegt. – Aber seht, da geht die Sonne auf!«

[188] »Seht doch! – Vetter, sie ist nun alle Tage aufgegangen solang ich lebe; und doch, wenn ich sie des Abends sehe untergehen, kann ich immer nicht glauben, daß sie den andern Morgen wieder aufgehen werde.

Wie sie da nun wieder hervorkommt! – lieber Vetter! –

Aber schau, es wallt und bewegt sich so in ihr; was ist das?«

»Sie haut nun in alle vier Winde, und nimmt von dieser Halbfläche der Erdkugel Besitz! – Und das, Vetter, ist dir doch ein rechter Besitznehmer! Er bringt, und nimmt nicht!

Doch sitzt auf; in ein paar Stunden sollt Ihr wieder was Schönes sehen, freilich keine Sonne wieder, denn die haben wir nur einmal in der Welt, aber doch was Schönes.«

Nach einigen Stunden befanden wir uns vor einer etwas hohen Gegend; und als wir hinaufkamen, da lag rundum vor uns die große offene blaue See. Wer die See gesehen hat, der weiß was das für ein Anblick ist. Wasser scheint lebendiger fürs Auge als das feste Land, es bringt dem Menschen so viel Gutes und ist für ihn so unentbehrlich; ob's daher kommt, daß ein so großer Vorrat davon sich so sonderlich ansieht, aber wahr ist es, der Anblick der offenen See ist sonderlich.

»Nun, Vetter, was sagt Ihr zu dem Früh-Stück

»Ist zu viel zum Frühstück, und man hat den ganzen Tag genug daran.«

»Auch so gut.

Freilich hat man den ganzen Tag genug daran, und die Nacht dazu.

Hat's Euch wohl eher von der See geträumt?«

»Einmal; und da hatte sie der liebe Gott so in der hohlen Hand mit allen Inseln und Schiffen und sah darauf, und die Schiffer merkten es nicht.«

»Gut geträumt, Vetter. Nun, seht noch einmal hin, und denn wollen wir auch weiterreisen. Indes vor wärts, seht Ihr, geht's nicht weiter, und wir müssen wohl linksum machen.«

Wir machten also linksum und fuhren nun 'n drei bis vier Wochen immer so vor uns hin, die Kreuz und die Quere, wo uns der Weg hinführte; und ich muß sagen, die Welt ist sehr groß und immer anders und anders.

Man kann denken, daß wir auf dieser Fahrt manchen angenehmen Tag gehabt haben. Ich darf mich aber nicht weitläuftig einlassen und muß machen, daß ich an den Tag komme, von dem ich hier eigentlich Nachricht geben will. Dieser Tag nun, oder [189] vielmehr der Vortag fing sich eben nicht zum besten an. Wir waren kaum eine Meile vom Nachtquartier in einem großen langen Dorfe, da fiel der Fuhrmann unter die Pferde, und gleich war 'n Bein ab. Der arme Kerl dauerte uns; und wir nahmen einen andern und fuhren weiter.

Gegen Abend brachte uns der Weg in ein Dörflein, das ungemein freundlich aussah, und der Schwager hielt an und ließ uns sehr lange warten. Endlich kam er.

»Warum denn aber so sehr lange, Schwager?«

»Ja meine Herren, das ist von wegen des Jubilei. Hier im Dorfe ist morgen ein Jubilei, und das hab ich erst alles verkundschaften müssen. Die Frau Postmeisterin will das wissen.«

»Ah so! – das ist ein anders.«

»Aber«, sagte mein Vetter zu mir, »ich denke, wir verkundschaften das Jubilei auch näher, ehe wir weiterfahren«; und damit stiegen wir ab und hinein ins Haus, und erfuhren denn, daß ein Bauer im Dorfe, Paul Erdmann genannt, sein Erbe fünfzig Jahr bewohnt habe, und morgen sein Jubiläum feiern wolle.

»Könnt Ihr bis morgen abend hierbleiben, Schwager?«

»Na.«

»Nun so reitet wieder zu Hause; wir bleiben hier.«

»Das dependiert von den Herren, aber ich muß Sie erst auf die nächste Station fahren. Dahin lautet mein Stundenzettel.«

»Narre, wir bezahlen Euch bis dahin, Ihr hört aber, daß wir hier bleiben wollen.«

Darauf ließ er sich aber nicht ein und blieb dabei, daß er laut seines Stundenzettels uns auf der nächsten Station abliefern müßte. Ich wollte also schon wieder einsteigen, weil es mir doch auch halb und halb vorkam, daß der Schwager nicht ganz unrecht habe; mein Vetter aber, der sich bei solchen intrikaten Fällen besser zu nehmen und herauszufinden weiß, schrieb dem Schwager einen Schein: »daß wir würklich in dem Wagen gewesen, daß wir aber auf dem Wege ausgestiegen und deswegen auf der Station nicht mehr darin wären« und damit war der Schwager zufrieden und fuhr weiter, und wir blieben da.

In der Wirtsstube saßen drei reisende Handwerksbursche, und fünf oder sechs Bauern. Die Handwerksbursche machten's wie ich, sie erzählten von ihren Reisen. Als es gebrechen wollte, fingen wir an die Bauern von dem Jubiläo zu fragen, und sie erzählten uns ein langes und ein breites von ihrem Nachbar Paul Erdmann; und sagten bei der Gelegenheit, alle aus einem Munde, [190] ausnehmend Gutes von ihrem Edelmann, und das alles so treu und herzlich, daß man sie und ihren Nachbar und ihren Edelmann unbesehends liebgewann.

Wir gingen darauf noch heraus ins Dorf bis an den Edelhof, der vorne daran liegt, und sahen uns um. Auf dem Rückwege sprachen wir bei dem Paul Erdmann vor, und fragten ihn: ob wir nur morgen mit auf seinen Ehrentag kommen dürften. Er sagte kurz zur Antwort: wir würden willkommen sein, gab sich aber weiter mit uns nicht ab, denn er hatte zu tun.

Die Nacht ging bald hin, und den folgenden Morgen machten wir uns bei guter Zeit wieder zum Paul, der uns schon im Feierkleide und weißem Halstuch auf der großen Diele entgegenkam. Er war nun viel gesprächiger als gestern, fragte uns wer wir wären und wohin wir wollten; erzählte uns: von seinem Vieh und Acker und wie ihn Gott gesegnet habe; von seiner seligen Frau; von seiner Freude über diesen Tag; und von seinem gottesfürchtigen Edelmann und was der durch seine Vorkehrungen und sonderlich durch sein eignes Exempel für gute und fromme Gesinnungen bei jung und alt ausbreite, und daß er heute selbst kommen und mit ihm und uns allen essen werde usw.

Paul hatte seine Kühe und Pferde und alle sein Vieh den Morgen in Stall bringen lassen, daß sie heute auch traktiert würden; »denn«, sagte er, »sie haben's mit verdienen helfen, und das Vieh hat keine Freude als essen und trinken.«

Um neun Uhr schickte der Edelmann einen Bedienten: es sei unvermutet großer Besuch gekommen, und Paul werde nicht übelnehmen wenn er sie alle mitbringe; weil er aber seine Gäste nicht alle kenne, so bitte er sich aus, daß er für sie dürfe zurichten und seinen Tisch dicht neben Paul seinen setzen lassen; er wisse wohl, daß Paul und Compagnie seine Kost und Gerichte verschmähten, er bitte aber, daß sie doch mit ihm trinken möchten.

»Sag Er Seinem Herrn wieder: was mit ihm komme das komme mit ihm! Es werde uns eine große Gnade und Ehre sein und ich lasse mich untertänig bedanken.« Und damit ging der Bediente.

Gegen zehn kamen die Nachbaren, immer Mann und Frau zusammen, einer nach dem andern an; und Paul empfing jedweden mit einem Handschlag, und hieß sie niedersitzen. Einige brachten auch einen Sohn oder Töchter mit, zum Teil wohl schöne Mädchen, und alle so ehrbar und züchtig daß es eine Freude war sie anzusehen.

[191] Die Bauern sahen alle nach der Reihe bieder und gut aus, doch stachen besonders zwei hervor, Peter Unke und Hans Westen. Unke ist ein Mann von etwa funfzig Jahren und sieht bräunlich und wie 'n General aus; Westen ist jung und hat ein milchweißes und gar gutmütiges Gesicht; er hatte den Herbst vorher Hochzeit gehalten, und seine Frau, die mit ihm kam und die Liese heißt, war hochschwanger. Zuletzt kam auch noch ein steinalter Mann, mit Namen Jost; seine Augen waren ihm schon dunkel worden, und er konnte kaum alleine stehen. Paul wollte ihn durchaus haben, weil er der älteste im Dorf ist; und so ließ Jost sich durch zwei Knechte herführen, und setzte sich oben gegen den Feuerherd, denn es friert ihn immer so.

Als nun die Gäste alle beisammen waren, trat Paul hin, tat seine Mütze ab und sagte:

»Nun willkommen, ihr lieben Nachbarn! Willkommen, und Dank, daß ihr mir meinen Ehrentag mit wollet feiern helfen!

Es sind heute funfzig Jahr, als ich dies Erbe sehr wüste und verfallen antrat. Ich habe mit Gott angefangen und ihn oft hinterm Pflug um seinen Segen gebeten – und er hat mich gesegnet! Da steht mein Vieh und wiederkäut und wiehert, und in allen den funfzig Jahren hat mir nie nichts gemangelt. Ich bin nicht wert solcher Barmherzigkeit, das weiß ich – und ich möchte mich in mein Heu verkriechen. Aber Gott ist gnädig und verlangt nur von uns, daß wir seine Güte erkennen; und da hab ich euch heute hergebeten, ihr lieben Nachbarn! daß ihr's mir helfet tun. Helft mir denn heute Gott danken, ihr lieben Nachbarn! und laßt uns hier miteinander fröhlich sein, ihr lieben Nachbarn! Amen!«

Die lieben Nachbarn standen alle, andächtig wie in der Kirche, um den alten Paul und drückten ihm die Hand und sagten ihm was Liebes, so Mannsen als Weibsen; sonderlich stand die Liese Westen mit ihrem runden Leib und weinte ihre hellen Tränen.


PETER UNKE: »Paul, Ihr habt ehrlich gesprochen. Wir wollen auch Gott gerne für Euch danken; aber seht, ein jeder von uns hat genug vor seiner Türe zu fegen.«

ANTON SCHMIDT: »Ja wohl, Unke! Ihr nehmt mir das Wort aus dem Munde. Ich habe heute früh noch meine Wintersaat angesehen; sie schlägt mir schon wieder übern Kopf zusammen, und ich habe erst voriges Jahr das neunte Korn gedroschen.«

MARCUS KÖRNER: »Und mir hat Gott gestern abend Zwillinge [192] gegeben, 'n Paar liebe Jungens, die schlagen mir übern Kopf zusammen.«

LIESE WESTEN: »Und mir meinen Hans.«

JOST: »Und uns allen unsern gnädigen Herrn.«

PETER UNKE: »Eben der lag mir vor sonderlich im Sinne; denn für den allein können wir Gott nicht genug danken.«

ALBRECHT KÜHNERT: »Paul, was würde doch Eure selige Sophie sagen, wenn sie uns so heute hier sehen sollte! Aber die ist bei Gott dem Herrn.«

PAUL ERDMANN: »Ja, will's Gott! ist sie bei Gott dem Herrn, und da mag sie auch bleiben. Sonst bin ich den Morgen in meinem Herzen schon 'n paarmal auf'n Sprung gewesen, sie heute bei mir zu wünschen. Ich hätte sie gerne hier, das weiß Gott, und die alte Hausmutter würde auch einen guten Tag haben.«

PETER UNKE: »Laßt sie, Paul; sie hat so einen bessern.«


Und so ging das unter den Leuten fort. Mein Vetter und ich waren wie vom Himmel gefallen, denn solche Bauern waren uns noch nicht vorgekommen. »Wir sind am rechten Orte abgestiegen«, sagte mein Vetter. »Aber denkt, was der Edelmann für ein wahrhaftiger Wohltäter ist! Und was er selbst für 'n Leben haben muß!« Ich hatte das schon gedacht, und mir brannte die Stelle unter den Füßen, bis ich ihn gesehen hätte. Um Mittag kam er

mit seinen Gästen, und alle Bauern gingen heraus vor Pauls Hofe ihm entgegen, und führten ihn herein. Zu beiden Seiten auf dem Hofe standen eine Partie Knechte und strichen die Sicheln, und Paul stand in der Mitten.


PAUL ERDMANN: »Das ist unsre Feldmusik, gnädiger Herr! Sie müssen so vorliebnehmen.«
HR. V. HOCHHEIM: »Guten Morgen lieber Paul, und viel Glück! Ihr seht ja heute recht jung aus.«
PAUL: »Ist keine Kunst für Ihre Bauern, gnädiger Herr; Sie lassen uns nicht alt werden.«
HR. V. HOCHHEIM: »Hier kommen wir ein ganzes Hausvoll zu Euch.«
PAUL: »Je mehr, je besser; immer herein.«

Paul bewillkommte sie nun alle nach seiner Art, und sie wünschten ihm Glück zu seinem Jubiläo; und so ging der Zug herein ins Haus. Es mochten etwa zehn bis zwölf Personen sein, alle eines wirklich feinen und adligen Ansehens. Sie waren schon 'n Weilchen[193] im Hause gewesen, da kam noch ein großer dicker Herr nach und hatte eine alte dürre Frau am Arm. Ich hatte mich bloß über den Herrn v. Hochheim und über die Leute die mit ihm kamen gefreut, und mich weiter um nichts bekümmert; mein Vetter aber hatte gleich alles befragt, und wußte mir zu sagen, daß der ältliche Mann ein Herr v. Strahlen, die

runde freundliche Dame eine verwitwete Frau v. Mecheln und das schöne Fräulein ihre Schwester Louise, daß ferner die und die ein Herr v. Holborn und seine Gemahlin wären usw. Endlich daß der große dicke Herr, der allein nachkam, ein junger Herr v. Saalbader sei, neulich von Reisen zu Hause gekommen und der einzige Sohn seiner Mutter eben der kleinen alten dürren Frau die er am Arm hatte; »und«, setzte mein Vetter hinzu, »diese zwei gehören nicht zu den übrigen, oder ich hänge alle Physiognomie am Nagel. Gebt Ihr acht, Vetter.« Der alte Jost saß noch gegen den Feuerherd, und rauchte eine Pfeife Tobak.


HERR V. HOCHHEIM: »Schmeckt Euch der Tobak noch, Jost? – Was macht Ihr, wie ist Euch?«

JOST: »Müde, gnädiger Herr, ach so müde! Ich warte alle Tage, stopfe eine Pfeife nach der andern und denke bei jeder es soll die letzte sein, und der liebe Gott macht immer noch nicht Ende.«

HERR V. HOCHHEIM: »Geduld, Jost, es wird Ende werden.«

JOST: »Ich bin am besten in meinem Lehnstuhl hinterm Ofen, aber ich sollte und mußte herkommen.«

HERR V. HOCHHEIM: »Freilich! Ihr seid unser Großpapa, und unser Großpapa muß ja bei uns sein solange er noch da ist.«


Ich hatte als die Gesellschaft kam mich schon mit vor dem Herrn v. Hochheim gebückt, und am meisten nach ihm gezielt; aber das genügte mir doch nicht, ich wollte es noch vor ihm allein und absonderlich tun. Ich ging also zu ihm und bückte mich recht herzlich, und auch meinem Vetter glückte dasmal der Bückling über alle Maßen wohl. Herr v. Hochheim fragte uns: wer wir wären, und wir sagten ihm unsern Namen. Wenn man 'n Buch herausgegeben hat, ist man fast in gleichem Fall mit einem der in Steckbriefen nach Rock und Weste beschrieben wird; das Inkognito ist mißlich. So ging's auch hier, und der Herr v. Hochheim kannte uns; doch war's mir dasmal nicht leid. Er wunderte sich nicht wenig uns auf Pauls Jubiläo zu finden,[194] und wollte uns dem alten Paul und der übrigen Gesellschaft präsentieren.


FRAU V. MECHELN: »Halt! Halt! die Frau von Holborn soll erst ihre Kunst zeigen. Sie will allen Menschen ansehen, was sie für ein Metier haben. Frau von Holborn! Frau von Holborn! Kommen Sie doch einmal her. Was sind diese beiden Leute?«

FRAU V. HOLBORN: »– Ein Paar Musiker.«

HERR V. SAALBADER: »O que non, Madame: Vous vous trompez étrangement. Ce n'est pas l'air de musicien. Mais, je vous dirai. Voyez, je m'y connois, voyez. –«

FRAU V. HOLBORN: »Nun was sind sie denn?«

HERR V. SAALBADER: – »L'un: tailleur, et l'autre: apothicaire.«

FRAU V. MECHELN: »Bravo! getroffen.«


Herr v. Hochheim wollte, daß wir mit an seinem Tisch essen sollten, und bat den alten Paul »uns ihm zu überlassen«, wie er sich gnädig ausdrückte. Paul wollte auch gleich ja; wir aber konnten ihm unmöglich abtrünnig werden, und sagten zu dem Herrn v. Hochheim, daß wir es uns für eine Ehre schätzten mit seinen Bauern zu essen, und das war die Wahrheit. Indes ward aufgetragen, und beide Gesellschaften setzten sich zu Tische. Hr. v. Hochheim hatte DEN Tag die Hälfte seiner Bedienten zur Aufwartung der Bauern beordert, und sein Kammerdiener mußte hinter Pauls Stuhl stehen.


HR. V. HOCHHEIM zu den Bauern: »Ihr Leute, die Gesellschaft erlaubt euch, eure Hüte aufzusetzen. Und noch eins: wir können uns nicht bequem übersehen; wählt ihr also an eurem Tisch einen Sprecher, an den man sich wende wenn wir etwas miteinander haben. Ich will hier euer Sprecher sein.«


Paul fing nun an, aus einer großen Kumme Reisbrei aufzuschüsseln und herumgeben zu lassen, und unterdes wählten die andern einmütig den Peter

Unke zum Sprecher, der auch darauf vom alten Paul bestätigt und verkündigt ward.


WESTEN zu Unke: »Seht da, Unke, eine von unsern Schüsseln auf dem andern Tisch neben dem gnädigen Herrn!«

UNKE: »Gnädiger Herr, es ist da eine Schüssel mit Reisbrei über die Grenze gekommen. Vergeben Sie, wir wollen sie gleich wieder abholen lassen.«

HERR V. HOCHHEIM: »Nicht doch Unke; die Frau v. Mecheln hat darum gebeten.«

PAUL ERDMANN: »O Frau v. Mecheln, das ist –, das –«

[195] UNKE: »Laßt's, Paul! wenn sie unsre Kost mag. Umsonst hat die gnädige Frau so rote Backen nicht.«

HERR V. SAALBADER: »Monsieur l'orateur parle Phébus. Ma foi, c'est une pièce à figurer.«

UNKE zu mir: »Das galt mich, ob ich's gleich nicht verstehe. Kann Er Französisch?«

ASMUS: »Ja, Herr Sprecher, so etwas.«

UNKE: »So setz Er sich her zu mir, und ich mache Ihn hiemit zu meinem Agenten für die französischen Angelegenheiten.«


Derweile war die Suppe am andern Tisch rund gegeben, und an unserm hatte ein jeder seine Schüssel mit Reisbrei vor sich.


UNKE: »Nun, Paul, sprecht 'n Gebet.«


Und Paul legte den großen Löffel andächtig nieder, und sprach eins, und hieß darauf alle Gäste noch einmal von ganzem Herzen willkommen sein.


HERR V. SAALBADER: »Wer mag doch wohl zuerst den Einfall gehabt haben, zu Tisch zu beten?«

UNKE: »Doch wohl der zuerst gegessen hat.«

HERR VON SAALBADER: »Wie könnte mir das einfallen!«

UNKE: »Wenn Sie nur 'nmal recht hungrig wären, gnädiger Herr, und hätten nichts zu essen; es sollte Ihnen schon einfallen, Gott zu danken, wenn Sie was zu sehen kriegten.«

HERR VON STRAHLEN: »Sehr wahr, Unke; wenn's auch grade nicht laut geschähe und mit gefaltenen Händen. Das denkt Ihr doch auch?«

UNKE: »Freilich, gnädiger Herr, Gebärde ist Gebärde. Doch hilft's nicht, so schadt's auch nicht, und hier ist besser zu viel als zu wenig.«

HERR V. SAALBADER: »En France on ne prie le bon Dieu jamais.«

FRAU V. MECHELN: »Tant pis pour la France. Ich habe in Frankreich viel beten sehen.«

HERR V. SAALBADER: »Aber hat Er von jeher zu Tische gebetet, Monsieur Paul?«

PAUL: »Solang ich lebe, gnädiger Herr. Das Essen und Trinken ist ja eine Gabe; wie kann man die denn annehmen ohne an den Geber zu denken? Und es ißt sich auch besser darauf, Herr v. Saalbader.«

UNKE: »Ja wohl, Paul! und der Mensch ist ja keine Kuh und kein Pferd das nur käut und hinterschluckt.«

HERR V. HOCHHEIM: »Lieber Asmus, so still übers Tischgebet?«

[196] ASMUS: »Hören ist immer die klügste Partie, gnädiger Herr, und sonderlich hier. Ich denke auch, es ist schon gesagt was gesagt werden kann. Der Mensch ist keine Kuh und kein Pferd, er ist aber unter Kühen und Pferden und muß mit ihnen essen; da hebt er denn von Rechts wegen, jedesmal wenn vorgeschüttet wird, den Kopf zuvor auf und besinnt sich sein, damit er indes sein nicht vergesse.«

HR. V. SAALBADER: »Bien dit, ma foi.«

HR. V. HOCHHEIM: »C'est peu de chose, que d'être bien dit, Monsieur de Saalbader.«

UNKE zu mir: »Wie heißt der dicke Herr eigentlich?«

ASMUS: »Herr v. Saalbader.«

UNKE: »Von Saalbader! von Saalbader! Den Namen hab ich nie gehört. Wo ist er her? Hier aus dem Lande kann der nicht sein.«

ASMUS: »Ich denke auch nicht; aber mein Vetter sagt, daß die v. Saalbaders eine sehr alte Familie sind.«

HR. V. SAALBADER: »Ich besinne mich eines sehr schönen Bonmot übers Gebet, das mir ein Bettelknabe in Genua sagte.«

HR. V. HOCHHEIM: »Sie sind also in Italien gewesen, Hr. v. Saalbader?«

HR. V. SAALBADER: »Ja, ein ganzes Jahr.«

FRAU V. MECHELN: »Auch in Venedig?«

HR. V. SAALBADER: »Oui Madame, à Venise, à Rome, à Naples, par tout.«

FRAU V. MECHELN: »Haben Sie denn in Venedig auch des Bragadino seine Haut gesehen?«

HR. V. SAALBADER: »Oui Madame, sans doute. J'aime furieusement cette sorte de drogues, et je possède moi-même la peau d'une très belle moresse qui eut la fantasie de se couper la gorge. Ayez la grâce, Madame, vous et Mademoiselle Louise, de venir cette arrière-saison nous voir chez nous, et j'aurai l'honneur de vous montrer cette peau.«

LOUISE: »Je serois charmée, Monsieur, d'aller voir Madame de Saalbader chez elle, mais votre peau ne me tente guère.«

FR. V. MECHELN: »Aber wer war der Bragadino eigentlich? Ich weiß von ihm nichts und habe nur sehr von ohngefähr einmal irgendwo gelesen, daß seine Haut in Venedig aufbewahrt wird.«

HR. V. SAALBADER: »Er war venezianischer Kommendant irgendwo, und brachte bei der Gelegenheit seine Haut zu Markt.«

HR. V. HOLBRON: »Er war Kommendant von Cypern, und [197] verteidigte diese Insel edel und meisterlich gegen die Türken, und als sie endlich doch kapitulieren mußte, ließ der türkische General ihm lebendig die Haut abziehen.«

FR. V. MECHELN: »Das war grausam!«

HR. V. HOCHHEIM: »Und war noch dazu wider gegebenes Wort.«

FR. V. HOLBRON: »Der Türke muß ein abscheuliches Gesicht gehabt haben. Aber Hr. v. Saalbader, erzählen Sie uns lieber von den Gemälden, die Sie in Venedig gesehen haben.«

HR. V. SAALBADER: »Welche Schule ziehen Sie vor, Madame, die Venezianische oder die Römische oder die Lombardische, dont le grand Correggio est le chef?«

FR. V. MECHELN: »Was gehen uns die Schulen an; erzählen Sie nur. Z.E. von der berühmten Nacht des Correggio.«

HR. V. SAALBADER: »Nuit, la nuit de Corregio! je n'en sais rien, pas un mot.«

HR. V. HOCHHEIM: »Dies schöne Stück ist nicht in Venedig sondern in Dresden.«

HR. V. SAALBADER: »C'est donc peut-être le seul tableau de prix qui y manque. Car on y voit partout une infinité de chef-d'oeuvres, surtout du grand Titien, qui mourut de la peste et qui fut créé Chevalier et Comte Palatin par l'Empereur Charles V.«

FR. V. MECHELN: »Sie scheinen mit Venedig zufrieden zu sein, Hr. v. Saalbader?«

HR. V. SAALBADER: »Bis auf die wunderliche Grille, daß man von ihren Staatsangelegenheiten nicht laut sprechen darf.«

HR. V. STRAHLEN: »Die Grille ist so wunderlich nicht, und erspart manchem ein Urteil, das ihn vielleicht gereuen könnte.«

HR. V. SAALBADER: »Pourtant ça gêne. Venez Mr. Asmus, nous mandirons un peu les souverains.«

ASMUS: »Ich nicht, Hr. von Saalbader.«

HR. V. SAALBADER: »Und warum? Wir sind ja nicht in Venedig?«

ASMUS: »Aber Venedig ist in mir, und in jedem guten Untertan.«

HR. V. SAALBADER: »Ah nu, wir wollen auch loben was zu loben ist.«

ASMUS: »Ich finde das eine so überflüssig als das andre.«

HR. V. SAALBADER: »So? Und wie denn das?«

ASMUS: »Weil die Fürsten und Obrigkeiten unmittelbar unter Gottes Augen stehen und also für ihre gerechte und gute Handlungen [198] viel was Bessers haben als Menschenlob, und, wenn je einer eine begehen könnte die nicht gerecht und gut wäre, so schon übel genug daran sind.«

HR. V. SAALBADER: »Ah, cette philosophie est très sublime.«


Während diesem Gespräch war die große Kumme mit Reisbrei weggenommen und eine noch größere mit Fleisch und Kartoffeln an ihre Stelle gesetzt worden.


UNKE: »Gnädiger Herr, dürfen wir wohl unser Kartoffellied singen?«
HR. V. HOCHHEIM: »Ihr habt alle Freiheit, Unke.«
UNKE: »So fang an, Westen.«
WESTEN:

»Pasteten hin, Pasteten her,
Was kümmern uns Pasteten?
Die Kumme hier ist auch nicht leer,
Und schmeckt so gut, als bonne chère
Von Fröschen und von Kröten.
Und viel Pastet und Leckerbrot
Verdirbt nur Blut und Magen.
Die Köche kochen lauter Not,
Sie kochen uns viel eher tot;
Ihr Herren laßt euch sagen!
Schön rötlich die Kartoffeln sind
Und weiß wie Alabaster!
Sie däun sich lieblich und geschwind
Und sind für Mann und Frau und Kind
Ein rechtes Magenpflaster.«

HR. V. SAALBADER: »Wo habt Ihr das alberne Lied her, Herr Sprecher?«

UNKE: »Wir machen uns sonst unsere Lieder selbst, Hr. v. Saalbader, dies hat uns der gnädige Herr machen lassen.«

HR. V. SAALBADER zu dem Hn. v. Hochheim: »Cher ami, prenez garde à vous. Vous ferez perdre à ces gens tout le respect qu'ils doivent à la noblesse.«

HR. V. HOCHHEIM: »Craignez rien, Monsieur de Saalbader.«

UNKE zu mir: »Was sagte der Herr v. Saalbader?«

ASMUS: »Er lobt euch, und wünscht, daß alle Bauern ihre Herrschaft so lieben und ehren möchten.«

[199] HR. V. SAALBADER: »Vous ne m'avez pas bien compris, Mr. Asmus.«

ASMUS: »Er fürchtet, daß ihr mit dem Respekt für Pasteten auch den Respekt für euren gnädigen Herrn verlieret.«

UNKE: »Gott segne unserm gnädigen Herrn und einem jeden andern seine Pasteten! Kann man denn aber auch Respekt für jemand haben, weil er Pasteten ißt; das ist ja keine Kunst. Ihre Güter, Hr. v. Saalbader, müssen ja im blinden Heidentum liegen.«

HR. V. SAALBADER: »Mr. Asmus, rappellez cet homme à la raison.«

ASMUS: »Mais je ne sais comment. Ich finde seine Äußerungen sehr gegründet. Esse ein jeder, was er will und was er hat; aber mit wenig zufrieden sein und wenig bedürfen ist doch edler!«

PAUL: »Das Lied ist auch so gemeint: daß wir einem jeden seine Kost von Herzen gönnen, aber mit unserer von Herzen zufrieden sind.«

UNKE: »Versteht sich, Paul. Man singt ja nicht andern weh, sondern sich wohl zu tun. Aber wir haben von Kartoffeln gesungen, nun schüsselt auch davon auf.«

KÜHNERT: »Paul, Ihr hättet aber doch heute eigentlich einen Kranz sollen aufhaben.«

WESTEN: »Ja wohl, so eine Krone von Maien mit funfzig Ähren dran, für jede Ernte eine.«

PAUL: »Nicht doch; die Kronen und Kränze sind nur für die Könige und Bräute.«

UNKE: »Herr Agent, warum mögen doch die Könige wohl goldne Kronen tragen?«

ASMUS: »Ich weiß nicht, Unke. Wenn dem König von Frankreich, hab ich 'nmal gelesen, bei der Krönung die Krone aufgesetzt wird, so betet der Erzbischof: Er trage sie zur Barmherzigkeit!

Ich denke, die Krone bedeutet ja wohl: daß der König der erste Mann in seinem Lande, und das Gold: daß er auch der beste sein soll.

Fragt 'nmal am andern Tisch; der Adel ist den Fürsten näher als unsereiner, und weiß also natürlich mehr von ihren Angelegenheiten.«


Da kamen ein paar Handeljuden, kramten ihren Packen aus und boten ihre Waren feil.


PAUL kaufte ein seiden Tuch, und [200] ging damit zu der Frau v. Mecheln: »Gnädige Frau, Sie müssen mir nicht verschmähen, ich wollte Ihnen dies Tuch verehren, weil Sie von meinem Reisbrei gegessen haben.«

FR. V. MECHELN: »Ich danke Euch, lieber Paul; so müßt Ihr Euch aber auch von mir wieder etwas schenken lassen.«


Und nun ging das Ding weiter, und ein jeder kaufte dem alten Paul ein Geschenk zu seinem Ehrentag, und hing's ihm über die Schulter. Auch der eine Jude kam zuletzt noch mit einem rotgestreiften Halstuch: »Dürf ich Paul? Ja ich dürf wohl; wir sind ja auf deutschem Boden!« Und es ward geklatscht. Paul ließ sich alles geruhig aufhängen, und stand endlich da wie ein Hochzeitbitterstecken.


HR. V. HOCHHEIM: »Nun der Paul einmal in Pontificalibus ist, müssen wir gleich seine Gesundheit trinken.«


Das geschahe von allen Gästen, und


PAUL bückte sich demütig, nahm sein Glas und brachte wieder aus: »Alle gnädige hochadlige Herrschaften, die mir heute die Ehre tun in meinem Hause zu essen, und mich eben alle so gnädig beschenkt haben!« Und das tranken wir alle mit; und darauf legte Paul seine Geschenke beiseit, und schüsselte wieder Kartoffeln auf.

HR. V. SAALBADER: »Mais Monsieur Asmus, comme je vous vois grand Mécénas du genre humain, agréez ma félicitation sur la suppression des ordres religieux, qui se fait presque partout à présent. C'est pourtant un manœuvre vraiment sage!«

ASMUS: »Freilich können überhandnehmende Mißbräuche und Umstände eine Änderung notwendig, und zu einer sehr weisen und väterlichen Maßregel machen.«

HR. V. SAALBADER: »Aber die Orden und Klöster sind in sich Unsinn und Affenspiel.«

ASMUS: »In sich? – Da sind wir nun verschiedener Meinung, Hr. v. Saalbader.«

HR. V. STRAHLEN: »Wie wollten Sie wohl Orden und Klöster rechtfertigen, Hr. Asmus?«

ASMUS: »Mich dünkt, gnädiger Herr, eine Gesellschaft von Menschen, die ihre Ruhe und ihr Glück in dieser Welt nicht finden und es deswegen in einer andern suchen, eine solche Gesellschaft, wenn sie mit Ernst und Wahrheit fährt, ist sehr respektabel; und wenn jemand, der Geld hat und es weggeben kann, einer solchen Gesellschaft eine Gelegenheit macht, wo sie abgesondert und um die notwendigen Bedürfnisse unbekümmert leben kann; so wüßte ich nicht, was dagegen zu sagen wäre.«

[201] HR. V. SAALBADER: »Wenn nun alle Menschen ins Kloster gehen wollten?«

ASMUS: »Wenn? – – Wenn nun allen Menschen statt des Odems ein Lohe zum Munde aus und einführe? – So würden die Pulvermühlen vorderhand müssen stille liegen.«

HR. V. SAALBADER: »Aber der Geschmack am Klosterleben ist doch ehmals ziemlich allgemein gewesen; wenn nun alle Menschen ins Kloster gehen wollten?«

ASMUS: »So brauchte es gar keines Klosters, Hr. v. Saalbader; denn die Klöster sollen eben die Menschen, die Klostergesinnungen haben, von den übrigen absondern, die sie nicht haben.«

HR. V. SAALBADER: »Was sollen denn aber die dicken Bäuche?«

ASMUS: »Die sollen arbeiten, Herr v. Saalbader. Wir reden hier aber von wahren Klosterleuten.«

HR. V. SAALBADER: »Auch die könnten bei Manufakturen gebraucht werden.«

ASMUS: »Das könnten sie freilich. Aber unser Leben hier ist ja doch kein bloßes Manufakturwesen, und das Ende der Welt keine Frankfurter Messe.«

HR. V. SAALBADER: »Was wollen denn aber die Klosterleute eigentlich?«

ASMUS: »Das werden sie vermutlich wissen, und ihre Stifter werden es gewußt haben.«

HR. V. SAALBADER: »Die waren ja alle die größten Narren von der Welt.«

ASMUS: »Alle, meinen Sie, Herr v. Saalbader? Wer wollte so hart sein. Es möchten doch einige Ordensstifter gewesen sein, die keine Narren waren.«

HR. V. SAALBADER: »Ja, was wollten denn die Narren? was suchen sie?«

ASMUS: »Ich habe Ihnen schon gesagt: Ruhe und Glück für sich.«

HR. V. SAALBADER: »Die liegen ihnen ja vor der Nase. Qu'ils jouissent de la vie, qu'ils goûtent les douceurs que la nature nous offre de toutes parts, qu'ils boivent, qu'ils mangent, qu'ils se livrent aux transports de l'amour et des autres belles passions et cetera; mais notabene avec de la modération c.a.d. sans se degoûter et sans nuire à la santé. Voilà le vrai bonheur, il n'y a pas d'autre! Et c'est l'avis des hommes les plus éclairés en France.«

ASMUS: »Es gibt in Frankreich sehr verständige Leute, Hr. v. Saalbader; die Ihnen das aber gesagt haben, das sind nicht die [202] rechten gewesen. Übrigens liegt das Glück, das Sie im Sinne haben, würklich wie Sie sagen vor der Nase, und ist nicht zu vermuten daß irgendein Mensch es übersehen werde, noch übersehen habe.«

HR. V. STRAHLEN: »Der alte Mann da wird so blaß aussehen. Alter, wie geht's? Ist Euch kalt?«

JOST: »Ja, gnädiger Herr, ja, kalt! Das Fleisch hab ich alles herabgelebt, und nun frieren die Knochen mir immer so.«

HR. V. SAALBADER: »Und nun vollends die Nonnenklöster! Quelle bêtise, de maltraiter ainsi les plus belles et les plus aimables créatures! Ah, que je serois prêt à rendre justice à leur beauté!«

ASMUS: »Sprechen Sie nicht so, Herr v. Saalbader. Vielleicht sind Sie darum ein Edelmann, weil Ihr Urgroßvater seinerzeit ein unschuldiges Mädchen großmütig vom Verderben gerettet und im Guten erhalten hat.«

HR. V. SAALBADER: »Ha ha ha, un gentilhomme pour avoir sauvé – –! C'est drôle.«

ASMUS: »Ich glaube, daß Ihnen das in Ernst lustig dünkt; aber das ist eben der Fehler Herr v. Saalbader, und ist für Sie nicht gut, glauben Sie mir.

Ihnen behagt das Gefühl der groben sinnlichen Liebe so sehr. Sie sollten die bessere Liebe kennen, und das Gefühl vor Großmut und Edelmut; das kommt noch ganz anders! Und es hält länger. Wenn Ihnen 'nmal, wie dem alten Jost, die Knochen erst immer so frieren; sehen Sie, denn gelten Ihre Bonmots nicht mehr. Aber, edel und gut gewesen sein das gilt denn noch, und wärmt und ölt die Knochen von innen heraus.

Verführen Sie nie ein Mädchen, Herr v. Saalbader. Sie sind ein Edelmann; und so muß Ihnen ein jedweder Vater 'n Freund sein, und ein jedes Mädchen ist die Tochter Ihrer Freundin! Wofür wären Sie sonst ein Edelmann?«

HR. V. SAALBADER: »Zum Henker, was ist denn ein Edelmann?«

ASMUS: »Es war in einem Lande ein Mann, der sich durch hohen Sinn, durch Rechtschaffenheit, Uneigennützigkeit und Großmut über alle seinesgleichen erhob, und um alle seine Nachbaren verdient machte; dieser Zirkel war aber nur klein, und weiterhin kannte man ihn nicht, sosehr man sein bedurfte. Da kam der Landesherr, der mit der goldnen Krone an seiner Stirn, und nannte diesen Edlen öffentlich seinen Angehörigen, und stempelte ihn vor dem ganzen Lande als einen Mann, bei dem [203] niemand je gefährdet sei, dem sich ein jedweder, Mann oder Weib, mit Leib und Seele sicher anvertrauen könne – und das ganze Land dankte dem Landesherrn, und ehrte und liebte den neuen Edelmann.

Und weil der Apfel nicht weit vom Stamme fällt, und der Sohn eines edlen Mannes auch ein edler Mann sein wird; so stempelte der Landesherr in solchem Vertrauen sein ganzes Geschlecht in ihm mit, legte ihm auch etwas an Land und Leuten zu, wie Eisenfeil an den Magneten, daß seine wohltätige Natur, bis er ihn etwa selbst brauche, daran zu tun und zu zehren habe.«

HR. V. SAALBADER: »Auf die Weise konnte ja ein Bürgerlicher ein edler Mann sein?«

ASMUS: »Haben Sie denn daran je gezweifelt?«

HR. V. SAALBADER: »Ich will sagen, es kann einer edel sein, und noch nicht adlig.«

ASMUS: »Nicht allein das, sondern es kann auch einer noch adlig sein, und nicht mehr edel; denn bis der Landesherr den Stempel wieder tilgt, muß jedermann, aus Achtung für den Landesherrn, den Edelmann für einen edlen Mann ehren, er mag's sein oder nicht.«

HR. V. SAALBADER: »Immer besser. So wäre also der Adel nur eine Fontange, die wieder abgenommen werden kann!«

ASMUS: »Natürlich! Das geschieht ja auch in der Welt. Warum wird einem Edelmann auf dem Echafaud sein Wappen zerschlagen? Der Landesherr kann ja unmöglich einen Edelmann strafen, darum nimmt er zuvor sein Wort zurück und tilgt seinen Stempel wieder.«

HR. V. SAALBADER: »Am Ende hätte denn also ein Edelmann vor dem bürgerlichen edlen Mann nichts voraus?«

ASMUS: »Sehr vieles. Dieser muß sich erst Achtung und Vertrauen erwerben, und gilt doch nur immer wo man ihn kennt, bleibt doch nur Privatgut; der Edelmann gilt überall, ist kurrente Münze unter Autorität des Landesherrn, ist öffentliches Gut, daran alle Menschen ein Recht, und zu dem sie alle Vertrauen haben.«

HR. V. SAALBADER: »Und Ahnen und Alter der Familie, die wären denn gar nichts.«

ASMUS: »Sehr vieles; oder rechnen Sie das wenig, wenn ein Geschlecht von Vater auf Sohn viele hundert Jahre hindurch die Liebe und die Freude der Menschen, und ein Segen der ganzen Gegend gewesen ist?«

[204] HR. V. SAALBADER: »Mais – alors il vaudroit mieux, se faire soldat.«

ASMUS: »Grade da können Sie die Bestätigung von dem sehen, was ich Ihnen sage.

Sie wissen, alle Offiziers haben als Offiziers adliche Vorrechte. Nämlich weil, sonderlich in Kriegszeiten, Menschenleben und Glück und Unglück der armen Einwohner viel von ihnen abhängt, und oft ganz in ihrer Hand ist; so ordneten die Fürsten, daß solche Stellen nur einem edlen Manne verliehen werden könnten.«

HR. V. SAALBADER: »Il y a du héroique dans cette doctrine. Mais chère Mama, vous, qu'en jugez- vous, et ce philosophe comment vous plait-il?«

FR. V. SAALBADER: »J'enrage, je frémis d'indignation, et je vous défends de l'honorer derechef de vos réponses. C'est un talmudiste incarné; il parle comme un ivre, comme un perroquet, comme un harang, comme un –«

ASMUS: »Gnädige Frau, ich vermute aus Ihren Reden, daß Sie unwillig sind. Es wäre mir sehr leid, wenn ich Sie beleidigt hätte, und ich wollte Sie gerne wieder um Vergebung bitten. Aber ich habe weder Ihren Sohn noch Ihren Adel beleidigt, habe Sie auch nicht beleidigen wollen. Und so werde ich mich am Ende über Ihren Unwillen trösten müssen; es wäre mir aber doch lieber, wenn Sie nicht unwillig wären. Es ist das erstemal, daß ich die Ehre habe Sie zu sehen, und vermutlich werde ich diese Ehre nicht wieder haben; besinnen Sie sich gnädige Frau! Ich ehre Ihren Stand; und wenn Sie ihn auch so ehrten, es würde Ihnen ein gut Teil besser zumut sein, als Ihnen itzo ist. Und mich dünkt, Sie sollten darum nicht zürnen, daß ich Ihnen das wohl gönnte.«

HR. V. HOLBRON: »Appaisez-vous Madame, il ne mérite pas votre courroux, et ce qu'il dit est très raisonnable.«

LOUISE: »En vérité, très raisonnable.«


Hr. v. Strahlen etc. Fr. v. Mecheln etc. Etc. etc. Etc. etc.


UNKE zu mir: »Seine Gesundheit! Die Frau von Saalbader trinkt sie doch wohl nicht.«

ASMUS: »Und wenn sie niemand trinkt, Unke! so trink ich sie selbst. Es gibt hier aber noch wohl andere Gesundheiten zu trinken. Seht, der Paul hat da was im Sinne.«

[205] PAUL zu Liese Westen: »Ihr rückt so Liese; Euch wird das Sitzen sauer, nicht wahr? – Nun helf Euch Gott, wenn Eure Stunde kommt!«

KÖRNER: »Wie gesagt: Allen Schwangern und Säugern fröhliche Frucht und Gedeihen! Aber meine Frau mit eingeschlossen.«

ALBRECHT KÜHNERT: »Wie gesagt!«

HANS WESTEN: »Liese, helf dir Gott liebe Liese! – Aber steh auf, wenn du nicht länger sitzen kannst.«

ASMUS: »Die armen Weiber. Kommt Unke, Ihr stößt doch auch mit an? Aber recht herzhaft.«

UNKE: »Mir hält kein Glas bei solchen Gesundheiten.«

HR. V. HOCHHEIM zu den Bauern: »Ihr Leute, sollen wir nicht unser Bauernlied haben?«

UNKE: »Gleich, gnädiger Herr. Zu Westen: Westen sing vor.«


Sie sangen darauf das Bauernlied, wie folget. Ich weiß nicht, was dies Lied für Effekt tut, wenn's gelesen wird; aber was es tat als es hier die Bauern sangen, das weiß ich wohl. Und deswegen rate ich einem jeden, es von solchen Bauern singen zu lassen. Die Musik, sagten sie, sei aus Italien. Ich habe sie da hergesetzt, so gut ich sie behalten habe; 'n jeder mag sie verbessern, oder sich eine andere machen.

Das Bauernlied

Der Vorsänger Hans Westen

Im Anfang war's auf Erden
Nur finster, wüst, und leer;
Und sollt was sein und werden,
Mußt es woanders her.

Coro. Alle Bauern

Alle gute Gabe
Kam oben her, von Gott,
Vom schönen blauen Himmel herab!

Vorsänger

So ist es hergegangen
Im Anfang, als Gott sprach;
[206]
Und wie sich's angefangen,
So geht's noch diesen Tag.

Coro

Alle gute Gabe
Kömmt oben her, von Gott,
Vom schönen blauen Himmel herab!

Vorsänger

Wir pflügen, und wir streuen
Den Samen auf das Land;
Doch Wachstum und Gedeihen
Steht nicht in unsrer Hand.

[207] Coro

Alle gute Gabe
Kömmt oben her, von Gott,
Vom schönen blauen Himmel herab!

Vorsänger

Der tut mit leisem Wehen
Sich mild und heimlich auf,
Und träuft, wenn wir heimgehen,
Wuchs und Gedeihen drauf.

Coro

Alle gute Gabe etc.

Vorsänger

Der sendet Tau und Regen,
Und Sonn- und Mondenschein,
Der wickelt Gottes Segen
Gar zart und künstlich ein.

Coro

Alle gute Gabe etc.

Vorsänger

Und bringt ihn denn behende
In unser Feld und Brot;
Es geht durch seine Hände,
Kömmt aber her von Gott.

Coro

Alle gute Gabe etc.

Vorsänger

Was nah ist und was ferne,
Von Gott kömmt alles her!
Der Strohhalm und die Sterne,
Der Sperling und das Meer.

Coro

Alle gute Gabe etc.
[208]

Vorsänger

Von Ihm sind Büsch und Blätter,
Und Korn und Obst von Ihm,
Von Ihm mild Frühlingswetter,
Und Schnee und Ungestüm.

Coro

Alle gute Gabe
Kömmt von oben her, von Gott,
Vom schönen blauen Himmel herab.

Vorsänger

Er, Er macht Sonnaufgehen,
Er stellt des Mondes Lauf,
Er läßt die Winde wehen,
Er tut den Himmel auf.

Coro

Alle gute Gabe etc.

Vorsänger

Er schenkt uns Vieh und Freude,
Er macht uns frisch und rot,
Er gibt den Kühen Weide,
Und unsern Kindern Brot.

Coro

Alle gute Gabe etc.

Vorsänger

Auch Frommsein und Vertrauen,
Und stiller edler Sinn,
Ihm flehn, und auf Ihn schauen,
Kömmt alles uns durch Ihn.

Coro

Alle gute Gabe etc.

Vorsänger

Er gehet ungesehen
Im Dorfe um und wacht,
[209]
Und rührt die herzlich flehen
Im Schlafe an bei Nacht.

Coro

Alle gute Gabe etc.

Vorsänger. Coro fällt ein

Darum, so wolln wir loben,
Und loben immerdar
Den großen Geber oben.
Er ist's! und Er ist's gar!

Coro, Coro

Alle gute Gabe etc.


UNKE: »Gnädiger Herr, wir haben noch etwas hinten dran gemacht, auf heute; dürfen wir das auch singen?«

HR. V. HOCHHEIM: »Warum nicht, Unke?«

Vorsänger Westen

Und Er hat große Dinge
An Nachbar Paul getan;
Denn ärmlich und geringe
Trat Paul sein Erbe an.

Coro

Alle gute Gabe etc.

Vorsänger

Er hat bewahrt vor Schaden,
Hat reichlich ihn bedacht,
Hat heute ihm aus Gnaden
Ein Jubilei gemacht.

Coro

Alle gute Gabe
Kömmt von oben her, von Gott,
Vom schönen blauen Himmel herab.

Vorsänger

Und solche Gnad und Treue
Tut er den Menschen gern.
[210]
Er segne Paul aufs neue,
Und unsern lieben Herrn!

UNKE: »Das noch einmal, Westen.«

Vorsänger Westen

Und solche Gnad und Treue
Tut er den Menschen gern.
Er segne Paul aufs neue,
Und unsern lieben Herrn!

Coro

Alle gute Gabe
Kömmt oben her, von Gott,
Vom schönen blauen Himmel herab!

DER ALTE PAUL saß sehr bewegt, und sahe einen Nachbar nach dem andern an: »Nachbarn! ich danke euch! Gott lasse einen jeden von euch den Tag auch erleben, und gebe ihm denn auch solche Nachbaren als er mir gegeben hat. – – – –

Aber laßt uns nun unsre beste Gesundheit trinken. Steht auf Kinder, und ruft den Knechten daß sie die Sicheln streichen.«


Herr v. Hochheim merkte, worauf es gemünzt war, und sahe Paul an und schüttelte mit dem Kopf. Der aber hörte nicht drauf.


HERR V. HOCHHEIM zu den Bauern: »Laßt's gut sein Leute, wenigstens bleibt sitzen.«
PAUL: »Nein, gnädiger Herr! Sie sind es wert.

Steht alle auf Kinder, und nehmt die Hüte ab.

Wir wissen wohl, gnädiger Herr, daß Sie unsern Dank nicht verlangen; so sehen Sie weg. Wir wollen ihn hier vor Gott bringen, und der wird nicht wegsehen.«

UNKE: »Aufgestanden wer sich rühren kann! Unsers gnädigen Herrn seine Gesundheit soll getrunken werden.«

WESTEN: »Es wird auch wohl schwerlich einer wollen sitzen bleiben, Unke.«

UNKE: »Seht! Jost ist eingeschlafen! Laßt ihn. Gott gibt's seinen Freunden schlafend, er wird den alten Jost auch schlafend hören. Laßt ihn, und gebt mir sein Glas in die linke Hand.«


Die Bauern standen nun alle, mit entblößtem Haupt. Auch [211] am andern Tisch, als ob die Empfindung epidemisch würde und Recht 'nmal Recht bleiben wollte, stand einer nach dem andern auf, auch der Herr von Saalbader und seine Mutter. Und die Knechte strichen die Sicheln.


PAUL mit dem Glas in der Hand: »Nun denn in Gottes Namen. Unsers lieben, guten, frommen, gnädigen Herrn von Hochheim seine Gesundheit! – daß Gott ihm lohne! – – und daß Gott ihn segne! – wie er uns segnet! – – – – – – – – – – – – – – – – –«


Gesundheit! Gesundheit! Gesundheit! Unser lieber Herr! Unser gnädiger Herr! Ich wollte für ihn durchs Wasser laufen. Unser von Hochheim und alles was sein ist, hier zeitlich und dort ewiglich. Gesundheit und die ewige Seligkeit! Der gnädige Herr soll leben! Und wer rechtschaffen ist und Gott fürchtet! Freude und Segen über von Hochheim! und über jeden wahren Edelmann! etc. etc.

Vorrede des Übersetzers. 1782

Das Buch: Des Erreurs et de la Vérité ist ein sonderlich Buch, und die Gelehrten wissen nicht recht was sie davon halten sollen, denn man versteht es nicht, und man soll doch eigentlich verstehen was man richten will.

Hin und wieder tut wohl der Verfasser seinen Mund auf und spricht, wie in der Erklärung von dem Ursprung des Bösen, von der Freiheit des Menschen und an verschiednen andern Orten; und da befriedigt er mehr, als was bisher über die Dinge im Umlauf war. Meistens aber geht er wie ein Geist, mit verschlossenem Munde und aufgehabenem Zeigefinger, auf etwas hinweisend da wir nicht von wissen; und seine Winke und Äußerungen sind allerdings groß und erfreulich wie die Gipfel der väterlichen Berge, aber zu gleicher Zeit so exzentrisch und wunderbar, daß unsre Vernunft ihren Zirkel nirgend anlegen, und sie nicht zusammenhängen und reimen kann.

[212] Dies nun hat, an und für sich, nichts zu sagen. Denn wenn unsre Vernunft nur in der Wüsten der materiellen Natur einigen Bescheid weiß und geben kann; so geht eigentlich da, wo sie die Zähne blöckt und die Hände übern Kopf zusammenschlägt, das Gelobte Land allererst an, und wenn auf dem Acker landesüblicher Gelehrsamkeit die Weisheit nicht wächset, wie das wohl schwerlich der Ackersleute einer in Ernst denken wird; so müssen natürlich Winke und Äußerungen von ihr wunderbar dünken. Indes bleibt immer doch vorher die Frage über die Authentizität solcher Winke und Äußerungen, und man muß freilich nicht gleich für Feuer vom Himmel nehmen, was auch vielleicht nur Irrlicht und Johanneswürmchen – Feuer sein kann.

Viele Leser wollen diesem Verfasser gar kein Feuer zugestehen sondern nur Rauch, und sie vergleichen sein Buch einem Gemälde wo der Himmel um und um mit Wolken bedeckt ist. Sie haben dazu ohne Zweifel ihre Ursachen; übrigens ist die Vergleichung mit dem Wolkengemälde gar nicht so übel, und gibt es einige Gemälde dieser Art wo aus den Wolken eine Hand vorkommt die etwas geben will.

Die Sinnesart eines Schriftstellers: was ihn treibt: was er will: ist über ihn der sicherste und beste Meilenzeiger, den auch gewöhnlich ein jeder, freilich sehr oft nicht zu seinem Vorteil und wider sein Wissen und Willen, für kundige Leser seiner Karte beifügt.

Ich verstehe dies Buch auch nicht; aber, außer dem Eindruck von Superiorität und Sicherheit, finde ich darin einen reinen Willen, eine ungewöhn liche Milde und Hoheit der Gesinnung, und Ruhe und ein Wohlsein in sich. Und das geht einem zu Herzen; wir wollen doch alle gerne wohl sein, suchen doch alle Ruhe und finden sie nicht! Auch gibt es keine Reinheit, keine Ruhe, und kein Wohlsein außer dem Guten.

Mit uns Gelehrten sieht es in diesem Stück sehr zweideutig aus. Die Gelehrsamkeit mag ehedem ein Ding gewesen sein, das den Menschen in sich zurechtsetzte, das ihn wandelte und züchtigte zu suchen und zu haben eine eigne innerliche Herrlichkeit, und zu verschmähen, würklich und von Herzen, die Herrlichkeit des Bassa von drei Roßschweifen; nach dem dermaligen Lauf der Dinge ist sie ein nützliches Hausgerät, ein honetter Filzhut auf dem Gelehrten ihn wider Frost und Kälte zu decken, viel oft auch ein Paradehut, und zuweilen gar ein Chapeaubashut mit dem er vor dem Bassa wedelt und sich beliebt macht. Unsre Bücherschreiberei ist eitles Selbstbedürfnis, [213] aus den oder jenen Gründen, eine Kunst auf der Maultrommel zu spielen und das Publikum tanzt! und inwendig sehen Schriftsteller und Leser, Gelehrte und Ungelehrte sich einander ziemlich gleich; denn ob einer auf einen Schnurrbart oder auf eine Metaphysik und Henriade eingebildet und ein Narr ist, ob einer über einen größern Kürbis oder über die Erfindung der Differential – und Integralrechnung hasset und neidet; kurz, ob man sich von seinen fünf Jochochsen oder von seiner Polyhistorei am Seil halten und hindern läßt, das scheint im Grunde einerlei zu sein und nicht zweierlei.

Sonder allen Zweifel wird einer oder der andre Gelehrte bedacht sein, den Verfasser zu widerlegen. Einmal aber hat schon das Widerlegen an sich seine Schwierigkeiten bei einem Buch das man nicht ganz versteht; denn, wenn man hie und da einzelne Sätze heraushebt und sie nach seinem eignen Münzfuß deutet und wie die Worte lauten, so kann gar leicht ein Fehl mit einfließen und dem Verfasser ein unrechter Sinn angedichtet werden, zumal er selbst ausdrücklich erklärt, daß er oft eins sage und ein ganz anderes meine, und überhaupt viel im Sinne behalte; und denn so ist des Verfassers seine Hauptlehre: der Mensch mache, sich selbst gelassen und ohne die Leitung der allgemeinen zeitlichen tätigen und verständigen Ursache, wie er's nennt, eitel Irrtum und Torheit, wisse und vermöge gar nichts ohne sie, so wie mit ihr alles. Dadurch verlieren denn offenbar auch die allergründlichsten Widerlegungen der Gelehrten allen ihren Stachel, und der beste und zugleich einzige Wegetwas auszurichten wäre wohl der: daß man Fleiß anwendete, diese Ursache, wenn sie da ist, zu erkennen und von ihr geleitet zu werden. Denn alsdenn würde man au fait sein, wäre dem Verfasser gewachsen, und könnte über sein Buch richten und entscheiden, nämlich ob es sei ein taubes Wetterleuchten, oder ein milder Stern aus bessern Welten.

Doch, wie könnte der Verfasser recht haben, wie könnten seine mancherlei Äußerungen über die Wahrheit in facto gegründet sein; wir wissen ja von dem allen, was er äußert und zu verstehen gibt, so gar nichts, sehen auch den Zusammenhang nicht ein.

Man mag noch beßre Gründe dagegen haben, der allein tut's nicht. Denn, Lieber! siehe an die Sonne, wie sie so herrlich und so hell scheint! und kannst du eine Faustvoll Strahlen mit den Wurzeln herausreißen, und sehen wie sie hervorwachsen? Kannst du [214] den Mond mit der Hand fassen, und seinen Saft in deinen Becher drücken? und siehe! er leuchtet in aller Welt und feuchtet die Erde und das Meer, und die Flut kommt die Elbe heraufgebraust, ob wir ihn sehen oder nicht? Ist uns aber in der materiellen Natur noch vieles verborgen, für die wir den Gebrauch von drei Sinnen haben; wie mögen wir über die immaterielle richten, für die wir nicht den Gebrauch von einem haben, den der Verfasser die sinnliche Fähigkeit oder den Sinn des Geistes nennt?

Von den menschlichen Wissenschaften denkt und spricht er gar sehr kleinlich. Viel Gönner und Freunde wird er sich nun dadurch nicht machen; bekanntlich ist das aber auch eben kein erhabenes Projekt, und es gibt wohl noch etwas Klügeres zu tun. Der Schmeichler buhlt um Beifall, macht die Menschen groß in ihrem Sinn, und sie werden klein; der beßre Mann macht sie klein, auf daß sie groß werden. Ist also schon hier in dem Gange des Verfassers ein Edles, und wer kann sagen, ob er nicht recht hat? Was er von Isolierung der einzelnen Zweige unserer Wissenschaften und von Vereinerleiung der verschiednen Klassen der Dinge an Hand gibt, leuchtet augenscheinlich als wahr ein. Sein Grundsatz: daß das Resultat aus und durch das Prinzipium und nicht das Prinzipium durch und aus dem Resultat erklärt und erkannt werden müsse, und daß die menschlichen Wissenschaften grade darum weil sie umgekehrt verfahren so krüpplicht und leblos sind, dürfte mehr Widerspruch finden. Da indes das Prinzipium doch das erste und das Resultat allererst das zweite ist; so scheint: beim Resultat anfangen, würklich beim unrechten Ende angefangen zu sein, und übrigens verrät die so beliebte mathematische Lehrart, daß die Gelehrten selbst den Grundsatz des Verfassers glauben und annehmen, nach ihrer Art. Am Ende können wir Gelehrte wohl über den Wert unserer verschiedenen Wissenschaften untereinander, und über ihren mancherlei zeitlichen Nutzen urteilen; aber über ihren eigentlichen Wert können wir nicht urteilen, denn wir kennen ja nichts weiter als sie, und der urteilt und hält allemal zu hoch von seinem Landsee, wer noch nie das offene Meer gesehen hat.

Doch dies Buch sei, was es wolle; es läbt die Weltangelegenheiten und zeitlich Ding unangerührt, und predigt Verleugnung eignen Willens und Glauben an die Wahrheit, predigt die Nichtigkeit dieser Welt, die Blöde und Brechlichkeit der sinnlichen und körperlichen Natur im Menschen und die Hoheit seiner verständigen Natur oder seines Geistes, und leitet und treibt auf [215] allen Blättern von dem Sichtbaren zu dem Unsichtbaren, von dem Vergänglichen zu dem Unvergänglichen! und das ist doch nichts Böses, und wer möchte das nicht gerne befördert haben?

Und so habe ich dies Buch übersetzt, und wer es dazu braucht, der tut sicherlich wohl; und wer es zu eitler und törichter Absicht braucht, der tut nicht wohl, und mag sich besinnen und klug werden.

Wir Menschen gehen doch wie im Dunkeln, sind doch verlegen in uns, und können uns nicht helfen, und die Versuche der Gelehrten es zu tun sind nur brotlose Künste. Auch ist das Gefühl eigner Hülflosigkeit zu allen Zeiten das Wahrzeichen würklich großer Menschen gewesen, ist überdem ein feines Gefühl, und vielleicht der Hafen, aus dem man auslaufen muß um die Nordwestpassage zu entdecken.

Der Mensch hat einen Geist in sich, den diese Welt nicht befriedigt, der die Treber der Materie, die Dorn und Disteln am Wege mit Gram und Unwillen wiederkäut, und sich sehnet nach seiner Heimat. Auch hat er hier kein Bleiben, und muß bald davon. So läßt es sich an den fünf Fingern abzählen, was ihm geholfen sein könne mit einer Weisheit die bloß in der sichtbaren und materiellen Natur zu Hause ist. Sie kann ihm hier auf mancherlei Weise lieb und wert sein, nachdem sie mehr oder weniger Stückwerk ist; aber sie kann ihm nicht gnügen. Wie könnte sie das, da es die körperliche Natur selbst nicht kann und sie ihn auf halben Wege verläßt, und, wenn er weggetragen wird, auf seiner Studierstube zurückbleibt, wie sein Globus und seine Elektrisiermachine?

Was ihm gnügen soll, muß in ihm, seiner Natur, und unsterblich wie er sein; muß ihn, weil er hienieden einhergeht, über das Wesen und den Gang dieser körperlichen Natur und über ihre Gebrechen und Striemen weisen und trösten und ihn in dem Lande der Verlegenheit und der Unterwerfung in Wahrheit unverlegen und herrlich machen; und wenn er von dannen zieht mit ihm ziehen durch Tod und Verwesung, und ihn wie ein Freund zur Heimat begleiten.

Solch eine Weisheit wird freilich in keinem Buch gefunden, wird nicht um Geld gekauft noch mit Halbherzigkeit zwischen Gott und dem Mammon. Zeuch deine Schuhe aus, denn da du auf stehest ist ein heilig Land! Aber sie ist, das wissen wir; und wer sich des Odems in seiner Nasen bewußt ist nimmt das zu Herzen, und wenn er sie in der sichtbaren und materiellen Natur und in [216] seinem eignen Dünkel nicht findet, läßt er sich guten Rat warnen und sucht sie auf einem andern Wege.

Abendlied

Der Mond ist aufgegangen
Die goldnen Sternlein prangen
Am Himmel hell und klar;
Der Wald steht schwarz und schweiget,
Und aus den Wiesen steiget
Der weiße Nebel wunderbar.
Wie ist die Welt so stille,
Und in der Dämmrung Hülle
So traulich und so hold!
Als eine stille Kammer,
Wo ihr des Tages Jammer
Verschlafen und vergessen sollt.
Seht ihr den Mond dort stehen? –
Er ist nur halb zu sehen,
Und ist doch rund und schön!
So sind wohl manche Sachen,
Die wir getrost belachen,
Weil unsre Augen sie nicht sehn.
Wir stolze Menschenkinder
Sind eitel arme Sünder,
Und wissen gar nicht viel;
Wir spinnen Luftgespinste,
Und suchen viele Künste,
Und kommen weiter von dem Ziel.
Gott, laß uns dein Heil schauen,
Auf nichts Vergänglichs trauen,
Nicht Eitelkeit uns freun!
Laß uns einfältig werden,
Und vor dir hier auf Erden
Wie Kinder fromm und fröhlich sein!
[217]
Wollst endlich sonder Grämen
Aus dieser Welt uns nehmen
Durch einen sanften Tod!
Und, wenn du uns genommen,
Laß uns in Himmel kommen,
Du unser Herr und unser Gott!
So legt euch denn, ihr Brüder,
In Gottes Namen nieder;
Kalt ist der Abendhauch.
Verschon uns, Gott! mit Strafen,
Und laß uns ruhig schlafen!
Und unsern kranken Nachbar auch!

Das Gebet,

das, nach dem Lactanz,ein Engel in der Nacht den Licinius lehrte und es ihn und sein ganzes Heer beten hieß, als er gegen den Maximinus die entscheidende Schlacht pro aris et focis halten sollte.


»Summe Deus, te rogamus: sancte Deus, te rogamus: omnem justitiam tibi commendamus: salutem nostram tibi commendamus: imperium nostrum tibi commendamus. Per te vivimus, per te victores et felices existimus. Summe, sancte Deus, preces nostras exaudi: brachia nostra ad te tendimus. Exaudi sancte, summe Deus.«


Ist sehr schön, denke ich, und könnt's wohl 'n Engel gemacht haben. Auch wird's, denke ich, ein jeder gleich verstehen, wenn er auch sonst kein Latein verstünde.

Ein Lied nach dem Frieden

in Anno 1779


Die Kaiserin und Friederich
Nach manchem Kampf und Siege,
Entzweiten endlich aber sich,
Und rüsteten zum Kriege;
[218]
Und zogen mutig aus ins Feld,
Und hatten stolze Heere,
Schier zu erfechten eine Welt
Und »Heldenruhm und Ehre«. –
Da fühlten beide groß und gut
Die MenschenvaterWürde,
Und wieviel Elend, wieviel Blut
Der Krieg noch kosten würde;
Und dachten, wie doch alles gar
Vergänglich sei hienieden,
Und sahen an ihr graues Haar ...
Und machten wieder Frieden.
Das freut mich recht in meinem Sinn!
Ich bin wohl nur fast wenig;
Doch rühm ich drob die Kaiserin,
Und rühm den alten König!
Denn das ist recht und wohlgetan,
Ist gut und fürstlich bieder!
Und jeder arme Untertan
Schöpft neuen Odem wieder.
Ah, »Heldenruhm und Ehr« ist Wahn!
Schrei sich der Schmeichler heiser;
Die Güte ziemt den großen Mann,
Nicht eitle Lorbeerreiser.
Gut sein, gut sein, großmütig sein,
Vollherzig zum Erbarmen,
Ein Vater aller, groß und klein,
Der Reichen und der Armen!
Das machet selig, machet reich,
Wie die Apostel schreiben,
Ihr guten Fürsten, und wird Euch
Nicht ungelohnet bleiben.
Gott wird Euch Ruhm und Ehr und Macht
Die Hüll und Fülle geben,
[219]
Ein fröhlich Herz bei Tag und Nacht,
Und Fried und langes Leben.
Und kömmt die Stunde denn, davon
Wir frei nicht kommen mögen,
Euch schlecht und recht, ohn eine Kron,
Hin in den Sarg zu legen;
So wird der Tod Euch freundlich sein,
Euch sanft und bald hinrücken,
Und es wird Euer Leichenstein
Im Grabe Euch nicht drücken.
Und wie die Kinder wollen wir,
Die Großen mit den Kleinen,
Um Euch an Eures Grabes Tür
Von ganzem Herzen weinen. –
Nun! segne Gott, von oben an,
Die teil am Frieden nahmen!
Gott segne jeden Ehrenmann,
Und straf die Schmeichler! Amen!

An die Frau B...r

Daß du gut gestorben bist,
Und all dein Leid und alle deine Plagen
Bis in den Tod, wie's Gottes Wille ist,
Mit stillem Mut und mit Geduld getragen;
Daß du – O zürne nicht im Himmel, wo du bist!
Ich will nicht loben und nicht klagen;
Ich wollt es bloß an deinem Grabe sagen,
Weil es die reine Wahrheit ist.

Neue Erfindung

Hab eine neue Erfindung gemacht, Andres, und soll dir hier so warm mitgeteilt werden.

Du weißt, daß in jeder gut eingerichteten Haushaltung kein Festtag ungefeiert gelassen wird, und daß ein Hausvater zulangt, wenn er auf eine gute Art und mit einigem Schein des [220] Rechtes einen neuen an sich bringen kann. So haben wir beide, außer den respektiven Geburts- und Namenstagen, schon verschiedene andre Festtage an unsern Höfen eingeführt, als dasKnospenfest, den Widderschein, den Maimorgen, den Grünzüngel wenn die ersten jungen Erbsen und Bohnen gepflückt und zu Tisch gebracht werden sollen, und so weiter.

Nun ist wohl wahr, daß der Sommer und sonderlich das Frühjahr viel schön sind. Gleich wenn der Winterschnee auftaut und man den bloßen Leib der Erde zum erstenmal wiedersieht, fängt diese Viel – Schönheit an, und geht denn immer mit größern Schritten fort, bis Blumen und Blätter aufgeblühet sind und der Mensch vor dem vollen Frühling steht, wie Gleims Kind vor einem schönen Blumenkorb. Und gewiß lehret uns der Frühling Gott und seine Güte sonderlich; denn, wie Freund Fritz sagt, was so zu Herzen geht muß aus irgendeinem Herzen kommen. Und also sind die Frühlings- und Sommerfesttage gar sehr am rechten Ort, ich habe nichts dawider. Es ist mir aber doch immer schon vorgekommen, daß im Herbst und Winter auch was zu machen wäre, nur habe ich die Sache noch nie recht ins klare bringen können.

Gestern aber, wie das mit den Erfindungen ist: man findet sie nicht sondern sie finden uns, gestern als ich im Garten gehe und an nichts weniger denke, schießen mir mit einmal zwei neue Festtage aufs Herz, derHerbstling und der Eiszäpfel, beide gar erfreulich und nützlich zu feiern.

Der Herbstling ist nur kurz, und wird mit Bratäpfeln gefeiert. Nämlich: wenn im Herbst der erste Schnee fällt, und darauf muß genau achtgegeben werden, nimmt man so viel Äpfel als Kinder und Personen im Hause sind und noch einige darüber, damit wenn etwa ein Dritter dazukäme keiner an seiner quota gekürzt werde, tut sie in den Ofen, wartet bis sie gebraten sind, und ißt sie denn.

So simpel das Ding anzusehen ist, so gut nimmt sich's aus wenn's recht gemacht wird. Daß dabei allerhand vernünftige Diskurse geführt auch oft in den Ofen hineingekuckt werden muß etc. versteht sich von selbst.

Und soviel vom Herbstling.

Der Eiszäpfel will nun wieder ganz anders traktiert sein, und hat seine ganz besondre Nücken. Mancher denkt wohl: wenn er Eiszapfen am Dach sieht könne er nur gleich anfangen zu feiern; aber weit gefehlt, es wird mehr dazu erfordert. Der Eiszäpfel [221] kann durchaus ohne einen Schneemann nicht gefeiert werden, und dazu muß erst Schnee sein und Tauwetter kommen daß der Schneemann gemacht werden kann, und wenn er gemacht ist und vor dem Fenster steht muß es wieder frieren daß Eiszapfen am Dach werden, einer halben Elle lang und nicht länger und nicht kürzer usw. Das sind die Präliminarartikel und die conditio sine qua non.

Was sagst du nun? Gelte, das ist 'n intrikates Fest! Es geht auch mancher Winter darüber hin, ohne daß eins zustande kommen kann. Wenn nun aber obige Umstände alle eingetreten sind und sonst kein merkliches Hindernis im Wege ist, so kannst du denn zwischen drei und vier Uhr nachmittags das Fest angehen lassen, das NB von Anfang bis zu Ende mit trockenem Munde gefeiert wird. Nach vier, wenn's dunkel worden ist, wird eine Laterne in den hohlen Kopf des Schneemannes getan, daß das Licht durch die Augen und den Mund herausscheint – und denn geht groß und klein auf und ab im Zimmer und sieht aus dem Fenster unter den Eiszapfen hin nach dem Schneemann, und denkt dabei an einen andern Schneemann, ein jeder nach dem ihm der Schnabel gewachsen ist, und das ist der höchste Moment der Feier.

Lebe wohl, lieber Andres, und feire fleißig alle Festtage und Heilige Abende, bis der rechte Heilige Abend anbricht.


Den 3. Oktober, 1782.

Dein etc.

Ernst und Kurzweil,

von meinem Vetter an mich


Ich habe Euch in meiner Antwort unterm 22. ultimi von den »schönen Künsten und Wissenschaften« allbereits gründlichen Bericht getan, wie Ihr Euch noch gütigst besinnen werdet, und, wenn Ihr's etwa vergessen habt, an besagtem Ort nachsehen könnet; will aber gerne ferner dienen, und, wenn's wie Ihr sagt die Notdurft erfordert, weitern Bericht tun.

Der Inhalt oder der Sinn meines vorigen lief darauf hinaus: daß z.E. eine Gluckhenne die mit ihren Küchlein in ihrer Einfalt auf dem Hofe herumgeht, wenn der Habicht dahergeschnellt kommt, ohne alle Anweisung und ohne die Absicht sich hören zu lassen, allemal unfehlbar den rechten Schrei tue.

[222] Nun gab es aber unter den Hühnern des Hofes einige ästhetische Kannengießer, die bemerkt haben wollten: daß in solchem Fall eine Henne aus C – Moll schreie; wenn sie ihre Küchlein unter sich sammlen will, aus A – Dur; und wenn sie 'n Ei gelegt hat aus D – Dur usw.

Diesen schlauen Bemerkungen zufolge operierten sie nun weiter, und setzten gewisse Tonarten und Modulationes fest, wie es lauten müsse wenn's so lassen sollte und die andern Hühner glauben sollten: der Habicht komme, oder eine Henne wolle ihre Küchlein unter sich sammlen, oder es sei 'n Ei gelegt worden usw. und das nannten sie die »schönen Künste und Wissenschaften«.

Die Sache fand Beifall und der ganze Hühnerhof studierte die schönen Künste und Wissenschaften, und lernte die Molulations.

Da ereignete sich nun aber ein gewisser Kasus vielfältig, den niemand vorhergesehen hatte. Es ereignete sich nämlich der Kasus vielfältig, daß eine Henne aus c – Moll intonierte ohne den Habicht zu sehen. Und die Kapaunen und Poularden schrieen und kanterten den ganzen Tag aus A – Dur und aus D – Dur. Und das gab viel Verwirrung, und ein närrisch Gequick und Wesen.



Du hast recht, Vetter, es wird in diesen Jahren mit Empfindungen und Rührungen ein Unfug getrieben, daß sich ein ehrlicher Kerl fast schämen muß gerührt zu sein; indes wirst du doch Spaß verstehen, und den Respekt für deinen Landesherrn nicht verlieren weil es auch Pik – und Treffkönige gibt.

Wahre Empfindungen sind eine Gabe Gottes und ein großer Reichtum, Geld und Ehre sind nichts gegen sie; und darum kann's einem leid tun, wenn die Leute sich und andern was weismachen, [223] dem Spinngewebe der Empfindelei nachlaufen und dadurch aller wahren Empfindung den Hals zuschnüren und Tür und Tor verriegeln.

Will dir also über diese ästhetische Salbaderei, und überhaupt über Ernst der Empfindung und seine Gebärde, einigen nähern Bericht und Weisung geben, wenigstens zur Beförderung der ästhetischen Ehrlichkeit, und daß du auch den Vogel besser kennen mögest: denn so hoch auch die schönen Künste und Wissenschaften getrieben sind, so haben doch Ernst und Kurzweil jedwedes seine eigne Federn.

Meine Weisung ist kurz die: daß Ernst Ernst sei und nicht Kurzweil, und Kurzweil Kurzweil sei und nicht Ernst. Die Sache wird sich aber besser in Exempeln abtun lassen; und zwar will ich die Exempel an dir statuieren, da du doch ohne dein Verschulden bei vielen in dem Verdacht der Poeterei stehest, und sie dich für einen erzempfindsamen Balg halten sollen.

Zum Exempel also, du führest mit Extrapost durch 'n Dorf oder Flecken und der Postillion fiele unter die Pferde und bräch 's Bein, wie wir ja auf unsern Reisen den Fall gehabt haben. Nun, so sitz nicht auf dem Wagen und wimmere wie 'n Elendstier, kriege keine Konvulsions, und reiß dir auch die Haare nicht aus; sondern steige flugs aber vorsichtig herunter, bringe den Schwager unter den Pferden heraus und siehe ob das Bein würklich ab ist. Und wenn es damit seine Richtigkeit hat, so suche den Feldscher im Ort auf, zahl ihm wenn du willst und kannst die Taxe für 'n Beinbruch und noch etwas darüber daß er's fein säuberlich mache; und komme denn ohne alles weitere zu deinem Schwager zurück, und blase ihm eins auf seinem Horn vor bis der Feldscher nachkomme.


[224]

Eine andre Auflösung

Szene: Ein Hügel in Schlaraffenland.



Du stehst da hier auf dem Hügel mit offenem Munde, und es will dir eine gebratene Taube hineinfliegen, und du willst das nicht haben.

In solchen Umständen könntest du nun freilich die Sturmglocke in Schlaraffenland anziehen, daß alle Leute mit Leitern und Ofengabeln kämen, und gegen die gebratene Taube aufmarschierten. Du kannst aber viel kürzer dazu kommen. Mach 's Maul zu; so kann sie nicht hinein.

Die alten Lateiner pflegten die Sache so auszudrücken:


Quod fieri potest per pauca,
Non debet fieri per plura.

Drittes Exempel

Szene: Der 65. Grad nördlicher Breite.


Die See ist sehr stürmisch, wie du siehst, und das Schiff linker Hand leidet große Not und will sinken. Du bist mit auf dem andern Schiffe und siehst die armen Nachbaren die Hände ausstrecken und um Hülfe schreien. Bist du nun ein ästhetischer Seifensieder, so setz dich hin und mache: eine Elegie auf den Untergang des andern Schiffs, samt wie die Leute geschrieen und was dein Herz für Mitleid gefühlt habe usw. Ist's dir aber Ernst mit dem Mitleid, so geh und bitte den Schiffer daß er das Boot daran wage. Hängt den Poeten am Mast, daß er euch nicht im Wege [225] sei wenn ihr 's Boot aussetzt, und steige flugs und fröhlich mit einigen Matrosen hinein, die armen Leute zu holen.



Der dir den Mut dazu gab, wird dich auch glücklich durch Sturm und Wellen hin und her helfen.

Viertes Exempel


Stellt das Haus eines berühmten Gelehrten vor, und der bist du wieder versteht sich, und die beiden Herren vor der Tür wollen gern die Ehre haben dir aufzuwarten.

Unter uns gesagt, 's ist eine Schwachheit von den beiden Herren, daß sie den berühmten Gelehrten sehen wollen; denn was ist an so einem armen Sünder zu sehn? Indes sie wollen dich sehen, und du mußt heraus.

Nun supponiere ich: Du bist demütig oder willst es doch gerne sein. Denn wenn du ein vorsätzlich eitler aufgeblasener Mensch bist; so kannst du für dich bleiben, und ich werde wohl meine [226] Exempel mit dir nicht verderben. Also du hast Demut lieb, und es ist die Frage: wie du dich zu komportieren habest, wenn's dein Ernst ist.

Soviel begreifst du vorläufig, daß du nicht immer stehen und dir den Bart streichen mußt. Übrigens kommt es mir lustig vor, daß ich dir vorschreiben soll, wie du aussehen mußt, wenn die beiden Herren hereintreten; und will ich lieber einen Ausfall tun nach einer andern Seite hin. Sieh, man kann eine Tugend lieben und sie auf gewisse Weise auch haben; aber sie ist noch nicht feuerfest. Unter den und jenen Umständen wankt sie und bröckelt ab, und der Feind kuckt durch die Bresche in die Festung. So kannst du nach unserm Exempel zwischen deinen vier Wänden und in deinem Lehnstuhl Demut haben; du kannst würklich überzeugt sein: daß dies und das nichtsbedeutende Dinge sind, wovon die Menschen viel Aufhebens machen; daß nur eins sei das wahrhaftig lobenswert ist, und daß grade dabei Menschenlob am leichtesten entbehrt werden kann, usw. Du kannst, sage ich, davon in deinem Lehnstuhl überzeugt sein, und mit Ehren herauskommen. Wenn dir aber die beiden Herren mit tiefen Verbeugungen erzählen: wie der Schweif deines Ruhms sich von Zenit bis Nadir erstrecke; wenn sie eine Handvoll Räuchwerk nach der andern vor dir abbrennen; so kann von dem langen Schweif und dem vielen Rauch deiner Überzeugung der Kopf schwindlicht werden. In solchem Fall pflegt man nun den ersten den besten Strohhalm von der Erde aufzuheben, um dem Feind eine Diversion zu machen. Wenn du also merkst, daß dir dein Konzept verrückt werden will; so erzähle ihnen geschwind von dem großen Horn das in der Unstrut gefunden worden, oder von dem großen Bankerott in Bassora und daß die Bankerotts gewöhnlich daher kommen, daß mehr ausgegeben als eingenommen wird, usw. Du mußt aber, damit keine Schelmerei daraus werde, sobald die beiden Herren weg sind, mit doppeltem Ernst darangehen, durch neue Verhacke und Palisaden ähnlichen Unglückfällen vorzubauen.

Hast du das alles nicht nötig; desto besser für dich, und auch für die zwei Herren. Denn wahre unverstellte Demut ist sehr lieblich, und wenn sie dir je in deinem Leben vorgekommen ist, mußt du ihre Gebärde noch in frischem Andenken haben.

[227]

Fünftes Exempel


Ponamus, der da auf der Anhöhe im Morgendämmer bist du und siehst hinaus ins Meer, und nun steigt die Sonne aus dem Wasser hervor! – Und das rührt dein Herz, und du könntest nicht umhin auf dein Angesicht niederzufallen; ... so falle hin, mit oder ohne Tränen, und kehre dich an niemand, und schäme dich nicht. Denn sie ist ein Wunderwerk des Höchsten, und ein Bild desjenigen vor dem du nicht tief genug niederfallen kannst. Bist du aber nicht gerührt und du mußt drücken, daß eine Träne komme; so spare dein Kunstwasser, und laß die Sonne ohne Tränen aufgehen.

Sechstes Exempel


Der Kerl da mit der spitzen Nase war vor Jahren dein Nachbar, hat dir ohne deine Schuld alles gebrannte Herzeleid angetan, und hat durch Lügen und Trügen dich um Haus und Hof [228] gebracht. Du hast 'n Haus wieder, er aber hat keins, wie es auch zu gehen pflegt – und nun triffst du ihn hier in Schnee und Regen auf der Landstraße bettelnd, und sein Weib und seine Kinder liegen halb nacket am Graben.

Kannst du ihm nicht vergeben und vergessen; nun so reite vorbei und sieh nicht hin. Denkst du aber in und bei dir selbst, daß der Beleidiger immer am übelsten daran ist, und daß du willfährig sein sollst deinem Widersacher bald dieweil du bei ihm auf demWege bist; denkst du, wieviel uns Gott vergeben muß, und du siehst seine Sonne über dir und ihm am Himmel stehen, und dir fährt 's durchs Herz; – nun so fasle auch nicht und mach's ihm nicht sauer. Geh auf ihn zu, gib ihm die Hand und erkundige dich, wie ihm könne geholfen werden. – Und wenn du weggehst, decke das Weib und die Kinder mit deinem Mantel zu.

Nun Vetter, Gott bewahre dich für einen Nachbar, der dir so viel Böses tue und dir so viel Verdruß mache. Aber glaube mir, wenn du so ohne Mantel weiterreitest; es ist alles reichlich bezahlt, und mancher würde dich beneiden wenn er's wüßte, und sich wundern was in der Großmut stecke. Und doch hat er vielleicht 'n ganzes Alphabet in Prosa und in Versen von der Großmut und Feindesliebe ans Licht gestellt.

Leichtfertige Schriften und die 'n Verderb der Welt sind geraten gewöhnlich am besten, weil ihre Verfasser diese Empfindungen haben, und mit sogenannter Begeisterung schreiben. Wenn sie aber Empfindungen andrer Art schreiben wollen; so will's nicht fort, und sie müssen sich hineinsetzen, wie das genannt wird. Verdirb du dir deine Zeit nicht mit dem Hineinsetzen. Wenn ein großer edler Charakter was Liebenswürdiges und Schönes ist; so laß dir 's sauer um ihn werden. Es ist 'n ander Ding: einen zu haben; als: einen aufs Papier und auf den Theater hinzuklecksen, und wenn du noch so gut und con amore klecksen kannst.

Quae professio, sagt ein Kirchenvater, multo melior, utilior, gloriosior putanda est, quam illa oratoria, in qua diu versati non ad virtutem, sed plane ad argutam malitiam juvenes erudiebamus.


Ich könnte dir der Exempel leicht mehr machen, aber Holzschnitte kosten Geld, und du kannst sie dir ebenso leicht selbst machen.

[229] Übrigens wirst du an diesen Ernst – und Kurzweil – Exempeln bemerket haben: Erstlich daß Ernst ganz natürlich sei.

Und so ist es auch. Die wahrsten Empfindungen sind immer die allernatürlichsten, auch in der Religion. Denn es gibt auch in der Religion Kurzweil und Ernst.

Zweitens wirst du bemerkt haben: daß wahre Empfindung an und in sich selbst genug habe, und die Tür ihres Kämmerleins hinter sich zuschließe; daß Kurzweil hingegen nach außen hantiere, und Tür und Fenster öffne.

Und so verhält es sich in Wahrheit, auch mit den höhern Empfindungen. Und wo so nach Menschenbeifall geangelt wird, da ist's nicht recht rein und richtig.

Auf den Tod der Kaiserin

Sie machte Frieden! Das ist mein Gedicht.
War ihres Volkes Lust und ihres Volkes Segen,
Und ging getrost und voller Zuversicht
Dem Tod als ihrem Freund entgegen.
Ein Welterobrer kann das nicht.
Sie machte Frieden! Das ist mein Gedicht.

Schönheit und Unschuld

Ein Sermon an die Mädchen


Eigentlich sollte Schönheit unschuldig und Unschuld sollte schön sein, aber in der Welt sind es verschiedene Dinge; und weil ich diesen Sermon in der Welt halte, muß ich mich wohl bequemen.

Schönheit also ist Schönheit des Leibes, 'n Paar Taubenaugen, 'n Gesichtlein wie Milch und Blut und ein gewisser Zaubervogel Kolibri, der, wie die närrischen Poeten schreiben, an den Taubenaugen und an dem Gesichtlein sitzt und nistet wie die Schwalben an der Mauer. Unschuld hingegen wohnt im Gemüt und ist eine himmlische Gestalt, die mit Luthern Gott fürchtet und liebet daß sie keusch und züchtig lebe in Gedanken Worten und Werken, die kein Arg daraus hat, von sich und der Welt nichts weiß und sich auf nichts einläßt.

Der Kolibri findet gewaltig vielen Beifall, und die Mädchen [230] wollen ihn alle gerne haben und laufen ihm nach. Aber, ihr lieben Mädchens, aber – wir wollen's einmal überlegen.

Was ist Schönheit des Leibes? – 's ist doch nur Schönheit des Leibes, Glanz einer Zitternadel darin kein edles Gemüt großen Wert setzen kann. Du hast sie dir nicht gegeben und du magst sie dir nicht erhalten, 'n paar Jahre weiter und sie ist dahin. Zweitens schafft und nützt sie im Hause nicht viel. Du kannst mit einem Gesichtlein wie Milch und Blut keinen bessern Braten machen, kannst mit Taubenaugen dein Kind nicht besser waschen und kämmen; und die Ehen werden doch nicht im Monde sondern im Hause geführt. Auch ist Schönheit nicht 'nmal das was eigentlich Liebe macht. Den Kopf kann sie wohl verdrehen, aber wahre herzliche Liebe ist an sie nicht gebunden. Sieh deine Mutter an; sie ist nicht mehr schön, und doch liebt sie dein Vater so herzlich und trägt sie in seinen Augen.

Also 'n Ding, das in sich keinen Wert hat, das nur kurz währet, das im Hause nicht sonderlich nützt und nicht eigentlich Liebe macht: so 'n Ding ist die Schönheit. Mehr ist sie nicht, und ihr müßt mir nicht böse sein, ihr schönen Mädchens, daß sie nicht mehr ist. – –

Ich möchte euch darüber so gerne recht kapitelfest machen. Denn sie werden's euch anders sagen, werden um euch stehen und liebkosen und bewundern. Und das möchte euch betören, hoch von der Schönheit zu halten und auf eine Scheinlampe hinter ihr und andre Maschinerien bedacht zu werden; und das wäre schade um euch! Schönheit und Unschuld sind wie die beiden Schalen einer Waage; so wie die eine in eurem Gemüt steigt, fällt die andre. Und das wissen die Liebkoser zum Teil, und erheben eben deswegen vor euch die Schale mit der Schönheit so hoch, daß die andre mit der Unschuld allgemach sinke. Einige helfen wohl gar noch nach, und suchen euch Keuschheit und Zucht als Alfanz und Aberglauben vorzuspiegeln. Aber, fliehet den Mann der das tut! Und wenn er mit Gold und Perlen behangen wäre, er ist 'n Bösewicht. Ist eine giftige Klapperschlange! Die Natur zwar hat ihn mit der Klapper verschont, weil sie sich auf seine Gaben und auf seine Diskretion verließ; aber er war der Großmut nicht wert und sollte eine tragen, und ich täte sie ihm gern in seinen Haarbeutel, oder hing' ihm eine ans Ohr, daß er vor sich warne wo er hinkömmt.

Unschuld des Herzens ist das Erbteil und der Schmuck des Weibes. Und wisset, Unschuld hat ihren eignen Engel, der hinter [231] euch hergehet und über euch wacht, solange ihr unschuldig seid. Erzürnet ihn nicht! und glaubet für ganz gewiß, daß wenn er von euch weichet, euer Glück von euch gewichen ist.

Mädchens, ich weiß was ihr wert seid! Und was ihr dem Manne sein könnet, wenn ihr's vorzieht und euch entschließt eines Mannes zu werden. Ihr seid ihm eine edle Gabe Gottes, und er lebt des noch eins so lange; er sei reich oder arm, so seid ihr ihm ein Trost und machet ihn allezeit fröhlich. Ihr seid Bein von unsern Beinen und Fleisch von unserm Fleisch, und darum bewegt sich mein Herz in mir wenn ich euch ansehe und an euch denke ...

Nun, ihr seid in der Welt und müsset durch, was auch euer Beruf sei. Gehet in Friede, und seht nicht viel umher.

Und der Engel der Unschuld begleite euch!

Kleine Geschichtchen

samt was man daraus lernen soll


Es war 'nmal ein König in Persien, der hieß Kulichan, 'n rechter Unhold gegen die Menschen. Den Mogoln, seinen Nachbaren fiel er ins Land, und nahm ihnen alles weg was sie hatten und schleppte es nach Persien.

Die eroberten Schätze machten ihn nicht besser, und er wütete noch ärger wie vor. Als er's nun so gar arg machte, vergaßen einige Große des Landes ihrer Pflicht, machten einen Aufruhr und setzten ihm das Messer an die Kehle. Da hätte er's gerne besser gehabt, und schrie und flehte: »Barmherzigkeit, Barmherzigkeit.« Die Aufrührer gaben ihm aber zur Antwort: »Du hast in deinem Leben keinem Menschen Barmherzigkeit getan; so soll dir, Hund, auch keine widerfahren.« Und damit fuhr das Messer durch die Kehle.


Was soll man daraus lernen?


Antwort: Daß man Barmherzigkeit tun soll, ehe das Messer an der Kehle sitzt.

Es war 'nmal ein ich weiß nicht wer, der war ich weiß nicht wo, und wollte sehen ich weiß nicht was.

Voll so arg ist's nicht, aber sehr viel weiß ich doch würklich von dem Geschichtchen nicht das ich erzählen will. Also [232] Es war 'nmal ein Europäer, der war in Amerika und wollte den berühmten Wasserfall eines gewissen Flusses sehen. Zu dem Ende handelte er mit einem Wilden daß der ihn hinführte, denn das Land war ungebaut und es gingen da keine Ordinari – noch Küchen – Posten. Als die beiden ihren Weg vollendet hatten, und an den Wasserfall hinkamen – machte der Europäer große Augen und untersuchte, und der Wilde legte sich so lang er war auf sein Angesicht nieder, und blieb so eine Zeitlang liegen. Ihn fragte sein Reisegefährt: wozu und für wen er das tue? Und der Wilde gab zur Antwort: für den großen Geist.


Was soll man daraus lernen?


Antwort: Den Unterschied zwischen Natur und Kunst.


Es war 'nmal ein kleiner Konrad des alten Konrads Sohn, der wollte sein väterliches Reich Sizilien, das der dritte Mann einem andern gegeben hatte, mit Gewalt wiedernehmen; verlor aber die Schlacht gegen den andern, Karl genannt, und ward gefangen, und ein Prinz Friederich, der aus Vetter – und Freundschaft mit ihm gezogen war, desgleichen. Karl ließ beide zum Tode verurteilen, und das Urteil ward auf dem Markt zu Neapel vollzogen. Friederich von Österreich mußte zuerst herhalten, und Konradino, der circa 17 Jahr alt war, sahe zu, nahm den abgehauenen Kopf seines Freundes von der Erde auf, und küßte ihn; und ward denn auch enthauptet. Übrigens war er der letzte der Hohenstaufen.


Was soll man daraus lernen?


Antwort: Daß man kein Hohenstaufe sein soll.


Es war 'nmal ein Polycarpus, der war ein Christ und zugleich Bischof von Smyrna, und den verfolgten deswegen die Heiden und schleppten ihn vor den Richter daß er verbrannt würde, und der Richter tat ihm den unverschämten Antrag, daß er Christum lästern sollte. »Ich diene ihm nun sechsundachtzig Jahre«, antwortete Polycarpus, »und er hat mir kein Übels getan. Wie sollt ich denn meinen Herrn und Heiland lästern?« Indes war er's gerne zufrieden, daß er verbrannt würde, und das geschah denn auch.


Was soll man daraus lernen?


Antwort: Daß das eine gute Herrschaft sein muß, für die man nach sechsundachtzigjährigem Dienst noch gerne durchs Feuer gehen will.


[233] Der geneigte Leser wird vielleicht bemerkt haben oder noch bemerken, daß ich in diesem Teil etwas gelehrter bin als in den vorigen Teilen. Das kommt von den Stunden her, die mein Vetter von Zeit zu Zeit mit mir hält. Damit man seine Methode sehe, will ich doch einer zur Probe hersetzen.


»Guten Morgen, Herr Vetter.«

»Guten Morgen. Hast du gut geschlafen?«

»Recht gut.«

»Nun so wirst du gestern vernünftig gelebt und beschlossen

haben?«

»Ich hoffe ja.«

»Dabei bleib. Es hat's kein Mensch mehr Vorteil als du.

Komm, setze dich her. Wollen Gott danken, daß wir gut schlafen können.«

»Aber ich habe um Mitternacht geträumt.«

»Das hast du gut gemacht. Sieh, gradeso ist das menschliche Leben. Davon sind auch Anfang und Ende nur natürlich, und die Mitte ist Rausch und Traum!

Das übrige morgen. Gehab dich wohl. – – – – Heda, komm zurück.

Αγεωμετρειτος μη εξιτω!

Sieh, da steht ein Hut Zucker unter der Bank, den ich nach dem Frieden gekauft habe. Faites – moi la grâce cher cousin, d'en couper le dessus, und gib's mir her. – Und nun sag mir aus dem Rumpf: wie lang das Stück ist das du mir gegeben hast.«

»Das ist ja leicht.«

»Wenn du's noch weißt, freilich. Wenn man's weiß, ist alles leicht, und wenn man's nicht weiß, nichts. Weißt du's denn aber?«

»Ist die verlangte Länge nicht, die vierte Proportionalgröße minus der Höhe des Rumpfs, zu der Differenz der beiden Semi – Diameter, der Höhe des Rumpfs und dem größern Semi – Diameter?«

»Bravo! Weil du denn so gut kapiert und behalten hast; so nimm den Rumpf. Er soll dein sein.«

»Will der Herr Vetter nicht lieber den Rumpf für sich behalten? Ich habe ja auch die Spitze nur ausgerechnet.«

»Da hast du die Spitze dazu. Ein Dozent der freien Künste muß kein Filz sein.

Der Zuckerhut war dir so zugedacht, itzt hast du ihn verdient, und brauchst mir nicht dafür zu danken.

[234] Qui proficit in litteris et deficit in moribus, plus deficit quam proficit.

Zu deutsch: wer nur die Spitze des Zuckerhutes begehrt, ist besser als wer sie nur ausrechnen kann. Jener soll den Rumpf, und dieser die Spitze haben; wer aber beides kann, dem gebührt der ganze Hut.

Addies. Grüße Frau und Kinder, und komme morgen nicht zu spät. Wir haben wichtige Sachen vor der Hand.«

Ein Lied

hinterm Ofen zu singen


Der Winter ist ein rechter Mann,
Kernfest und auf die Dauer;
Sein Fleisch fühlt sich wie Eisen an,
Und scheut nicht Süß noch Sauer.
War je ein Mann gesund, ist er's;
Er krankt und kränkelt nimmer,
Weiß nichts von Nachtschweiß noch Vapeurs,
Und schläft im kalten Zimmer.
Er zieht sein Hemd im Freien an,
Und läßt's vorher nicht wärmen;
Und spottet über Fluß im Zahn
Und Kolik in Gedärmen.
Aus Blumen und aus Vogelsang
Weiß er sich nichts zu machen,
Haßt warmen Drang und warmen Klang
Und alle warme Sachen.
Doch wenn die Füchse bellen sehr,
Wenn's Holz im Ofen knittert,
Und um den Ofen Knecht und Herr
Die Hände reibt und zittert;
Wenn Stein und Bein vor Frost zerbricht
Und Teich' und Seen krachen;
Das klingt ihm gut, das haßt er nicht,
Denn will er sich totlachen. –
[235]
Sein Schloß von Eis liegt ganz hinaus
Beim Nordpol an dem Strande;
Doch hat er auch ein Sommerhaus
Im lieben Schweizerlande.
Da ist er denn bald dort bald hier,
Gut Regiment zu führen.
Und wenn er durchzieht, stehen wir
Und sehn ihn an und frieren.

Kriegslied

's ist Krieg! 's ist Krieg! O Gottes Engel wehre,
Und rede du darein!
's ist leider Krieg – und ich begehre
Nicht schuld daran zu sein!
Was sollt ich machen, wenn im Schlaf mit Grämen
Und blutig, bleich und blaß,
Die Geister der Erschlagnen zu mir kämen,
Und vor mir weinten, was?
Wenn wackre Männer, die sich Ehre suchten,
Verstümmelt und halb tot
Im Staub sich vor mir wälzten, und mir fluchten
In ihrer Todesnot?
Wenn tausend tausend Väter, Mütter, Bräute,
So glücklich vor dem Krieg,
Nun alle elend, alle arme Leute,
Wehklagten über mich?
Wenn Hunger, böse Seuch und ihre Nöten
Freund, Freund und Feind ins Grab
Versammleten, und mir zu Ehren krähten
Von einer Leich herab?
Was hülf mir Kron und Land und Gold und Ehre?
Die könnten mich nicht freun!
's ist leider Krieg – und ich begehre
Nicht schuld daran zu sein!

[236] Über des Ritters Ramsay »Reisen des Cyrus«

Dies Buch ist kein schöner Modevogel, kein Eau de Carme für die Nase und Manschetten, sondern ein gutgemeintes Buch; und es wird's auch nicht leicht einer durchlesen, daß ihm nicht zugleich über dieses oder jenes neue Sterne in seinem Kopf aufgingen. Mir zum Exempel haben die blinden Heiden von jeher viel Kopfbrechen gemacht. Ich hatte wohl so in mir gedacht: Sieh, es ist nur ein Gott, so wie nur eine Natur ist; also kann davon auch nur eine Lehre sein die wahr ist, und alle Lehre davon, die wahr und mehr als Wortspiel ist, muß, sie sei wo sie wolle, sowohl vor als nach dem Babylonschen Turmbau, inwendig einerlei sein, und, versteht sich von selbst, 'n Balsam für das Herz, 'n Wasser des Lebens, 'n Strom von Milch und Honig! und diese Lehre haben die Israeliten offenbar gehabt und die Christen. Nun die blinden Heiden! Es hat mir immer nicht recht eingewollt, daß sie von dem letzten bis zu dem ersten alle so entsetzlich blind gewesen, und es fliegen überall an ihren Altären der Funken so viel, die grade wie die israelitischen aussehen; aber doch konnte ich nicht durch, und, woher die? wann, wie, was und warum? das war mir alles 'n Rätsel, 'n neues Tor vor dem ich stehenblieb. Der Ritter Ramsay geht weiter, und hat, dies Rätsel aufzulösen, dem Daniel und andern Weisen verschiedenes in den Mund gelegt, freilich nur in den Mund gelegt, und wenn Daniel oder sonst ein Mann Gottes selbst den Mund auftun sollte, das würde etwas anders sein. Aber doch, was Ramsay darüber beigebracht hat, ist sehr natürlich und anmutig zu lesen, und beweist, dünkt mich, die Wahrheit der Religion überhaupt gar sonderlich.

Außerdem sind noch in diesem Buch mancherlei erbauliche Exempel zur Lehre und Warnung vorgestellt, ist noch viel kluger Rat darin, für alle Menschen, und am meisten für die Kronprinzen, die zu seiner Zeit Land und Leute regieren sollen. Wenn ein Prinz mit Salomo um Weisheit und Erkenntnis bittet, daß er vor seinem Volk aus und ein gehe; so hat Gott wohl noch andre Wege, ihm Weisheit und Erkenntnis zu geben als durch 'n Buch; sonst aber werden gewißlich die Kronprinzen dies Buch nicht ohne Nutzen lesen, und ich wollte, ich wäre so glücklich einen zu kennen, daß ich's ihm dedizieren und in die Hand geben dürfte und er mir's nicht ungnädig nähme. Ich würde ihm sagen:

[237] Lieber teurer Kronprinz,

Sie sollen 'nmal eine Krone tragen als der Freund und Vater von viel tausend Menschen, jung und alt, die in den Städten und Dörfern Ihres Reichs wohnen, und es wird Ihnen an Schmeichlern und Versuchung zum Bösen nicht fehlen. Sie wissen freilich selbst am besten, wie Sie sich dabei nehmen wollen; aber es wird Sie doch freuen zu sehen, wie der Kronprinz Cyrus sich dabei genommen hat.


Liebe Königliche Hoheit,

Dies Buch ist geschrieben und übersetzt, Ihnen diese Freude zu machen. Sei'n Sie so gnädig es zu lesen, und Gott gebe, daß Sie ein guter König werden.

Ein Lied in die Haushaltung

Zu singen,

wenn ein Wechselzahn soll ausgezogen werden

Die Mutter:

Wir ziehn nun unsern Zahn heraus,
Sonst tut der Schelm uns Schaden.
Und sei nicht bange, kleine Maus!
Gleich hängt er hier am Faden.
Die Schwestern und Brüder und der Vater, Coro:

Der Zahn der Zahn der muß heraus,
Sonst tut der Schelm nur Schaden.
Die Mutter:

Ei seht, sie macht die Nase kraus,
Und fürchtet meinen Faden.
Hilft nicht; der Zahn der muß heraus,
Und denn kriegt Gustchen Fladen.
Coro:

Der Zahn der Zahn der muß heraus,
Und denn kriegt Gustchen Fladen.
Die Mutter:

So recht, so recht, du liebe Maus!
Nun ist er fest der Faden.
[238]
Und – nun ist auch der Zahn heraus,
Und soll dir nicht mehr schaden.
Coro:

Der Zahn der Zahn der ist heraus;
Da hängt er an dem Faden!

Das Kind,

als der Storch ein neues bringen sollte, für sich allein


Der Storch bringt nun ein Brüderlein –
Er kommt damit ins Fenster herein
Und beißt Mama ein Loch ins Bein,
Das ist so seine Art. – – –
Mama liegt wohl und fürchtet sich ...
O lieber Storch, ich bitte dich,
Beiß doch Mama nicht hart. –
– – – – –
– – – – –
He, he, da kommt Papa herein,
Nun wird er wohl gekommen sein! –
Aber du weinest ja!
Hat er dich auch gebissen, Papa?

Frau Rebekka

Wo war ich doch vor dreißig Jahr,
Als deine Mutter dich gebar?
Wär ich doch dagewesen! –
Gelauert hätt ich an der Tür
Auf dein Geschrei, und für und für
Gebetet und gelesen.
Und kam's Geschrei – nun marsch hinein
»Du kleines liebes Mägdelein,
Mein Reisgefährt, willkommen!«
[239]
Und hätte dich denn weich und warm
Zum erstenmal in meinen Arm
Mit Leib und Seel genommen.
Und hätte dich denn weich und warm
Mit Leib und Seel in meinen Arm
Zum erstenmal genommen ...
»Du frommes liebes Mägdelein,
Ich hab dich sonst noch nicht gesehn,
Willkommen, bis willkommen! –
Wie bist du lieber Reisgefährt
In deinen Windeln mir so wert!
O werde nicht geringer!
Du Mutter, lehr das Mägdlein wohl!
Und wenn ich wiederkommen soll,
So pfeif nur auf dem Finger.«

Über einige Sprüche des Prediger Salomo

An meine Subskribenten


Setzen Sie sich, lieben Herren, und nehmen vorlieb.

Der erste Spruch soll sein der bekannte und in aller Welt gäng und gäbe Modespruch: Es ist alles eitel.

Wenn ein berühmter Wortkrämer der gern mit Sentenzen um sich wirft, oder ein junger Projektmacher dem ein Projekt auf Eitelkeit fehlgeschlagen ist, oder ein alter Narr den die Sünde verlässet, wenn die sagen: daß alles eitel sei; so ist auch sogar der Sinn des Spruchs eitel. Aber beim Salomo ist er etwas anders.

Stellen Sie sich 'n Mann vor, wie Sie den Salomo kennen, von viel Geschick und Gaben, der sein Herz begab zu suchen und zu forschen weislich alles was man unter dem Himmel tut; der die Mittel in Händen hatte, sich alles was dem Menschen gut dünkt und nur halbwege so aussieht, zu verschaffen, zu kosten und zu versuchen; und der auch nach seinem eignen Geständnis das alles würklich gekostet und versucht hat; wenn der nun aufrichtig und ohne Affektation sagt: ich habe dies und das getan, »bauete Häuser, pflanzte Weinberge, machte mir Gärten und Lustgärten, hatte Knechte und Mägde, sammlete mir Silber und Gold, schaffte [240] mir Sänger und Sängerinnen und Wollust der Menschen und wehrete meinem Herzen keine Freude etc., aber, siehe, da war es alles eitel«; so sollte sein Spruch doch eigentlich Sensation machen. Und mich dünkt, er könnte uns viel Mühe ersparen.

Zum Exempel. Du willst so gerne dies und das sein, Oberschenke oder Oberbäcker! und bringst darüber dein Leben in Sorge und Unlust hin – Lieber! Salomo war mehr als Oberschenke und Oberbäcker; er war König über Israel, über das merkwürdigste Volk der Erde, und doch war damit ihm nicht geholfen. Wie sollte denn dir geholfen sein? Darum sei fröhlich und habe Geduld, und laß die andern Oberbäcker sein. So auch: du wünschest dir dies und das, ein Rittergut oder einen Mahagonitisch, denn groß oder klein ist eins wie das andre. Also du wünschest dir einen Mahagonitisch, kannst darum nicht schlafen, sinnest und sorgst und bildest dir ein: mit dem Tisch werde die Glückseligkeit ins Haus kommen – Lieber! Salomo hatte lauter Mahagonitische; Lamperie, Eckschränke und Kommoden, Fußboden und Treppen alles war von Mahagoni; und er sagt: alle die schönen Mahagonis täten's nicht, was wird denn der einzige Tisch tun? Darum sei fröhlich an deinem Tisch von Nußbaum – oder Föhrenholz, und mache dir dein Leben nicht sauer.

Fröhlich sein, sagt Salomo an verschiedenen Orten, sei das Beste in dieser Welt. Ist aber zu verstehen, wenn du den Mahagonitisch nicht kriegst und nicht Oberbäcker wirst, sonst nicht; denn wenn die Kinder ihren Willen kriegen, so weinen sie nicht. Du sollst fröhlich sein »in aller deiner Arbeit« und das, sagt Salomo, ist eine Gabe Gottes.

Es gibt zwei Wege, die Bilanz in seinem Kredit und Debet zu erhalten; einer wenn die Einnahme vermehrt, und der andre wenn die Ausgabe vermindert wird. Der letztere ist wohltätig, und kann den kleinen und großen Kameralisten nicht genug angepriesen werden. So gibt es auch zwei Wege, in seinem Herzen die Bilanz zu erhalten; der eine: wenn man alles hat, was man wünscht! und der andere: wenn man nicht mehr wünscht, als man hat. jener ist mühsam und mißlich, und dieser probat, und in eines jeden Hand.

Aber der Mahagonitisch und der Oberbäcker schweben dir doch so süß vor Augen! –

Das nun ist nicht ihre sondern deine Schuld. Du siehst am Salomo, daß sie auch anders können angesehen werden, und [241] deine eigne Erfahrung muß es in hundert Fällen dich schon gelehrt haben, daß die folgende Zeit viel verändre.

Mir fällt hier Kaiser Karl der Fünfte ein. Er war bekanntlich ein großmächtiger Fürst, der seine Größe nicht eitel achtete, sondern sie durch viele Kriege und Siege zu behaupten suchte und auch würklich behauptete. Auf einmal, als es nicht gar nach seinem Willen gehen wollte, und dazu seine Gesundheit brüchig ward, dünkte ihm alles eitel. Er legte seine zwei Kronen nieder, und ging nach Estremadura in ein Kloster. Hier pflegte er fleißig der Todesgedanken und Religionsübungen, und machte in den Zwischenstunden Uhren zum Zeitvertreib und zu seinem Vergnügen. Bald wollte ihm auch das nicht mehr schmecken, und er mochte an nichts anders denken, von nichts anderm hören und sehen als vom Tode. Endlich ging er gar so weit, daß er bei lebendigem Leibe seine Exequien halten ließ. Der Kaiser Karl der Fünfte legte sich in den Sarg, wie eine Leiche gekleidet; zu beiden Seiten des Sarges standen seine Hofbediente mit brennenden Wachskerzen, und die Geistlichen mußten die Exequien halten und für seine abgeschiedene Seele beten, und er betete selbst im Sarge inbrünstig mit. Er starb auch würklich nicht lange hernach.

Der Tod ist 'n eigener Mann. Er streift den Dingen dieser Welt ihre Regenbogenhaut ab, und schließt das Auge zu Tränen und das Herz zur Nüchternheit auf! Man kann sich von ihm freilich auch verblüffen lassen und des Dinges zu viel tun, und gewöhnlich ist das der Fall, wenn man bis dahin zu wenig getan hat. Aber er ist 'n eigener Mann, und ein guter Professor Moralium! Und es ist ein großer Gewinn, alles was man tut wie vor seinem Katheder und unter seinen Augen zu tun.

Der zweite Spruch des Salomo: Alles hat seine Zeit.

Alles hat freilich seine Zeit; die Zeit der Saat ist nicht die Zeit der Ernte, die Zeit des Neumonden ist nicht die Zeit des Vollmonds und wenn einer stirbt wird er freilich nicht geboren. Das aber kann Salomo mit seinem Spruch nicht gemeint haben; das hätte unsereins wohl sagen können. Sollte auch der ganze Sinn der sein: daß alles nicht zu aller Zeit sondern zu seiner Zeit soll getan werden, wenn nämlich Natur oder Kunst Bahn gemacht, und alle Umstände dafür reif sind; so wäre das schon etwas, aber doch, so allgemeinhin, immer noch zu wenig für unsern Freund Salomo. Und wir brauchen nicht vorliebzunehmen; denn die Worte leiden großen Sinn, und das für Kopf! und Herz!

[242] Zum Exempel. Der Mensch wird in neun Monden unter dem Herzen seiner Mutter gebildet, lebt siebzig Jahr, und wird denn wieder zur Erde davon er genommen ist. Wir sehen solche bestimmte Perioden in mehrern Naturoperationen die uns bekannt sind, und vielleicht haben's alle die andern auch die uns nicht bekannt sind, größere und kleinere, bis auf die gesamte Natur selbst von dem Im Anfang an, als Gott Himmel und Erde schuf, bis zu der Stunde, in welcher die Elemente zerschmelzen und Gott die Himmel wieder zusammenwickeln wird wie 'n Gewand. Nun soll einmal ein Mensch oder ein Engel dies alles kennen, soll davon nicht bestimmt sprechen sondern nur deuten wollen, und sagen: Alles hat seine Zeit; so ist ein Sinn in dem Spruch, und man sieht sich sehr kurz und ehrerbietig nach dem um der ihn sagte. Oder: Wir Menschen laufen und rennen vom Mutterleibe an und immerdar, und wissen nicht was zu unserm Frieden dient. Nun soll einmal ein Mann sein, der das gefunden hat. Wenn nun der die Menschen, seine Brüder, um sich her ansieht: wie sie's so verkehrt treiben; an dem und jenem Irrsal, woran tausend und tausend vor ihnen betrogen und zuschanden worden sind, so festhalten und guten Rat nicht hören wollen; wenn nun der gutgesinnte Mann das ansieht, dem Unwesen gerne steuerte aber nicht zu steuern vermag, und sich darüber mit unserm Spruch trösten wollte; so sind die Worte Goldes wert, und wären etwa so zu übersetzen: »Wie sind doch die Menschen so verblendet, die edlen schönen Geschöpfe Gottes zu so großer Ehre bestimmt! O wie anders könnten sie's haben, wenn sie selbst wollten! Doch die Stunde ihrer Verblendung wird vorübergehen, daß ihnen noch geholfen werde; alles hat seine Zeit.«

Indes, alles zusammengenommen, scheint Salomo hier weder das eine noch das andre im Sinne gehabt zu haben, sondern ein Drittes, nämlich: In der körperlichen Natur sei alles nicht wie in der Geisterwelt zugleich und auf einmal, sondern ein jedes habe seine Zeit; und dem Gesetz muß wer in der körperlichen Natur ist sich unterwerfen, und sich so gut dabei nehmen als er kann. Als wenn jemand zu Wagen sitzt und nach Königsberg fahren will; so ist er nicht mit einmal an Ort und Stelle, sondern die Räder des Wagens müssen so lange umgehen bis er ist wo er sein will, und ein jeder Umgang hat seine Zeit und der zweite kann nicht zur Würklichkeit kommen bis der erste vollendet ist etc. und da geht es denn oft über Stock und Stein und der auf dem [243] Wagen wird des wohl gewahr; er muß indes aushalten und sich fassen, denn es ist kein anderer Rat.

Und dieser Sinn hat was sehr Trauriges in sich, ich weiß nicht ob's den Herren Subskribenten auch so dünkt.

Der dritte Spruch: »Lasset uns die Hauptsumma aller Lehre hören; fürchte Gott und halte seine Gebote, denn das gehöret allen Menschen zu.«

Dieser Spruch steht in Salomos Büchlein zu Ende aller andern Sprüche, wie der Morgenstern der zuletzt aufgeht und schöner und herrlicher ist als alle Sterne die vor ihm hergehen. Die Hauptsumma pflegt gewöhnlich am Ende zu stehen, und also ist diese Stellung des Spruchs natürlich. Vielleicht kann sie aber auch noch eine Nebenabsicht haben. Salomo macht anderswo die Bemerkung, daß einem ein Narr nicht glaube wenn man ihm nicht auch sagt was in seinem Herzen ist. Nun gibt es aber Leute die alles lästern was sie nicht begreifen, die sich zu klug dünken zu glauben, und zu dumm sind zu wissen; arme Leute, welche die Vorteile beider Parteien entbehren und für sich keinen andern haben, als daß sie ihr Lebelang diskurrieren, und von Leuten die noch dummer sind als sie für große Geister gehalten werden. Diese Klasse von Menschen ist von jeher in der Welt gewesen und wird bis je und je darin bleiben. Vielleicht nahm Salomo Rücksicht auf sie, wollte auch ihnen gern die große Lehre zu Herzen bringen, daß Gottesfurcht die Quelle alles Guten sei. Er wußte aber, daß er unvorbereitet damit bei ihnen wenig Glauben finden würde. Daher schickt er verschiedene Sprüche mit Lehre die mehr in ihren Kram gehöret voran, und nachdem er sich als Meister in ihrer eignen Kunst gezeigt und sich solchergestalt ihr Vertrauen erworben hatte, rückt er mit der Hauptsumma aller Lehre hervor: Fürchte Gott und halte seine Gebote, denn das gehöret allen Menschen zu. Es gibt manches Ding, will er sagen, manche Lehre zwischen Himmel und Erde, die sehr dankenswert ist und ihre Interessenten in mehr als einer Hinsicht zu großen Leuten macht; aber das alles und eins, das eigentliche Ding, die Hauptsumma aller Lehre ist Furcht Gottes, und die gehöret allen Men schen zu, ist des Menschen sein Element, sein Beruf, sein Natur und Wesen.

Lieben Herren Subskribenten! Ich bin nicht was Salomo war, bin nicht König über Israel, und ich bescheide mich gerne daß mir seine Weisheit noch mehr als seine Krone fehlet; aber überzeugt bin ich lebendig, daß die Furcht Gottes die Quelle alles [244] Guten sei, daß es da anfangen und sich da wieder endigen müsse, und daß alles was sich darauf nicht gründet und nicht damit besteht, wie groß es auch scheine, doch nichts als Täuschung und Trug sei und unser Wohl nicht fördern möge.

Aber Furcht Gottes und Furcht Gottes ist zweierlei; und hier liegt der Knoten, dadurch diese Lehre zweideutig und rätselhaft wird. Wir fürchten alle Gott, sprechen mit Ehrerbietung von ihm, hören mit Ehrerbietung von ihm sprechen etc. wollen ihn fürchten und tun uns wohl auch bei der und jener Gelegenheit mit seiner Furcht einigen Zwang an, und übrigens bleibt's beim alten. Solch eine Furcht Gottes mag als eine feine äußerliche Zucht gelten, sonst aber ist sie der leibhafte Bediente hinten auf der Kutsche. Der steht da auch als ein Schild daß honette Leute im Wagen sind, gibt ein Zeichen daß die Wachen heraustreten, macht die Kutschentür auf und zu etc. und übrigens gehen die Bestien vor dem Wagen ihren ehrbaren Trab oder wilden Galopp wohin sie wollen, und der Herr dahinten muß immer mit fort und wird nicht gefragt. Wenn die Herrschaft recht gnädig ist, nimmt sie ihn wohl bei einfallendem Regenwetter zu sich in den Wagen.

Was soll solch eine Furcht Gottes? Was kann die für Würkungen haben, und wie wäre sie die Hauptsumma aller Lehre?

Das war aber auch nicht die Furcht Gottes der Altväter, die uns in der Schrift zum Muster dargestellet werden. Denn bei denen war die Gottesfurcht nicht Bedienter hinten auf dem Wagen, sondern Herrschaft und Kutscher zugleich. Ihnen war nichts so innig und heilig als sie; nichts so sauer das sie ihretwegen nicht getan, nichts so süß das sie ihretwegen nicht gelassen hätten. Joseph reißt sich aus den Armen eines schönen Weibes los und läßt einen Mantel im Stich, weil er ein so groß Übel nicht tun kann und wider Gott sündigen. Abraham schlachtet, als Gott zu ihm sprach, seinen einzigen Sohn, und bekümmert sich nicht um sein Vaterherz und seine Vernunft; – und so muß es sein wenn was draus werden soll. Und du, der du Gottesfurcht schmähen willst, könne das; und denn komm und schmähe, so wollen wir dir glauben. Sonst aber bist du nur ein Faselhans der nicht weiß wovon er spricht, du magst lästern oder loben.

Die wahre Furcht Gottes muß Empfindung, muß Wahrheit in uns sein; denn ist sie wohltätig in ihren Einflüssen, und wunderbar in ihren Würkungen mehr und anders als wir meinen oder verstehen.

[245] Wenn wir den Begriff von Gott nur bloß mit der Imagination denken, daß er, wie die Heilige Schrift uns lehret, der Schöpfer und Erhalter der sichtbaren und unsichtbaren Welt sei, der erste und der letzte, sein Stuhl der Himmel und die Erde seiner Füße Schemel, daß er in allem und durch alles sei, von der Tiefe des Meers bis an die Zinne des Himmels allem Wesen gegenwärtig und nahe, daß seine gewaltige Hand alles hält und seine Augen Tag und Nacht über alle seine Geschöpfe und sonderlich über alle seine Menschen, auch hier über und um uns, unsichtbar offenstehen – wenn wir den Begriff nur bloß mit der Imagination denken; so fährt er uns kalt durch, und macht uns Gott lieben und fürchten; was wird er tun, wenn er Empfindung und Wahrheit in uns ist?

Denn werden wir Gott nicht fürchten wollen, sondern wir werden ihn wahrhaftig fürchten, von ganzem Herzen, von ganzer Seele, von ganzem Gemüt und aus allen Kräften, in allem unserm Tun und Lassen, wenn wir aufstehen und wenn wir zu Bett gehen, um Mittag und um Mitternacht, wir schlafen oder wachen; wir werden das Bild des Allerbesten, des Allerweisesten, des Allergerechtesten, des Allerwahrhaftigsten, des Allerbarmherzigsten beständig wie unser Leben in uns tragen, und werden verwandelt werden in dasselbige Bild von einer Klarheit zu der andern. – Und das Halten der Gebote Gottes wird unsre Freude sein, und unser Glück zugleich; denn was sind seine Gebote anders als eine Hand am Wege, als schwarze und weiße Tonnen die vor Verderben warnen und die sicherste Fahrt in das Land des Heils weisen.

Nun meine lieben Herren Subskribenten, das wäre was ich Ihnen zu sagen hatte. Ich hätte Sie vielleicht angenehmer unterhalten können; aber Sie haben zum Teil so willig und gerne subskribiert, und da hab ich gedacht, ich müßte wieder ehrlich sein. Dazu hat alles seine Zeit, Subskribieren und Herausgeben auch, und wer weiß ob wir uns noch wieder einander dienen werden.

– Lasset uns Gott fürchten und seine Gebote halten!

Ein Lied für Schwindsüchtige

Weh mir! Es sitzt mir in der Brust,
Und drückt und nagt mich sehr;
[246]
Mein Leben ist mir keine Lust
Und keine Freude mehr.
Ich bin mir selber nicht mehr gleich,
Bin recht ein Bild der Not,
Bin Haut und Knochen, blaß und bleich,
Und huste mich fast tot.
Die Luft, drein herrlich von Natur
Gott seinen Segen senkt,
Und daraus alle Kreatur
Mit Heil und Leben tränkt;
Die ist für mich nicht frei, nicht Heil.
Mein Atem geht schwer ein;
Ich muß um mein bescheiden Teil
Mich martern und kastein.
Und doch labt's und erquickt's mich nicht,
Macht's mir nicht frischen Sinn;
Die Blume, die der Wurm zersticht,
Welkt jämmerlich dahin!
Auch Schlaf, der alle glücklich macht,
Will nicht mein Freund mehr sein,
Und lässet mich die ganze Nacht
Mit meiner Not allein.
Die Ärzte tun zwar ihre Pflicht,
Und fuschern drum und dran;
Allein sie haben leider nicht
Das, was mir helfen kann.
Mein Hülf allein bleibt Sarg und Grab,
O sängen an der Tür
Sie schon, und senkten mich hinab!
Wie leicht und wohl wär's mir!
O sängen doch an meiner Tür
Sie laut: »Ich hab mein Sach etc.«
Und trügen mich, und folgten mir
In langer Reihe nach,
[247]
Rund um die Kirch ans Grab heran,
Und senkten mich hinein! –
Ich läg und hätte Ruhe dann,
Und fühlte keine Pein.
Doch ich will leiden, bis Gott ruft,
Gern leiden bis ans Ziel.
Nur deinen Trost! und etwas Luft!
Du hast der Luft so viel.

Der Mensch

Empfangen und genähret
Vom Weibe wunderbar
Kömmt er und sieht und höret,
Und nimmt des Trugs nicht wahr;
Gelüstet und begehret,
Und bringt sein Tränlein dar;
Verachtet, und verehret;
Hat Freude, und Gefahr;
Glaubt, zweifelt, wähnt und lehret,
Hält nichts, und alles wahr;
Erbauet, und zerstöret;
Und quält sich immerdar;
Schläft, wachet, wächst, und zehret;
Trägt braun und graues Haar etc.
Und alles dieses währet,
Wenn's hoch kommt, achtzig Jahr.
Denn legt er sich zu seinen Vätern nieder,
Und er kömmt nimmer wieder.

Passe-Temps

zwischen mir und meinem Vetter in der Schneiderstunde (Twilight)


»Ich wollte, daß der Herr Vetter bei Kasse wäre; ich brauch 'n Gulden Geld.«

»Etwa eine neue Kanone? Oder irgendeine schöne Erzstufe fürs Kabinett?«

[248] »Nein! Ich wollte mir den Kulmus kaufen. Das von der Weisheit geht mir so im Kopf herum und von der Selbsterkenntnis die dazu führen soll. Vetter, ich will und muß den Menschen, will und muß mich selbst erkennen lernen.«

»Und das denkst du mit dem Kulmus zu zwingen?«

»Ja, der soll's beschrieben und gekonterfeiet haben, wie der Mensch innerlich gestaltet ist.«

»Nun denn, da ist 'n Gulden. Nur sei fleißig, und merke wohl! wie der Zwölffingerdarm und die Glans pinealis etc. etc. aussehen; denn du sollst uns diesen Winter, wenn die langen Abende kommen, ein Collegium anatomicum lesen, und unser Praesector und Kulmus werden.

Aber höre, weil du's bist, muß ich dir eins sagen: nämlich daß der obgedachte Zwölffingerdarm und die Glans pinealis etc. etc., ob sie gleich tief im Abdomine und Cerebro stecken, doch ebenso äußerlich sind als deine Nase.«

»Denn gehen der Darm und die Glans mich auch nichts an.«

»Warum nicht? – Es ist doch nützlich und angenehm das zu wissen, und wenn du gleich kein Doktor werden willst.«

»So glaubt der Herr Vetter in Ernst nicht, daß ich beim Kulmus das Innerliche sehen werde?«

»Du mußt's versuchen. Nur wenn du etwa der Art nichts sehen solltest, daß du mir nicht kommst und sagest: es sei auch nichts Innerliches! Denn dazu sind mir mein Vetter und mein Gulden zu lieb.

Um dich indessen vorläufig einigermaßen zu orientieren, so merke wie folget: Was du mit deinen zwei Augen sehen willst, das muß auch mit deinen zwei Augen können gesehen werden; was aber mit deinen zwei Augen gesehen werden kann, das ist äußerlich; und was äußerlich ist das ist nicht innerlich.«

»So bin ich unrecht berichtet. Da hat der Herr Vetter den Gulden wieder.«

»Nicht doch, Vetter. Seht's an! Dazu habt Ihr ja Eure zwei Augen, daß Ihr damit ansehet was Ihr damit sehen könnt. Auch möget Ihr aus dem Äußerlichen des Innerlichen wohl wahrnehmen und vielleicht kluge Vermutungen machen. Ich sage nur davon, daß das Innerliche selbst nicht mit Euren zwei Augen gesehen werden kann, und daß Ihr sie was das anlangt sicher zumachen könnet ohne etwas zu verlieren.«

»Ist der Herr Vetter 'n Freund von Schwärmerei?«

»Bist du toll?«

[249] »Aber, wo die zwei Augen aufhören, geht da nicht die Schwärmerei an?«

»Da sei Gott für! Das wäre der Wahrheit das Terrain sehr klein zuschneiden, oder vielmehr ihr gar keins geben; denn Ihr wißt, daß es Leute gibt, die da sagen: in dem was vor Augen ist sei keine Wahrheit!

Nein Vetter, die Schwärmerei fängt da weder an, noch hört sie da auf; denn wenn Leeuwenhoek oder Linneus Wundertierchen und – würmer sehen, die nicht dasind; so sind sie auch Schwärmer. Nur auf dem andern Gebiet ist die Entscheidung nicht so leicht, weil es da mit dem Augenzeugnis und den Augenzeugen, in deren Mund bekanntlich die Wahrheit besteht, mehr Schwierigkeiten hat. Auch will ich dir zugeben, daß auf diesem Gebiet kein Mangel an Schwärmerei sei, und daß da vieles für Wahrheit ausgegeben werde, was Schwärmerei ist; und das taugt nicht Vetter, und soll nicht sein. Aber du kannst auch glauben, daß vieles da für Schwärmerei gehalten wird das Wahrheit ist; und das taugt noch weniger, und ist großer Verlust nämlich für die so es für Schwärmerei halten, denn die andern verlieren nichts dabei.«

»Wie weiß ich denn aber, was Wahrheit und was Schwärmerei ist?«

»Hör! Wer dir darüber was Gescheutes sagen soll, der muß klüger sein als ich bin. Sprechen und schreiben läßt sich viel von Schwärmerei; aber du weißt, wie das denn so mit dem Sprechen und Schreiben ist.

Das Allgemeine der Sache ist nicht so schwer; und das hab ich dir schon gesagt, und will's dir der Deutlichkeit wegen noch einmal an einem Exempel vorhalten.

Du liesest Zeitungen, weiß ich, ohne eben ein großer Politikus zu sein. Da wirst du denn unter andern auch von deiner Lieblingsfestung Gibraltar gelsen haben, daß sie den vorigen Herbst sehr warm gehalten ward; und daß sie anfing, Mut und Tapferkeit ausgenommen, an allem Mangel zu leiden; endlich daß Lord Howe den II. September mit einer mächtigen Flotte von England absegelte, um dem klugen Gouverneur zu bringen was er nicht hatte.

Du kannst denken, daß die Soldaten zu Gibraltar, als sie die letzte Tonne Pulver und Zwieback angebrochen hatten, fleißig werden nach Westen gekuckt haben, und daß ein jeder von ihnen sehr geneigt gewesen ist, eine in der Ferne kreuzende französische [250] oder spanische Fregatte für das erste Schiff von Barringtons Division zu halten.

Wenn nun das der Fall gewesen wäre, oder wenn den 7. oder 8. Oktober als Howe noch auf der Höhe von Lissabon mit den Stürmen kämpfte, ein Soldat zu Gibraltar sich von den Wällen die Augen blind gekuckt, und sich endlich eingebildet hätte, die hülfreiche Flotte zu sehen?«

»Der wäre ein Schwärmer gewesen.«

»Und wenn dieser Soldat seinen Kameraden alles genau und haarklein beschrieben hätte. Vorder – und Hintertreffen, Flaggschiffe und Transportschiffe, Kutters und Fregatten etc. etc. und darauf geschworen hätte, daß er das alles wirklich sehe?«

»Wäre ein Schwärmer gewesen.«

»Und wenn er so lange hinaus ins Meer gezeigt und gefingert hätte, daß er sich einen Anhang gemacht, und die nun, wie er, das alles auch gesehn hätten?«

»Wäre ein Schwärmer gewesen.«

»Und wenn er vor Überzeugung seine Rations und Portions auf drei Tage, flugs und auf einmal verzehrt und seiner Partei das nämliche geraten hätte, weil Howe vor der Tür sei und mehr bringe? etc.«

»Wäre ein Schwärmer gewesen.«

»Gut das! Umgekehrt: Howe ist würklich im Anzuge, und eine Schildwache hat Augen die eine halbe Meile weiter tragen als die Augen der übrigen Garnison, wie das ja mit den Augen verschieden ist. Und nun soll diese Schildwache die englische Flotte in der halben Meile weiter würklich daherkommen sehen?«

»Der wäre kein Schwärmer.«

»Und wenn die ganze Garnison, und alle berühmte Seher unter ihnen, und alle Ingenieurs und Konstabels, und die Magazin – und Proviantmeister, und der Regimentsfeldscher und der Bibliothekar von Gibraltar, und selbst der alte menschlich gesinnte Elliot nichts sahen?«

»Wäre kein Schwärmer.«

»Die Garnison bestand etwa aus vier – bis sechstausend Mann; wenn ihrer hunderttausend gewesen wären die alle nichts sahen?«

»Wäre kein Schwärmer.«

»Und wenn sie alle über die Schildwache gelacht und demonstriert hätten, daß sie toll und wahnsinnig sei?« etc.

»Wäre kein Schwärmer.«

[251] »Also: nicht der mehr sieht als die andern, sondern der sich mehr einbildet zu sehen als er würklich sieht, der ist ein Schwärmer. Und merke noch an diesem Exempel, daß der Ingenieur und Feldscher und Bibliothekar und alle die hunderttausend Lacher auf gewisse Weise bona fide agieren und recht haben können; denn sie sahen wirklich nichts, und so weit ihr Auge reichte war keine Flotte. Der Fehler ist nur der, daß sie auch über die halbe Meile weiter richten wollten, wo ihre Augen nicht mehr judices competentes waren.

Und nun Vetter, ich für meine Person bin nur ein simpler Konstabel, und nicht die Schildwache quaestionis; aber ich glaube solche Schildwachen und solche Augen, die weiter und mehr sehen als ich, von ganzem Herzen. Und wer das nicht tut, der muß, dünkt mich, ein ziemliches Pretium affectionis auf sich und seine Augen setzen, und man kann ihm nicht mit Recht zur Last legen daß er die schöne Tugend der Demut und Bescheidenheit übertreibe.«

»Alles gut, und sehr wahr; aber ich bin doch damit nicht klüger über Weisheit und Selbsterkenntnis.«

»Du hast recht. Aber, was willst du eigentlich von der Weisheit haben? – Hör Vetter, schütte mir dein Herz einmal recht aus.«

»Alle Menschen wollen gerne glücklich sein, sie mögen in Häusern oder Hütten wohnen, mögen nacket oder bekleidet einhergehn, vom Raube leben oder das Feld bauen, Baal oder Bel opfern. Nun aber liegt für uns das Land des Friedes und der Glückseligkeit im Verborgenen. Wir ahnden nur, und suchen, 'n jeder auf seinem Wege, und gehen irre. Zwar die bessern Menschen werden des Irrtums wohl inne, kehren um, und setzen sich reuig auf einen Stein am Wege. Aber was sind sie damit gebessert? Sie wissen wohl was sie nicht gefunden haben, wo sie das aber finden sollen wissen sie nicht; und so treiben sie auch auf dem wilden Meer ohne Rat und Ruder und die Nacht kommt heran. Denn über dem Irren und Fragen und Forschen werden wir immer älter, kömmt uns der Tod immer näher, und man will doch gerne wissen woran man ist.«

»Du fängst gut an, und wenn du so fortfährst, werde ich diesmal von dir zu lernen haben. Wir haben es sonst bisher so gehalten, daß ich von uns beiden der Klügste gewesen bin.

Du erwartest also von der Weisheit sichere Auskunft

»Und wenn sie die gewährte, Vetter; wie herzlich willkommen [252] würde sie nicht allen Menschen sein! und wie von ihnen umringt werden!«

»Das sollte man freilich denken.

Aber es scheint in der Welt kein Mangel an Glückseligkeit zu sein, und die Menschen müssen sie wohl gefunden haben.«

»Ja Vetter, die armen Menschen! Sie halten diese Welt für das Land des Friedes und der Glückseligkeit und segeln mit dem Strom. Und wer von uns, wenn wir ehrlich sein wollen, kann sich rühmen, daß er sich diesen Weg nicht betören lasse, mehr oder weniger.«

»Und also meinst du nicht, daß man auf diesem Wege recht sei?«

»Wahrhaftig nicht.«

»Übereile dich nicht, Vetter; er ist doch sehr natürlich, und du sagst selbst, daß so viele Leute sich da recht glauben.«

»Wie kann ich mich übereilen? Es besteht ja nicht, und wenn's nichts weiter wäre!

Und selbst solange es währt, scheint's nur, ist aber nicht. Denn man erfülle dem Ehrsüchtigen, dem Geldgeizigen, dem Wollüstling, dem Manne von Eitelkeit etc. etc. man erfülle ihm alle seine Wünsche, und was ist's denn? – Das Auge sieht sich nicht satt und das Ohr hört sich nicht satt, und ich habe noch keinen dieser Art gesehen, der sich ruhig in die Arme genommen, und gesagt hätte: ich habe genug. Alle solch Glück ist mehr mühseliges Hinstreben zum Genießen als würklicher Genuß, ist keine Flamme die aus sich selbst brennt, sondern man muß beständig neue Reiser anlegen, neues Öl zugießen daß sie nicht verlösche, und am Ende verlöscht sie ja doch!

Nein Vetter, es muß für den Menschen eigenes Glück geben! Und was man auswärts erbetteln muß und nicht behalten kann, ist ja nicht eigen

»Gib die Hand, Vetter, du magst wohl nicht unrecht haben! Denn aber ist doch auch ohngefähr abzusehen, wo die Glückseligkeit herkommen muß. Mehr als Leib und Geist haben wir nicht. Wenn sie also in dem, was des Leibes ist, nicht gefunden wird; so bleibt ja nur ein zweites und höchstens ein drittes übrig?«

»Wohl wahr! Aber ich sehe doch da in einen dunkeln Ort.«

»Du glaubst doch, daß wir einen Geist in uns haben?«

»Warum frägt der Herr Vetter das?«

»Weil unsre zwei Augen nicht viel vom Geist sehen, und du [253] vorhin meintest: wo die zwei Augen aufhörten, gehe die Schwärmerei an.«

»Vetter! wenn ich im Menschen keinen Geist glaubte, so hätt ich mit dem Menschen nichts zu tun, und ich wollte lieber 'n Esel sein. Denn hätt ich wohl nicht Freude, aber ich hätte auch kein Leid und keine Unruhe, und ich trüge meinen Mehlsack und käute meine Disteln bis ich ausgekäuet und ausgetragen hätte.«

»Was hast du denn für Unruhe und für Leid?«

»Ah, du weißt ja wohl, wo uns der Schuh drückt; weißt ja wohl, daß ein Janus bifrons in uns ist, ein Kopf mit zwei Gesichtern die nach verschiedenen Seiten sehen.«

»Fahre fort, Vetter! Was meinst du?«

»Daß der Mensch keinen Hausfrieden in sich hat, das meine ich; daß es uns so lieblich dünken kann, und uns doch betrügt, und hinterher wurmt und graue Haare macht; daß man das Bessere wissen kann und das Unedle tun; daß wir von uns selbst gerissen und gehudelt werden! – Und uns selbst bringen wir allenthalben hin, uns selbst treffen wir überall an.«

»Aber wenn z.E. Konrad I. in seinem Leben von Heinrich dem Sachsen viel Verdruß hat und doch am Ende alle die Seinen vorbeigeht und ihn zu seinem Nachfolger vorschlägt, weil das Reich des bedurfte; wenn Scipio in Feindesland das junge schöne Mädchen, das ihm seine Soldaten brachten, in sichere Verwahrung nimmt und sie ihren Eltern unschuldig wiedergibt, so sagen doch alle Menschen, daß das edle Handlungen sind, und man bewundert sie.«

»Und das von Rechts wegen. Was bewundert man aber eigentlich? – daß Scipio eingesehen hat: es sei besser, das Mädchen unschuldig zurückzugeben? das sieht ein jeder von uns ein; – daß er den Willen gehabt hat, sie zurückzugeben? auch das nicht, denn das möchten wir gewiß alle gern getan haben; -sondern daß er's hat tun können. Ein jeder fühlt in sich, was dem Scipio im Wege gewesen ist und was Held Scipio überwunden hat.

Wohl ist die Tugend ein Kleinod; und gebe Gott, daß die Menschen das nicht bloß sagten. Sie würden wohl an sich tun! denn wenn der Geist das Feld behält und sein Recht behauptet, das freut Gott und Menschen, und du kannst denken, daß der, in dem es geschieht, nicht leer dabei ausgehe! Wohl ist die Tugend ein Kleinod für den Menschen; das schönste und köstlichste Kleinod in dieser Welt, womit er sich schmücken, und das einzige [254] wodurch er sich würklich groß und bewundernswert machen kann. Wie der Bart das Wahrzeichen des Mannes, so ist sie das Wahrzeichen des Menschen, und wer es nicht an sich hat, der ist unehrlich und ein Leibeigener. Du siehst: wenn Scipio Böses getan hätte! und was die Tugend ist!! Zugleich aber siehst du auch: was die Menschen sein müssen, wenn die unter ihnen, die sich an der Kette haben daß sie kein Unglück anrichten, wenn die unter ihnen so groß und bewundernswert sind.«

»Aber die Gelehrsamkeit heißt ja eine Nahrung des Geistes; so mache damit dem unglücklichen Streit ein Ende.«

»Reite mir 'nmal Kurier auf einem gemalten Pferde, und wenn es ohne Fehl gezeichnet wäre; und melke der Herr Vetter 'nmal des Myrons Kuh! – Und bis an Myrons Kuh und die Zeichnung ohne Fehl ist weit hin.«

»Keine Spekulations! Die Erfahrung muß entscheiden. Wenn es nun notorisch wäre, daß die Gelehrsamkeit immer und zu allen Zeiten ihre Verehrer zu guten, friedfertigen, edlen, unverlegenen glücklichen Menschen machte?«

»Sollte mir fürwahr recht lieb sein, auch des Herrn Vetters wegen.«

»Es gibt eine Erkenntnis a priori Vetter, und eine reine Vernunft, und dadurch ergründen und erweisen doch die Gelehrten viele Dinge?«

»Es mag wohl eine Erkenntnis a priori und einereine Vernunft geben, Vetter! Wenn aber die Meinungen der Gelehrten über eine und dieselbe Sache so vielfältig verschieden, und oft einander grade entgegengesetzt sind, und doch ein jeder die seinige aus der Vernunft beweist und herleitet; –«

»Ja, was willst du denn?«

»Ich will nichts; aber das Faß schwebt mir vor Augen, daraus der Wirt alle Arten von Wein zapft, die gefodert werden.

Ich habe heute keine Lust zu lachen, Vetter. Allerdings ist die Welt der Gelehrsamkeit viel schuldig, und was in ihr nützlich und ausgemacht ist, wer wird das nicht mit Dank annehmen und mit Dank erkennen? Wer die Kühnheit und den Scharfsinn vieler Gelehrten und ihren mancherlei unsäglichen Fleiß nicht schätzen und hochachten, und sie, als die ein in sich edleres Geschäft treiben, geehrt und reichlich belohnt wünschen? –

Ich sehe in den Zeitungen kein Schiff aus Ostindien zu Cork oder Brest einlaufen, oder ich denke mit Bewunderung an die fünf Finger des Menschen und an seinen Kopf, der auf dem [255] großen wilden Meer Weg und Steg berechnen lehrte; und wenn mein Kalender 'n Durchgang durch die Sonne, oder eine Mondfinsternis weissagt auf Tag und Minute, und ich sehe nun auf Tag und Minute den Erdschatten und Stern eintreten; so werf ich den Hut in die Höhe und gebiete allen Leuten im Hause, daß sie Respekt für den Kopf des Menschen haben. Aber ein jedes Ding nach seiner Art – denn so schön z.E. die Sterne auch sind, so denk ich doch, das Schönste und Beste ist unsichtbar, wo wären sie sonst hergekommen; und da verläßt uns die Gelehrsamkeit! Dazu bleiben wir nicht ewig unter den Sternen und unser Erdenleben ist nur eine ganz kleine Strecke auf der ganzen Bahn unsrer Existenz; und da verläßt uns die Gelehrsamkeit! Und da ist doch der unrechte Ort verlassen zu werden! So haben auch die guten Gelehrten immer gedacht; und die nicht so denken und sich mehr glauben als sie sind, die lügen in ihren eignen Beutel und davon wird er nicht voll!

Vor einiger Zeit starb mir meine Mutter. Sie hielt vorher viel aus, still und gelassen wie sie immer war, und konnte nicht leben und nicht sterben. Einige Tage vor ihrem Ende reisten wir alle noch zu ihr, und standen da um ihr Bette und sahen sie an, einer so klug wie der andre. Ich wollte mir mein Herz gerne trösten, und wollte ihr noch so gerne was zuliebe tun; aber essen und trinken mochte sie nicht mehr, mochte auch sonst nichts mehr. Ich dachte an alle die großen und kleinen Erfindungen der Menschen, davon du mir gesagt hast: an die Seelenlehre, an Newtons Attraktionssystem, an die Allgemeine deutsche Bibliothek, an die Genera Plantarum, an den Magister Matheseos, an den Calculum infinitorum, an die grade und schiefe Aszension der Sterne und ihre Parallaxen etc. aber es wollte mir alles nichts verschlagen – und sie lag out of reach! lag am Abhang und sollte herunter! und ich konnte nicht einmal sehen wo sie hinfiel. – – Da befahl ich sie Gott, und ging hinaus ... und machte ein Sterbegebet daß sie's ihr vorläsen. Es war meine Mutter und hatte mich immer so liebgehabt, und ich konnte doch nichts anders! –

O Vetter, wenn dir ein Mensch vorkömmt der sich so viel dünkt und so groß und breit dasteht; wende dich um und habe Mitleiden mit ihm. Wir sind nicht groß, und unser Glück ist, daß wir an etwas Größers und Bessers glauben können.«

[256]

Der Besuch im St. Hiob zu **

Der Aufseher des Stifts heißt Bernard, und unser fünf oder sechs, lauter reisende Leute, welche die Herberge versammlet hatte, gingen hin es zu besehen. Der erste war Herr Tobel, ein ernsthafter Mann, der wenig sprach; der zweite, Herr Wange Prediger in der Nachbarschaft, ein Verwandter des Herrn Bernard und der eigentliche Anfänger und Anführer der ganzen Unternehmung; der dritte, wenn er für einen vollen Mann gelten soll, sein Sohn Fränzel, ein feiner Knabe von etwa zehn bis dreizehn Jahren; der vierte, Herr Sennert, 'n Bruder Studio, dem äußerlichen Ansehen nach; etc.

Unterwegs erzählte uns Herr Wange, daß er einen alten Bekannten im Stift habe, Herrn Cornelio. Dem starb seine Frau und sein Freund, und darauf ging er in den St. Hiob als Krankenwärter.

Herr Bernard empfing uns sehr höflich und bewirtete uns mit Karawantee; zeigte uns auch sein Naturalienkabinett, das ziemlich vollständig ist, sonderlich an Konchylien.

Nach verschiedenen Gesprächen über dies und das, kam's endlich zum Stiftbesehen und Herr Bernard ging voran.

Er führte uns zuerst zu den Wahnsinnigen, die gleich unten im Hofe am Eingang quartiert sind, ein jeder in einem kleinen Stübchen für sich.

So wie Leute, die noch zwischen Furcht und Hoffnung schweben, unglücklicher sind, als die schon Entscheidung haben; so scheinen einem die Wahnsinnigen, oder die zwischen Sinn und Unsinn schweben, unglücklicher zu sein als die Unsinnigen, und sie sind nicht so gräßlich, aber grauerlicher anzusehen. Wir sahen ihrer hier einige und dreißig, alt und jung, Männer und Weiber, und aus allen Ständen.

Herr Bernard wollte die Bemerkung gemacht haben, daß der Wahnsinn bei Weibsleuten sich immer auf Liebe oder Religion beziehe. Im St. Hiob fanden wir seine Bemerkung bestätigt, denn die Weibsleute sprachen alle wie Verliebte, oder predigten und prophezeiten. Bei den Männern trafen – wir hier auch mancherlei andern Wahnsinn. Einer in einem grünen Schlafrock dünkte sich 'n Mohr und wusch sich emsiglich, kuckte ins Spiegel und wusch wieder, und seine weiße Comtoir – Mütze und eine Zitrone standen auf dem Tisch. Ein anderer stand mit verstörten Haaren und zeigte immer mit dem Finger nach einem Stundenglas [257] das an der Wand hing, und seufzte dazu. Die merkwürdigsten von allen aber waren vier Brüder, die in einem Zimmer beisammensaßen gegeneinander über wie sie auf dem Kupfer

sitzen – Söhne eines Musikanten, und Vater und Mutter waren im St. Hiob gestorben. Herr Bernard sagte, sie säßen die meiste Zeit so und ließen den ganzen Tag wenig oder gar nichts von sich hören; nur sooft ein Kranker im Stift gestorben sei, werde mit drei Schlägen vom Turm signiert, und sooft die Glocke gerührt werde, sängen sie einen Vers aus einem Totenliede. Man nenne sie auch deswegen im Stift die Totenhähne.

Von hier ging's zu den Unsinnigen. Ihre Kojen sind rundum in einem Zirkel gebaut, und in der Mitte steht ein großer Ofen, der im Winter geheizt wird. Nur etwa zwei Drittel davon waren itzo besetzt, und die Unglücklichen darin saßen, wie gewöhnlich, mit zerrissenen Kleidern und halb nackt, und sagten Greuel. Einer von ihnen war neun Jahre in der Sklaverei zu Algier gewesen, und hieß Hans Gumpert, und der war der wütigste von allen und hatte ungeheure Kräfte. Er hatte itzo eben eine gute Stunde, und als wir vor seine Klappe kamen, trat er heran und streckte die Hand heraus. Herr Tobel legte ihm einen Dukaten hinein und wir andern etwas Silbergeld; er warf aber alles weg und bat flehentlich um ein ganz kleines Stückchen Zucker.

Weiter brachte uns Herr Bernard in verschiedene Zimmer mit allerlei bösartigen Patienten, und denn kamen wir endlich in die große Krankenstube. Sie ist hoch, beinahe ein Quadrat, und es stehen drei Reihen Betten darin. Wir gingen hier von Bette zu Bette, und sahen in jedwedem einen Menschen liegen der elend war, mehr oder weniger.

Nicht weit vom Eingange trafen wir den Herrn Cornelio. Er hat helle Augen und eingefallene Backen, und ist lang und blaß. Herr Wange bot ihm freundlich guten Tag, und wollte ihn umarmen; das wollte er aber nicht, und sagte: er habe sich das Umarmen abgewöhnt.

Herr Bernard bat ihn, uns hier herumzuweisen, weil er hier am besten Bescheid wisse; und das ließ er sich gefallen und ging mit uns durchs ganze Zimmer, und sagte uns bei jedem Bette, den Namen des Kranken, seine Krankheit, wie lange er schon liege und sich quäle etc., auch allerhand Umstände aus ihrem Leben.

[258] Am Ende des Zimmers war in einem Bette eine alte Frau eben gestorben, und Herr Bernard hieß sie herausnehmen und in die Leichenkammer tragen, und Herr Cornelio sagte uns indes wer sie gewesen und wie alt sie geworden, daß sie oft viel Schmerzen gehabt und immer so über die langen Nächte geklagt habe etc.

»Aber Cornelio«, sagte Herr Wange, »wie können Sie alle Tage das Elend so ansehen?«

Cornelio: »Ist es darum weniger, wenn ich es nicht sehe? Und sieht man es denn allein hier?«

Wir nahmen darauf Abschied und gingen weg, nicht ganz gleichgültig. Als wir wieder auf den Hof kamen, ward die Leiche signiert, und sowie der dritte Schlag gefallen war, fingen die vier Brüder an:


Ach Herr! laß dein lieb Engelein,
Am letzten End die Seele mein,
In Abrahams Schoß tragen,
Den Leib in sein'm Schlafkämmerlein,
Gar sanft ohn ein'ge Qual und Pein,
Ruhn bis am Jüngsten Tage. etc.

Verflucht sei der Acker um deinetwillen etc.

Moses I. c. 3, V. 17. 18. 19.


Man mag das Paradies und seine vier Ströme und seinen Baum des Lebens und des Erkenntnisses etc. so oder so auslegen, und die wahre Erklärung mag sein welche sie will; so ist und bleibt der Inhalt klar und außer allen Zweifel:

Der Mensch war glücklich!

Und er machte sich elend! ... In dem »Verflucht sei der Acker um deinetwillen etc.« wird ihm sein Urteil gesprochen.

Es ist sehr hart; und wie ungern muß Gott es ausgesprochen haben!

Als Absalom sich empörte, verhüllte David sein Antlitz und ging barfuß, und der ungeratene Sohn war ihm immer noch lieb und am Herzen gewachsen. Man kann es nicht ohne Rührung lesen, als seine Truppen gegen Absaloms Partei aus Mahanaim ausrückten, wie er da am Tor sitzt und sie ausmarschieren sieht,[259] und sein letztes Wort an die Hauptleute ist: »Fahret mir säuberlich mit dem Knaben Absalom«; und als Joab nicht säuberlich mit dem Knaben fuhr, wie David da traurig wird und auf dem Saal im Tor hin und her geht und jammert: »Mein Sohn Absalom, mein Sohn, mein Sohn Absalom, wollte Gott ich müßte für dich sterben! O Absalom mein Sohn, mein Sohn!«

Und das war nur ein Vater unter den Menschen, die doch arg sind; was denn der allbarmherzige Vater, der den Menschen vor allen andern Geschöpfen so hoch geehret und so herrlich ausgestattet hatte! und nun zu ihm sprechen muß: »Verflucht sei der Acker um deinetwillen, mit Kummer sollt du dich drauf nähren dein Lebelang, Dorn und Disteln soll er dir tragen, und sollst das Kraut auf dem Felde essen. Im Schweiß deines Angesichts sollt du dein Brot essen, bis daß du wieder zur Erden werdest, davon du genommen bist. Denn du bist Erde und sollst zur Erden werden.«

Die Worte sind schrecklich, und ein jedes ist 'n Schwert das einem durch die Seele dringet. Und sonderlich wenn man ansieht, wie sie an uns in Erfüllung gegangen sind und noch täglich in und um uns in Erfüllung gehen.

Wir waren unsterblich, waren ewig glücklich und selig; lebten in einem schönen Garten, zwischen Strömen die den Garten wässerten, unter Bäumen die lustig anzusehen waren und die immer voll Früchte für uns hingen ... und unser lieber Vater und Schöpfer ging selbst in dem Garten und wir konnten seine Stimme hören. – Und hier: Auf dem verfluchten Acker, zwischen Dorn und Disteln, uns nähren mit Kummer und im Schweiß des Angesichts! Wie bitter saur muß sich's mancher nicht werden lassen und früh und spat schaffen, daß er für sich und die Seinen das bißchen Brot habe! Und wenn er's hat, was hat er denn? – Wir kommen mit Angst und Geschrei in die Welt, und fahren mit Herzeleid wieder in die Grube ... und unsern lieben Schöpfer und Vater hören und sehen wir nicht! gehen trostlos und verlassen, in Frost und Hitze, in Regen und Schnee, in Schmerz und Krankheit, sind wahnsinnig und unsinnig, können nicht schlafen, müssen gehen und husten Tag und Nacht und Eiter und Blut speien.

Mahomed gibt in seinem Koran, wenn zwei sich über Religionslehren zanken, den klugen Rat, daß sie beide ihr Weib und ihre Kinder rufen und zusammen ein Gebet zu Gott tun sollen. So wär's auch bei diesen Worten wohl das natürlichste, daß nicht [260] allein die strittigen Ausleger, sondern alle Menschen und Nachkommen Adams ihre Weiber und ihre Kinder riefen und hinträten und sich zusammen satt weinten.

Briefe an Andres

Erster Brief

Du möchtest gern mehr von unserm Herrn Christus wissen. – – Andres! wer möchte das nicht?

Aber bei mir kömmst Du unrecht. Ich bin kein Freund von neuen Meinungen und halte fest am Wort. So gar hasse ich das Kopf brechen an Religionsgeheimnissen; denn ich denke, sie sind eben darum Geheimnisse daß wir sie nicht wissen sollen bis es Zeit ist.

Wenn wir ihn nicht selbst sehen können, Andres; so müssen wir denen glauben die ihn gesehen haben. Mir bleibt anders nichts übrig.

Was in der Bibel von ihm steht, alle die herrlichen Sagen und herrlichen Geschichten sind freilich nicht er, sondern nur Zeugnisse von ihm, nur Glöcklein am Leibrock; aber doch das Beste was wir auf Erden haben, und so etwas das einen wahrhaftig freuet und tröstet, wenn man da hört und sieht, daß der Mensch[261] noch was anders und Bessers werden kann, als er sich selbst gelassen ist.

Und was in der Bibel von ihm steht, das hab ich gelesen mehr als einmal, und nehme es, so wie es da steht, ohne zu noch ab zu tun. Willst Du also davon mit mir schreiben und sprechen, so gut ich's kann und salvo meliori judicio; von Herzen gern! Ich weiß für mich nichts Liebers und Erfreulichers als von Hülfe und Errettung, und wem's anders ist, der muß nie in Not gewesen sein, noch andre darin gesehen haben. Rufet doch ein Weib, das ihren verlornen Groschen wiederfunden hat, ihren Freundinnen und Nachbarinnen und spricht: »Freuet euch mit mir, denn ich habe meinen Groschen funden, den ich verloren hatte.« Und was ist das für eine Not, daraus man mit Geld errettet werden kann!

Besinnst Du Dich noch unsrer ersten Schiffahrt, als wir den neuen Kahn probierten und ich mitten auf dem Wasser herausfiel? – Ich hatte schon alles aufgegeben, und dachte nur daran, wie mir der Tod schmecken und was meine arme Mutter sagen würde; da sah ich Deinen ausgereckten Arm herkommen und hakte an! und ich seh ihn noch immer, Andres, wenn ich nur von ungefähr Deinen Namen lese oder oft nur auf ein großes A stoße. Im Grunde war Deine Hülfe nur ein Palliativ; denn was damals ohne Dich das Wasser würde getan haben, das werden nun die andern Elemente noch tun, und Du wirst mich nicht retten. Aber ich kann doch den Arm nicht wieder vergessen! und ich glaube, daß er bei unsrer innigen Freundschaft die Hand viel mit im Spiel habe. Das ist hier einmal mit uns nicht anders: Not lehrt beten, und Hülfe und Errettung erfreut!

Und nun ein Erretter aus aller Not, von allem Übel! Ein Erlöser vom Bösen! Und nun ein Helfer, wie die Bibel den Herrn Christus darstellt, der umherging und wohltat, und selbst nicht hatte wo er sein Haupt hinlege; um den die Lahmen gehen, die Aussätzigen rein werden, die Tauben hören, die Toten aufstehen und den Armen das Evangelium gepredigt wird; dem Wind und Meer gehorsam sind, und der die Kindlein zu sich kommen ließ und sie herzete und segnete; der bei Gott und Gott war und wohl hätte mögen Freude haben, der aber an die Elenden im Gefängnis gedachte und verkleidet in die Uniform des Elendes zu ihnen kam, um sie mit seinem Blut frei zu machen; der keine Mühe und keine Schmach achtete und geduldig war bis zum Tode am Kreuz, daß er sein Werk vollende; – der in die Welt kam die Welt selig zu machen, und der darin geschlagen und [262] gemartert ward und mit einer Dornenkrone wieder hinausging! –

Andres, hast Du je was Ähnliches gehört, und fallen Dir nicht die Hände am Leibe nieder? Es ist freilich ein Geheimnis, und wir begreifen es nicht; aber die Sache kömmt von Gott und aus dem Himmel, denn sie trägt das Siegel des Himmels und trieft von Barmherzigkeit Gottes ...

Man könnte sich für die bloße Idee wohl brandmarken und rädern lassen, und wem es einfallen kann zu spotten und zu lachen, der muß verrückt sein. Wer das Herz auf der rechten Stelle hat, der liegt im Staube und jubelt und betet an.

Sprich und schreibe also davon mit mir Du mein herzlieber Andres, wie und was Du willst, und ich will Dir keine Antwort schuldig bleiben.

Dein etc.


Postskript


Es gibt einige Leute, Andres, die alles bekehren wollen, und mit der Bibel in der Hand hinter jeden hochfahrenden Geist und Taugenichts herlaufen. Das soll aber nicht sein, und ist ärgerlich anzusehen; wo auch der Fehler stecke. Die Lehre Christi, die nicht einer wert ist zu hören, mag allerdings allen Menschen gepredigt werden; aber sie soll nicht weggeworfen werden, und wer's nicht besser haben will, der mag's bleibenlassen.

Unser Herr Christus spricht auch gar anders über die Jüngerschaft. »Wer ist unter euch, der einen Turm bauen will, und sitzet nicht zuvor und überschlägt die Kosten, ob er's habe hinauszuführen? auf daß nicht, wo er den Grund gelegt hat, und kann's nicht hinausführen, alle die es sehen, fahen an seiner zu spotten, und sagen: dieser Mensch hub an zu bauen und kann's nicht hinausführen. – Also auch ein jeglicher unter euch, der nicht absaget allem das er hat, kann nicht mein Jünger sein.« Und in seiner Instruktion an seine ausgehenden Apostel: »Wo ihr aber in eine Stadt oder Markt gehet: da erkundiget euch, ob jemand drinnen sei, der es wert ist, und bei demselben bleibet, bis ihr von dannen ziehet – und wo euch jemand nicht annehmen wird, noch eure Rede hören: so gehet heraus von demselbigen Hause oder Stadt, und schüttelt den Staub von euren Füßen.«

Und nun erwarte ich Deine weitern Befehle.

[263]

Zweiter Brief

Also ich soll Dir zum Anfang die Geschichte von Zinsgroschen erklären! – Daß ich Dir etwas erklären soll, dünkt mich ebenso, als wenn ich abends vom Lehnstuhl vor meinem seligen Vater predigen mußte. Indes ich bin zu Deinem Dienst.

Aber Andres, Du machst es mit deinen Texten wie auf der Hochzeit zu Kana in Galiläa, wo zuerst der geringere Wein gegeben ward. Die Pharisäer fahren hier freilich sehr übel; was ist aber da eben für große Freude daran? – Im Grunde müssen sie einen doch dauern. Und Christus und die Weltweisheit sind nicht Partie egal; man weiß vorher daß sie immer den kürzeren ziehen muß. Die Art freilich, wie unser Herr Christus sie den kürzern ziehen läßt, die ist überköstlich und macht alles gut; und so will ich nur gleich anfangen, und weil Du die Geschichte doch so liebhast, etwas weitläuftiger sein als sonst wohl nötig wäre.

»Da gingen die Pharisäer hin und hielten einen Rat wie sie ihn fingen in seiner Rede.«

In diesem Rat ward ein Projekt beliebt: ihn sagen zu machen, daß dem Kaiser der Zins nicht gebühre. Eigentlich waren die Pharisäer wider den Kaiser, hatten ihm auch keinen Eid schwören wollen; aber der König der Wahrheit war ihnen noch mehr zuwider, weil sie bei dem noch mehr zu verlieren hatten. Und so schickten sie sich in die Zeit und machten Allianz mit dem Kaiser, um sich durch den geringern Feind den größern vom Halse zu schaffen. Christus sollte sagen: es sei nicht recht daß man dem Kaiser Zins gebe, und denn war er verloren meinten sie, und scheinen sie auf die prompte Justiz in Kameralsachen gerechnet zu haben.

Aber wie macht man ihn das sagen? – Die schlauen Füchse kannten sich und wußten daß eine Wanne mit Wasser eher überfließt wenn sie in Bewegung gesetzt ist. Deswegen beschlossen sie weiter: ihm durch verstelltes Lob und Anerkennung seiner Kompetenz das Herz vorher groß zu machen, seine Wahrhaftigkeit, seinen graden Sinn und sein Nichtachten der Person, vor dem Volk zu loben, damit er geneigt würde, gleich davon eine Probe gegen den Kaiser zu geben.

Das alles war hier nun freilich nicht angebracht; aber sie verstunden das nicht besser, und so sandten sie denn ihre Jünger und sprachen:

[264] »Meister, wir wissen daß du wahrhaftig bist und lehrest den Weg Gottes recht und du fragest nach niemand; denn du achtest nicht das Ansehen der Person. Darum sage uns was dünket dich? Ist's recht, daß man dem Kaiser Zins gebe oder nicht?«

Und Herodis Diener mußten gleich mitgehen damit es bei dem Zeugenverhör desto weniger Weitläuftigkeit gäbe, oder als gute Freunde die den Sieg mit ansehen, und ausbreiten helfen sollten. Ja! oder nein! – und in beiden Fällen siegten die Pharisäer. Denn sollte Christus den Zins gutheißen, und also dem Hauptprojekt ausweichen, so verdarb er's beim Volk, das den Zins ungern bezahlte und von seinem Messias Befreiung von allem fremden Joch erwartete.

Die Sache war sehr klug angelegt, und wäre ceteris paribus gewiß zehn – gegen einmal durchgegangen. Hier, wie gesagt, ging's nicht.

»Da nun Jesus merkete ihre Schalkheit, sprach er, ›ihr Heuchler was versuchet ihr mich?‹«

Das war der freimütige grade Sinn etc., den sie aus Schalkheit gelobt hatten, wahrhaftig; aber anders als sie erwarteten.

Mathematisch gewiß waren wohl die Pharisäer des guten Ausgangs nicht, denn sonst wären sie selbst gekommen und hatten nicht ihre Jünger geschickt; indes hatten sie doch ohne Zweifel gute Erwartungen, und sie haben ohne Zweifel den deputierten Jüngern in einem nicht geringen Ton von ihrer klugen Anlage und Erfindung gesprochen, und diese hatten gewiß ihre heimliche Freude: daß Christus von dem allen nichts wisse, und ihrem ehrbaren Gesicht nicht ansehen werde was hinter ihrer Frage stecke. Und Du kannst denken, wie sie erschrocken sind als unser Herr Christus anfing zu sprechen, und, seiner Gewohnheit nach, nicht dem Gesicht sondern dem Herzen antwortete.

»Da nun Jesus merkete ihre Schalkheit, sprach er, ›ihr Heuchler was versuchet ihr mich?

Weiset mir die Zinsmünze.‹ Und sie reichten ihm einen Groschen dar. Und er sprach zu ihnen, ›wes ist das Bild und die Überschrift?‹ Sie sprachen zu ihm, ›des Kaisers‹. Da sprach er zu ihnen: ›So gebet dem Kaiser was des Kaisers ist, und Gotte was Gottes ist.‹«

Andres, was ist doch für Sinn in allem das aus seinem Munde kömmt! Es vermahnt mich damit so, wie mit den Schachteln, wo immer eine in der andern steht. Seine Antwort kann wohl so ausgelegt werden: Ihr habt die Hoheit und den Schutz des Kaisers [265] anerkannt, und sein Geld in euren Taschen; so müßt ihr auch tun, was das mit sich bringt! Und ich wüßte nicht, was der größte Staatsmann anders hätte sagen können.

Aber Christus war mehr als Staatsmann.

»Wes ist das Bild und die Überschrift?«

Er sprach hier zu Pharisäern, die auf Moses' Stuhl saßen, die zwar weder für sich noch für andere aufschließen konnten aber doch die Schlüssel der Erkenntnis an einem großen Haken an der Seite trugen und sich mit dem Buchstaben des Gesetzes, als die einzigen wahren Ausleger desselben, brüsteten. Christus verwies ihnen bei einer andern Gelegenheit diesen ihren blinden Stolz: daß sie meinten das ewige Leben in der Schrift zu haben und nicht wüßten wo sie es suchen sollten. Hier was Ähnliches. So große Ausleger des Moses mußten ja die Lehre von dem Ebenbilde verstehen und wo das hingehört, denn es war seine Hauptlehre. Wie konnten sie denn fragen, ob der Zinsgroschen dem Kaiser gehöre, da sein Bild darauf stand? – Gott hatte den Menschen gemacht, ein Bild das ihm gleich sei; der Kaiser hatte auch sein Bild machen lassen, und das war von Silber und stand auf der Zinsmünze. – Moses und die Propheten hatten Israel den Weg gelehret, sich vor fremden Joch und Zinsmünze zu bewahren, nämlich wenn sie an Gott, ihrem Urbilde, von ganzem Herzen hingen und keine andre Götter hätten neben ihm. etc. –

»Wes ist das Bild und die Überschrift?«

Fühlst Du nicht den feinen Sinn? – Es war 'n Zipfel ihnen vom Rock abgeschnitten! 'n Pfeil aus ihrem eignen Zeughause ihnen gewiesen! aber auch nur gewiesen.

Über das Ebenbild Gottes hatten die Eiferer für die Religion nichts zu fragen, wohl aber über das silberne Ebenbild des Kaisers. – Die Zinsmünze und das Geben oder Nichtgeben derselben war im Grunde eine kleine und unbedeutende Angelegenheit, die über ihre Glückseligkeit nichts entschied. – Überhaupt war die ganze Frage über das Recht und Unrecht der Zinsmünze eine sehr alberne Frage, und grade soviel, als wenn ein Ehebrecher fragen wollte: ob es recht sei, die auf den Ehebruch gesetzte Strafe zu bezahlen. – Du siehst wie die Pharisäer eigentlich standen, und was von allen Seiten für Anlaß und Raum zu bitterer Antwort war, und Gott weiß, daß sie hier nicht unverdient gegeben wäre. Aber er war zu gut bitter zu sein. Auch war er nicht gekommen, das letzte Wort zu behalten und über die Künste der Pharisäer undWeltweisen zu triumphieren, sondern [266] die Künstler selig zu machen; und das treiben alle seine Handlungen und Reden. Er sagte:

»So gebet dem Kaiser was des Kaisers ist, und Gotte was Gottes ist.« ........................

Wie unser Herr Christus, so waren auch seine Handlungen und Reden. In sich: Gnade und Wahrheit und ewigs Gut, und auswendig: armes Fleisch und Blut und Knechtsgestalt.

Wenn er des Jairi gestorbnes Töchterlein vom Tode auferwecken will, spricht er: »Das Mägdleinschläft«, und nimmt sie als ob sie würklich nur schliefe, bei der Hand und ruft:

»Mägdlein stehe auf«; und ihr Geist kam wieder, etc.

Wenn er von der über alle Maße hohen Seligkeit seiner wahren Nachfolger sprechen will, sagt er: »Wer mein Wort hält der wird innewerden ob meine Lehre von Gott sei.« So auch hier:

»Gebet dem Kaiser was des Kaisers ist, und Gotte was Gottes ist.«

Wie klein von außen! Und doch enthalten die Worte nichts Geringers für sie als einen und den einzigen Rat: aus aller ihrer Not zu kommen; denn außer der Herstellung des Ebenbildes Gottes in ihnen war alles übrige löcherichte Brunnen.

Aber nun noch inniger, und Mann an Mann.

Sowenig die Pharisäer es auch glaubten und wußten; so waren sie doch blind und elend, und brauchten Hülfe. Darum hofften sie auch, wiewohl mit Unverstand, auf einen Messias, und lehrten das Volk auf ihn hoffen. Der vor ihnen stand und mit ihnen redte war der große Heiland, der diese Hülfe brachte und sie, und alle verirrte Schafe vom Hause Israel in seine Arme sammlen wollte! Ihn verkennen sie und wollen ihn mit Fragen über das Ebenbild des Kaisers überlisten und in Unglück bringen. Und er ... vergibt ihnen denn sie wissen nicht was sie tun; und er weist sie hin auf Hülfe, die ihnen so nahe war, und öffnet die Arme.

»Gebet dem Kaiser was des Kaisers ist, undGotte was Gottes ist.«

Das heißt antworten! – Selig ist der Leib der dich getragen hat, und die Brüste die du gesogen hast!

Und wir haben noch unsre verkehrten Begriffe vom Gelde, vom Menschen und dem Reiche Gottes. Was meinst Du, wenn wir [267] das alles mit andern Augen ansehen könnten? Da würden wir erst seine Antwort verstehen, und die Fülle von Gnade und Wahrheit die in ihr ist.

Sieh Andres, so geht er mit den Pharisäern um. Willst Du aber sehen, wie sie selbst mit sich umgehen; so lies unter andern die Geschichte von dem Blindgebornen, Johannis 9 vom 10. bis 34. V. inklusive. Ich weiß wohl, die Bibel liegt immer nicht weit von Dir; sie könnte doch aber grade einmal in der andern Kammer liegen; und so will herschreiben:

»Da sprachen sie zu ihm: ›Wie sind deine Augen aufgetan?‹

Er antwortete, und sprach: ›Der Mensch, der Jesus heißt, machte einen Kot, und schmierte meine Augen, und sprach:

›Gehe hin zu dem Teiche Siloha, und wasche dich.‹ Ich ging hin und wusch mich, und ward sehend.‹

Da sprachen sie zu ihm: ›Wo ist derselbige?‹ Er sprach: ›Ich weiß nicht.‹

Da führeten sie ihn zu den Pharisäern, der weiland blind war.

Es war aber Sabbat, da Jesus den Kot machte, und seine Augen öffnete.

Da fragten sie ihn abermal, auch die Pharisäer, wie er wäre sehend worden? Er aber sprach zu ihnen: ›Kot legte er mir auf die Augen, und ich wusch mich, und bin nun sehend.‹

Da sprachen etliche der Pharisäer: ›Der Mensch ist nicht von Gott, dieweil er den Sabbat nicht hält.‹ Die andern aber sprachen: ›Wie kann ein sündiger Mensch solche Zeichen tun?‹ Und es ward eine Zwietracht unter ihnen.

Sie sprachen wieder zu dem Blinden: ›Was sagest du von ihm, daß er hat deine Augen aufgetan?‹ Er aber sprach: ›Er ist ein Prophet.‹

Die Jüden gläubten nicht von ihm, daß er blind gewesen, und sehend worden wäre, bis daß sie riefen den Eltern des, der sehend war worden.

Fragten sie, und sprachen: ›Ist das euer Sohn, welchen ihr saget, er sei blind geboren? Wie ist er denn nun sehend?‹

Seine Eltern antworteten ihnen, und sprachen: ›Wir wissen, daß dieser unser Sohn ist, und daß er blind geboren ist.

Wie er aber nun sehend ist, wissen wir nicht; oder wer ihm hat seine Augen aufgetan, wissen wir auch nicht. Er ist alt genug, fraget ihn; lasset ihn selbst für sich reden.‹

Solches sagten seine Eltern, denn sie furchten sich vor den Jüden: Denn die Jüden hatten sich schon vereiniget, so jemand ihn [268] für Christum bekennete, daß derselbige in den Bann getan würde.

Darum sprachen seine Eltern: ›Er ist alt genug, fraget ihn.‹

Da riefen sie zum andernmal dem Menschen, der blind gewesen war, und sprachen zu ihm: ›Gib Gott die Ehre: Wir wissen, daß dieser Mensch ein Sünder ist.‹

Er antwortete und sprach: ›Ist er ein Sünder, das weiß ich nicht; eines weiß ich wohl, daß ich blind war, und bin nun sehend.‹

Da sprachen sie wieder zu ihm: ›Was tät er dir? Wie tät er deine Augen auf?‹

Er antwortete ihnen: ›Ich hab's euch jetzt gesaget; habt ihr's nicht gehöret? Was wollet ihr's abermal hören? Wollet ihr auch seine Jünger werden?‹

Da fluchten sie ihm, und sprachen: ›Du bist sein Jünger; wir aber sind Mosis Jünger.

Wir wissen, daß Gott mit Mose geredet hat; diesen aber wissen wir nicht, von wannen er ist.‹

Der Mensch antwortete, und sprach zu ihnen: ›Das ist ein wunderlich Ding, daß ihr nicht wisset, von wannen er sei; und er hat meine Augen aufgetan.

Wir wissen aber, daß Gott die Sünder nicht höret; sondern so jemand gottesfürchtig ist, und tut seinen Willen, den höret er.

Von der Welt an ist's nicht erhöret, daß jemand einem gebornen Blinden die Augen aufgetan habe.

Wäre dieser nicht von Gott, er könnte nichts tun.‹

Sie antworteten, und sprachen zu ihm: ›Du bist ganz in Sünden geboren, und lehrest uns?‹ Und stießen ihn hinaus.«

Nicht wahr, ärger konnten sie doch sich nicht prostituieren? Und es fehlt nur noch, daß sie eine Kommission von Naturkündigern und Ärzten niedergesetzt hätten: das Faktum zu untersuchen und darüber ihr Bedenken einzugeben.

Ich setze kein Wort zum Text hinzu; und, die Wahrheit zu sagen, es dünkt mir das die beste Methode, wenn man nichts hinzusetzt, denn man verdirbt doch nur daran.

Dein etc.

Dritter Brief

Du frägst: welche Geschichten mir die herrlichsten dünken? Alle, Andres, alle! ... ein jedes Wort das aus seinem Munde gegangen ist, eine jede Bewegung seiner Hand ... seine Schuhriemen [269] sind mir heilig. Und wer kann sich was wollen dünken lassen?

Wenn er sagt: »Friede sei mit euch«; so haben wir unser ganzes Leben zu tun und werden es wohl im Himmel erst verstehen lernen, was das einzige WortFriede in seinem Munde heiße.

Andres, Du kannst denken, daß alles, was ihn angehet und was er gesagt und getan hat, viel Sinn und Bedeutung habe; und daß wir zu klein sind, über die Herrlichkeit der Geschichten zu richten.

Indes machen sie doch, wie sie dastehen, auf unser Herz verschiednen Eindruck; und da, muß ich sagen, freuen mich die am meisten, wo er vom ewigen Leben spricht und von einem Tröster den er senden will; wo er den Blinden die Augen auftut; wo er die Seinen liebt bis ans Ende und mit ihnen das Abendmahl hält, und wo er Tod und Teufel meistert.

Denk einmal, Andres, wenn der Teufel, der so mächtig ist und der nur Freude daran hat zu quälen und alles um sich her elend zu machen, wenn der freie Hand und niemand über sich hätte; was würde aus der Welt und uns armen Menschen werden! Muß es einen denn nicht freuen, wenn man sieht, daß er einen Übermann hat, und daß grade der sein Übermann ist, der da half und gesund und selig machte alle die zu ihm kamen, und des Barmherzigkeit kein Ende hat? Und der Tod! Er ist doch schrecklich, Andres, und der Wurm am Zaun krümmt sich vor ihm, denn er nimmt uns alles. Wenn Du nun siehst, daß unser Herr Christus zu Nain einen Toten erweckt, den sie zu Grabe trugen, und zu Bethanien einen der schon vier Tage im Grabe gelegen war etc.; wenn Du ihn nun von Hütten des Friedes sprechen hörest, wo wir unsern Anselmo wiedersehen sollen, und wo die guten und frommen Menschen aller Zeiten und Völker sollen versammlet werden; wenn Du ihn nun sagen hörest, daß wer an ihn glaubt nicht sterben soll ob er gleich stürbe; – freut Dich das nicht, Andres? und wünschest Du nicht von Herzen, an ihn zu glauben? Aber, »der Glaube ist nicht jedermanns Ding«, und er steht nicht so zu Gebot, Andres. Die Apostel selbst, die um ihn waren und die gesehen und gehört hatten, sprachen zu dem Herrn: »Stärke uns den Glauben«. – Ich sehe an dem Kananäischen Weiblein und andern Exempeln: daß man wenig wissen kann und großen Glauben haben; und an den Pharisäern etc. daß man viel wissen kann und doch nicht glauben. – Christus sagte zu den Pharisäern: »Wie könnet ihr glauben, die ihr Ehre voneinander nehmet«; [270] und Paulus spricht von »Menschen von zerrütteten Sinnen, untüchtig zum Glauben« usw.

Daher sehe ich die Geschichten, wo vom Glauben die Rede ist, fleißig an, und merke auf den Sinn solcher Leute, um daraus zu lernen: nicht was ich noch wissen muß um glauben zu können, sondern was ich noch vergessen, mir aus dem Sinn schlagen und von mir abtun muß, damit der Glaube recht an mich haften könne.

Dein etc.

Vierter Brief

Freilich gibt es Leute, Andres, die den Teufel leugnen; die wie Doktor Luther sagt, »keine Sünde, kein Fleisch, keinen Teufel, keine Welt, keinen Tod, keine Fahr, keine Hölle haben, das ist, der keines glauben, ob sie wohl bis über die Ohren darin stecken«.

Die ganze Natur und Religion supponieren einen Teufel; Christus wird vom Teufel versucht; treibt Teufel aus, und seine Apostel sagen: daß er gekommen sei, die Werke des Teufels zu zerstören – Und nun tritt einer auf und meint: es sei kein Teufel! – Das bedarf doch wohl keiner Antwort.

Weiter sagst Du von den Wundergaben und dem Heiligen Geist und daß die aufgehört hätten, weil sie, nachdem das Christentum gegründet sei, nicht mehr nötig wären! –

Das von den Wundergaben versteh ich nicht, und Du mußt Dich an die Theologen wenden. Aber in die Gründung des Christentums und die Unnötigkeit des Heiligen Geistes kann ich mich nicht finden. Mich dünkt: der Heilige Geist ist immer nötig, und wenn der fehlt, fehlt alles. In summa, ich glaube einfältig mit der christlichen Kirche: daß ich nicht aus eigener Vernunft noch Kraft an Jesum Christum meinen Herrn glauben oder zu ihm kommen kann; daß der Heilige Geist zur Besserung jedes einzelnen Menschen unentbehrlich sei; und daß es ohne ihn keine Besserung, kein Leben und keine Seligkeit gebe.

Ohne ihn, Andres, sind wir ja wider uns selbst gelassen. Und von da gingen wir aus, daß wir uns selbst gelassen nichts können, wir mögen sein Juden oder Heiden oder wer wir wollen; denn in Christo gilt nicht »Beschneidung noch Vorhaut«, nicht Bischofsmütze noch Doktorhut, nicht Zwingel noch Luther, sondern eine »neue Kreatur« wie St. Paulus saget.

[271] Die Wiedergeburt ist, wie Johannis am dritten zu sehen ist, ein Geheimnis, und die Meister in Israel kannten sie nicht alle, auch nicht einmal von Hörensagen.

Dein etc.

Fünfter Brief

Sein Reich ist nicht von dieser Welt! – Darum haßten ihn die Juden und verfolgten und töteten ihn ...

Laß uns nicht verdammen, Andres!

Es ist himmelschreiend was sie getan haben, und davon ist nicht die Rede.

Aber Unser Herr Christus gibt keinem das Recht den ersten Stein aufzuheben, als der rein ist. Und wer ist rein? –

Wir sollen nicht liebhaben die Welt und was in der Welt ist; wir sollen unser eigen Leben hassen und verlieren, und es soll geistlich bei uns gerichtet sein. –

Nicht verdammen, Andres!

Es ist sehr recht und wahr von Dir geschrieben, Andres, daß man ihn so innig lieben und so mit ganzem Herzen an ihn hangen kann, weil er so durchaus und über alles gut ist; auch ist das sehr recht und wahr, daß einen die Menschengestalt an ihm so wunderbar freuet. Aber, daß Du so gerne im Gelobten Lande sein möchtest! –

Es dünkt einen freilich so, Andres, als wäre von den Wegen die er gewandelt, von den Bergen darauf er mit seinen Jüngern gesessen ist, noch der Segen nicht wieder genommen; als werde man auf dem Ölberge noch Spuren seines Nachtlagers, auf dem Tabor noch Strahlen seiner Verklärung finden; als stehe, wo er die Stadt ansahe und über sie weinte, wo er niederkniete und betete, wo er das Heilige Abendmahl einsetzte, wo er gekreuziget und gestorben ist, noch immer ein Kreis Engel und gelüste in das Geheimnis hineinzuschauen und bewache den Ort; kurz als sei er uns im Gelobten Lande näher. Wir wissen aber, daß er einmal auf Erden erschienen ist sichtbar, damit alle Menschen wüßten, daß er sei und wes sie sich zu ihm zu versehen haben; und daß er unsichtbar allenthalben ist. Und wo er ist, Andres, ist das Gelobte Land.

Wie gesagt, solche Empfindungen, so lieblich und lobenswert sie sind, können zu weit führen, und sie sind nicht die Sache.

[272] Uns und unserm verderbten Willen aufrichtig entsagen und seinen Willen tun, das ist die Sache; und es ist in keinem andern Heil.

Gott sei mit Dir, mein lieber Andres, und besuche mich bald.

[273][275]

Notizen
Entstanden zwischen 1778 und 1783. Erstdruck der Sammlung: [1783] »beym Verfasser, und in Comißion bey Gottlieb Löwe in Breslau«.
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Zitationsvorschlag für diese Edition
TextGrid Repository (2012). Claudius, Matthias. Vierter Teil. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-52FE-9