[128] Eines Tages

Morgen

Auf, mein schwarzer Zaubrer, auf,

eile, spinne Gold, es tagt,

schmücke deine stolze Magd!

Laß die Stralen nicht verwittern,

die vom Morgensterne splittern!

Heute Mittag muß die Erde

sich entzücken am Geschnauf

deiner wilden Siegespferde –

auf, mein goldner Zaubrer, auf!


Laß mich träumen, Zauberin,

sprich mir nicht vom Tag der Schlacht;

nimm die Stralen, spinn sie, spinn.

[129] Mich verstört das Marktgepränge,

wo die Erze vor der Menge

zur verstaubten Sonne dröhnen.

Ueberirdisch ist die Nacht,

wo die heiligen Gesänge

meiner sieben Schlangen tönen;

sprich mir nicht vom Tag der Schlacht,

laß uns träumen, Zauberin –

nimm den ganzen Himmel hin ...

Mittag

Aber jetzt, mein Held, mein Sieger,

komm, mein König, komm, mein Krieger,

gieb dich nicht den Gaffern preis!

Wirf sie weg, die blanken Bälle,

die so kalt, so gläsern klingen

und vor Hitze fast zerspringen;

führe mich an eine Quelle,

dies Getümmel riecht nach Schweiß!

Komm, was stehst du bei den Leuten,

du ermattest nur im Schwarm,

[130] und bis Abend muß dein Arm

noch ein drittes Reich erbeuten!


Königin, du störst mein Spiel.

Auf mein Volk herabzusehen,

wahrlich, das war nicht mein Ziel.

Schau: in diesem kleinen Ball,

weiß man ihn nur recht zu drehen

und das wird man bald verstehen,

spiegelt sich das große All.

Spiele mit! Komm, Siegerin,

nimm den ganzen Erdball hin ...

Abend

Ist das nicht das Dritte Reich?

ach, mein grauer Pilger, säume!

Bannt dich nicht der dunkle Teich,

über den die Lilienbäume

ihren süßen Atem breiten?

Und schon naht der Elefant,

drauf der Buddha Ewigkeiten

[131] über unsre Seelen spannt.

Ja, mein Pilger: spiele! träume!


Pilgerin, mir kommt ein Bangen;

siehst du nicht im bunten Laube

jene großen Schlangen hangen,

die mir fremd sind? und ich glaube,

daß sie Träumern Unheil brüten.

Ahnst du nicht, wonach ich suche?

nicht nach üppigem Geruche;

laß uns wachen, Pilgerin.

Brich dir eine dieser Blüten,

und, im Haar die weiße Blume,

folge mir zum Heiligtume,

nimm die Ewigkeit da hin ...

Nacht

Willst du mich denn nie erhören?

Nennst du dazu mich die Deine,

um mich langsam zu zerstören?

Ich zerfalle fast in Stücke;

[132] wohin führt nun diese Brücke,

die der Mond in Schatten legt?

Immer neue Meilensteine!

ich bin müde! mich bewegt

keine Liebe mehr zum Ruhme,

auch zu keinem Heiligtume,

nimm mir aus dem Haar die Blume –

sieh, mein Einziger, ich weine.


Weine, weine, wein es aus,

o nun darf ich mich dir beugen,

Weib, dort schimmert unser Haus.

Hinter jener hellen Scheibe,

nur noch Seele, nur noch Sinn,

die du bist und der ich bin,

werden wir mit nacktem Leibe

einen neuen Menschen zeugen –

o du Meine, nimm mich hin!


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TextGrid Repository (2012). Dehmel, Richard Fedor Leopold. Eines Tages. TextGrid Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/