[170] Fünfte Station

[171] 1.

Wie? Dies das Meer? So friedlich und so glatt?
Nichts weiter, als die blanke Wasserfläche?
So zahm, wie ein politisch' Wochenblatt,
So hell, wie deutsche Philosophen-Bäche?
Wie anders, anders hab' ich mirs geträumt,
Daheim am Ofen, über Büchern brütend;
Ist das ein Meer, das Dämme überschäumt
Und Schiff und Fels verschlingt, gen Himmel wütend?
Fort schlich ich zur Kajütentur hinein
Und setzte mich, wo viele andre saßen;
Wie heimisch dort! Die Männlein tranken Wein,
Indes die Fräulein strickten, gähnten, lasen.
Ich tat wie sie und griff ein Zeitungsblatt
Und käute, was schon Hundert wiederkäuten;
Das will, so seufzt' ich bald und hatt' es satt,
Ein deutsches Meer, ein deutsches Volk bedeuten?

[172] 2.

Es stürmt, es stürmt! Hinan den Felsensteig,
Blick in die Nacht, du Lästerer, und neige
Zur Erde dich, vor Freud' und Schrecken bleich, –
Das ist das Meer! Nun sieh und beb' und schweige!
Wie weit wirft es die Wellen-Kronen fort,
Wie rüttelt's an der morschen Felsenkammer!
Es ächzt das Schifflein selbst im sichren Port
Und hält sich fester an des Ankers Klammer.
Ist's eine Woge, die gen Himmel rennt,
Ist's eine Wolke, die zum Meere regnet?
Du weißt es nicht; es haben ungetrennt
Sich Meer und Himmel brüderlich begegnet.
Zermalmt es nicht, entfesselt' Riesenpaar,
Das Kindlein, das in Euren Armen zittert,
Laßt stehn die Hütten, die so manches Jahr
In Eurem Grimme furchtsam sind verwittert!
Der Leuchtturm schwankt, die Glocke dröhnt im Turm,
Die Insel schüttert, – Herr, es geht zu Ende!
Sieh her, mein Volk, das ist Dein Meer im Sturm,
Nun hebe betend die gebundnen Hände!

3.

Noch einen Strahl, eh' in dem Wogenbette
Du deines Tages letzte Glut ertränkst,
Und fern auf andre, glücklichere Städte,
Belebende! dein Himmels-Auge lenkst!
Noch einmal webe um die rote Firne
Des Felsens deinen zauberischen Glast,
Ein Diadem um eines Riesen Stirne,
Das hell der Falten grauen Ernst umfaßt.
[173]
Sie winkt, die Sonne, freundliche Gewährung
Und lauscht aus Wolkenschleiern groß hervor;
Es schwimmt das Meer, die Insel in Verklärung,
Der ganze Westen scheint ein flammend Tor.
Aus lauter Strahlen baut sich eine Brücke,
Den Himmel einend mit dem dunklen Strand,
Fort strebt die Welle, strebt zum Land zurücke
Und spinnt so hin und her ihr funkelnd' Band.
Wer wandeln könnte auf dem goldnen Pfade,
Dem Lichte nach, in die Unendlichkeit!
Wen der Delphin hintrüge, die Najade,
Die Wogen auf und ab, wer weiß wie weit?
Dort, wo der Sonne Feuerball sich bettet
In Well', und Wolkenpfühle eingehüllt,
O wer dahin, dahin sich erst gerettet,
Dem Glücklichen wär' Wunsch und Traum erfüllt!
Da fangen Brück' und Band an zu zerrinnen,
Die Bogen lösen sich in Schaum und Duft,
Es dunkelt um des Eilands Felsenzinnen,
Die Nacht bewältigt Meer und Land und Luft.
Fahr wohl, fahr wohl! Noch seh' ich deinen Schimmer,
Den sterbenden, der mir verheißend winkt,
Doch ach! erreichen kann ich dich ja nimmer,
Da mit dir auch der lichte Pfad versinkt.
So steht enttäuscht, die Arme ausgebreitet,
Der Dichter an des Lebens nacktem Strand;
Das luft'ge Bild, das seinem Blick entgleitet,
Vergeblich wähnt er's nah-gerückt, gebannt.
Nach Zielen schwärmt er in der Weihe Stunden,
Zu denen glanzvoll sich ein Weg ihm beut,
Doch mit dem Ziel ist auch der Weg verschwunden,
Wie jene goldne Sonnenbrücke heut'.
Geh heim! Es harret an dem Felsengange
Im letzten Häuschen eine Zelle dein,
Dort wiege bei dem nächtlichen Gesange
Des Winds, der Welle dich getröstet ein.
Und sieh, ist auch die Sonne gleich versunken,
[174]
Du bist verlassen, du bist lichtlos nicht, –
Im Osten taucht ja eben, wehmut-trunken
Und mild, empor des Mondes Angesicht.

4.

Auf diesen Felsen möcht' ich Hütten baun,
Ein treuer Gast dem abgeschiednen Eiland,
Nicht um nach Süden, heimatwärts, zu schaun,
So wie gen Ithaka der Dulder weiland,
Nein, um des Festlands dürres Einerlei
Im Meereshauch auf ewig zu vergessen;
Hier weht das Banner Albions, und frei
Hat hier von je ein freies Volk gesessen.
Laßt mich willkomm an Eurem Herde sein,
Als Bürger grüße jeder mich, als Bruder,
Legt in die schwache Rechte mir hinein
Statt eines Wanderstabs ein tüchtig Ruder,
Lehrt auf den Dünen mich den Robbenfang
Und andre Kiel' als Gänsekiele führen;
Müd' war ich's, beim Allmächtigen, schon lang,
Sie täglich sonder Ziel und Rast zu rühren!
Gib mir die Hand, du schönes Fischerkind,
Sei du mein Weib, mein Engel, meine Muse,
Auf daß ich werde, was die Deinen sind,
Ein wackrer Lotsen-Mann in blauer Bluse;
Streich mir die alten Falten von der Stirn
[175]
Und die Gedanken-Runzeln aus den Brauen,
Fortan soll nur dein Kuß, du schmucke Dirn',
Und Arbeitsschweiß auf diesen Schläfen tauen.
Hinein ins Bad! des Staubes letzten Rest,
Daß ihn hinweg der Schaum der Welle spüle!
Wie dehnt die Brust, so enge, so gepreßt,
Sich selig aus in dieses Morgens Kühle!
Den alten Adam tauch' ich opfernd ein,
Du, weihe, Meer, mich selbst zum neuen Lose,
Laß mich gesund und dein auf ewig sein,
Wenn ich entsteige deinem Mutterschoße!

5.

Umsonst! Es nimmt das reine Element
Den Leib nicht auf, der sich mit Schuld beladen,
Das Mal, das mir auf Stirn und Achseln brennt,
Wäscht keine ab der kosenden Najaden.
Zu ihrem Sklaven prägte mich die Welt,
Ich naschte von der Frucht der Hesperiden,
Nun scheucht mich's fort, wo's eben noch mich hält,
Selbst Meer und Eiland geben keinen Frieden.
Gern hätt' ich meinen Stab hier eingepflanzt,
Zu sehen, ob der dürre grünt' und trüge,
Im roten Wasser lustig mitgetanzt
Und mich zur Ruh' gesetzt und zur Genüge.
[176]
Es soll nicht sein, die Welle stößt mich aus,
Der Felsen will den Gleitenden nicht tragen, –
So leb denn wohl, du räuchrig Fischerhaus,
Das mich geborgen hat in stillen Tagen!
Leb wohl, der Helga grün-rot-weißes Land,
Gott schütze dich, und englische Gesetze!
Daß nie der Seehund mangle deinem Strand,
Nie Schell- und Stockfisch deiner Söhne Netze!
Reich mir noch eins den Mund zum Kusse her,
Schön-Ännchen, morgen küßt er andre Jungen;
Dann denk an mich, wenn nicht das weite Meer,
Das rächende, zur Heimkehr mich verschlungen!

[177] 6.

O Meer, o heil'ges Meer! Nach deiner Frische,
Nach deinem Frieden lechzet meine Seele:
So schreit um Wasser durch die Nacht der Büsche
Der Hindin trockne, todes-wunde Kehle.
Mich widert's an, der Täler und der Berge
Abwechselnd' Spiel und ew'ge Einerleiheit!
Wer rettet mich aus diesem Bann der Zwerge
In dein Asyl, du Element der Freiheit?
Wo aus der Brandung jauchzendem Gebrülle
Allnächtlich ihre Hymnen aufwärts fliegen,
Wo einst, des Zwanges ledig und der Hülle,
Die Schönheit selber nackt emporgestiegen!
Was ist das Land und seine kurzen Lenze,
Die Wind und Frost in einer Nacht verjagen,
Was Nachtigallen, die um welke Kränze
Und um mißwachsne Blumen einsam klagen?
Auch du trägst Blüten, blendender als diese,
Die schaumgekrönten Wipfel deiner Wogen,
Im Sonnenlicht grünt ewig deine Wiese,
Begrenzt nur von des Himmels blauem Bogen.
Dir reißt den Schoß, den heiligen der Mutter,
Kein Eisen auf, habgierig drin zu wühlen,
Für irdisch Rindvieh bietest du kein Futter
Und darfst der Sohle eklen Tritt nicht fühlen.
Dich hemmt des Eises Joch nicht und der Brücken,
Der Dämme lachst du, will dein Zorn erwachen,
Doch schaukelst du auf deinem freien Rücken
Den freien Mann im kecken Schiffer-Nachen.
[178]
O Meer, o Meer! durch deiner Blüten Mitte
An grünen Hügeln jach emporzuklimmen,
Im Arm und Kuß der weichen Amphitrite
Den hüpfenden Delphinen nachzuschwimmen,
Weil unten aus dem Abgrunds klarem Düster
Des Ew'gen Auge auf uns starrt und leuchtet,
Und zügelloser Wellenrosse Nüster
Mit weißem Schaum uns Haupt und Nacken feuchtet:
Das nenn' ich Lust und Kampf und Sieg und Leben,
Das gute Rast, wann spät im Abenddunkeln
Die Segel hochgebläht zum Hafen schweben,
Die Ruder all', umsprüht von hellem Funkeln.
Meer, heil'ges Meer! Dir send' ich diese Grüße,
Um dich, verlornes, klagen diese Lieder;
Nur einmal noch, bevor ich scheiden müsse,
Zeig Gottes Spiegel mir, dein Antlitz, wieder!

7.

Es irrt, vom Meeresstrand verschlagen,
Die Möw' im Walde hin und her;
Die Flügel, ängstlich flatternd, tragen
Die arme Wandernde nicht mehr.
Was zogst du auch vom freien Strande,
Aus deiner Klippen sichrer Bucht,
[179]
Hierher in enge Binnenlande,
In dieser Tannen niedre Zucht?
Du findest deinen Weg nicht wieder
Getäuschte, in dein Küstenland,
Und deines Heimwehs schrille Lieder
Verhallen ungehört im Sand.
Dort, wo im Nest die Turteltaube
Mitleidig dir entgegengirrt,
Dort such dir unter falbem Laube
Ein Grab, das deine Freistatt wird.

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Zitationsvorschlag für diese Edition
TextGrid Repository (2012). Dingelstedt, Franz von. Fünfte Station. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-7F66-0