Gespräche, die Freiheit betreffend

Και ετι καϑ' ύπερβολην όδον ύμιν δεικνυμι.

Erstes Gespräch

B.: Ich habe das große Los in London gewonnen, weißt du schon?

A.: Das ganz große, oder das zweite?

B.: Das erste für diesmal; reine 20000 Pfund.

A.: Das wollten die andern auch gewinnen, und haben alle nicht können.

B.: Und ist nichts leichter als das.

A.: Und was willst du nun mit dem Gelde machen?

B.: Es wieder ausgeben; was sonst?

A.: Und wo denn?

B.: Vermutlich, wo ich es gewonnen habe. Ich werde auf den Flügeln der freien Sterlinge wohl schwerlich in einen Käficht fliegen.

A.: Nun, es wird ja außer England noch Länder geben die keine Käfichte sind.

B.: Es gibt deren freilich nach oben offen; aber mit irgendeiner Seite hängt's. In England ist es nach oben und nach allen Seiten offen.

A.: Mit den 20000 etwa, aber auch ohne?

B.: Auch ohne, und grade in England auch ohne. Da ist die Freiheit, wie der Himmel, über den Bettler Tom so hoch und blau gewölbt als über den Lord Hastings. – Und meinst du, daß ich das Freiheit nenne, was für Guinees gekauft wird, und für Guinees feil ist?

A.: Du bist ein Freiheitsfreund! Und scheinst dabei ein dankbar Gemüt zu haben. Ich will sagen, wenn der Sterlingregen dich z.E., von Bern aus, naß gemacht hätte; so würde etwa [294] die Schweiz mehr in Betrachtung kommen. Und unbesehends sollte man auch denken, daß dein »Gewölbe« in diesem Zauberlande wenn nicht so blau doch so hoch als in England gewölbt sein müsse, wenn sie nicht mit dem Kopf anstoßen sollen, denn der Fußboden ist hier viel höher. Aber was nennst du denn eigentlich Freiheit?

B.: Was alle Menschen so nennen; wenn mir niemand zu befehlen hat, wo ich tun kann was ich will.

A.: Also wo du falsche Wechsel machen kannst?

B.: Das will ich nicht.

A.: Freilich! Aber wenn du es wolltest, könntest du es denn in England?

B.: Beileibe nicht.

A.: So kannst du also in England nicht tun was du willst?

B.: Es versteht sich ja von selbst, daß ich nichts wollen muß, was die Gesetze verboten haben.

A.: Was verbieten denn die Gesetze in England, das Böse oder das Gute?

B.: Nun – freilich – das Böse.

A.: Du hättest denn in England die Freiheit: das Gute zu tun. Die Freiheit aber, sollte ich denken, hättest du in andern Ländern auch.

B.: Das wohl. Aber in England hat mir niemand zu befehlen als die Gesetze; kein König, kein Minister, kein Hofrat, kein Superndent, kein Konzertmeister, kein Korporal, kein Revisor, kein Küster, kein gnädiger Herr und keine gnädige Frau.

A.: Ich gestehe dir gerne, wo die alle befehlen, daß da der dritte Mann genug zu gehorchen habe, und sonderlich wenn sie nicht alle nach einer Richtung befehlen sollten.

B.: Wie wäre das möglich? Sind sie nicht Menschen, und gibt es Menschen die immer nach einer Richtung wollen? Ebendeswegen sind ja Gesetze erfunden worden, und ebendeswegen ist es ja um die Willkür eine so schreckliche und um Gesetze eine so große und herrliche Sache.

A.: Allerdings; in Ermangelung eines Bessern allerdings.

B.: Wie in Ermangelung eines Bessern?

A.: Die besten Gesetze können sich ja nicht selbst administrieren, sondern müssen wieder von Menschen administriert werden; und ein Mann, der immer sicher und unverrückt das Rechte wollte, ist ein Gesetz das sich selbst administriert.

[295] B.: Ich will aber nicht für mich wollen lassen; ich will selbst opfern.

A.: Gehorsam ist besser als Opfer. Nicht: Korban, lieber B.! Und wenn du selbst opfern willst, so müssen doch die andern alle auch dasselbe Recht haben. Und bei den vielen Opferern fallen mir die vielen Befehler wieder ein.

B.: Wir opfern alle nach einer Richtung.

A.: Aber du meinst ja selbst, daß das nicht möglich ist, daß Menschen nicht nach einer Richtung wollen können; daß ebendeswegen Gesetze erfunden worden, und daß es ebendeswegen um die Willkür eine so schreckliche und um Gesetze eine so herrliche Sache ist.

B.: Ich sage dir ja, daß ich das Gute tun will, aber nicht wenn und weil es andre wollen, sondern ich will es wollen, und ich will es tun weil ich es will.

A.: Das klingt edel! lieber B., und du junger mutiger Mann glaubst würklich die Arme nach der Juno auszustrecken; und doch könnte es wohl eine Wolke sein, die dich täuscht. Du sollst das Gute freilich wollen, und ich fodre kein Nicht – Wollen, sondern ein Nicht – Wollen. Sieh, wem das Gute selbst am Herzen liegt, der ist zufrieden wenn es nur geschieht, wenn es seinen Gang geht; und er geht gerne hinteroder nebenher. Wer es aber führen will, sieh, der will nur auf dem Bock sitzen; und wenn er das nicht soll, so läßt er den Wagen stehen und geht davon. Wie es ein sokratisches Nicht – Wissen gibt, so gibt es auch ein sokratisches Nicht – Wollen, und das ist die Juno selbst; und das Gegenteil davon ist dasselbe Ding, das in einem zu viel befehlen und in dem andern nicht genug gehorchen will, und grade das Ding, was die Willkür so schrecklich macht.

B.: Ich stehe für alles, wenn sie alle nur das Gute wollen.

A.: Meinetwegen. Ja, wenn sie wüßten was gut ist! – Aber wie sollen sie das erfahren, denn ein jeder hat seine Vernunft und seine Meinung?

B.: – Freilich, Gottes Wille müßte die Regel sein.

A.: Also unter Gottes Willen willst du doch stehen, und seine Anordnung lässest du gelten?

B.: Wie kannst du daran zweifeln? Es kann ja nicht anders als Unglück bringen, wenn einer davon abgeht.

A.: Das glaube ich auch; und ich verteidige den einen nicht der abgeht. Er tut sehr übel, er sei wer er wolle. Aber denn muß sich der zweite desto fester anhalten.

[296] B.: Aber, verdient das der erste der abgeht?

A.: Der abgeht nicht; aber der, von dessen Willen er abgeht, der verdient es; und der zweite selbst. Denn wenn der zweite auch abgeht, so gehen zwei ab, und so muß, nach deiner eignen Aussage, das Unglück größer werden. Auch hat, lieber B., dasFest-Anhalten größere Folgen, als allgemein geglaubt wird.

B.: Nun kurzum, ich gehe nach England; und zieh mit, du sollst auch England sehn, und die St. – Pauls – Kirche.

Und grade diese soll dich unter andern lehren, was Freiheit und Gesetze für Würkung haben. Diese St. – Pauls – Kirche hat hier ein Privatmann bloß aus seinem Herzen gebaut.

A.: Hierzulande kann man bloß aus dem Herzen nicht bauen.

B.: Verstehe doch, was ich sage.

A.: Dasmal verstehe ich, und ich habe großen Respekt für den Erbauer der St. – Pauls – Kirche. Übrigens hat Francke in Halle auch aus seinem Herzen gebaut, und Bork in Kopenhagen, und hundert andre an hundert andern Orten.

B.: Wohl! Aber Freiheit ist doch ein Wecker am Herzen, und ohne sie schläft der menschliche Wille ein wie eine alte Frau am Spinnrocken. Und ich suche ein Land, wo ich das Gute frei und lustig wollen kann und wo mich nichts hindert es zu tun.

A.: Lieber B., sage doch an, wenn du funden hast. Das Land suche ich auch.

B.: Nun, wie gesagt, so ziehe mit.

A.: Bauen denn z.E. alle Engländer St. – Pauls – Kirchen?

B.: Alle – St. – Pauls – Kirchen? – Du scheinst nicht zu wissen, was das ist eine St. – Pauls – Kirche. Sie ist nicht so in Taschenformat, wie die Kirchlein, die bei euch als Exklamationszeichen hinter dem elenden Dorfe stehen.

A.: Verstehe doch, was ich frage. Tun denn alle Engländer Gutes? Oder noch besser, die Despoten in der Welt, tun die und haben die von jeher lauter Gutes getan?

B.: Nicht lauter Gutes!

A.: Aber warum nicht? Sie sind doch nicht allein über anderer Menschen Willkür und allen äußerlichen Zwang, sondern auch über die Gesetze, und also nach deiner Meinung noch freier als die Engländer.

[297] B.: Sie müssen denn das Gute nicht mögen; müssen es im Grunde nicht wollen.

A.: Sie haben sich doch von jeher mit dem Schein des Guten zu decken und zu zieren gesucht. Und ist es nicht ein offenbarer Widerspruch: das Gute einsehen und nicht wollen? Auch wollen es alle Menschen im Grunde.

B.: Es scheint mir auch so. Aber, wenn sie es wollten, und sie nichts hindert; so würden sie es ja auch tun.

A.: Das denke ich auch. Es muß sie also etwas hindern.

B.: Du sagst ja den Augenblick, daß sie über andrer Menschen Willkür sind, und über allen äußerlichen Zwang?

A.: Also, andrer Menschen Willkür und äußerlicher Zwang hindert sie nicht.

B.: Und über die Gesetze?

A.: Also, die Gesetze hindern sie nicht.

B.: Aber, was bleibt denn übrig, was wären denn noch für Hindernisse?

A.: Die Frage ist sehr natürlich. Indes, sie mag beantwortet werden oder nicht; das ist und bleibt fest, daß Hindernisse da sein müssen. Und zwar scheinen diese Hindernisse die eigentlichen Hindernisse des Guten zu sein, weil sie das Gute würklich hindern.

B.: Ich kann mit keinem Feind fechten, der hinter dem Berge steht und den ich nicht sehe. Und, was mein Auge nicht sieht, das kränkt auch mein Herz nicht. Kurz, deine unbekannte Hindernisse wollen mir nicht ein.

A.: Sie wollen dir nicht ein, sagst du? Wie, wenn sie in dir wären, und dein schönes Herz würklich kränkten! –

Zweites Gespräch

B.: Da hab ich eben ein Paar alte treffliche Köpfe gesehn, den ewigen Lacher und den ewigen Weiner. Wer von beiden ist wohl der Klügste gewesen?

A.: Ich denke, sie wären beide gleich klug gewesen, und ihr Weinen und Lachen habe einerlei großen Sinn, nur daß Heraklit den bessern Ausdruck gewählt hat.

B.: Und ich denke, sie hätten beide keinen guten gewählt, und keiner von ihnen sei klug gewesen. Aber sage doch an, ich höre gern andre Meinung.

A.: Du weißt, was man in der Welt Glück und Unglück nennt; [298] und wie nahe sich das gewöhnlich die Menschen nehmen, wie sie weinen oder lachen, eins ums andre, nach dem die Luft von der oder von der Seite geht. Demokrit wollte zu verstehen geben: daß es für den Menschen der Mühe nicht lohne, dieses Unglücks wegen zu weinen! und Heraklit: dieses Glücks wegen zu lachen! Und, so lachte der eine, und der andre weinte, immer.

B.: Und warum ziehst du den Ausdruck des Heraklits vor?

A.: Weil es mir, wenn nicht wahrer, doch menschlicher dünkt: über das Glück dieser Welt zu weinen als über ihr Unglück zu lachen, und weil es mir auch wider den Wohlstand scheint, in einer Welt wie diese immer zu lachen.

B.: Am Ende konnte auch Heraklit eher fertig werden.

A.: Meinst du? – Aber davon ist hier die Rede nicht, und darum lachten und weinten unsre Virtuosen nicht. Sondern sie scheinen über die Natur des Menschen besser berichtet gewesen zu sein, und daß er, wenn er seinen Vorteil versteht, gedeckt sein könne, und weder zu lachen noch zu weinen habe.

B.: Warum aber täten denn die Menschen beides so eifrig? – Doch, wo sind wir gestern stehengeblieben?

A.: Nicht so gar weit von hier.

B.: Ich besinne mich, du hinter dem Berge bei deinen unbekannten Hindernissen.

A.: Ganz recht! Und du wolltest gestern mit deinen Augen sehen.

B.: Und das will ich heute auch noch.

A.: Und hast darin nicht unrecht; denn es hat von jeher wenigstens ebensoviel Schaden getan, daß die Menschen zu wenig als daß sie zu viel haben sehen wollen.

B.: Kann man denn auch zu viel sehen wollen, und wie kann das schädlich sein?

A.: Es gibt gewisse Dinge für einen gewissen Sinn, und einen gewissen Sinn für gewisse Dinge. So siehst du z.E. körperliche Gestalten, riechst Gerüche, hörst Schall und Laut, usw. Wer nun mit einem Sinn aus der korrespondierenden Klasse herausgeht und damit Dinge sehen – will die zu einer andern Klasse gehören, der will zu viel sehen, und da kann nichts Kluges herauskommen. Als wenn du z.E. mit deinen zwei blauen Augen die Elemente und geistliche Sachen sehen wolltest; so wolltest du zu viel sehen, und wäre ebenso widersinnig als wenn du den Geruch einer Nelke hören, und die[299] Morgenröte riechen wolltest, würde auch ebensoviel daraus werden.

B.: Das will ich nicht. Aber überzeugt will ich sein, ehe ich glaube. Und ich wünsche, daß die Wahrheit weiß sei; wenn sie aber schwarz ist, lasse ich sie mir nicht weiß machen.

A.: Bravo! Wer sie erst weiß machen will, in dessen Händen muß sie noch nicht weiß sein. Und, beiläufig hier gesagt, diese Weißmacher tun der Wahrheit einen schlechten Dienst, und ihrenthalben wird der Name Gottes gelästert unter den Heiden. Denn die Heiden distinguieren nicht immer, und wenn sie sehen, daß sie dem Sach – Walter überlegen sind; so bilden sie sich ein, sie wären es auch der Sache.

B.: Aber, du wolltest mir die unbekannten Hindernisse des Guten zeigen.

A.: Zeigen? Gehe du selbst hin, sie zu sehen.

Doch, vorher sage mir: wo, glaubst du, daß alles Gute und Wahre herkomme?

B.: Von Gott und keinem andern.

A.: Und Gott ist doch mehr, als alles was von ihm herkommt?

B.: Natürlich.

A.: Wenn es also Wesen gibt, die, ihrer Natur nach, ihre Befriedigung nur in der Wahrheit und dem Guten finden können, die können sie nirgend so vollkommen finden als in Gott?

B.: Nirgend.

A.: Sie werden also nichts so sehr suchen, als Gott?

B.: Nichts.

A.: Und nichts so unverrückt und über alles lieben?

B.: Nichts.

A.: – Bartolo! und lieben wir Gott so?

B.: – Nicht immer.

A.: Sage: nimmer. Denn der Unterschied ist nur der, daß wir in gewissen Augenblicken etwas weniger weit vom Ziel entfernt bleiben. Nun, Gott ist in allen Augenblicken gleich liebenswürdig, wie die Sonne in allen Augenblicken die Sonne ist, und ihre Strahlen immer mit gleicher Herrlichkeit und Fülle um sich breitet.

B.: Und äußerer Zwang kann es hier nicht sein, was uns hindert.

A.: Nein, gottlob nicht! Dafür ist gesorgt. In Hauptsachen kann er nichts; und es gibt einen Weg: nicht ihn von uns, sondern uns von ihm loszumachen, und ihm glühende Kohlen [300] auf sein Haupt zu streuen! Und dahin wollte ich vorhin schon.

B.: Nun ich bitte dich, so sage doch was ist das was uns hindert?

A.: Das weißt du so gut als ich. Was ist das, was unsern Augen das unendliche und wahre Gut immer gleichsam verbirgt und bedeckt, und, wenn wir es auch betrachten und lieben wollen, sich immer dazwischenstellt? – Nicht wahr, das Endliche, dasUnwahre, das Nichtgute. Dinge, die unsrer Liebe nicht wert sind, die wir verachten, und uns ihrer nicht selten vor andern Leuten schämen; und an die wir doch wider unsern Willen hangen und halten, oder vielmehr die uns halten und uns unglücklich machen.

B.: Unglücklich machen, sagst du?

A.: Ja wohl unglücklich machen! Denn, was flösse aus dieser Quelle nicht her! Alles, groß und klein, was die Menschen hier plagt, Eitelkeit und Laune, Herrschsucht und Trotz, Geiz und Wollust, und alle Schande und Laster etc. was ist es anders, als Anhänglichkeit an Dinge die nichts können und nichts sind, und die Menschen doch vom Bessern abhalten.

B.: Was aber kann der Mensch dazu? Darf auch der Topf zum Töpfer sprechen: Warum hast du mich so gemacht?

A.: Höre, ein Topf hält solange er kann; und denn bricht er. Und wenn er von was wüßte, so würde er von dieser seiner brechlichen Topf – Natur wissen und von weiter nichts. Aber wenn wir das Böse tun, so wissen wir dabei vom Guten, und wollen es.

B.: Was willst du damit sagen?

A.: Daß wir nicht ungeratene Töpfe sind. Sondern der ungeratene Sohn paßt besser, der das verlassene volle Haus des Vaters in Gedanken hat, und Treber mit den Säuen essen muß.

B.: Du machst mich aufmerksam. Aber, noch einmal, ich bin doch nicht gefragt: ob ich, noch auf welche Art, ich existieren wollte. Wie mich die Welle des Unendlichen ans Ufer herangeworfen hat, so habe ich heran müssen, um mich da eine Zeitlang herumzutreiben.

A.: Ich weiß das nicht, ich verstehe das nicht. Aber, Verlangen nach dem Guten und Widerstreben gegen das Gute in einem und demselben Dinge, setzt eine Unordnung voraus, und die kann nicht von Gott sein.

B.: Von wem haben wir denn unser Wesen?

[301] A.: Das haben wir von Gott. Aber, was unserm Wesen zuwider ist, das können wir nicht von Gott haben.

B.: Und also meinst du, diese Anhänglichkeit gehörte nicht zu unserm Wesen?

A.: Das ist die Meinung aller Völker und Menschen; wenigstens handeln sie so und haben immer so gehandelt, als wenn sie diese Meinung hätten.

Warum forscht und frägt man bei moralischen Handlungen nach den Bewegursachen, und bestimmt darnach ihren Wert und Unwert? – Heißt das nicht, annehmen, daß der Mensch z.E. eine gute Handlung oft aus schlechten Ursachen tue, daß aber diese schlechte Ursachen auch fehlen können, und der Mensch allein aus dem Guten handeln kann? – Und warum wäre ein Mensch, der so handelt, von jedermann geliebt und geachtet? – Warum spricht man von »überlegt und unüberlegt handeln«, und was tut der Mensch, wenn er überlegt, anders: als schlechtere Ursachen die ihm zunächst liegen aus dem Wege räumen und niederhauen, damit ihm die bessern zu Gesicht kommen? – So predigen ja auch wider diese Anhänglichkeit, alle Jahrhunderte hindurch, Weise und Unweise, Priester und Philosophen, und die ganze Welt ist mit Einrichtungen, Tempeln, Pagoden und Moscheen bedeckt. Ob sie nun zwar nicht immer alle wissen was sie wollen, und nicht immer viel dabei herausgekommen ist; so supponiert das alles doch offen bar den Glauben, daß etwas herauskommen könne, und daß damit nichts Kleines gewonnen sei. – Und wie könnten Menschen anders scheinen wollen, als sie sind; wie könnten sie Furcht haben, sich grade ins Angesicht sehen zu lassen, wenn die Lineamente desselben zu ihrem Wesen gehörten? Schämt sich auch ein Tiger seiner Zähne, und ein Adler seiner Klauen?

Lieber B., die Menschen tragen Ketten, und sind Sklaven; aber sie sind nicht geboren es zu sein, und haben die Hoffnung nicht verloren wieder frei zu werden. Und, wenn schon auf die Unterdrückung einer Anhänglichkeit ein so wohltuendes Bewußtsein folgt; was meinst du, was der Friede sein müsse, von dem man in jenem Bewußtsein nur den ersten Anbiß hat, wenn nämlich nicht mehr vonUnterdrücken die Rede ist, sondern wenn die Ketten würklich abgenommen werden! – Und da kommt das rechte England zum Vorschein, und die rechte St. – Pauls – Kirche.

[302] Aber lebe wohl, wir kommen hier auf heiligen Grund und Boden.

Zugabe

B.: Lieber A., ich muß es dir sagen: ich denke wie du, und habe mich nur verstellt und dich hintergangen, damit ich deine Meinung desto besser herausholte.

A.: Daß du mir überlegen bist, habe ich wohl immer gemerkt; aber daß du mich hintergangen hast, nicht. Indes schadet's nicht und es ist mir nicht leid, denn ich weiß daß ich nichts Unrechtes predige.

B.: Deine Meinung ist denn: daß man der Wahrheit nur dadurch näher komme, daß man sich von dem Unwahren losmacht? – Und einem von beiden kann man nur nachtrachten?

A.: Allerdings.

B.: Das Finden der Wahrheit wäre also auf die Weise, wie soll ich sagen, mehr ein Wegräumen eines πρωτον ψευδος mehr eine Veränderung, als eine Entdeckung etc.

A.: Allerdings.

B.: Aber, so wird es doch nicht allgemein angesehen?

A.: Dafür kann ich nicht. Denen es Ernst gewesen ist, die haben es so angesehen, sie mochten übrigens noch so verschieden sein.

B.: Zum Exempel?

A.: Zum Exempel: Johann Huß und Spinoza.

B.: Die sind mir eben recht. Denn nach Mendelssohn war Spinoza gewiß. –

A.: Nach? – Willst du mich wieder hintergehen?

B.: Er hat doch nicht so wider die Wahrheit angestoßen, als dieser?

A.: Er segelte so tief nicht, daß er anstoßen konnte. Wenn aber Spinoza mit seinem Kopf und mit seinem Ernst anstieß; so lerne daraus: daß es nicht leicht sei, die Wahrheit zu finden. Spinoza sagt aber so:

»Nachdem die Erfahrung mich gelehret hat, daß alles, wovon im Leben gewöhnlich die Rede ist, leer und eitel sei; da ich einsahe, daß alles, wofür und was ich fürchtete, weder Gutes noch Böses in sich habe, als insoweit das Gemüt davon in Bewegung gesetzt wurde; so beschloß ich endlich, zu forschen: ob es etwas gebe, das ein wahrhaftiges Gut sei, und [303] das sich mitteile, und von dem, wenn ich allem übrigen entsagte, das Gemüt allein reaktioniert würde; ja, ob es etwas gäbe, dadurch ich, wenn ich es fände und mir verschaffte, eine immerwährende und höchste Freude in Ewigkeit genösse. Ich sage: daß ich endlich beschloß; denn beim ersten Anblick schien es mir ungeraten, um eine damals ungewisse Sache eine gewisse verlieren zu wollen. Ich sahe nämlich die Vorteile die Ehre und Reichtümer bringen, und daß ich diese nicht weiter suchen müßte, wenn ich mit Ernst einer andern neuen Sache nachtrachten wollte; und es leuchtete mir ein: daß, wenn die höchste Glückseligkeit in diesen Dingen etwa bestehen sollte, ich solcher Glückseligkeit entbehren müsse; bestehe sie aber nicht darin, und ich trachtete nur ihnen nach, so würde ich denn auch der höchsten Glückseligkeit entbehren. Ich sann also in mir nach, ob es nicht möglich sein sollte zu meinem neuen Werk, oder wenigstens zur Gewißheit darüber zu gelangen, ohne daß meine bisherige Lebensordnung und Weise verändert würde. Das aber habe ich oft umsonst versucht. Denn wovon im Leben gewöhnlich die Rede ist, und was bei den Menschen, nach ihren Werken zu urteilen, als das höchste Gut geachtet wird, läuft auf diese drei Stücke hinaus, nämlich: Reichtum, Ehre, und Wollust. Durch diese drei Dinge wird aber das Gemüt so zerstreuet, daß es auf keine Weise an ein anderes Gut denken kann. – Da ich also einsahe, daß alles dieses so sehr im Wege sei, einem neuen Vornehmen nachzugehen, ja daß es damit in einem solchen Widerspruch stehe, daß ich notwendig von einem von beiden abstehen müsse; so mußte ich entscheiden, welches von beiden mir nützlicher wäre. – Ich habe nicht ohne Ursache die Worte gebraucht: wenn ich nur ernsthaft bedenken könnte. Denn ob ich gleich dies alles im Gemüt ganz klar einsahe; so konnte ich doch deswegen nicht allen Geiz, Wollust und Ehrsucht ablegen, 56 etc.«

B.: Das ist merkwürdig.
A.: Und sonderlich von jemand, der kein Jude sein wollte. Genes. 12. 1.

Der Priester Huß sagt so:

»Ich sage es frei vor Gott und seinem Gesalbten – so daß ich von Jugend an bis auf diesen Tag gleichsam zwischen Tür [304] und Angel gestanden bin, und gezweifelt habe was ich erwählen sollte. Ob ich preisen sollte was alle preisen, raten was sie alle raten, entschuldigen was sie alle entschuldigen, die Schrift glossieren wie dermalen fast alle große berühmte und mit dem Schein der Heiligkeit und Weisheit angezogene Männer sie glossieren, oder ob ich jene unfruchtbare Werke der Finsternis mannlich anklagen und bestrafen sollte. Ob ich mit dem großen Haufen ein gemächliches Leben führen und nach Ehren und Pfründen streben, oder außer dem Lager herausgehen, der lautern heiligen evangelischen Wahrheit anhangen und die Armut und Schmach Jesu Christi tragen solle. Ich sage es frei, daß ich zwischen Tür und Angel gestanden, und gezweifelt habe. Darum habe ich zu Gott, dem Vater unsers Herrn Jesu Christi, treulich gebetet. Meine Bibel habe ich über mich in den Händen gegen ihn aufgehaben, und mit Mund und Herz ge rufen: O Gott mein Herr, und Meister meines Lebens usw.«

B.: Oh, laß mich mehr von dem Huß hören.

A.: Was willst du von ihm hören? – Da er Lehrer einer geoffenbarten Religion war; so dünkte er sich nicht selbst klug, und glaubte an eine größere Weisheit, die dem Menschen anderswoher kommen muß. »Die Heilige Schrift«, sagte er, »ist durch den Heiligen Geist den Männern Gottes eingegeben; ebenderselbige Geist muß sie auch erklären und aufschließen. Wer aus dem Geist geboren worden, der ist versetzet aus dem Tode dieser Welt und des Fleisches in ein neues geistliches göttliches und himmlisches Leben, welches verborgen ist in Gott etc.«

Er hielt fest an die Bibel, und scheute sich nicht, und schämte sich nicht, zu lehren was darin steht. »Christus«, sagte er, »ist das Zentrum der Theologie; wer diesen kennt, den halte man für einen Gottesgelehrten.«

Dabei führte er ein exemplarisches Leben, und Freund und Feind wußten nichts als Gutes von ihm zu sagen, so daß sich auch die ganze Universität zu Prag seiner gegen das Concilium annahm.

B.: Wie hat er sich bei der Exekution betragen?

A.: Sehr gut. Einigen Briefen, die er aus dem Gefängnis an seine Freunde schrieb, sieht man's an, daß er, mit Ehren, wohl wieder los gewesen wäre, auch nicht alle Hoffnung dazu aufgegeben hatte. Als das aber nicht sein konnte, betrug er sich, [305] zwar nicht wie Martyrer die den Himmel offen sehen, aber als ein treuer Freund und Anhänger der Wahrheit, mit großer Gelassenheit und Fassung. Und mich dünkt, dies sei schwerer als jenes.

B.: Erzähle doch sein Ende, ich bitte dich darum.

A.: Das wollte ich gerne tun. Aber, wir rechnen ihn zu uns, und – ich erzählte lieber wenn ihm großmütig begegnet wäre. – Doch was kannst du dazu einige hundert Jahre nachher. Die Guten von euch haben von jeher die Prozedur des Concilii zu Konstanz nicht gebilliget, und wir haben an allen Seiten zu vergeben und zu vergessen.

Ich will also erzählen, wie es erzählt wird.

Sigismund war unruhig ihn verbrennen zu lassen, und ließ mit ihm über einen Widerruf handeln; er aber wollte sich zu nichts verstehen. Da schickte der Kaiser noch den Tag vor der Exekution, oder den 5. Julius 1415, 4 Bischöfe und die 2 böhmischen Barons von Chlum und Duba zu ihm. Huß ward vor den Kerker zu ihnen herausgeführt, und sein treuer Freund der edle Chlum sagte zu ihm: »Lieber frommer Herr Magister, wir ungelehrte Laien können Euch in dieser so wichtigen Sache nicht wohl raten. Sehet derhalben selber zu, ob Ihr Euch der Mißhandlungen, die Euch vom Concilio zugemessen werden, in Eurem Gewissen schuldig befindet. Seid Ihr schuldig; so schämt Euch ja nicht Eure Meinung zu verlassen, und einer bessern Raum zu geben. Gibt Euch aber Euer Gewissen Zeugnis, daß Ihr unschuldig seid; so tut ja nicht wider Euer Gewissen. Ich will Euch auch keine Ursache oder Anlaß dazu geben. Denn Ihr sollt nicht lügen vor dem Angesicht Gottes, sondern vielmehr beständig bleiben bis in den Tod, bei der Wahrheit die Ihr erkannt habt.« Diese Anrede seines treuen Freundes brach ihm das Herz. Er antwortete unter einem Strom von Tränen: »Gott ist mein Zeuge, daß ich gerne weichen und widerrufen will, wenn ich etwas Unrechtes und mit der Heiligen Schrift und Kirchenmeinung nicht Übereinstimmendes gelehrt oder geschrieben habe. Ich begehre nichts mehr, als daß ich aus göttlicher Schrift gründlicher und eines Bessern möge unterwiesen werden. Wenn sie das tun, bin ich bereit, alsobald zu widerrufen.«

Den folgenden Tag frühe versammlete sich das ganze Konzilium in der Domkirche. Der Kaiser erschien mit den Reichsfürsten und der ganzen Ritterschaft, und setzte sich auf seinen [306] Stuhl unter einer goldenen Krone: an der einen Seite stand Kurpfalz mit dem Reichapfel, Burggraf Friederich von Nürnberg mit dem Schwert an der andern; und, neben den Kardinälen, Erz- und Bischöfen, Prälaten, Mönchen, Doktoren etc., war eine unzählige Menge Volks beisammen. Der Erzbischof von Gnesen, Nikolaus, hielt die Messe, und nach vollendeten Amt ward Huß, der aus seinem Gefängnis im Minoritenkloster geholt war und bis dahin draußen im Vorhof hatte warten müssen, vor diese große Kirchenversammlung hereingeführt. Man stellte ihn auf einen etwas erhabnen Ort, damit er von jedermann könnte gesehen werden. Hierauf las der Bischof von Konkordien das zuvor vom Concilio abgefaßte Dekret ab: daß niemand in der Session durch Mürmeln oder ander Getöse mit Händen oder Füßen, auch nicht Disputieren, Verteidigen etc. die Redenden stören sollte; und darauf stieg der Bischof von London auf die Kanzel, und hielt eine lateinische Rede über Röm. VI, 6, und forderte darin zugleich den Kaiser auf: die Ketzereien zu zerstören und sonderlich den hier stehenden verstockten Ketzer etc. Huß lag indes auf seinen Knien, und befahl sich Gott zum Sterben. Darauf wurden von dem Bischof von Konkordien die aus Hußens Schriften ausgezogene s.g. Ketzersätze vorgelesen. Huß wollte antworten; der Kardinal Emmerich hieß ihn aber schweigen. Huß wollte wieder reden; und man gebot den Schergen und Soldaten, ihn nicht reden zu lassen. Da hob er seine beiden Hände gen Himmel und sagte: »Ich bitte Euch, um des allmächtigen Gottes willen, Ihr wollet doch unbeschwert meine Antwort anhören, daß ich mich doch nur bei denen die umherstehen entschuldigen, und ihnen den Argwohn wegen meiner vermeinten Irrtümer benehmen möge.« Und als es ihm abgeschlagen ward, fiel er mit gen Himmel gerichteten Augen und Händen auf die Erde nieder.

Darnach las der Bischof von Konkordien die endliche Sentenz ab: »daß erstlich Hußens Schriften sollten verbrannt, und er, als ein öffentlicher schädlicher Ketzer und böser halsstarriger Mensch, seines priesterl. Standes schmählich sollte entsetzet und gänzlich degradiert und entweihet werden.« Der Ausspruch wurde sogleich vollzogen und mit der Degradation der Anfang gemacht.

Der Bischof von Mailand, mit 6 andern Bischöfen, führten [307] Hußen zu einem Tisch, darauf Meßgewand und andre priesterliche Kleider lagen und kleideten ihn an, und als er angekleidet war, in vollem priesterlichen Schmuck und mit dem Kelch in der Hand, vermahnten ihn die Bischöfe noch einmal: er solle nicht halsstarrig bleiben, sein Leben und Ehre bedenken und von seiner Meinung abstehen. Huß sprach darauf vom Gerüst herab zu dem Volk mit großer Bewegung:

»Diese Herren Bischöfe vermahnen mich, ich solle vor euch allen bekennen daß ich geirret habe. Wenn es nun eine solche Sache wäre, daß sie mit eines Menschen Schmach geschehen könnte, möchten sie mich leicht bereden. Nun aber stehe ich vor dem Angesicht meines Gottes, daß ich ihnen nicht willfahren kann, ich wollte denn mein eigen Gewissen verletzen und meinen Herrn im Himmel schmähen und lästern. – Sollte ich die, die ich unterwiesen und gelehret habe, itzo durch ein böses Exempel betrüben und irremachen? – Ich will's nicht tun.«

»Steig herab vom Gerüst«, riefen nun die Bischöfe; und als er herabgestiegen war, fingen sie an, ihn zu entweihen. Der Bischof von Mailand und der von Bisont traten herzu, und nahmen ihm den Kelch mit den Worten ab: »O du – da nehmen wir den Kelch von dir, in welchem das Blut J.C. zur Erlösung geopfert wird; du bist sein nicht wert.« Huß antwortete getrost und laut dagegen: »Ich aber habe meine Hoffnung und Vertrauen gesetzt auf Gott den allmächtigen Vater und meinen Herrn und Heiland Jesum Christum, um welches Namens willen ich diese Schmach leide, und glaube gewiß und beständig, daß er den Kelch des Heils nimmermehr von mir nehmen werde, sondern daß ich denselben mit seiner Hülfe noch heute in seinem Reich trinken werde.« Hierauf traten die andern Bischöfe herzu, und nahmen jeder ein besonderes Stück der priesterl. Kleidung mit obigem Fluch. Als sie mit den Kleidern fertig waren, sollte ihm die Krone, oder geschorne Platte auf dem Haupte, zerstöret werden; es entstand aber ein Streit: ob mit einem Messer oder einer Schere. Huß sahe dabei den Kaiser an, und sagte: »Es ist doch sonderbar; hart und grausam sind sie alle, aber über die Art und Weise sind sie nicht einig.« Endlich und als er völlig entweiht war, setzte man ihm eine fast ellenhohe Papierkrone auf, mit gemalten Teufeln, u. der Umschrift etc. etc. Erzketzer. Und nun wandten sich die Bischöfe an den [308] Kaiser, und sagten: »Das H. Konzilium zu Konstanz überantwortet itzo Johann Hußen, der in der Kirche Gottes kein Amt noch Verwaltung mehr hat, der weltlichen Gewalt und Gericht.«

Der Kaiser stand auf und nahm den ihm übergebenen Huß an, und sprach zum Pfalzgrafen Ludwig: »Dieweil wir, lieber Oheim und Fürst, das weltliche Schwert führen die Übel zu strafen; so nehmt hin diesen Johann Huß, und laßt ihm in unserm Namen tun was einem Ketzer gebühret.« Dieser legte seinen fürstl. Ornat ab, nahm Hußen und füh- rete ihm dem Vogt von Konstanz zu, und sprach zu ihm: »Auf unsers gnädigsten Herrn des Römischen Kaisers Urteil und unsern sonderlichen Befehl, nehmet diesen Magister Huß hin und verbrennet ihn als einen Ketzer.« Der Vogt übergab ihn dem Nachrichter und seinen Knechten, und befahl ausdrücklich: daß sie ihm seine Kleider nicht ausziehen, noch ihm Gürtel, Säckel, Geld, Messer oder was er bei sich trüge, abnehmen, sondern ihn samt allem was er an sich habe verbrennen sollten. Und so ward er hingeführt.

Als er auf dem Gerichtsplatz ankam, kniete er nieder und betete. Von solchem Gebet ließ ihn der Pfalzgraf durch die Henker aufnehmen, und dreimal um den Holzstoß herumführen. Er nahm darauf von seinen Hütern Abschied, und nun griffen die Henker zu, und banden ihn an einen Pfahl mit fünf Stricken, über den Füßen, unter den Knieen, über den Knieen, mitten um den Leib, und unter den Armen, und mit einer Kette um den Hals. Hiebei fiel ihm die Papierkrone ab auf die Erde, und er sahe hin nach ihr und lächelte. Der Henker setzte sie ihm aber bald wieder auf, und legte rund um ihn, bis an seinen Mund, Reißig und Stroh, und die bekannte Sancta-Simplicitas-Frau raffte mit zusammen, und legte mit an. Ehe das Feuer angezündet ward, ritte der Pfalzgraf Ludwig und der Reichsmarschall von Pappenheim noch einmai an ihn heran, und ermahnten ihn: er wolle noch itzo sein Heil bedenken und seine Irrtümer widerrufen. Da fing Huß mit lauter Stimme aus dem Holzhaufen an: »Ich rufe Gott zum Zeugen, daß ich das, was sie mir durch falsche Zeugen aufgebürdet, nicht gelehret oder geschrieben habe; sondern ich habe alle meine Predigten Lehren und Schriften dahin gerichtet, daß ich die Menschen möchte von Sünden abwenden und Gott in sein Reich führen. Die Wahrheiten, [309] die ich gelehret, geprediget, geschrieben und ausgebreitet habe, als die mit Gottes Wort übereinkommen, will ich halten und mit meinem Tode versiegeln.«

Sie schlugen darauf in die Hände, und ritten davon.

Als der Henker das Feuer anzündete, sang Huß ein Stück aus dem Nikänischen Glaubensbekenntnis, und, da die Lohe gegen ihn schlug, betete er laut: »Christe, du Lamm Gottes, erbarme dich mein!« und noch einmal: »Christe, du Lamm Gottes, erbarme dich mein!« Und als er zum drittenmal anfangen wollte, trieb der Wind den Rauch und die Flamme ihm grade ins Gesicht, und nahm ihm die Sprache. Er bewegte noch die Lippen und den Kopf einige Minuten, und – war tot.


Friede sei mit deiner Seele, du treuer frommer Priester! Du vertrautest der Wahrheit. Und hast du sie hier nicht erkannt; so wirst du sie nun erkannt haben, und nun erkennen. Denn du suchtest sie, und nicht das Deine.

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TextGrid Repository (2012). Claudius, Matthias. Gedichte und Prosa. Asmus omnia sua secum portans. Fünfter Teil. Gespräche, die Freiheit betreffend. Gespräche, die Freiheit betreffend. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-55B0-E