[438] Drittes Buch

Größere Dichtungen und Zyklen.

Sigün. Eine Sage von der Treue

Den Göttern und den Menschen war er gleich verhaßt,
Der alles Unheil unter ihnen stiftete,
Der böse Loki, der Verderber ränkevoll,
Des Feuers falscher Gott, und, wie die Flamme selbst,
Als Feind verderblich und gefährlich auch als Freund.
Gefallen war Baldur, des Lichtes schöner Gott,
Der aller Wesen höchste Lust, durch Lokis Neid:
Beschimpft hatt' er die Götter all' und Göttinnen,
Als festlich sie ein frohes Friedensmahl vereint,
Mit frecher Bosheit jedes Gottes Heimlichkeit
Und Schwäche, die man liebevoll vergißt, ans Licht
In gift'ger Lästerrede ziehend schadenfroh.
Da war kein Friede, den er frevelnd nicht verletzt,
Kein Band der Treue, das er tückisch nicht zerriß. –
Nun endlich war der Zorn der Götter gegen ihn
Entbrannt: sie schwuren, nimmer sich des Mahls zu freu'n,
Der Ehe Liebgewöhnung nicht zu pflegen mehr,
Und nicht des Waffenspieles Lust mehr in Walhall,
Bis daß nicht Loki alle seine Schuld gebüßt
Und jeden Frevel in gerechtem Strafgericht:
Sie setzten schutzlos ihn aus Frieden, Bann und Recht,
Er ward aus der Gemeinschaft der Unsterblichen
Und aus der Menschen Lieb' und Ehrfurcht ausgetan.
Geächtet floh er scheu in ödes Felsgebirg
Und alle Götter folgten rächend seiner Spur,
Des Urteilspruches Richter und Vollstrecker auch.
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Verlassen hatt' er ungewarnt sein Weib, Sigün:
Die pflegte treu des Hauses, bis der Ehgemahl,
– So glaubte sie – heimkehrte von der Wanderfahrt.
Und als sie einmal morgens früh zur Hahnenkraht,
So wie sie täglich pflog, aufschaute von der Tür nach ihm,
Sah sie zum Hause schreiten von dem Hügel her
Zwei Götter: an dem goldnen Halsgeschmeid sogleich
Erkannte sie der Ehe Göttin, Frigga selbst,
Und an dem Hammer auf der Schulter Asa-Thor. –
Sie trat den Gästen gastlich näher sieben Schritt
Und bot die Hand zum Gruß und lud, ins Haus zu gehn:
Doch Frigga hob den rechten Arm und wies sie ab,
Das Haupt stumm schüttelnd: aber Thor begann:
– »Das hoffe nicht, daß unser Fuß das Haus betritt,
Das zu zerbrechen wir hieher gekommen sind.«
Und mit dem Wort warf er den Hammer hoch im Schwung,
Daß in des Haustors heilig Holz er schmetternd schlug,
Die Eichenplatte ganz zertrümmernd, die er traf.
Entsetzt zur Schwelle wich Sigün zurück und sprach:
– »Du wagtest solchen Frevel nicht, so stark du bist,
Wär' Er zur Hand, der mein und dieses Hauses Herr.
Des Hauses Frieden, Thor, hat dieser Wurf verletzt.
– »Du irrst! Denn Lokis Haus hat keinen Frieden mehr!
Geächtet ist dein Gatte durch der Götter Spruch,
Zum Feind gesetzt für alles, was da Odem hat,
Sein Haupt ist rechtlos wie des Wolfes: dies sein Haus
Hat, wie des Raubtiers Höhle, keinen Frieden mehr,
Und wer ihn findet, mag ihn schlagen ungestraft.«
Da brach Sigün vor ungeheurem Schmerz ins Knie,
Und barg das Antlitz in dem wunderschönen Haar,
Das wie ein goldner Strom ihr reich vom Haupte floß.
Doch plötzlich sprang sie auf und strebte, fort zu fliehn.
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– »Wohin?« – rief Thor und hielt am Arm die Zarte fest.
– »Du frägst? Du frägst? Zu ihm! ihn will ich suchen gehn,
Zu warnen ihn vor euch und eurer Grausamkeit,
Und mit ihm flüchten bis zum letzten Rand der Welt.« –
– »Zu spät!« – rief Thor – »Schon ist er in der Götter Hand!
Nach mancher List ergriff ihn endlich dieser Arm,
Zwang ihn zu stehn und gab ihn preis dem Strafgericht.«
Da warf Sigün sich hin vor Frigga: beide Knie'
Umschlang sie weinend ihr und rief: – »Du bist ein Weib!
O führe mich, wo ich sein Schicksal teilen mag.«
Und Frigga hob gerührt empor die Flehende,
Indessen Thor mit seinem Hammer Schlag auf Schlag
Des Hauses feste Pfosten schmetternd niederriß:
Es fiel gemach der Bau und von den Felsen her
Erscholl der ungeheuren Streiche Widerhall. –
Doch Frigga faßte der Betrübten Kinn und sprach:
– »Sigün, stets hab' ich deinen edeln Sinn erkannt,
Und dein Gemüt ob seiner tiefen Art geehrt,
Und hab' auch jetzt dich nicht, wie alle Göttinnen,
Verlassen, sondern komme liebevoll zu dir.
Denn jeden Schmerz – das weiß ich – mehrt Verlassenheit! –
In dunkler Stunde komm' ich an des Unglücks Ort,
Um dich zu warnen, daß du nicht dein eigen Los
Verflechten magst in des unsel'gen Mannes Geschick.
Gefangen liegt er, in ergrimmter Feinde Hand, –
Ein grauenhafter Fluch ist auf sein Haupt gelegt, –
Daß alles Gut, das jeden freut, der Odem hat,
Nur ihm zum Bösen und zum Gifte sei verkehrt, –
Und alles jedem Glücklichen Verhaßteste
Soll überströmen maßlos auf sein schuldig Haupt. –
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Sein harren Qualen, wie bisher sie keiner trug: –
Als er den Fluch gesprochen, graute Odhin selbst: –
Und dieses Fluches Geißel trifft – bedenke das! –
Nicht nur ihn selbst, nein, jedes Wesen, welches nicht,
Wie alle sonst, ihn von sich ausgestoßen hat.
Verlassen hat ihn Vater, Mutter, Bruder, Schwester
Und jeder Freund: denn alle hat er schwer gekränkt
Und alle scheuen jenes Fluchs Gemeinsamkeit. –
Der Sonnenstrahl, der sich zu ihm verirrt, entflieht
Entsetzt, daß ihm der Fluch den Glanz nicht raube, –
Und jeder Windhauch biegt in weitem Umweg aus,
Daß ihn sein Atem nicht vergifte – –: doch, Sigün,
Du hörst mich nicht – was sinnest du so starren Blicks?«
– »Sprich, Frigga, ist kein Mittel, das ihn retten kann?«
– »Nicht Eines!« – »Nun, so führe mich zu ihm in Eil'.« –
– »So hast du alle meine Worte nicht gehört?«
– »Ich hörte sie! Sie mahnen mich, zu ihm zu geh'n!
Du Armer, den der Weltenkreis verstoßen hat,
Den Vater, Mutter, Bruder, Schwester, Freund verließ, –
Von deinem Weib sollst du nicht auch verlassen sein!«
– »Rechtfert'gen willst du noch den Allverderblichen?
Sprich, welches Heil'ge hat er nicht verletzt?« – – »Halt ein!
Ich kann ihn nicht verteid'gen: – darum ziemt mir nicht
Zu hören zwecklos des Gemahls Beschuldigung.
Und hat er alle Wesen sonst verletzt – nicht mich!«
– »Ha, Törin! welche Gattin trüge sonder Groll
Des Gatten ew'ger Wanderschaft Lieblosigkeit?
Viel weißt du, wie er Treue dir gehalten hat,
Der wüste Gast der Elben er und Riesinnen!«
Da hob Sigün sich königlich empor und sprach:
– »Halt, Frigga, – Still! Du bist des Himmels Herrscherin
Und stolz durch alle Welten geht dein Machtgebot,
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Doch jede fremde Macht ist machtlos in dem Kreis,
Dem heil'gen, welchen Liebe zieht um Mann und Weib.
Ich bin allein des Gatten Eherichterin,
Und wer verdächtigt ihn, spricht ihn die Gattin frei?
Genug! Zu ihm! Sein Los ist meins; ich bin sein Weib!«
– »Mitnichten mehr! Glaubst du, dem Wolf, dem alles Recht,
Dem alles, was sonst Lebende verbindend freut,
Durch Richterspruch entzogen ist auf immerdar,
Dem lasse man der Ehe heilig Recht bestehn?
Ich selbst, des ehelichen Herdes Schützerin,
Zerbreche dieses Band, gleichwie den dürren Halm
Hier meine Hand zerbricht, und mit dem Hammer Thors,
Der euren Bund geweiht, entweihend lös' ich ihn,
Als hätt' er nie bestanden! – Sieh: so bist du frei.« –
Wehmütig lächelnd sprach Sigün entgegen: – »Frei!
Als löste sich in Einem Augenblick das Band,
Das tausend wonnesüße Augenblicke fest,
Unlösbar fest genietet haben um ein Paar!
Wer trennt im Himmel und auf Erden Mann und Weib?
Nichts, als sie selbst! – Und auch sie selbst nicht völlig mehr!
Wer kann den Tropfen Bluts, der in den Adern rollt,
Ausscheiden mehr aus seines Körpers Lebensflut,
Wer aus dem Geist genoss'nen Glücks Erinnerung?
Ohnmächt'ge Göttin, sprich: kannst du der Sterne Lauf
Rückwenden, daß gescheh'ne Dinge nicht geschehn?
Du kannst es nicht –: so laß beisammen Mann und Weib!
Und – daß du's weißt – mich zieht nicht kalte Pflicht zu ihm: –
Nein: heiße Liebe! Niemals hab' ich ihn so sehr
Geliebt: nicht als er strahlend kam in Schimmerpracht,
Des Feuerreiches Krone, die glutleuchtende,
Auf seinem stolzen, jugendschönen Lockenhaupt,
In dem Geleit derselben Götter kam, die jetzt
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Ihn hassen, er, der flammenfeurigste der Schar,
Nicht, als zuerst er um mich warb in Glück und Glanz,
Hab' ich den frohen, funkensprüh'nden Bräutigam
Geliebt wie jetzt den Allerweltverhaßtesten,
Der ehrlos, machtlos schmachtet in der Feinde Hand!
Ich weiß, er ist befleckt von jeder Schuld und Schmach: –
Doch stiege heut' der lilienreine Baldur selbst,
Den er erschlug, aus Helas dunklem Reich empor, –
Nicht lichter schiene mir sein Bild, noch lieblicher
Als dieser süße Mann, den alles sonst verflucht!
Denn Liebe hat nicht freie Wahl noch Maß des Werts:
Nein, Herz zum Herzen zieht sie blindlings zwingender
Als jene Kraft, die bindend zieht den Stern zum Stern.
Und hingen alle Götter sich und Göttinnen
An meinen linken Arm, den rechten schläng' ich fest
Um meines Gatten Brust und eher zög' ich euch
Gesamt zu ihm, daß ihr ihm löstet seine Pein,
Als daß ihr mich von ihm zu euch hinüberzögt. –
Und gibst du selbst mir nicht Geleit zu ihm: – wohlan,
Ich such' ihn, einsam wandernd, durch die weite Welt:
Nicht rasten soll mein müder Fuß, bis ich ihn fand,
Und bis sein vielgequältes Haupt im Schoß mir ruht.« –
Sie wandte sich zu geh'n: noch einen letzten Blick
Warf auf des Ehehauses Balken sie zurück,
Die nun zertrümmert lagen, ordnungslos zerstreut,
Und züngelnd schlug ringsum die Flamme schon empor,
Die Thor mit letztem Hammerschlag darin entfacht.
Thor kam herbei, bot ihr die Hand und sprach gerührt:
»Sigün, nicht zürne mir um das, was du hier schaust.
Nicht ich, dein Gatte selber hat sein Haus zerstört:
Denn wer das Böse tut, will seine Strafe selbst!
Du aber hast – wohl hab' ich, was du sprachst, gehört –
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Mit deiner großen Treu' mein ganzes Herz bewegt,
Und ging es gegen Schicksal nicht und Nornenspruch, –
Verzeih'n wollt' ich um deinetwillen seine Schuld
Und dieser Arm, der ihn bezwang, sollt' ihn befrein!
Ich darf es nicht: – doch führen will ich dich zu ihm –
– Der Falsche hat es nicht verdient um Asathor –
Doch dir zuliebe werd' ihm deines Anblicks Trost.«
Und treulich stützend führt er fort die Wankende,
Mit sanftem Zuspruch tröstend ihr verzweifelnd Herz:
Und sorglich hob der sonst so ungestüme Gott
Des Todfeinds Weib sanft über jeden Stein am Weg. – –
Und Frigga sah dem Paare lange sinnend nach:
– »Das ist dein reiches, weiches Herz, mein Donnergott!
Zum höchsten Zorne leicht empört im Augenblick
Und nach dem Sturm mildgütig wie kein andrer Gott! –
Hat doch dies Weib mir selbst das stet're Herz bewegt!
Wen noch ein Wesen lieben kann mit solcher Treu',
Der kann nicht ganz und immerdar verloren sein. –
Ich will hinauf zu Odhin geh'n, zum Zwiegespräch:
Viel willigt mir des Gatten Seele zu, wann ich
Ihm Kinn und Wange streichle mit der weichen Hand,
Und sühnen Männerzwist, ist – dünkt mich, – Frauenpflicht.«
Sie sprach's und ging, und suchte, wo sie Odhin fand,
Verschließend hinter sich Walhallas goldne Tür. –
Thor und Sigün, die zogen manchen Tag indes,
Bis sie gelangten an ein finstres Felsgebirg':
Da sprach Thor: – »Nun, Sigün, nun fasse dich in Kraft,
Denn schwere Strafe wurde Lokis schwerer Schuld:
Er sollte fest gebunden sein und schmerzlich auch: –
Was er zu dulden trägt, das trage du zu schau'n.«
Und so gewarnet schlug sie scheu die Augen auf, –
Und brach zusammen gleich mit einem Weheschrei:
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Denn sie erblickte ihren heiß geliebten Ehgemahl
Und seiner grauenvollen Strafe Qual zugleich:
In dunkler Bergeshöhle lag er ausgespannt:
Und auf drei harte Felsen war sein Leib gestreckt:
Auf Eine Felsbank war der Hals geschmiedet ihm,
Auf einer zweiten lag der starken Hüften Wucht,
Und auf der dritten Felsenkante waren ihm
Die beiden Knie' genietet mit dem Band von Erz,
Und schwere Eisenklammern hielten links und rechts
Die ausgespannten beiden Arme zwängend fest:
Doch über seinem Antlitz, in der Höhle Dach,
Da war ein giftgeschwoll'ner Wurm befestiget,
Der seinen Geifer ätzend scharf ihm träufelte
Ins Angesicht, dem stöhnend wehrlos Duldenden,
Und wo ein Tropfe nur davon daneben glitt,
Zerfressen ward der Felsen von dem scharfen Gift. –
Da, als Sigün den Jammervollen dulden sah,
Den blüh'nden Leib entstellt, zerfleischt und ausgerenkt,
Von Blut und Gifte triefend, wirr sein Haargelock,
Und aus der Stirn vor Schmerz gepreßt die Augen starr,
Dieselben Augen, die sie oft zu Ruh' geküßt,
Wann sie des Blickes heißes Feuer nicht mehr trug, –
Als sie das alles sah, da schrie sie überlaut:
– »O Loki, mein Gemahl! O wehe, weh' um dich!« –
Und auf die Erde schlug ihr Antlitz dumpfbetäubt;
Und Thor, um diesen Jammeranblick nicht zu schau'n,
Der wandte sich, den Arm auf einen Fels gestützt,
Und sah mit Schweigen in die Ferne. – Aber als
Des treuen Weibes Stimme Loki nun vernahm,
Da regte sich sein Leib trotz Fels und Eisenband,
Gleich einer Meereswoge hob sich seine Brust,
Und wie aus seiner Seele tiefstem Grund hervor
Drang ihm ein Stöhnen, furchtbar, herzzerreißend schwer.
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Das weckte rasch Sigün aus ihrem dumpfen Schmerz,
An seine Seite flog sie schnell und kniete sich
Und schlang die Arme fest um des Gequälten Leib
Und drückte fest die Lippen auf den bleichen Mund. –
Und als ihr Fuß der grausen Höhle Raum betrat,
Da wichen von ihr plötzlich Licht und Sonnenschein,
Des Windes reiner Atem folgt' ihr nicht hieher
Und auf das Herz fiel ihr des schweren Fluches Last,
Den sie nun völlig teilte mit dem Ehgemahl,
Der sie von allen frohen Wesen ewig schied. –
Und Loki sprach – und jedes Wort war schmerzerkauft:
– »Du hier – Sigün! Du treu dem Allverlassenen!
Weh mir! Dein Anblick brennt mir tiefer in das Herz,
Als Gift und Ketten fressen in den morschen Leib.« –
– »Warum betrübt mein Anblick dich, geliebter Mann?« –
– »Weil ich nicht solche Treu' um dich verdient, mein Weib!
Du bist die einz'ge, welche Loki Treue hält,
Und doch von allen Wesen hat er keins wie dich
So schwer gekränkt mit unerhörtem Treuebruch!
Den andern hab' ich großen Schaden zwar getan –
Sie waren Feinde, – wo nicht, Freunde nur, und ich
Gehorchte meiner angebornen Eigenschaft,
Wenn ich mich freute fremden Schadens und ihn schuf:
Denn wenig Völlig-Gutes gibt es in der Welt:
Und mir verlieh Natur den Blick fürs Böse nur
Und zu enthüllen alle Unvollkommenheit
Und mich zu freu'n, deckt' ich sie schmerzlich auf:
Du aber warst vollkommen stets in Lieb' und Treu',
Mein böser Blick sogar sah keinen Fehl an dir, –
Und dennoch, dennoch hab' ich dich verraten auch!«
Und er verstummte seufzend und sah fort von ihr.
– »Was hast du mir gefehlt, mein Ehgemahl, sag' an?« –
– »Ja, sagen will ich's und erleichtern meine Brust:
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Nicht nehmen will ich unverdiente Treu' von dir:
Dich bindet keine Pflicht an dieses falsche Herz,
Das sollst du wissen und sollst dann von hinnen gehn,
Von aller Lieb' und Sorg' für mich auf immer frei:
Gebrochen hab' ich dir des Ehebundes Treu: –
Schon lang hast du vermisset deinen Hochzeitsschmuck: –
Den Brautring, Busenspang' und Gürtelbund von Gold: –
Ich selber stahl es nachts dir unterm Kissen weg,
Und warf's der Riesin Angurboda in den Schoß,
Die solchen Preis begehrt für ihre Liebesgunst. –
Und nun ich diesen Frevel dir gestand, laß mich
Dir nur noch künden dieses allerletzte Wort:
Für alle Schuld, der Götter mich und Menschen zeih'n,
Hat keine Reue noch mein starkes Herz bewegt,
Und hüb' ich heute frei von vorn mein Leben an,
Und säh' ich alle diese Qual als Lohn voraus: –
Ich ließe keine meiner Taten ungetan! –
Doch deine Lieb' und Treue rührt mein hartes Herz,
Und könnt' ich machen jenen Treubruch ungescheh'n, –
Reukaufen wollt' ich ihn um jeden höchsten Preis,
Ich wollte selbst vor jenen mich demütigen,
Vor Thor und Odhin, die mich angeschmiedet hier.
Nun geh, Sigün, laß den Verräter einsam hier,
Nicht würdig bin ich deiner reinen Gegenwart. –«
Sie aber, seit er Angurbodas Namen sprach,
Hatt' ihre Arme schaudernd losgemacht von ihm
Und beide Hände fest gedrückt vors Angesicht,
Als sollt' ihr Aug' erblinden nun für immerdar.
In hartem Krampf hob sich ihr Busen ungestüm,
Solang er sprach: es war, als sprang ihr Herz entzwei.
Doch als er nun verstummt, sah sie auf sein Gesicht, –
Sein Auge war geschlossen – seinen Mund umzog
Ein Zucken höchsten Schmerzes: – »Loki« – rief sie laut –
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Ich liebe dich – dein Los ist mein's – ich bin dein Weib.«
Und warf mit beiden Armen sich auf seine Brust,
Und küßte seinen leichenblassen Mund. Er schwieg, –
Und durch die martervolle Felsenhöhle ging's
In beider Schweigen wie holdseligste Musik. – –
Nun aber nahm Sigün der gift'gen Natter wahr,
Und sah die Schmerzen, die ihr scharfer Geifer schuf,
Und schnell entschlossen wölbte beide Hände sie,
Gleichwie zur runden Schale, undurchdringlich fest,
Und fing abwehrend so die gift'gen Tropfen auf,
Die nun gesamt, statt in des Gatten Angesicht,
In ihre weichen Hände fielen: einmal nur
In ungeheurem Schmerze zuckte ihre Hand,
Und dann nicht mehr. – Ein selig Lächeln zog
Um Lokis Mund, als er verspürt die Linderung:
– »O habe Dank« – sprach er – »du treues, süßes Weib!
Das tust du noch an mir, der dich verraten hat!« – –
– »Still« – sprach Sigün – »da draußen stehet Asathor: –
Sie reden allgenug des Bösen schon von dir, –
Nicht wissen sollen sie, was du an mir getan.« –
Und ihre Hände, voll des scharfen Gifts gehäuft,
Entleerte sie und trocknet' sie am goldnen Haar
Eilfertig ab: und bot sie wieder dar dem Gift,
Und fing es auf, wie ein Pokal von Elfenbein:
Denn schön vor allen Göttinnen war ihre Hand. –
Thor aber stand nicht mehr am Felsen: jedes Wort
Hatt' er vernommen von der Gatten Zwiegespräch
Und schon vor Odhin stand er, wo er Frigga fand.
Er rief: – »Bei meinem Hammer schwör' ich Zeugnis ab!
Ich hab' es selbst gehört – ich glaubt' es keinem sonst –
Ein Wunder ist gescheh'n: – denn Loki hat bereut,
Und sie hat ihm verzieh'n, die er zumeist gekränkt.«
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Und Thor nahm Odhins Rechte, Frigga schmiegte sich
An seine Linke, streichend aus den Schläfen ihm
Die dunkeln Locken, die ums vorgebeugte Haupt
Ihm flossen, denn er sah erwägend vor sich hin:
Und nun erhob er weihevoll das ernste Haupt,
Sein Auge fiel auf Lokis Höhle, wo Sigün
Mit frommen Händen schützend dem zu Häupten stand,
Und als sein Blick in milder Rührung glänzte, drang
Ein heller Sonnenstrahl – der erste! – in das Grau'n
Der Höhle und es strich ein Windhauch kühl und rein
Um Lokis Stirn, als Odhins Mund die Worte sprach:
»Es kömmt dereinst ein Tag, der alle Schatten tilgt,
Wann in verjüngter Welt der Gott des Lichtes siegt.
Aus Helas dunklem Reich kehrt Baldur selbst zurück,
In seinem Himmel dann wohnt ausgesühnt mit ihm
Sein Mörder: keine Qual währt in die Ewigkeit.
Fiel ihm vom Herzen erst des Hasses Eisenband,
Dann fällt die Fessel auch, die seine Glieder zwängt:
Erfüllt sein kaltes Herz der Liebe warmes Licht,
Dann wird von Licht erfüllt auch seiner Höhle Nacht.
Seht hin: schon fiel hinein der erste Sonnenstrahl
Und Eine Schuld hat schon dies stolze Herz bereut.
Wir haben's nicht vermocht, ihn auszustoßen ganz:
Die Liebe drang zu ihm, die jeden Fluch besiegt,
Wohin die Liebe dringt, zieht sie die Sonne nach,
Und auf der Sonne Spur folgt auch die Gnade bald:
Nicht kleiner soll fürwahr als eines Weibes Treu'
Die Milde Odhins sein, den man Allvater nennt.«
Und er stand auf vom Thron und streckte väterlich
Die Arme segnend aus, weit über alle Welt:
Und stille ward's umher und durch die Himmel floß
Aus jeder Hand ein Strom von Frieden und von Licht. –

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TextGrid Repository (2012). Dahn, Felix. Sigün. Eine Sage von der Treue. TextGrid Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-6ACB-8