[213] Letzte Liebe

Quien no ama, no vive.

[214] 1.

Die Sonne sinkt. Ein brechend Mutter-Auge
Hängt sie noch einmal auf der stillen Erde
Und zittert in des Sees durchglühten Wogen.
Ja, dräng Dich an sie, Welten-Kind, und sauge
Den Segen auf, eh er verdunkelt werde,
Und eh an dem erstarrten Himmelsbogen
Die Nacht kommt aufgezogen.
Auch meine Sonn, ich fühl es, neigt zum Ende;
So möge Dich ihr letzter Strahl verklären!
Ob ich die Kraft, die schwindende, verschwende,
Was tuts? Sie kann ja doch nicht ewig währen.
Ein Bild noch – Deins! – will ich in Glorie fassen
Und lächelnd als Vermächtnis hinterlassen.

2.

Daß ich Dich fand, bevor ich heimgegangen,
Ich weiß nicht, soll mich's freuen oder schmerzen,
Und soll ich weilen bei der oder fliehen?
Fertig mit jedem liebenden Verlangen
Hatt' ich schon abgeschlossen mit dem Herzen
Und dachte unter fremden Melodien
Kühl meines Wegs zu ziehen.
Nun windest Du den schweren Wanderstecken
Mir aus der Hand und zwingst mich zu Dir nieder;
Ach! tust Du wohl den alten Geist zu wecken,
Die Jugendträume, die verschollnen Lieder?
Sie werden doch mich nicht wie einst betören,
Dir kann ich nicht und nicht mir selbst gehören!

[215] 3.

O hätte Deiner Seele erstes Wählen
Statt meiner einen Besseren getroffen
Und hätten wir uns nimmermehr gefunden!
Der Frühling soll dem Herbst sich nicht vermählen,
Und die Enttäuschung nicht dem gläubgen Hoffen;
Wie wirst Du, wenn Dein kurzer Rausch entschwunden,
Erwachen, wann gesunden?
Du weißt nicht, was Du tust. Stets fester rankst Du
Im jungen Triebe Dich um Schutt und Steine;
Wenn diese brechen über Nacht, dann schwankst Du
Zerrissen hin und schutzlos, arme Kleine!
Nein, Rosen sollen nicht aus Trümmern sprossen, –
Geh, such Dir einen anderen Genossen!

4.

Du zauderst Dich mit meinem Lied zu schmücken?
Mein Kind, wie schlicht Du bist und wie bescheiden
Daß Dich die blassen Dichterperlen blenden.
Ich möcht' ins Haar Dir Shakespeares Krone drücken,
Mit Goethes Purpur königlich Dich kleiden
Und des Petrarca Schatz mit beiden Händen
Täglich an Dich verschwenden.
Ach! Wenn unsterblich meine Dichtung wäre
Und siegend dräng in alle Welten-Fernen,
Ich baute Dir unsterbliche Altäre
Und trüge Deinen Namen zu den Sternen.
Ein kalt Geschenk für Deine warme Gabe –
Weh! Daß ich Gleiches nicht zu bieten habe!

[216] 5.

Du bist nicht wie die andren Weiber alle:
Du forschest nicht auf meinem Seelengrunde
Nach längst versunknem Lieben oder Leben;
Du putzest minder Dich zu einem Balle
Als für den Freund zu stiller Schäferstunde
Und hast Dich, ohne Schwur und Widerstreben,
Mir ganz dahingegeben.
Jüngst küßte ich den Saum an Deinem Kleide,
Da wardst Du böse und botest süß-beklommen
Den Mund mir dar; auch abends, wenn ich scheide,
Fragst Du mich nie: wann wirst du wiederkommen?
O Mädchen, Mädchen, lehre mich vergessen,
Daß ich schon andere vor Dir besessen!

6.

Laß, Mädchen, mich Dein Herz demütig küssen,
Und wiege Du mit reinen Liebes-Armen
Mein Haupt in Deinem jungfräulichen Schoße!
Vor Dir möcht ich mein ganzes Unrecht büßen,
Du würdest meiner Schuld Dich mild erbarmen
Und mich versöhnen mit dem Dichter-Lose,
In Dornen eine Rose.
Ich zweifelte an Weiber-Lieb und Treue,
An Freund und Feind, an Gott und meines Gleichen;
Nun fühl ich wieder Sehnsucht, Schmerz und Reue
Wie Frühlingsatem schmeichelnd mich beschleichen,
Und die mir Lieb' in Jahren schlug, die Wunden,
Die Liebe heilt sie ach! in wenig Stunden.

[217] 7.

Es war am Abend, daß wir uns begegnet, –
Weißt Du es noch? – an jenem Brückenstege;
Du betetest just mit den Vesperglocken,
Ich kam vom Berge müd und ganz durchregnet
Und fragte Dich nach dem verlornen Wege,
Da fuhrst du auf und schütteltest erschrocken
Die langen blonden Locken.
Ach! wohl war ich verirrt; zum Heimatlande
Und zu verlornen Jugend-Paradiesen
Hast Du aus unfruchtbarem Wüstensande
Tröstlich und mild die Straße mir gewiesen.
Bald – ist es Zeit. Dann sag mir Ewig-Blinden
Wie soll ich meinen Rückweg wieder finden?

8.

Mir träumte letzte Nacht: Wir beide saßen
Hier unter Deines Vaters Hochzeitslinde,
So wie wir, Hand in Hand, zu sitzen pflegen.
Zu Deinen Füßen spielte auf dem Rasen
Ein Lamm mit einem blondgelockten Kinde,
Und aus der Hütte drinnen sprang verwegen
Ein Knäblein uns entgegen;
Er klammerte sich fest an Deine Kniee
Und spielte mir liebkosend in den Haaren
Und »Vater« lallend in dem Bart – Und siehe!
Wie grau mein Bart und meine Haare waren! ...
Zu spät, zu spät!! Was frommen alle Träume? –
Wann's Herbst ist, werden fahl und kahl die Bäume.

[218] 9.

Du hörtest wohl die märchenhafte Kunde
Von einer Stadt am Meere, die vor Jahren
Durch eine Sturmflut ward hinabgeschlungen?
Noch blinkt es oft und wallt herauf vom Grunde,
Und wenn die Schiffer sonntags drüberfahren,
Ist plötzlich aus den grauen Dämmerungen
Ein Glockenton erklungen!
So, Mädchen, laß in Deines Busens Grunde
Mein Lieben und mein Leben still versinken,
Und an das Licht gelange keine Kunde,
Als nur ein leises Wallen oder Blinken.
Noch treib ich leicht und selig auf der Welle,
Beglänzt von Deiner Augen Sternenhelle.

10.

Stirb, Engel, stirb in meinen Armen plötzlich!
Im Kuß laß Deinen roten Mund erkalten,
Im Kuß den letzten Seufzer sanft zerfließen!
Dann soll mein Herz Dein Bildnis unverletzlich,
Wie Sarg und Grab, in seinem Schreine halten
Und über ihm in treuen Finsternissen
Sich stark und ewig schließen.
Mich quält, daß andre nach mir Dich umfassen
Und Deiner Liebe volle Rosen pflücken,
Drum möcht ich Dich dem Tode überlassen
Und scheidend in sein Witwer-Bett Dich drücken.
Der Tod ist treu, in seinem Haus ist Frieden,
Und Treu und Frieden eine Lüg hienieden.

[219] 11.

Merk auf! Acht Tag', nachdem Du mich verloren,
Dann werden fromme Tröster zu Dir kommen
Und freundlich auf die rechte Stunde passen;
Sie raunen nachbarlich Dir in die Ohren:
»Du hast zu sehr zu Herzen es genommen,
Er hat dich eigentlich doch schnöd verlassen,
Versuch es ihn zu hassen« ... ! ... –
Spei ihnen ins Gesicht den Pharisäern
Und schließe Dich in Deine stille Kammer,
Dort laß, den Spöttern ferne wie den Spähern,
Ausbluten Deinen ersten Lebensjammer,
Und selbst die Wunde – glaubs – wird Dich beglücken,
Wenn fremder Tölpel Fäuste sie nicht drücken.

12.

Nun sei geleert die bittre Abschieds-Schale,
Das harte Wort sei schonungslos gesprochen:
Leb wohl, leb wohl! Auf Nimmerwiedersehen!
Hier küßt' ich Deinen Mund zum ersten Male,
Hier werde auch der letzte Kuß zerbrochen,
Du bleib auf dieser Schwelle einsam stehen,
Mich lasse einsam gehen!
Ja, Du bist groß! – Du heißest ohne Zähre
Und ohne Klage mich von dannen ziehen;
O Mädchen, Mädchen, wenn es möglich wäre – –
Nein, es ist nicht. Du weißt es, ich muß fliehen.
Und dies das Letzte was ich Dir geschrieben:
Du hast geliebt – Ich werde nimmer lieben!

[220] 13.

Den Wolken nah, auf dürrer Felsenspitze,
Wo nur die Eulen nisten und die Raben,
Will ich der Liebe Kenotaph bestatten.
Ein letzter Blick zurück von meinem Sitze:
Ich bin allein, ich habe sie begraben,
Und ach! sie folgt mir nicht, wie einst der Schatten
Euridikes dem Gatten.
Da unten liegt, dem Auge kaum erkennbar,
Die Hütte wie ein Särglein anzuschauen ...
Ein Schmerz durchzuckt mich tödlich und unnennbar:
Aus mit der Liebe! Fertig mit den Frauen! –
Dann weiter in die Welt mit halber Seele,
Der Haß ergänze, was an Liebe fehle!
[221]

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Zitationsvorschlag für diese Edition
TextGrid Repository (2012). Dingelstedt, Franz von. Letzte Liebe. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-7FDD-4