[83] [85]Vorgänge: 2.

[85] 1.

Zwei Menschen reiten durch maihellen Hain,

galopp, galopp, von Schatten zu Sonnenschein;

alle Blätter sind grüne Flammen.

Wenn der Himmel erscheint, wenn die Pferde aufschnauben,

sehn sich die Beiden mit jauchzenden Augen

immer wieder beisammen

und werfen den Kopf wie die Tiere.

Immer wieder streckt durch die goldnen Strahlen

auf dem schmalen

Moosweg zwischen den hohen Stämmen

dann ein dunkler Schemen

halb Chimäre halb Drache

[86] hopp alle Viere.

Da müssen sie lachen

und werfen dem Untier Kußhände zu.

Und das Weib kann den Jubel nicht länger dämmen,

laut scheucht ihr Ruf die Mittagsruh:


Echo! Echo! stimm ein, stimm ein –

es wollt eine Seele sich befrein,

da band das Glück ihr die Hände!

O Meiner, hilf mir die Arme breiten!

halt mich gefangen, du, ohne Ende!

ach könnt ich ewig so weiter reiten!


Und der Mann, plötzlich die Sporen gebend,

in die Brusttasche greifend, im Sattel sich hebend,

jagt vor ihr her fort:


komm, ich nehm dich beim Wort!

Und wenn ich die Freiheit drüber verliere:

hier – es lebe die Tat – ist das nöt'ge klein Geld!

voilà, madame: Banknoten! – gelt:

die sind doch mehr wert als Archivpapiere?!


Er schwenkt die blauen Lappen in der Sonne;

er lacht, daß ein fast schreckhaft Echo gellt.

Sie hat kaum zugehört vor Frühlingswonne.

Aufbäumend gleißt ihr Rappe in der Sonne;

zwei Menschen reiten in die Welt.

[87] 2.

Und sie machen Halt und lugen aus.

Da liegt, von Epheu eingehüllt,

im Kiefernhochwald still ein kleines Haus;

die graue Lichtung ist erfüllt

vom kühlen Duft des Morgentaus.

Der Mann blickt lange auf die beiden Linden

am moosbedeckten Zaun des alten Herdes.

Dann greift er in die Mähne seines Pferdes

und nimmt ein Haar und übergiebt's den Winden:


Sieh, Meine, so werf ich hinter mich,

was uns noch scheidet durch Erinnerungen.

Dort halten Zwei in treuen Armen sich,

[88] die träumen jetzt vielleicht von ihrem Jungen,

wie er sein Kind herzt, väterlich.

Sie haben Alles in mir großgehegt,

wodurch sich Menschenseelen glücklich schätzen;

doch wüßten sie, welch Glück mich jetzt bewegt,

und welches Leid es Andern auferlegt,

sie würden sich vor ihrem Sohn entsetzen.


Er blickt kalt weg, er lächelt befangen.

Das Weib hebt facht vom Sattelknauf die Hand.

Sie hat das Haar im Flattern aufgefangen;

sie hält's wie zum Zerreißen gespannt.

Nun reicht sie's ihm zurück mit fröstelnden Wangen:


Nein, Lux: so leicht verwirft man nicht.

Was hilft dein Lächeln – ich seh dein wahres Gesicht;

uns scheidet Alles, was uns nicht gesellt.

Du willst mir helfen, mich in mein Schicksal schicken;

wohlan! so zeige mir mit immer wärmeren Blicken

versöhnt die Zwietracht dieser Welt!


Da fliegt ein Glanz rings übers Haidekraut:

die Sonne kommt durchs Holz. Ein Hund giebt Laut;

ein Ruf hallt jenseit des Geheges.

Das Haar entweht. Hell dräut das Hirschgeweih

vom grauen First der Försterei;

zwei Menschen reiten eilends ihres Weges.

[89] 3.

Und auf einer Landstraße begegnet ihnen

eine Heerde Schafe, vom Abendrot beschienen;

sie müssen durch den Staub.

Der lahme Hirt hebt besorgt seinen Stecken,

daß die Pferde wie rasend vor der Mißgestalt erschrecken,

aus den Zügeln gehn, hussa, quer durch den Haufen.

Hinter ihnen her lärmt's blökend und blaffend,

eine Weile – dann stoppt der tolle Ritt;

sie zwingen die Gäule zum spanischen Schritt.

Und das Weib sagt lächelnd, die Schleppe raffend:


Als ich gestern den Brief – du weißt – abschickte,

da wurde mir auf einmal klar,

[90] wie dienlich der goldne Käfig mir war,

in dessen Luft ich beinah erstickte.

Wie hat diese Luft mir doch erst eingegeben,

was es bedeutet, sich ganz ausleben:

ganz in ein andres Leben hin!

Wie kann ich jetzt in jedem Baum aufgehen:

das Wachstum jeder Blüte läßt mich sehen,

was du mir bist, was ich dir bin!

Wie glänzt mir selbst der Krüppel dort im Staube:

er ist so eins mit seinen Hunden

wie Gott mit seiner Welt! – Ich glaube,

das hätt ich früher nicht empfunden.


Früher – nickt der Mann, und klemmt die Kandare herunter,

denn sein Blauschimmel halst nach ihrem Rappen,

als wollten sie wieder durch die Lappen –


Aber weißt du: steig lieber nicht weiter hinunter

in diese Welt der einfachen Seelen –

sonst möchte dir Eins an ihrem Gottglück fehlen:

sie gehn nicht auf darin, sie gehn drin unter –

unwissend! – Ja: gottlob: nicht Einen Tag

wärst du im Stande, zwischen diesen Viehern

dich auszuleben – oder sag:

möchtest du Tiere zu Erziehern?


Zwei Menschen lachen; zwei Pferde wiehern.

[91] 4.

Und es führt ein Wildsteg durch Farrenkraut bergan.

Über Moos und Felsen schlüpft hüpfend das Licht

und blitzt im Dickicht; fern ruft ein Kuckuk.

Und es sprudelt ein Wasser durch tiefen, tiefen Tann;

da sitzt ein nacktes Weib, das Kränze flicht,

Kränze um einen glitzernden Mann.

Der singsangt:


Vor der Nixe vom Rhein kniet der Kobold vom Rhin

und bringt schön bang seine Brautschätze dar:

blaue Blumen, die nur im Freien blühn,

Männertreu, Pferdefuß, Jungfer im Grün,

und zur Hochzeit ein stumm Musikantenpaar:


[92] Unke, die munkelt nur,

Glühwurm karfunkelt nur:

Ellewelline, husch, tanze danach!

Ein Herr Eidechs hatte einmal zwei Frauen,

denen er sehr am Herzen lag:

eine, der gab er sein tiefstes Vertrauen,

darauf lief er der andern nach.

Ellewelline, tanz Serpentine,

schwarz ist die Nacht, und bunt ist der Tag!


Und der Kuckuk ruft, und der Bergquell sprudelt;

und das dunkle Weib bekränzt ihr schwarz Haar.

Und sie summt – und das Licht in der Welle strudelt

kühl und warm, wirr und klar –:


Ellewelline tanzt Serpentine,

o ja, Herr Eidechs, sonderbar!

Sie schwamm eines Nachts um den Nixenstein:

da konnt sie den ganzen Tag Kobolde frein,

jeden Tag ein paar,

macht fast tausend im Jahr.

Aber ans Ufer kam einfach ein Mann:

der hatte blaue Schuh, blaue Himmelschuh an –

Amen!


Und der Kuckuk ruft, als fänd'er kein Ende;

da falten die zwei Menschen die Hände.

[93] 5.

Und es liegt ein Strom im Tal, und Nebel steigen;

der Strom glänzt gläsern und scheint stillzustehn.

Aus grüner Dämmrung dehnen und verzweigen

die Wälder sich zu hundert blauen Höhn.

Ein dunkles Schloß wiegt zwischen seinen Giebeln

den großen goldnen Mond; zwei Fenster glühn.

Und drunter winden sich an Rebenhügeln

die Lichter kleiner Städte hin.


Dort – sagt das Weib und weist mit der Gerte

von ihrem Pferd ins Zwielicht hinab –

dort ging ich eines Nachts von Grab zu Grab

und weinte bis zur Herzenshärte.


[94] In die Strudel im Strom, ins Gewirr der Bäume,

zu den Sternen, die über die Berge starrten,

verstieß ich meine Himmelsträume

und verließ meine Toten, verschloß meinen Garten.

Keine Seele fragte mehr nach meiner,

kein Geist der Väter trat her zu mir;

nur die reiche Erbin wollte manch Einer.

So ging ich ins Leben. So kam ich zu Dir.


Lange schweigt der Mann. Die Pferde scharren.

Ein Stein rollt zu Tal, ein Echo weckend.

Und das Weib beginnt in den Mond zu starren.

Da sagt er leise, den Arm ausstreckend:


Komm – es wollt eine Seele sich befrein,

da band ihr die Sehnsucht die Hände.

Was beschwörst du Schatten am grünen Rhein!

Sieh dort in die Lichter mit mir hinein,

in die Heimat ohne Ende!

Sieh: ist nicht der Himmel herabgesunken,

dein dunkles Tal wie von innen erhellt!

Sternbildern gleich steht Funken neben Funken,

vom Geist der Väter alle zusammengestellt!

Und mild belebt das irdische Gräberfeld

der tote Mond, vom Licht der Sonne trunken!


Zwei Menschen atmen auf, in ihrer Welt.

[95] 6.

Und wieder dämpft ein dumpfes Wiehern und Schnauben,

das durch den Schatten stiller Büsche rauscht,

im hohen Holz das Gurren der wilden Tauben;

und das Weib lauscht.

Der schlafende Mann in ihrem Schooß

hat schwer gestöhnt; soll sie ihn rütteln?

Da öffnet er die Augen – bodenlos.

Er sieht die Blumen blühn im schwülen Moos.

Und jäh, als wollt er einen Wurm abschütteln,

macht er sich los:


Das war, weiß Gott, ein Teufelstraum! –

Ich saß mit dir in einem alten Park.

[96] Zuweilen ritten Leute hin am Saum.

Und plötzlich kam ein Reiter, jung und stark;

der fing uns an im Zirkel zu umtraben,

in immer gleichem, ziellos gleichem Kreise,

und doch so eifrig wie auf einer Reise,

als möcht'er Ruhe, endlich Ruhe haben.

Er schien uns beide garnicht zu beachten.

Und langsam übermannte mich ein Schauer:

er wurde immer älter, immer grauer.

Ich mußt' ihn immer sinnender betrachten,

mit immer tiefer angestrengten Blicken.

Dann sah ich Roß und Reiter gräßlich nicken,

mit Augen, die mich immer irrer machten;

ich wollte schrein vor sinnloser Beschwerde.

Und als mich deine Hände zu mir brachten,

fühlt'ich mit Grauen: das war der Geist der Erde.


Er küßt ihr dankbar die Rechte. Sie nickt und lauscht.

Er sieht die Blumen blühen im stillen Moos.

Er hört den Wald antworten; es gurrt und rauscht.

Er fühlt zwei Augen schweigen. Die sinnen blos:


ich weiß einen Himmel – bodenlos –


und er schließt die Arme um einen Schooß.

Da rauscht es wieder: zwei Pferde stecken

die Köpfe durchs Dickicht. Zwei Menschen erschrecken.

[97] 7.

Und endlich kommt eine Hütte in Sicht.

Es regnet, daß sich an den Wegen

die Halme in den Schlamm der Berge legen;

er spritzt den Reitern ins Gesicht.

Sie müssen immer mehr die Köpfe neigen:

Kirschbaum bei Kirschbaum, immer tiefer,

spritzt Blütenfluten von den Zweigen,

sie kleben fest wie Ungeziefer.

Das Weib spricht:


Mir ist, als ritten wir zum Jüngsten Gericht;

der liebe Gott weint seine dicksten Tränen.

Ich triefe wie die Pferdemähnen,

[98] und paradiesisch riecht mein Rappe nicht!


Sie wischt sich heftig den Brei von Hals und Hut.

Der Mann will längst ein Lächeln verbeißen.

Aber endlich zwingt's ihn: er muß den Mund aufreißen

und lacht in hellem Ubermut:


Ei ei, Frau Fürstin! Gott ist gut!

er merkt, Ihr wollt in den Himmel kommen;

drum kommt uns der Himmel höchstselbst

entgegengeschwommen –

o Meine, sei keine Martersäule!

Allons, was starrst du! mein Schimmel hat Eile:

komm, im nächsten Pfarrdorf verkaufen wir die Gäule,

das wird unsrer Pilgerkasse frommen!

Dann rollst du zu Rade vor mir her,

wie Frau Fortuna erlaucht im Traum der Ahnen.

Kein Schmutz, kein Stallgeruch befleckt uns mehr,

kein Kohlenrauch von Eisenbahnen.

Dann reisen wir nur noch bei Sonnenschein

und lassen unsre Herzen brennen.

Und dann will ich nie mehr, ich schwör's, dich Frau Fürstin nennen

und doch – dein ergebenster Diener sein.


Sie machen vor der Hütte Halt.

Er wischt den Schmutz von seinen und ihren

Händen; sie wehrt mit sanfter Gewalt.

Zwei Menschen steigen von den Tieren.

[99] 8.

Und im Glanz, im bebenden blauen Glast

um zwei strahlende Stahlmaschinen

wiegt der Bergwind Blumen und Bienen;

traumhaft halten zwei Menschen Rast.

Traumhaft haucht ein Birkenstrauch

Duft und Dunkel um sie her.

Im Laube spielt die Luft, bald sanft, bald sehr.

Die Gräser zittern zwischen ihnen.

Ein Mann summt:


Nun laß die goldnen Schatten

durch deine Locken gleiten;

ich will dir eine Krone

[100] aus lauter Licht bereiten.

Wiege mich, wiege mich: du sollst mir Alles sein:

wie ein klein Kindchen bedarf ich dein! –

Siehst du den freien Himmel dort

aus den Klüften steigen?

ich seh eine Freifrau thronen,

ihrem Freiherrn tief leibeigen.

Wecke mich, wecke mich! ich will dir Alles sein:

ich kann dir Gott aufwiegen, bedarfst du mein.


Traumhaft blickt das Weib den Weg zurück.

Um zwei strahlende Stahlmaschinen

wiegt der Bergwind Blumen und Bienen;

jede taumelt auf gut Glück.

Eine Stimme zittert hin zu ihnen:


Siehst du an deiner Krone auch,

Kind, die schroffen Zinken?

Ich sah den freien Himmel, Herr,

in den Klüften versinken.

Hebe mich, halte mich! ich war so tief allein;

laß uns zusammen Alles sein!


Traumhaft haucht der Birkenstrauch

taumelnde Schatten um sie her.

Im Laube wogt das Licht, unendlich sehr.

Himmelluft hüllt zwei Menschen ein.

[101] 9.

Und es wird immer freier.

Von den Bergen weichen die Morgenschleier.

Noch wanken Wolken in den Spalten;

aber aus allen grauen Falten

quellen und strahlen wie Diamant

Schneeadern nieder ins grüne Land,

die sich unten in klaren Bächen

Bahn zum dunkeln Strom hin brechen,

steil von Halde zu Halde schäumend.

Das Weib steht säumend:


Wie strebt das alles weg von sich –

o Meiner, Meiner: wohin, wohin!

[102] Jeder Sturzbach zeigt mir, wie Dein ich bin;

und doch lockt jede Wolke mich.

Mir ist so federleicht, zum Fliegen –

was will dies Bangen, es ist kein Grauen:

jeden freien Abgrund möcht ich hinunterschauen,

zwischen Tod und Leben mich wiegen.

Zeig mir das Dorf, wo unsre Räder stehn:

ich kann's ohne Wanken liegen sehn!


Sie will sich über die Tiefe neigen.

Sie steht auf einmal tief erschrocken:

hohl erdröhnt das Tal von Glocken.

Sie weicht zurück. Der Mann lächelt eigen:


Wohin – nun fühlst du's: nicht hinab!

da droht ein Gott: die Welt ist Mein.

Und nicht hinauf: da gähnt sein Grab.

Nur hin, nur hin – dann ist sie Dein!

Dann wird sie dir das Ziel enthüllen,

zu dem der Gießbach stürzend springt:

mit Willigkeit den Willen zu erfüllen,

der alles Leben zu Todeslüsten beschwingt:

du wirst dir selbst, in weltlichen Parabeln,

der unbekannte Gott der alten Fabeln!


Er winkt ihr, hält sie, läßt sie schweben;

zwei Menschen sehn ins Ewige Leben.

[103] 10.

Und sie steigen den bleichen Firnen zu,

von dem fernen stummen Blitzdunst umhaucht,

der die schwülen Almen, die Pfade, die dunkle Fluh,

die Hütten, die Heerden in Geisterlicht taucht –

wie verzaubert staunt der Blick einer Kuh.

Groß voll Ruhe, weitauf trunken,

schlürft das Auge die Himmelsfunken,

reglos ragt das Hörnerpaar –


Wie die Götterfürstin starrte,

wenn sie auf den Gatten harrte,

dessen Gruß der Blitzschlag war –

raunt der Mann dem schauenden Weibe

[104] seltsam zu und macht sich frei.

Ein erstickter Schrei –

sausend zuckt sein Bergstock an ihr vorbei –

und ein Schritt, und funkelnd mit peitschendem Leibe

speit unter seinem knirschenden Schuh

eine Viper den letzten Blick ihr zu,

noch tötlich lauernd.

Schützend, schauernd

naht ihr seine Stimme: Du –

innig bis ins bangste Mark:

Lea! meine Löwin! sei stark!


Sie hat die großen Augen geschlossen;

wie ein klein Mädchen steht sie da

mit ihrer Haut voll Sommersprossen,

bleich vom Glanz der Blitze umflossen.

Wie verzaubert nickt sie: Ja –


ich weiß nit, wie mir eben geschah –

halt mich noch ein Weilchen umfangen,

du warst so ruhig, bleib mir nah –

ich wußt ja nit: mir graut vor Schlangen –

bis unters Herz ist mir's gegangen –

o geh mit deiner Löwin, Du:

ich glaub, ich bin – lach nit – dei' Kuh –


Und zwei Menschen segnen ihr Todesbangen.

[105] 11.

Und sie seufzen auf aus Sturm und Nacht;

ohne Grenzen fühlt sich Arm in Arm.

Durch die rauschende Hütte, unendlich warm,

wogt und weht das Dunkel hin. Und der Schacht

des Rauchfangs funkelt so sternenweiß

wie auf den Bergen das schmelzende Eis.

Das Weib flüstert heiß:


Und brächen da jetzt Lawinen herein,

ich würd aufjubeln: wir leben, leben!

Nit Leib, nit Seel mehr fühl ich Mein,

wenn ich mich dir entgegenhebe

und du dringst immer tiefer in mich ein!


[106] Noch rauscht dein Blut mir, dein Herzschlag, durch alle Poren!

o sag, Lux, sag mir: solche Sekunden,

gelt, hast auch Du nie früher empfunden?!

Ach, hätt ich dich doch selber geboren!!


Sie breitet die Hände zum Firmament.

Pulsend wogt das Dunkel, unendlich warm.

Mit suchenden Fingern umglüht sie ein Arm,

ein Mann bekennt:


Ja, greif nach den Sternen, als ob sie wüßten,

was Menschenherzen Reinstes verlangen!

Du hast mich geheilt von allen Lüsten,

die nicht der Einen Lust entsprangen,

die ganze Welt im Weib zu umfangen;

du bist es, bist mir, was mich gebar!

Du tauchst mich wieder in die Erde,

als sie noch Eins mit dem Himmel war!

in Dir fühl'ich ihr feuerflüssig Werde

dem kreisenden Raume noch immer sich entwühlen!

und hingenommen von den Urgefühlen

bringt ihre Glut uns dem ewigen Kreislauf dar!


Er nimmt sie an sich wie ein Riese.

Durchs Dach der Hütte funkelt die Nacht

des Sturms mit überirdischer Pracht.

Zwei Menschen nahn dem Paradiese.

[107] 12.

Und sie schweben in steiler Gletscherspalte;

die Seile knirschen, der Atem raucht.

Aus dämmernden Grabesgründen taucht

die blaue Klarheit, die schneidend kalte.

Und sie finden Halt. Der Mann horcht und haucht:


Hier kommen die großen Ströme her,

wo die Tiefen weinen vor eisigem Grausen.

Hörst du die tausend Tropfen brausen?

die fernen Wasserstürze? das Meer?

Hörst du im Brausen das Todesschweigen

aus den leuchtenden Grüften steigen?

sieh: es scheint, ein Wanken weitet Allvaters Hallen!


[108] Lea – wenn jetzt die Wand zerrisse

und wir würden einsam ins ungewisse

Reich des ewigen Daseins fallen:

wärst du im Sturz noch meine Göttin der Freude?

oder wieder die Fürstin Herzeleide?


Er sucht ihren Blick; er sieht blaue Kreise,

er faßt fester Fuß – der Gletscher schreit.

Dumpf dröhnt's im fern zerreißenden Eise;

meergrün furcht sich die Dunkelheit.

Die starre Wand bebt. Das Weib fragt leise:


Bist du des Todes so kalt gewahr?

Allmutter sieht in Allvaters Hallen

einen heimlichen Brunnen überwallen,

drin dämmert's warm und wunderbar.

Es scheint, Opale schmelzen auf seinem Grunde.

Da entsprießt dem märchenfarbenen Schlunde

eine rosige Knospe, morgenklar.

Oh, die möchte Allmutter Herzeleide

blühn sehn voll göttlicher Augenweide;

und ihr Schooß erbebt, des Lebens gewahr!


Sie starrt beklommen. Es starrt der Mann,

als ob er selbst Tod und Leben erschuf.

Da schallt von oben der Führerruf;

zwei Menschen schweben himmelan.

[109] 13.

Und es ist keine Erde mehr zu sehn.

Über Meeren von Dampf, Schatten, Wolkenschaum

dehnt und wölbt sich der reine Raum.

Höher als die Sonne stehn

zwei Menschen in gährendem Wetterbrodem,

führerlos vom Glanz umbrandet,

der von Berghaupt wild zu Berghaupt strandet:

alle Gipfel wogen. Das Weib zürnt zu Boden:


Lukas, wir haben uns verstiegen.

Lächle nicht! War Das dein Ziel?

mich in stolze Mutterhoffnung zu wiegen,

um dem irren Zufall zu erliegen?


[110] Du bist zu ernst für solch ein Spiel! –

Du kannst in deinem Schwerpunkt ruhn,

du brauchst nicht bodenlos zu gähren;

es ist nicht Flugkraft, wenn Opale tun,

als ob sie Seifenblasen wären.


Sie sucht seinen Blick. Der folgt dem Dampfe.

Zuckend glühn die Narben in seinem Bart;

seine Nüstern spannen sich wie zum Kampfe.

Er fragt sehr zart:


Sprach Das die Frau, die einst fliegen wollte?

Nun: der Morgennebel wird bald zergehn –

dann wirst du die Straßen wiedersehn,

auf denen gestern da unten dein Glücksrad rollte.

Auch die Felswände stehn noch unverrückt,

die meine freie Ebne vermauern –

Lea! Lea! soll ich bedauern,

daß ich Seelen verlassen will, die Mein Glück beglückte?!

Steht der Himmel dir nur im Gleichnis offen?

Mutter Isis?! – Oh –: nun lächelst auch Du!

Ja dann juble, Seele: im Himmel herrscht keine Ruh –

und du wirst noch viel stolzer, viel göttlicher hoffen!

Ah –: sieh die Adler dort, die beiden,

wie sie strahlend den Dunst zerschneiden –


Strahlend blicken zwei Menschen der Sonne zu.

[111] 14.

Und es blaut eine Nacht, rings von Monden hell:

der Gießbach braust in elektrischer Glorie vom Berg.

Der Mond des Himmels krönt das Menschenwerk;

einem Zauberschloß gleicht das stille Hotel.

Fern schwebt silbern die eisige Gipfelkette,

gleißt in jedes Fenster herein,

beglänzt ein seidnes Himmelbette.

Wirr entsinnt sich der Mann: er träumte ein Schreien.

Auf der schimmernden Lagerstätte

liegt das Weib, ein Bild starrer Pein.


Lea! – er reißt sie aus dem Schlaf –

Du! wach auf! komm! was hat dich bedroht?

[112] Du machst ja Lippen, blaß wie zum Tod.

Küsse mich! lebe! sei Meine! sei brav!

sei wieder braun! sei rouge-rouge-rot!


Er richtet sie hoch mit schmeichelndem Zwange;

sie versucht ein Lächeln zum Erbarmen.

Sie horcht in das Brausen hinaus, lange, bange.

Klagend greift sie nach seinen Armen:


Es wollt eine Seele sich befrein,

da band ihre Tat ihr die Hände!

Ich sah in zwei blinde Augen hinein;

die starrten mich an ohne Ende.

Sie starrten weiß, wie dort das Eis.

Eine Kälte wehte; es kam eine Mauer von Särgen.

Oh Lux, führ mich weg von diesen Bergen!

hilf mir dies tote Leben versenken!

Lux, du darfst nicht mehr an dein Töchterchen denken!

o wär's doch Mein! o wär's! – Nein! nein:

ich will mich wehren, wehren, mit allen Gelenken!

schüttle mich! bis mir's vom Herzen schmilzt!

Ich will dir ein viel schöner Kind schenken!

Ich will mich in Dein, ganz in Dein Herz versenken!

Nimm mich, führ mich wohin du willst!


Sie umschlingt ihn, schlotternd, vor Wonne schluchzend, vor Grausen;

zwei Menschen hören die Mondnacht brausen.

[113] 15.

Und sie kehren zurück auf bestaubte Bahnen,

Rad an Rad im Fluge durch graue Schlüfte,

durch Blütenmatten ohne Düfte.

Immer dunkler blaut das Moos von Enzianen;

als wolle der glühende Tag die Lüfte

tief an himmlische Nächte mahnen.

Immer finstrer schaut das Weib in die Klüfte:


Lukas, mich peinigt schon seit Stunden ein Ahnen,

als habest du versucht dort oben,

meine Weibesohnmacht zu erproben;

tu das nie wieder, ich bitte dich!

Wie du heut dich über den Abhang bücktest

[114] und mir das einsame Edelweiß pflücktest,

kam eine Empörung über mich:

ich hätt dich hinunterstoßen können,

blos um dich keiner Andern zu gönnen.


Sie wirft die Blume wild hinter sich.

Ein Ruck: sein Rad bäumt. Sie wankt, schreit auf:

er scheint zu stürzen im Rückwärtslauf.

Nein: er greift zu Boden in blitzendem Schwunge,

ist wieder bei ihr mit lachendem Sprunge,

in der Hand die Blume, und steht, fängt sie auf:


Ja! Ja, du: das hab ich versucht dort oben!

und will's immer wieder, immer wieder erproben,

weil du Mein bleiben sollst, weil du stark sein kannst!

Du sollst nicht an deine alten Sünden denken,

wenn du mit mir durchs heilige Leben rollst,

dem du ein Kind von mir geben sollst!

Nein, die göttliche Unschuld wolln wir ihm schenken;

und das Edelweiß hier wird zum Andenken

in deine schwarze Seele gepflanzt,

bis der Heiland mit den Engeln drin Ringelreih tanzt!

Sieh, mein ganzes Herz lacht: du Weib, ich Mann,

o selig, wer dein Gott sein kann!


Er steckt ihr den blühenden Stern ins Haar;

bräutlich glüht der Tag um ein Menschenpaar.

[115] 16.

Und der Himmel eilt über Täler und Tau.

Und, im Haar einen Kranz von Windenranken,

rollt durch den Glanz voll Wundergedanken

eine irdische Frau.

Wie die weißen Blüten ins Herz ihr schwanken!

wie die Straße mitfliegt mit den schlanken

stählernen Rädern, den sonneblanken!

Und der Mann jauchzt ins helle Morgenblau:


Heia! All Heil, Welt! jetzt geht's bergab!

Achtung! gleich wird dein Herz was erleben.

Flügel, Frau Göttin! Füße heben,

Augen schließen! hei, ich schwebe,

[116] alle Sterne sprühn in mein Dunkel herab!

Das lenkbare Luftschiff ist erfunden,

Wolken fallen mir in den Schooß!

und an keine Erdaxe mehr gebunden,

läßt dein Herrgott auch noch die Lenkstange los!

Los! frei weg! gradaus ins Blaue,

wie Herr Andree der Nordpolfahrer!

Sieh, wie saust die Welt gleich klarer!

Aufgepaßt: da kommt ein wahrer

Eisbär! huh, ein griesegrauer!


Er schwenkt beide Hände, ein Hökerweib grüßend,

das brummend durch den Straßenstaub zieht,

wütend die lachende Dame besieht.

Die ruft blütenumflattert vorüberschießend:


Aber Lux! Mann! Mensch! die stirbt ja vor Schreck!

Halt! mein Kranz! na wart du: ich hol' dich schon ein,

du Unmensch! dann renne Ich dir weg –


Und –: ein Stoß, als stürze das Weltall ein:

Sterne sprühn: nachtwolkenbedeckt

kommt sie zu sich aus Stahl, Staub, Stein:

da liegt er blutend hingestreckt.

Und oben steht das Hökerweib

und lacht und schlägt sich vor den Leib.

Zwei Menschen stimmen stöhnend ein.

[117] 17.

Und ein Regen perlt an zitternde Scheiben;

ein Bahnzug stampft durch sanfte Gelände.

Ins Polster gedrückt, verbunden Arme und Hände,

sieht der Mann die Tropfen rinnen und treiben.

Seine Augen werden immer grauer;

er scheint die Frau, die neben ihm lehnt,

nicht zu fühlen. Sie sagt voll Trauer:


Du hast dich in die Ebne gesehnt,

nun kommt sie, und – du sprichst kein Wort;

als wär dir die ganze Seele verbunden.

Und ich – ja, ich weiß, ich stieß dir die Wunden;

aber sie werden wieder gesunden!

[118] soll ich denn mitleiden fort und fort? –

Fühl's doch endlich, wie Ort auf Ort

und Tal an Tal sich zur Ernte kränzt!

das feuchte Korn, wie's brotgelb glänzt!

die Obstalleeen, die weidenden Pferde –

sieh: tausend Freuden wachsen aus der Erde!


Und immer sanfter rinnt das Gelände;

wilder stampft der Zug und schüttelt die Frau.

Unwillkürlich hebt der Mann die Hände.

Sein grauer Blick wird dunkelblau:


Ja, ich fühl's, ich seh's! sehr, sehr genau!

seh schon die tausend Arme sich regen,

und muß die meinen erbärmlich zur Ruhe legen,

weil ich mich gehn ließ – ich! – Ja, du: Ich –

meine ganze Seele beschuldigt mich.

Zu jeder Handlung braucht sie die Hand,

für unser Wort selbst als Unterpfand;

wehe dem Menschen, der das vergißt!

Wie dies Stampfen mich höhnt! Das Gangwerk der Maschine,

das unsrer Glieder lenksames Nachbild ist,

mir kann es jetzt als Vorbild dienen!


Er verstummt mit selbstbeherrschter Miene.

Der Regen rinnt von den zitternden Scheiben.

Zwei Menschen bedenken ihr Tun und Treiben.

[119] 18.

Und ein Lichtstreif schielt von getünchten Wänden

nach blitzenden Messern zwischen Verbänden;

dunkle Rosen glühn über frischem Blut.

Ohnmächtig ringt der Duft des Straußes

mit der Luft des Krankenhauses;

und lähmend sticht die Mittagsglut

durch die verhängte Fensterscheibe.

Ein Mann eröffnet einem Weibe:


Also –: die Ärzte haben befunden:

meine rechte Hand wird nicht wieder gesunden.

Ich werde sie wahrscheinlich verlieren,

oder man wird sie mir lahm kurieren,

[120] was ungefähr dasselbe sagt;

kurz, ich hab mich für immer zur Schandgestalt gemacht.

Nach unserm Gottrausch lieg'ich da,

hilfloser als der Urmensch. Ja:

stelle dich nur recht aufrecht hin!

Bei jeder Umarmung wirst du's erkennen,

daß ich meiner, deiner nicht mehr mächtig bin.

Das ist kein Mann mehr nach deinem Sinn –

auch nicht nach meinem –: wir müssen uns trennen.

Geh! mach's kurz! sei Du! schon seit gestern

mahnt mich dein Wesen an eine Andre;

sie würde für mich durch jedes Fegfeuer wandern;

uns aber schaudert vor barmherzigen Schwestern.

Geh! Noch kannst du zurück in dein Leben.

Du sollst einst nicht davor erröten,

dein Kind einem Krüppel ans Herz zu heben.

Auch nach Ruhe brauchst du nun nicht mehr zu streben;

es wird sie dir auf jeden Fall geben,

auch falls du wieder geruhst – es zu töten!


Er lächelt eisig; er glüht. Sie schweigt.

Sie steht wie über ihr Innres geneigt;

ohnmächtig duftet ihr Rosenstrauß.

Sie hebt die Stirn, sie schreitet hinaus,

ohne Gruß, ohne Blick. Zwei Menschen erbeben.

[121] 19.

Doch von fernen Höhen springt das Licht

über Land und Stadt durch den trüben Morgen;

zwischen rings aufglitzerndem Grün verborgen,

hebt der Mann sein verwachtes Gesicht.

In dem einsamen Garten knirschte der Sand.

Er lauscht noch, ob er träumte ob wachte

– eine Meise huscht um den Laubenrand –

da steht sie vor ihm, an die er dachte.

Sie nimmt die lahme, vernarbte Hand.

Er will sie ihr entreißen, entringen;

aber heiße Tränen dringen

über ihr und sein Gesicht,

[122] er kann es nicht –


Nein, Meiner! – und würdest du jetzt mich schlagen,

was wär mir's gegen dies Wiederfinden!

Oh, ich wär ja am liebsten mit vier Wagen

nach allen vier Winden

auseinandergejagt, dir endlich zu sagen:

was Du kannst, kann auch Ich ertragen!

alle, alle Weibeskraft sollst du in mir finden! –

Sieh: hier hast du zwei Hände statt der einen.

Ich bin ja nicht mehr wie früher. Schau:

da mußt'ich mein Menschlichstes verneinen,

um der Welt und mir etwas vorzuscheinen.

Jetzt bin ich etwas: Deine stolze Frau! –

Ja: steh auf! mir ist, als müßt'ich ersticken,

bis die Leute mit menschenfreudigen Blicken

uns wieder nachschaun: welch strahlend Paar!

Und schlichest du, so die Stirne hebend, an Krücken,

ich hör ihr Geflüster: Wunderbar,

wer muß das sein, was für ein Mann,

dem solch ein Weib gehören kann!


Sie lacht: seine Hand bebt auf ihrem Haar.

Von den fernen Höhen lacht der Morgen.

Um die Laube lachen die Vögel gar.

Zwei Menschen fühlen sich geborgen.

[123] 20.

Und ein Abend rötet die Dächer alle.

Eine Taubenschaar kreist mit flammenden Schwingen,

als habe sie dem schwülen Tale

eine Himmelsbotschaft herabzubringen.

Da erklärt das Weib mit einem Male:


Lukas, nun muß ich dir etwas sagen:

ich hab einen Brief an dich unterschlagen.

Ich mußt endlich wissen, was du triebst,

wenn du zuweilen Nachts heimlich schriebst –

du brauchst dein Erblassen nicht zu verstecken:

auch mich kam Furcht an, Schmerz, Verwirrung, fast Schrecken.

Ich konnt die sonderbaren Chiffern

[124] zwar nit ganz und gar entziffern;

aber dieser Freund benutzt dich als Helfershelfer zu Zwecken,

die lichtscheu sind – er spricht von deinem Leben,

als wärst du gewohnt, falsche Karten zu geben.

Oh Lux, vertrau mir! Ich hab nichts, nichts zu verlieren

als Dich! Ich will mich in jede Armut finden.

Selbst verachtet zu werden, könnt ich verwinden.

Nur: laß dir nicht für Geld die Hände binden!

Sag mir –: was ist's mit den Archivpapieren? –


Schwül blickt der Mann nach den flammenden Tauben.

Seine Rechte hat versucht sich zu ballen.

Er sagt, und seine Worte fallen

wie metallen:


Es ist Nichts! ich fordre von dir Glauben

Und bis du reif bist, Näheres zu erfahren,

und um dir weiteres Mißtraun zu ersparen,

wird dieser Briefwechsel einfach unterbleiben;

denn ja – ich kann jetzt nicht mehr heimlich schreiben.

Einstweilen aber sollte dein eigen Treiben

dir die Erleuchtung innerst nahe legen:

kein Licht kommt anders als auf dunklen Wegen! –

Hier: blick mir in die Augen hinein:

sag, meinst du wirklich, Ich kann lichtscheu sein??


Zwei Menschenseelen schimmern sich entgegen.

[125] 21.

Und Wolke über Wolke kommt gekrochen

und drückt das offne Land in dumpfe Schranken;

es liegt im Halblicht wie gebrochen,

der Bergforst steht gesträubt.

Der Donner brodelt schon, und Blitze wanken;

und wenn die Funken fahl durchs Dunkle kochen,

dann ist's als atmeten des Tales Flanken.

Der Mann macht Halt wie dunstbetäubt:


So sind wir rings umhüllt vom Unbekannten;

dem Qualm der Niederungen kaum entklommen,

stehn wir vom Schwall der Höhen schon benommen

und gehn vielleicht erst recht der Tiefe zu.


[126] Und wenn der Bann, dem unten wir entrannten,

hier oben uns ereilt mit glühendem Schuh,

wenn dann im letzten taumelgrellen Nu

die eine Frage noch in uns entbrannte:

ist nicht des Lebens Mißgeschick

nur unsres Wesens Ungeschick –

dann wirbelt noch durch unsre tiefste Ruh

als einzige Antwort aus der Ewigkeit

des Daseins grausige Unsicherheit.


Und drohender erschallt das Lichtgebebe,

die hohen Tannen fangen an zu schauern.

Bis ganz ins Land hängt Alles in der Schwebe;

es ist, als ob das Tal die Flügel hebe.

Das Weib zeigt in die rollenden Wolkenmauern:


Wenn sonst die Blitze so den Raum durchschossen,

war mir so grenzenlos, so haltlos bange

wie damals vor der Todeswut der Schlange;

jetzt scheint durch jeden mir der Himmel erschlossen!

Ich brauche blos mit dir ins Licht zu schauen

und habe vor Nichts, vor Nichts mehr Grauen!


Und jählings reißt sich aus der Dunkelheit

blendend und knatternd der erste klare Strahl.

Mit prasselnder Sohle springt der Regen ins Tal.

Zwei Menschen atmen wie befreit.

[127] 22.

Und sie schreiten durch verwüstete Fluren.

Von Hügel nieder zu Hügel hingeschwemmt

ziehn sich des Wolkenbruches Spuren.

Die Bäume stehn noch wie gekämmt.

Das reife Korn am Weg ist wie geplättet.

Fern am durchbrochnen Bahndamm hängen,

Strickleitern gleich, Reste von Schienensträngen;

die Brücke liegt zerrissen im Fluß gebettet.

Die Sonne blitzt aus hundert Spiegelflächen.

Des Weibes Blick folgt den gefüllten Bächen:


Wie wird nun nach dem ersten Staunen und Grauen

der Mensch hier rings mit doppelt mächtigem Mut

[128] bahnen und bauen,

bis die Natur ihm seinen Willen tut!

So stand ich einst – o endlich kann ich's sagen –

nach frischer Tat vor meinem getöteten Kind.

Im Garten draußen stöhnte die Nacht, der Wind.

In meinem Innern sah ich Blutstürme jagen.

Ein Paradies reifer Hoffnungen lag mir zerschlagen.

Aber ein Glaube schwoll draus auf, so groß,

als bebe die Erde vor Drang mich hochzutragen:

oh, unerschöpflich ist der Mutterschooß! –

Gieb mir die Hand, Lux: jedes Mißgeschick

macht uns geschickt zu neuem Glück!


Sie greift nach seiner gelähmten Rechten,

eine Himmelsklarheit im dunkeln Augenpaare

gleich den glanzgefüllten Bächen.

Er will noch wehren. Er möchte sprechen.

Da –: ein Schauer reckt sie – seine Finger umflechten

ihre stolzen Hüften, ihn zieht das Unsagbare –

er steht und stammelt, kaum bewußt:


du Liebe, Schöne, Gute, einzig Wahre!

du Mörderin aus Lebenslust!

du Kind, du Engel an meiner Brust!


Der Himmel glänzt aus jeder Wasserrinne;

zwei Menschen sehn's wie eines Wunders inne.

[129] 23.

Und schwarz aus dunklem Erntefeld

bäumt sich das Denkmal einer Schlacht.

Tief hinter den Garbenreihen hält

der große Mond im Dunst blaßrote Wacht.

Es tränkt ein Duft die weite warme Nacht,

der jeden Busch zur Wolkenblume schwellt.

Die Wiesenraine sind wie Geistergleise.

Ein Mann sagt leise:


Es wollt eine Seele sich befrein,

da band ihr die Freiheit die Hände.

Nun sinnt sie in Tod und Leben hinein;

da schließt eins innerst das andre ein,

[130] aller Zwang hat willig ein Ende.

Sieh dort: wie stehn, wie schimmern die vollen Ähren!

als ob sie stolz die Opfer verklären,

die einst hier fielen für fremdes Glück.

Kein Denkmal ruft die Tausende zurück,

die noch als Leichen Kindeskinder nähren;

auf diesem Hügel aber stand der Feldherr

und fühlte sich im Siegesglück als Weltherr.


Er hat den Arm wie zum Befehl gehoben.

Da schmiegt das Weib ihr Haupt in seine Hand

und Brust an Brust, und raunt ins dunkle Land,

als höre sie das Mordgewühl noch toben:


Und fühlte doch vielleicht sein Herz erbeben,

und hätte gern die Tausende geschont,

wenn nicht auch Er bereit war, Blut und Leben

so rückhaltlos der Welt zurückzugeben,

wie dort sein Licht vergießt der rote Mond.

Denn, Meiner, ja: kein Glücklicher fühlt einsam:

was ihn beglückt, er geht drin auf, gemeinsam!


Und warm und wärmer schließt im Nebelkreise

sich Herz an Herz mit überströmender Macht.

Die Erde schwillt gen Himmel, leise, leise.

Die Wiesenraine werden Göttergleise.

Zwei Menschen sinken in den Duft der Nacht.

[131] 24.

Und aus verwildert stillen Gärten steigt

ein altes Städtchen in die Mittagsglut.

Um die zerborstenen Mauerwehren zweigt sich

Epheu, Hexenbart, Pfaffenhut;

weiße Rosen blühn am Tore.

Im Schatten ruht ein Mann und träumt und schweigt

zur Giebeluhr hinauf, die nicht mehr zeigt.

Das Weib zupft ihn am Ohre:


Du machst ja Augen, so voll entlegener Wonnen,

als sähst du die Jahrhunderte sich sonnen

auf den Ruinen.

Ja: die steinernen Jungfraun hoch am Tor,

[132] die beten gar »reif« um ihr Stündlein empor

mit ihren verwitterten Mienen.

Wir aber – oh – wir haben Zeit;

sehn wir nicht auf zu ihnen

voll ewiger Seligkeit?!


Der Träumer hat den zarten Spott vernommen.

Sein Blick ist freudig aufgeglommen.

Die Gärten glühn. Er lächelt sonderbar.

Er sucht nach Worten, Blick in Blick gegründet.

Er spricht, als seh er tief ein Licht entzündet,

das früher nicht in ihrer Seele war:


Vielleicht sah ich in meinen entlegenen Wonnen

ein kommendes Jahrhundert schon sich sonnen,

nicht auf romantischen Ruhestätten zwar.

Ich sah nach dem edlen Ritter im Fries,

der seinen Mantel weiland den Bettlern ließ,

um hilflose Blößen zu decken.

Vielleicht ist heimlich nach Bettlerart

mancher edlere Ritter heut auf der Fahrt,

Helfershelfer zu wecken,

zu jetzt noch lichtscheuen Zwecken –


Er schweigt. Die Gärten glühn. Es ist, als schliefe

verstohlenes Leben hinter allen Hecken.

Zwei Menschen sinnen in die Tiefe.

[133] 25.

Und hoch durch Hallen, die fast blenden,

braust Dampf; und dumpf donnert Rad bei Rad.

Hohl durch die offenen Bogen-Enden

schwelt wie ein Herd mit tausend stillen Bränden

die Lichter-Dunstnacht einer großen Stadt.

Bahnzüge dröhnen rhythmisch hinaus, herein,

hin am Wirrwarr der scheinbar ziellosen Menge.

Zwei Menschen überschaun das stete Gedränge.

Ein Mann weist nach den fernen Häuserreihn:


Ist's nicht, als wären's Äonen seit ehemals,

seit wir vom Haus deines Herrn Gemahls

die finstern, lichtdurchfurchten Mauern

[134] auch so am Horizont sahn kauern?!

Und ist's nicht wieder, nicht immer noch, als lauern

die roten Fensterhöhlen auch hier wie Augen,

die alle trüben Begierden einsaugen,

auf Habsucht Notdurft speichern, und Haß zum Neide?

Und treibt doch Alle die Liebe, wie uns Beide,

sich Geist an Geist mit seelenvollen Händen

zu gleichen Lebenszwecken zu vollenden!

Wär's da nicht not, daß Freunde des Lebens sich fänden,

nur zu dem einen Endzweck auserlesen,

klar Alle dem Willen Aller zuzuwenden?!

bis einst der Geist, von jedem Zweck genesen,

nichts mehr zu wissen braucht als seine Triebe,

um offenbar zu sehn das weise Wesen

verliebter Torheit und der großen Liebe?!


Und einer Seherin gleichend steht das Weib,

und näher drängt um sie das Köpfegewimmel.

Sie fragt, und hält die Hände in das Getümmel,

als schütze sie den Mutterleib:


Und wenn nun Einst und Jetzt auch Mir sich einen,

sodaß ich furchtlos Deine Freundin bleib,

trotz meiner Eheschuld, und trotz der deinen?!


Sie schweigt, als ob sie heimlich etwas versprach.

Zwei Menschen sinnen der Menschheit nach.

[135] 26.

Und sie stehn vor einer Domfassade.

Unvollendet hockt der eine der hohen Türme

im Kranz der gothischen Höllengewürme,

als bitte er den andern um Gnade.

Aber vor vermessenem Himmelsverlangen

scheint die irdische Tragkraft ihnen ausgegangen;

unten gähnen wie Grüfte die kunstgerechten Pforten.

Demütig Gebeugte nahen von allen Seiten.

Und das Weib winkt dem Mann, auch hineinzuschreiten.

Und die Orgel erbraust zu ihren Worten:


Komm, laß uns einmal wieder voller Kindheit sein.

Horch, wie die alten Lieder Alle benedein.

[136] Da spürt kein Herz mehr Sünde;

die Mutter mit dem Kinde

schließt ja auch Uns die Gründe

der Welt und Menschheit auf und ein.


Doch die Orgel verstummt. Dumpf tönen Gesänge

einer verborgenen Priesterschaar.

Und über dem weihrauchumdampften Altar

sehn sie bleich einen Gekreuzigten hängen:

mit gräßlich wahr gemalten Wunden

und schrecklich schön geformtem Munde –

Da neigt fromm der Mann dem Weibe sich dar:


Vor deinem künftigen Kinde

könnt ich dir beichten, den Heiligen gleich:

ich suchte einst ein bißchen Sünde

und fand das ganze Himmelreich.

Hier aber dünkt es ein Wortspiel mich,

wie dieses Schauspiel, stimmungshohl, durchtrieben.

Komm! Draußen steht's von Grund auf in Stein geschrieben,

das schwere Wort: Vollende Dich!


Und die Orgel braust wieder. Er sucht einen Pfad

ins Freie, scheu umkauert von Betern.

Ein feister Küster im Ornat

blickt ihnen nach wie frechen Spöttern.

Zwei Menschen fliehn vor fremden Göttern.

[137] 27.

Und ein wüster Traum scheint Wirklichkeit geworden:

durch grabesstille Säle tobt ein Farbenmeer:

nackte Leiber hängen an den Wänden umher,

und geputzte Damen, Tiere, Bäume, Herren mit Orden.

Neben blühenden Feldern sieht man arme Leute jammern.

Aus vergoldeten Rahmen stieren elende Kammern.

Endlich seufzt der Mann und lächelt schwer:


Ich segne wahrhaftig meine gelähmte Hand,

wenn so viel gesunde auf käuflicher Leinewand

mit ihrer natürlichen Ohnmacht Stimmung machen.

Ob diese Künstler nicht über sich selber lachen,

wenn sie mit kindischer List vom vollen Leben

[138] den Schaum abschöpfen? – Aber eben:

Stimmung – die Sprache sagt es – läßt sich »machen«,

Gefühl und Geist sind Wenigen voll gegeben.

Sieh dort: in all dem Schwall das schmale Bild,

von dem wir hier nur eine Klarheit erkennen,

die kühn aus tiefem Grau ins Blaue schwillt:

und magst du's arm vielleicht an Farbe nennen,

du fühlst doch, daß da Einer spricht,

der innerlich so reich ist wie das Licht,

und der drum Schatten wirft auf das Gelichter

dieser dürftigen Flunkerwichter.


Sie treten näher. Sie sehn am Strand

des Nachtmeers schlafend einen Knaben liegen:

ein großer Stern scheint seinem Atem entstiegen,

in dessen Glanz sich alle Wellen wiegen.

Endlich nimmt das Weib des Mannes Hand:


Und stimmt das nicht zum Frieden deinen Geist?!

Mir deucht, von sicherm Ufer kann man dreist

auch einem Irrlichtschwarm Reiz abgewinnen.

Ich glaube, dir ist das Herz durch Andres schwer.

Ich hab auf einmal Sehnsucht nach dem Meer;

uns fehlt wohl nur der freie Himmel hier drinnen.


Sie lächelt: komm! Er stutzt. Dann nickt er nur.

Zwei Menschen folgen ihrer Natur.

[139] 28.

Und es rauscht nur und weht.

Es liegt eine Insel, wohl zwischen grauen Wogen.

Es kommen wohl Vögel durch die Glut geflogen,

die blaue Glut, die stumm und stet

die Dünen umschlingt.

Da gebiert die Erde im Stillen wohl ihr Empfinden

und nimmt ihre Träume und giebt sie den Wellen, den Winden.

Die Seele eines Weibes singt:


O laß mich still so liegen,

an deiner Brust, die Augen zu.

Ich sehe zwei Wolken fliegen,

die eine Sonne wiegen;

[140] wo sind wir, Du? –


Und es rauscht und weht.

Es liegt eine Düne, wohl zwischen tausend andern.

Es werden wohl Sterne den blauen Raum durchwandern,

der über den bleichen wilden Hügeln steht

und golden schwingt.

Die Seele eines Mannes singt:


Still, laß uns weiter fliegen,

Beide die Augen zu.

Ich sehe zwei Meere liegen,

die einen Himmel wiegen.

O Du –


es rauscht, es weht;

über die heißen Höhenzüge geht

höher und höher der goldne Schein

ins Blaue hinein,

wo das Dunkel schwebt.

Und aus dem Dunkel herüber, auf großen Wogen,

kommt die Einsamkeit gezogen.

Und zwei Seelen singen: Eine Seele lebt,

wohl zwischen den Sternen, den Sonnen, den Himmeln, den Erden,

die will uns wohl endlich leibeigen werden:

es schwellen die Wogen herüber, wie Herzen klingen,

Menschenherzen! – Zwei Seelen singen –

[141] 29.

Und sie sehn fünf Sonnen im Nebel stehn,

von Glanz umzingelt vier blasse kleine

im Kreise um die große eine;

der stille Kreis scheint den Nebel zu drehn.

Und im Dünensand hat im Windeswogen

jeder Halm um sich einen Kreis gezogen.

Plötzlich lacht der Mann zu dem Phänomen:


Ist's nicht, als will uns der Himmel aus seinen Schätzen

rings deinen verkauften Perlring ersetzen,

von dem wir die tolle Überfahrt bezahlten!

O, wie deine Augen herzehell strahlten,

deine dunkeln Augen im Sturm neben mir,

[142] daß ich kämpfte, dich nicht auf offnem Schiff zu umarmen!

Und da lagen diese Mitmenschlein zum Erbarmen

und waren seekrank! – Hah: da dankt'ich dir,

Du, für deine wellenwild schwungvolle Körperschwere,

die mich auf den Grund aller irdischen Rhythmen tauchte!

Da fühlt'ich wie ein sintflutlich Tier

unsre Urverwandtschaft mit dem Meere!

Ja, meine Erlauchte:

Was ist denn diese äußere Welt,

dies öde Eiland um uns her?

nur was die Seele davon hält,

das Ufer für das innre Meer!


Er hat sich erhoben. Der Dünensand

fegt singend über den feuchten Strand.

Die vier Sonnen im Nebel verschwimmen zu blassen Axen,

die sacht der leuchtenden Mitte zuwachsen.

Das Weib streckt die Hand:


Zieh mich hoch – ja, rück es mir ins reinste

Licht, daß deine Welt meine umspannt!

O, wie schmückt unsre Sonne mein schlicht Gewand!

Und jeder Flimmer, jeder kleinste,

verflicht uns mit ins Allgemeinste

und hat doch hell für sich Bestand –


sieh! – Zwei Menschen umschlingt ein Strahlenband.

[143] 30.

Und sie stehn von Morgenschauern erfaßt,

nackt. Die Küste glüht perlmutterfarben.

Die Ebbenrillen furchen den Glast

wie rosige Narben.

In der See wühlt die Windsbraut und jauchzt und tost.

Und das Weib erschauert bis in den Schooß

und wirrt ihr naß Haar vom Nacken los


und breitet die Arme: Jetzt kommt die Flut,

ich möcht ihr gleich wieder entgegenschwimmen!

Pulst sie dir auch so heiß ins Blut?

dies Branden, dies Glimmen!

Wie sie Kraft schöpft – bis zum Horizont,

[144] himmelan schwellend aus ihrem Rauch,

schwarzzottig, silberkraus übersonnt,

voll Spannung wie ein hochschwangerer Bauch,

und der Odem der Allmacht kreist drüber her:

o Mutter See! o Meer! mein Meer!


Und von Segeln der Morgenröte umschlossen,

schau – lacht der Mann und knipst ihr ein Muschelchen ab –

kommt ihr liebster Sohn durch den Raum geschossen:


mein Schiff hat Regenbogenflossen

und holt dich ins Raumlose ab,

wo die fünf Sonnen noch immer am Himmel stehn!

Und da wollen wir eine zum Ballspielen nehmen,

einen Knäuel zum Glanzweben,

eine Kugel, aus der wir Lichtbrot rollen,

eine, in der wir einander spiegeln wollen,

und die fünfte bleibt stehn!

Die bleibt stehn, damit die Menschen es sehn können,

wie wir über die hohen Wellen gehn

und den freien Sternen dahinter entgegenrennen,

um die unsre Sonnen und alle sonnigen Herzen sich drehn,

auf Wieder-Immerwiedersehn!


Und da weist das Weib nieder: hell wie aus Ätherhöhn

spiegelt ein Ebbentümpel ihre Geberde –

zwei Menschen sehn den Himmel durch die Erde.

[145] 31.

Und sie schaukeln im Boot.

Die Nacht kommt. Sturm droht.

Die Wogen gehn hohl wie das Segeltuch.

Grell im Westen ringt noch und schwingt ein Streifen.

Die Möven kreischen.

Der Mann stemmt sich hoch, visiert den Bug:


Zieh die Leine straffer! so! setz dich fest!

Hast du Furcht? Ja lache, dann tanzen die Böen!

Sahst du mich nicht im Traum einst so stehn,

über Herren mit Kronen, die Rechte ums Steuer gepreßt!

Jetzt tut's die Linke! Horch: König Nord bläst zum Fest

wie auf meinen großen Heimatseen!


[146] Sieh: das Grenzband drüben wird schon blasser.

Nun ruft er die Geister übers Wasser!

Holla! keine Geister, die jenseits hausen:

das sind Meine Geister, allseits brausen sie!

Da: die schäumenden Wonnen mit den sprühenden Haaren.

Da das tiefschwarze Wehe treibt sie zu Paaren,

von den grauen Sehnsüchten überrannt.

Bis die schimmernde Liebe alle hinreißt und außer sich spannt

und deinen trunknen Blick ins Weiteste lichtet:

da entspringt dir, vom Odem der Brünste entbrannt,

deine eigne Inbrunst zur Gestalt verdichtet

– halt ihr Stand! –

Denn: fühlst du selber dich Geist genug,

dann verschwindet der sinnliche Spuk:

übern Erdrand auf flüchtendem Wasserbogen

kommt die Kraft deines Ursprungs hochgezogen,

und du streckst deine Hand aus, von Toden umbellt,

und schreist in den Aufruhr: O Meine Welt!


Meine Welt – mein Traum! – o nicht einst – allerwegen

seh ich dich so! – stammelt, jubelt das Weib –:


Aus mir selbst – letzte Nacht – hoch durch stürzenden Regen –

mit mir selbst – ja, ein Geist – stieg dein lichter Leib:

Himmelfahrt! Ja, fahr zu! Ich fahr mit! allerwegen


Dein! – Zwei Menschen steuern dem Sturm entgegen.

[147] 32.

Und es tönt aus der Brandung wie Schalmein;

helle Nacht versilbert den fremden Strand.

Langsam wälzen die Wellen den Mondschein ans Land,

in die dunkelroten Kliffe hinein;

da stürzen sie sich die Stirnen ein,

um zurück immer wieder verklärt zu sein –


Es wollt eine Seele sich befrein,

sieh – entfaltet das Weib die Hände –

da ward Tod und Leben ihr zu Schein;

nur der Liebe ist kein Ende.

Ja: so sah es meine Seele im Traum:

es ging Deine Seele wie leuchtender Schaum

[148] aus meinem Körper deinem entgegen.

Ich sah voll Angst, wie ihr doppelt standet:

Ein Haupt hell, Ein Haupt dunkel umströmt von Regen.

Bis ihr, Leib in Geist, ineinander euch fandet

und mich ergriffet. Da sprachst du ein Wort;

wie ein Wirbel klang es. Und über mich fort

stiegen wir, strömten wir lichtflutvermählt

hin in deine, meine, unsre Welt!


Es tönt aus der Brandung wie Geraun –

Horch – raunt der Mann – das Zauberwort:


Ja, es hieß wohl: Wir Welt! Nicht Schein! nicht Traum!

horch, wie's wirbelt: Wrwlt – o Urakkord!

Wrwlt murmeln die Ströme, die großen,

wenn sie zusammenkommen im Meere!

Wrwlt jubeln die Sternenchöre,

Wrwlt die Stürme im Uferlosen!

Wrwlt stammelten die Menschen, als sie noch reine Tiere waren;

stammeln's wieder, alle wieder, die als reine Götter sich paaren

und mit Wellen und Mondlichtschleiern

spielend ihre Freiheit feiern,

die Freiheit, die voll Eintracht spricht:

o gieb uns, Welt, Dein Gleichgewicht!


Es tönt aus der Brandung wie Gesang

um ein Menschenpaar im Überschwang.

[149] 33.

Und sie wirbeln im Tanz: glühend im Glanz

mächtiger Feuer bei heller Sonne, in Feiertagslust:

Männer und Weiber mit offner Brust,

mit brennenden Backen, stampfenden Hacken,

auf offner Tenne, um eine Tonne:

die paukt ein Fischer voller Wonne,

um die Wette

mit einem Hirten, der bläst Clarinette,

und fernher braust den Takt die See.

Und nun reihn sich rings die Kinder zur Kette.

Und es wogt ein Herz: Meine Flammensee –


weißt noch? damals? unser Tanzen

[150] zwischen den Modepuppen und Schranzen!

wie du mir wehrtest: nit erzählen –

wie du mich lehrtest: nit uns quälen –

und mich schürtest, wie einen Herd,

aus dem statt Wärme Feuerwerk sprang!


Und er schwingt sie derber die Tenne entlang,

unverwehrt;

singend schüren die Kinder den Feuerkreis.

Zur Sonne singend. Und in den Pausen

macht die See die Seelen erbrausen.

Das Weib lacht heiß:


Wrwlt, Meiner! sei Kind! dann steigt

deine Fee herab von ihrem Stern.

O, sie hätt wohl längst von Herzen gern

vor Mann und Weib den Damen und Herrn

die Zähne und die Zunge gezeigt:

Seht, hier tanz'ich in selbstgestopften Strümpfen

und kann noch immer die Nase rümpfen!

ich habe seit Wochen nichts zu Tische

als Salz, Brot, Ziegenmilch und Fische!

aber bin Mutter Isis, die Herrin der Welt –

gelt, mein lieber Herr Gott: deine liebe Frau Welt!


Es braust die See; es braust ihr Blut.

Zwei Menschen jauchzen vor Übermut.

[151] 34.

Und sie sehn sich schimmern, ruhend vom Bade.

Und schimmernd ruht das öde Gestade

im warmen Wind. Sie lauschen ihm nach:

lauschen, wie die Weiten sich rühren,

wie alle Tiefen zu Höhen führen –

wie die Möven zwischen den Wellen

schwimmend auf und nieder schnellen –

Und des Weibes Lächeln wird zur Sprache:


Lux, mein Leuchtender, wenn wir so liegen,

ich mit meinem schwarzen Windsbrauthaar,

du wie ein Flußgott der See entstiegen,

und jeder Wogenkamm bringt uns Liebreize dar,

[152] und mir versinkt die letzte Schranke,

die zwischen Leib und Seele noch blieb,

denn dein kleinstes Härchen ist mir so lieb,

so wert wie dein größter Gedanke –

und ich denk an gestern und strahle vor Ehren,

daß ich dir Haar und Bart durfte scheren –

ach, und heut Nacht, du, hört'ich dich schnarchen

wie einen braven Patriarchen

und konnt nit lachen – Herr meines Lebens,

es war mir lieb als Äußerung Deines Lebens –

und ich sag dir dann mit fröhlichem Mut:

ich bin auch deinem Töchterchen gut –

und frag dann ohne ein Lächeln des Spottes:

bin ich nun reif zur Mutter Gottes,

zu jeder Lebensmeisterschaft

tauglich, tüchtig, tugendhaft –


Dann, mein himmlisches Freudenmädchen du,

– reckt sein narbiger Arm sie der Sonne zu –

dann sag'ich lachend ohne Spott:


wir Götter brauchen keinen Gott!


Er läßt sie thronen auf seinen Knien;

und sie, mitlachend, schaukelt ihn,

die Brüste zum Triumph gestrafft.

Zwei Menschen schwelgen in ihrer Kraft.

[153] 35.

Und es rauscht nur und glüht.

Es liegt eine Düne im schwülen Licht der Fernen.

Es füllt ein Geflimmer wie von keimenden Sternen

die stille Wildnis; das Sandmeer sprüht.

Es loht die hohle Hügelwand,

wie auf ewig vor Schatten behütet,

ein Nest, in dem der Himmel brütet.

Und der Mann wiegt das Weib im Mittagsbrand:


Aufgewacht, Seele, aufgewacht!

Wunderland liegt aufgetan!

In uns, Seele, da träumt die Nacht;

aber hier, ein Hauch meines Mundes macht

[154] diese dürre Insel – ja, schau sie an –

zum Paradies und Kanaan,

wo Adam sündlos bei Eva ruht,

wo der Tag glüht wie unser Fleisch und Blut,

wo Alles Frucht ist am reinen Leib der Liebe,

selbst der Halm dort im Sandgetriebe,

selbst der Salzgeruch, der von der Küste

herquillt in deine braunen Brüste

und Milch aus deinem Mutterblut braut,

selbst deine honigwabengoldne Haut,

und deines Schooßes glückstrotzender Schwung,

und meiner Mannheit Verkörperung!

Und wenn die Seele noch so schreit:

sie führt zum Wahnsinn, diese Seligkeit:

dann, du, dann – er stammelt plötzlich, lauscht –


das Weib in Sonnetrunkenheit

jauchzt berauscht:


dann ist der Wahnsinn eben Seligkeit –


und fährt zusammen: ein Schatten fällt

in ihre nackte Glut herab

wie aus einer fremden Welt:

Sand rutscht, und übern Hügel tappt

ein Herr im Reisehut – oh Graus:

zwei Menschen lachen einen aus.

[155] 36.

Und bis in ihre Leuchtturmklause

sucht das Walten der Welt sie auf.

Unten pocht und schwebt im Dunkeln des Meeres Gebrause;

und den kleinen Tisch deckt bunt ein Haufen

Briefe aus aller Herren Ländern.

Der Mann steht lesend; das Weib spielt zaudernd

mit den abgerissenen Rändern.

Endlich sagt sie; wie planlos plaudernd:


Lux, ich glaube: könnten die Menschen erraten,

mit welcher Eintracht wir uns beglücken,

ja, ich glaube, sie teilten unser Entzücken,

die selbst, denen wir Leides taten.

[156] Denn gelt: auch Dir doch würd'es gelingen,

diesem Glück alles Andre zum Opfer zu bringen?


Er schweigt – sie sucht seinen Blick – ihr graut:

sein Mund bewegt sich, aber die bleichen

Lippen geben keinen Laut.

Er starrt auf ein Blatt mit seltsamen Zeichen.

Die Chiffern schwanken. Ihr dröhnt das Meer.

Fremd tönt seine Stimme zu ihr her:


Es hat eine Seele sich befreit –

ich hielt ihr Glück einst in Händen.

Ich versprach ihr lauter Seligkeit –

das ist nun alles zu Ende.

In williger Demut schien sie's zu dulden;

es war Stolz – stolz schwieg sie zu meinem Verschulden.

Ja: hier steht es von Helfershand geschrieben:

ich habe sie in den Tod getrieben.

Ich ließ die Verzweiflung über sie kommen.

Ich hab meinem Kind die Mutter genommen!

Verlangst du noch Opfer? – Ich glaube: nit!

Mir scheint, Mutter Isis: wir sind quitt.


Er setzt sich, sonderbar gelassen.

Unten schwebt und pocht im Dunkeln des Meeres Gebrause.

Stechend bebt das Licht der einsamen Klause.

Zwei Menschen suchen sich zu fassen.


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Citation Suggestion for this Edition
TextGrid Repository (2012). Dehmel, Richard Fedor Leopold. Vorgänge: 2.. TextGrid Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/