Rose und Goldkäfer

1. Käfers Ende

Ich habe den Traum der Rose belauscht,
der still, vom kühlen Duft umsprüht,
aus ihrer Blumenseele glüht;
ich hab' ihn mit allen Sinnen belauscht,
bis ich berauscht.
Von Sonnenstrahl die Rose träumt,
der sich tags ihr flammend ins Innerste wühlt,
der im Mondlicht nachts sie weich umspült,
der mit schaffender Macht das All durchschäumt;
von ihm sie träumt.
Doch von dem Goldkäfer weiß sie nicht,
der still zum stillen Glutkelch klimmt,
in dem die Sehnsucht zehrt und glimmt
nach ihr, nach ihr. Sie achtet's nicht.
Sein Auge bricht.

[55] 2. Ende der Rose

Es prangt die Rose in stolzer Pracht
und freut sich ihrer Glut und lacht:
Ich hab' die tiefduftigste Seele, ich!
ich bin die Königin sicherlich
von meinen Blumenschwestern.
Ein schimmernder Käfer zur Rose schwirrt;
von Lust, von Liebe er surrt und girrt
der schönen Stolzen, der Alles lauscht
mit jedem Sinn, wenn der Dufthauch rauscht
aus ihrem Feuerkelche.
Und sie neigt sich dem Käfer in kühler Gunst:
Ich kann nicht lieben mit irdischer Brunst,
ich glühe allein dem Sonnenschein,
der das All durchwogt, ins Herz hinein
mir seine Flammen zu gießen!
Und als der dritte Abend nah
und der Goldkäfer wieder zur Rose sah,
von Furcht und Hoffnung still entfacht:
da war die stolze Blütenpracht
verwelkt im Strahl der Sonne.

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Citation Suggestion for this Edition
TextGrid Repository (2012). Dehmel, Richard Fedor Leopold. Rose und Goldkäfer. TextGrid Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/