[116] [118]Erste Station

1.

»Nun das haben Sie getroffen,
Eben ist die Messe offen,
Werden blaue Wunder sehen,
Wenn Sie durch die Gassen gehen.«
Und ich suchte nach dem Wunder,
Fand aber nur Waren-Plunder,
Lange Waren, kurze Waren,
Und Verkäufer, ganze Scharen.
Alle Häuser voll Affichen,
Geld auf allen Wechslertischen,
Jeder Winkel ein Bude,
Und die dritte Nas' ein Jude.
Schreien hört' ich, keuchen, laufen:
Herr, hier könn'n Sie alles kaufen,
Gontard bietet seidne Tücher,
Jügel abgestandne Bücher,
Bing Kristalle, Gläser, Lacke,
Breul so Rauch- wie Schnupf-Tabacke,
Kriegesfelder Rock und Hosen,
Und Frau ** die Franzosen.
Hol der Teufel solch ein Schachern,
Feilschen, Mauscheln, Mäkeln, Prachern,
Kurze Waren, lange Waren
Mögen sie zum Henker fahren!
[118]
Wahrlich, hier kann wieder gelten
Jenes Afrikaners Schelten:
Feiles Nest, wenn nur zur Stunden
Sich ein Käufer eingefunden!
Deutschland, ja auch Du hast dein Rom;
Diese freie Stadt am Mainstrom
Ist, beschnitten und getauft,
Längst lebendig ausverkauft!

[119] 2.

Und daneben die Zeugen der alten Zeit,
Der römisch-deutschen Herrlichkeit,
Der Römer mit seinen Kaiserbildern,
Goldenen Bullen und Wappenschildern!
Der Platz, den einst mit schwerem Tritt
Der neugekrönte Kaiser beschritt
Über scharlachene Decken von Samt,
Worauf in Gold der Adler geflammt!
Dort fiel der Stier, dort sprang der Wein,
Dort riß das Volk die Küche ein,
Und rings ein Drängen in engen Räumen
Mit Glockengeläut und Becherschäumen!
Beschleicht dich in heutiger Nüchternheit
Nimmer ein Traum von solcher Zeit?
Hast du über Herbst- und Ostermessen
Deiner alten Glorie ganz vergessen?
Dein Strom wird breit, dein Quai wird weit,
Deine Straßen verschönen sich alle Zeit,
Und nur dein Herz, dein Volksbewußtsein
Schrumpft ein und wird bald völlig Verlust sein.
Ermanne dich, deutsche Stadt am Main!
Du sollst mit unter den ersten sein,
Nicht bloß ein Tor, um durchzuwandeln,
Nicht bloß eine Halle zum Kaufen und Handeln.
Prozent und Wechsel und Agio,
Das macht ein deutsches Gemüt nicht froh,
Und die Juwelen und die Paläste
Sind auch noch nicht von allem das Beste.
Roll hin in deiner Karossen Glanz;
Du verrollst, verrennst, verrechnest dich ganz;
Und bist und bleibst am Ende netto
Doch nur unser erstes und letztes Ghetto!

[120] 3.

Sehn Sie, Bester, dort ums Eck
Jenen prächtgen Wagen rollen?
Wer das war? – Nur keinen Schreck,
Wenn Sie's wirklich wissen wollen!
Das war ER – Ich nenn' ihn nicht,
Deutschland weiß schon, wen ich meine,
Unser Hort und unser Licht,
Er, der Einzle, Einz'ge, Eine!
Glauben nicht, was so ein Mann
Alles unsrer guten Stadt frommt,
Was er will und was er kann,
Ganz vornehmlich, wenn's ins Blatt kommt.
[121]
Und wie er bei Jud' und Christ
Für jedwede fremde Not mild
Stets bereit zu helfen ist,
PATER PATRIAE, von Rothschild.
Ja, wie er ganz fein und fern
Selbst im Großen für die Welt sorgt,
Weil er kriegeslust'gen Herrn
Nicht so gleich sein schönes Geld borgt.
Ach! und die enorme Pracht
Seiner Gärten, Parks und Villen,
Schlafzimmer, nicht für die Nacht,
Nur zum Sehn um Gotteswillen!
Bilder unter schwarzem Flor,
Dieses konserviert sie besser,
Und an jedem Eisentor
Drei gewicht'ge Hängeschlösser!
Sehn Sie! Wieder dort ums Eck!
Die Livree, der Staat von Federn,
Rappen mit 'nem weißen Fleck,
Englisch all's bis zu den Rädern!
Und dem Kutscher hat heut früh
Frau Baronin noch geraten:
Halt dich schepp, dann meinen sie,
Wir sein von die Diplomaten.

[122] [125]4.

Schlenderte eines Tags verlassen
Umher in der Eschenheimer Gassen,
Und trat in einen Hof, darinnen stand
Ein Österreicher, Musket' in der Hand.
Seh' mir die Treppen, Höfe, Gänge,
Der bestäubten Fenster Menge
Recht neugierig und teilnehmend an,
Just wie nur ein Fremder gaffen kann.
Kommt aus dem Haus mit leisen, raschen
Schritten ein Mann mit Akten in den Taschen,
Den frag' ich mit einem Gruße frank und frei:
Was das für ein großes Haus hier sei?
Das Männlein blinzt durch seine Brille
Mich an und hustet nach langer Stille:
Ihnen das zu sagen, bin ich nicht kompetent;
Sprach's, ging, machte sein Kompliment.
Nun hab' ich's gewußt, woran ich gewesen,
Der Österreicher aber, ohne viel Federlesen,
Kommt auf mich zu und fragt mich grob,
Was ich hier in dem Hause zu suchen hob?
Gott sei Dank, hier hab' ich nichts zu suchen,
Da fing der Holter an zu fluchen:
Dann gehn's Ihrer Wege als guter Christ,
Sehn ja, daß hier nichts zu finden ist!

[125] 5.

(Marchesi's Goethe in der Bibliothek)


Hier laßt ihn bleiben in der kühlen Halle,
Im Vorhof freier Kunst und Wissenschaft;
Stellt ihn nicht hin, ein Schaugericht für alle,
Ihn, der dem Pöbel stets sich stolz entrafft!
Wer nach ihm sucht, wird ihn zu finden wissen,
Steht er auch nicht auf offnem Markte aus,
Nur gebt ihn Eurer Nächte Finsternissen
Nicht preis und Eurer ew'gen Winter Graus!
Ihr lest es klar in diesen Marmorzügen,
Im Lächeln, das die Grazien geweiht:
Allein den Besten seiner Zeit genügen,
Das war ihm Trost und das Unsterblichkeit.
O du, der Deinen Liebe kaum erreichbar,
Wie drückst du in den Staub wer dir sich naht!
[126]
Wie herrlich, dem Olympier vergleichbar,
Thronst du in deinem Hohenpriesterstaat!
Seht dieser Glieder Füll' und Mannesstärke,
Die Wölbung dieser lebensreichen Brust,
Die breite Stirn, die Wiege seiner Werke,
Des Nackens Hoheit, frei und selbstbewußt,
Des Mundes Anmut, selbst im Steine lebend,
Des Heldenleibes selig-feste Ruh';
Noch flattern, leicht wie Schatten um ihn schwebend,
Gedanken diesen vollen Schläfen zu.
So dachte ihn, so malte ihn die Liebe
Und fügsam folgte Künstlers Meißel ihr;
Ja, wenn uns nur dies eine Bildnis bliebe,
Wir hätten doch das treueste von dir.
Wie anders aber, da ein wirklich Leben
In Schritt und Blick und Wort dies Bild noch trug,
Da dieser Geist noch schuf in mächt'gem Weben,
Da dieses Herz in warmen Pulsen schlug!
O daß ich damals mich mit Flügelschnelle
Zur Pilgerfahrt nach Mekka nicht geschickt,
Daß nie mein Knie an deines Zimmers Schwelle,
Der heiligen Kaaba sich gebückt!
Ein Knabe war ich, als die Trauerkunde
Von deinem Tode durch die Lande scholl,
Noch weiß ich, wie ich sie mit bangem Munde
Nachlallte, Herz und Auge übervoll.
Nun kann ich vor dein totes Bild nur treten,
Freudlos strömt meiner Liebe Schatz sich aus,
An deiner Fürstengruft nur darf ich beten
Und weinend gehn durch dein verwaistes Haus.
Ach wie ein Kind, ein müdes, lehn' ich neben
Dem Marmorblock, der deine Züge trägt,
Und meine Lippe drückt mit stummem Beben
Auf deine Hand sich, heiß und tiefbewegt.
[127]
Ein Schauer rieselt aus des Steines Kühle
Durch Hirn und Blut mir, wie ein kalter Schlag,
Und aufgerührt mit wechselndem Gefühle
Zuckt meine Seele dieser Strömung nach.
Was in mir war, Unlauteres und Wildes,
Ward fortgeflößt von diesem Geisterkuß,
Ein neues Leben rinnt, ein reines, mildes,
Durch meiner Adern friedlicheren Fluß.
Du bist mir nahe, ich empfand dein Walten,
Beschwichtigt schwieg der Drang der Welt in mir,
Ein lichter Kreis verheißender Gestalten
Grüßte, wie Zukunftsträume, mich von dir.
Die Stätt' ist heilig – Löset mir die Schuhe,
Hier fall ich nieder, wo ein Gott geweilt;
Als sein Vermächtnis säuselt sel'ge Ruhe
Durch diesen Tempel, allen mitgeteilt.
Nun laßt mich mit dem Dichterschwure scheiden,
Den ich ihm gab als dieser Stunde Pfand!
Ist er gelöst durch Taten und durch Leiden,
Dann wieder küss' ich meines Meisters Hand.

[128] 6.

Aus kleinen Wurzeln sprossen starke Bäume,
Ein mächt'ger Strom entspringt aus dunklem Quell:
Dran mahnen diese unscheinbaren Räume,
Ehmals dein Zelt, erwähltes Israel!
Die Sonne dringt, des Mondes Leuchten nimmer
In jene Hütten voller Rauch und Schmutz,
Und nur der Sabbatslampe seltner Schimmer
Bestrahlt den innen streng versteckten Putz.
Wie dräuend-schwer die Giebel überhängen,
Von Dampf geschwärzt, von Alters Wucht gebeugt!
Wie sie zu Schutz und Trutz zusammendrängen,
Als hätte die Gewalt sie hergescheucht!
Aus niedren Pforten, wie aus Mördergruben,
Gähnt ew'ges Dunkel rätselhaft dich an,
Und schmale Stiegen klimmen auf in Stuben,
Durch deren Fenster nie ein Lichtstrahl rann.
Und stete Nässe in der engen Gasse,
Die krumm und winklicht ihres Weges schleicht,
Und vor den Türen hagre, scharfe, blasse
Gesichter, von der Leidenschaft gebleicht.
Das Judenviertel! – O Barbaren-Zeiten,
Da man ein Volk hier sklavisch eingezwängt,
Und da des Nachts am Tor, zu beiden Seiten,
Ein unerbittlich-ehern Schloß gehängt;
[129]
Da jeder von des Reiches Kammerknechten
Sein Judenzeichen samt der Kalle trug,
Und da der Junkherr mit der kecken Rechten
Straflos in des Ebräers Antlitz schlug!
Sie sind dahin, die vielgeschmälten Tage,
Das Blättlein hat schon leise sich gewandt,
Und Juda ringt uns unter ew'ger Klage
Listig das Heft aus ungeschickter Hand.
Emanzipiert, wie Ihr es einst verrammelt,
Dies zähe Volk, die Mode wechselt ja;
Es hat schon längst zu Haufen sich gesammelt
Und steht als Macht, Euch gegenüber, da.
Den Landmann drängt es hart aus seinem Sitze,
Den Krämer scheucht es von dem Markte fort,
Und halb um Gold, und halb mit Sklavenwitze
Kauft es dem Zeitgeist ab sein Losungswort.
Wißt Ihr, wie tief sein Zauber schon gedrungen?
Schaut um, die ihr von Menschenrechten träumt;
Sie reden drein mit den metallnen Zungen,
Wo scheu der Christ verstummt und zagt und säumt.
Was kann dem Stamm Emanzipieren frommen,
Der nie vom Schacher sich emanzipiert?
Was Ihr ihm schenken wollt hat er genommen,
Dieweil Ihr um Prinzipien disputiert!
Wohin Ihr faßt, Ihr werdet Juden fassen,
Allüberall das Lieblingsvolk des HErrn!
Geht, sperrt sie wieder in die alten Gassen,
Eh' sie Euch in ein Christenviertel sperrn!

[130] Auch ein Rheinlied

– nota bene ohne Becher –!


(1841 geschrieben zu Caub, in einer Lenznacht).


»Quousque tandem ...!?«

»Dies war die Stelle«, sprach ein greiser Krieger,
»Wo wir im Winter über sind gesetzt;
Hier haben wir zum ersten Mal als Sieger
Auf ihrer Schwelle unser Schwert gewetzt.
Herr – Eine Lust! Der Alt' auf seinem Schimmel,
Dort sprengt' er in die eisbedeckte Flut,
Und in den Wellen spiegelte der Himmel
Hell seine Sterne ab und unsren Mut.«
[131]
Nachdenklich sah ich in das dunkle Wasser,
Das träumend durch die stille Talschlucht zog.
Die Bilder alle der Franzosenhasser,
Friedlich zu Fuße und zu Rosse hoch,
Die zahmen, die mit Wort und Reimen streiten,
Die wilden, die der Kampf ins Feuer trug,
Ich sah gespenstig sie hinüberschreiten,
Gen Westen zu ein langer Pilgerzug.
Grau nickten die zerbrochnen Ritterschlösser
Hernieder an den »freien, deutschen« Strand ...
War jene Zeit, so fragt' ich, deutscher, besser
Und freier, da ihr stolzes Haupt noch stand,
Da Sang und Klang von ihren Söllern tönte
Und Jammer aus dem dunklen Burgverlies,
Da frech der Edle die Vasallen höhnte
Und Wanderer am Wege niederstieß?
Und jene Zeit, da mit dem Fürstenschwerte
Der Krummstab eines mächt'gen Pfaffen focht?
Und jene, da die freie, deutsche Erde
Ein kühner Römer spielend unterjocht – ? –
»Frei« war der Rhein, da er durch öde Steine
Noch unbewohnt sich selbst die Bahnen brach,
»Deutsch« war der Rhein, da hier im Eichenhaine
Ein wildes Volk auf Bärenhäuten lag!
Geht mir mit Euren Liedern für und wider!
Geduldig ist das lumpige Papier,
Gleichgiltig strömt und kühl die Welle nieder,
Taub für der Menschen Zank um Mir und Dir,
Dem Franzmann beut sie schmeichlerisch den Rücken
Und trägt den Deutschen, wirft er sich hinein:
Der Rhein, wie Ihr, läßt sich von jedem drücken,
Drum heißt er auch der freie deutsche Rhein.
Dumpf grollend ging die Woge mir zu Füßen,
Als wüßte sie, was meine Lippe schalt.
Da tauchte abwärts, unter Böllerschüssen,
Ein Nachtbild auf von riesiger Gestalt;
Dem Strom entgegen wälzte sich im Düstern
[132]
Mit Donnerton der Dämpfer her von fern,
Und Rauch und Schaum entsprühte seinen Nüstern,
Und hoch am Maste hing es wie ein Stern.
Stern einer neuen Zeit! Sei mir willkommen!
Du gehst zur richtigen Minute auf,
Heran mit Deinen Wundern komm geschwommen,
Entgegen dem gewohnten Wellen-Lauf,
Erwecke sie, die hier am Ufer träumen,
Und reiß sie fort mit Deiner Räder Kraft!
Ja, brausen muß, wie Du, die Zeit und schäumen,
Eh' sie den neuen Geist lebendig schafft!
Strom-auf und nieder schwinge Deine Fahnen,
Trag hin und her Dein Feuer durch die Welt,
Sei mit den eisernen Gedanken-Bahnen
Der Blitz, der uns die graue Nacht erhellt,
Das Band, das uns Geschiedene vereinet,
Die Hand, die uns durch Rad und Ruder lenkt –
Dann wird er »frei«, doch freier, als Ihr meinet,
Dann wird er »deutsch«, doch deutscher, als Ihr denkt!
Auf, frommes Köln, auf, heitres Mainz, erwache,
Du, junges Mannheim, mache Dich bereit;
Von Stadt zu Stadt, den wachsenden, entfache
Sich die Aurora einer neuen Zeit!
Und Ihr, die uns von deutscher Lebensader
So viel geschwatzt, – daß sie zu reich nicht quillt!
Ihr schürtet drin und draußen an dem Hader,
Wie, wenn er, einig, Euch am Ende gilt?
Ihr habt's beschworen, seht nun, daß Ihr's zwinget,
Sonst wächst das Kind Euch alten übers Haupt;
Dort fliegt es hin, ein Vogel leicht beschwinget,
Unhemmbar, stark, am Ziel, eh Ihr es glaubt.
Der freie Rhein – Ja, frei nicht bloß von Franken,
Der deutsche Rhein – Ja, deutsch nicht bloß zum Spaß ...
Gut' Nacht! Ich will dem alten Herr-Gott danken,
Daß er – Genug, ich weiß noch nicht für was!

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TextGrid Repository (2012). Dingelstedt, Franz von. Erste Station. TextGrid Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-7F5C-8