[72] 13. Aus Peru

(Nach einer Erzählung.)

1.

Ein Indianer kam herangeritten
Und fragte zögernd: »Find' ich dich allein,
Darf ich mein Väterchen um etwas bitten?« –
»Frisch von der Leber weg, was soll es sein?
Mach' dir's behaglich, Freund; du bist willkommen;
Die Thür ist offen, diese Hütte dein.«
Er aber sagte, wie von Angst beklommen:
»Der Hammer, den du übers Meer gebracht,
Der würde heute mir vortrefflich frommen;
Leih' mir ihn, Väterchen, für diese Nacht.«
Und als er das Gewünschte kaum empfangen,
Da hat er dankend sich davongemacht,
Daß mich des Mannes sonderbar Verlangen,
Daß mich des Nachbars Eile schier verdroß.
Doch, als die nächste Sonne aufgegangen,
Hielt er vor meinem Fenster, hoch zu Roß;
Und wieder trat ich freundlich ihm entgegen,
Als plötzlich mir ein Blitz die Augen schloß.
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Ich sprach: »Ich forsche nicht nach deinen Wegen,
Nur hast du gar zu frühe mich geweckt,«
Und nahm den Hammer, um ihn wegzulegen.
Mich hat gewiß der Sonne Glanz geneckt,
Nein! – Seh' ich recht? – Was eben mich geblendet,
Ist blankes Silber, das den Stahl bedeckt.
»Herein, mein Sohn, das Blatt hat sich gewendet;
Erzähle rasch von deinen Abenteuern!
Mein guter Engel hat dich hergesendet.«
Ich mußte meine Bitte oft erneuern,
Obgleich ich schöne Worte nicht gespart,
Den Nachbar zum Geständnis anzufeuern;
Doch endlich, schlicht und ernst, nach seiner Art,
Erwidert er: »Wohlan, ich will dir's sagen;
In deinem Busen ist es treu bewahrt:
Ein Stückchen Silber hab' ich heimgetragen,
Nachdem ich's im Gebirge letzte Nacht
Mit deinem Hammer mir herausgeschlagen.
O Väterchen, ich that es mit Bedacht:
Kein voller Kessel dampft auf meinem Herde;
Ich ritt hinüber nach dem reichen Schacht,
Damit mein armes Weib gesättigt werde;
Ich weiß ja, wo die Silberstufen liegen,
Dem Blick verborgen durch ein bißchen Erde.« –
»Wie! eine Mine, greifbar und gediegen,
Hast du entdeckt, von der nur wen'ge Meilen
Uns trennen, Freund, und mir den Fund verschwiegen?
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Laß uns sogleich an Ort und Stelle eilen;
Du bist ein Sonntagskind, zum Glück geboren!
Zu Pferde denn, daß wir zusammen teilen;
Dein soll die Hälfte sein, das sei geschworen.
Der Tag ist lang, und wir, wir reiten scharf;
Fort, an die Arbeit – keine Zeit verloren!«
Und als ich so mit Worten um mich warf,
Da hub er ruhig an: »Du wirst mich schelten;
Doch sage selbst, ob es geschehen darf.
Ich möchte den Gefallen dir vergelten
Und dich an die geheime Grube führen.
Zwar geh ich ungern hin, und selten – selten,
Auch stets allein, das Silber zu berühren;
Der Himmel will es so; wenn ich's vergäße,
Ich würde seine Rache bald verspüren,
Daß Feuer mir die Eingeweide fräße,
Und jede Nacht – ich denk' es mit Erbeben –
Ein Teufel auf der wunden Gurgel säße.
Denn wisse, was die Götter uns gegeben,
Was unsre Väter treulich hinterlassen,
Trotz Todesmartern, hilft uns nur zu leben;
Wir sollen's nicht mit gier'gen Händen fassen
Und schöpfen nur, wenn wir mit Sorgen ringen,
Aus einem Erbe, das wir nie verprassen.« –
»O,« rief ich aus, »wer spricht von solchen Dingen?
Ich dränge nicht, ich rate nicht zum Raube,
Und keinen will ich um das Seine bringen.
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Beredt ist deine Zunge; doch erlaube:
Erbärmlich scheint mir der Gedanken Flug,
Und was du fürchtest – welcher Aberglaube!
Sich arm zu stellen, früher war es klug;
Jetzt aber leben wir in andern Zeiten,
Und nicht verhungern, das ist nicht genug.
Du wardst als Christ getauft, kannst du's bestreiten?
Die Götter deiner Väter sind gestürzt;
Wir müssen handeln, müssen vorwärts schreiten
Und alles kennen, was das Dasein würzt.
Zum Segen unsrer Brüder, unsrer Kinder,
Mein Freund, sei unser beider Weg gekürzt.
Geld heißt die Losung – ja, du bist der Finder;
Dein ist der Reichtum, und auch ohne mich
Kommst du zum Ziele, doch mit mir geschwinder.
Wenn je das Glück von unsrer Seite wich,
Wir kaufen's wieder.« – Als ich dies gesprochen,
Da sah ich, wie der Mann zur Thüre schlich,
Mit leiser Stimme, wie vom Schmerz gebrochen,
Entgegnend – und ich fühlte, o der Pein!
Jedwede Silbe mir im Hirne kochen –:
»Verzeih' mir, Väterchen, es darf nicht sein.«

2.

»Es darf nicht sein.« Verhängnisvolle Worte –
Da war ich mit dem krummgeschlagnen Hammer
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Auf einmal von des Paradieses Pforte
Zurückgesunken in des Lebens Jammer!
Was ich gehört, sind's alberne Geschichten?
So sagt' ich zu mir selbst in stiller Kammer;
War's Uebertreibung, Prahlerei? Mit nichten!
Ich hörte Wahrheit, kenne meinen Gast,
Und will auf keine Möglichkeit verzichten.
Behutsam vorwärts; thöricht war die Hast,
Mit der ich fragte; endlich werd' ich's wissen,
Was er verbergen will – ihn drückt die Last,
Ich aber weiche nie vor Hindernissen.
Und als ich so an dies und jenes dachte,
Da hat die Phantasie mich fortgerissen,
Daß ich die schale Gegenwart belachte,
Und mich erging in Träumen, immer wildern,
Und altes Holz zu kühner Glut entfachte.
Paris mit seinen tausend Gaukelbildern,
Des Lebens Freuden, Reichtum, Glanz und Ehre,
Gedankenblitze, Wünsche, nicht zu schildern,
Das stieg empor und trotzte jeder Lehre
Und jeder Trübsal der Vergangenheit;
Die düstre Regel: »Kämpfe und entbehre!«
Vergessen war sie, und mein Herz befreit
Von Aengsten und von drohenden Gewittern.
O schnöde Welt, jetzt siehst du mich bereit,
Dir Trotz zu bieten; mögen andre zittern
Vor jenem Götzen, den sie Mammon nennen,
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Ich schlage mich zu seinen besten Rittern.
Am Silberharnisch könnt ihr mich erkennen;
Reich bin ich, reich – und diese Wahrheit soll
Als Neid fortan auf eurer Seele brennen;
In feiles Lächeln wandle sich der Groll,
Den kalte Lippen mir so gern gespendet,
Wenn ich, ein Sohn der Zukunft, ahnungsvoll
Im Jugendrausche jenen Schatz verschwendet,
Den keiner aus dem Busen mir gegraben,
Seht her, der Bettler hat sein Werk vollendet!
Fliegt jetzt herbei, ihr nimmersatten Raben,
Der Träumer kann sein Glück mit Händen greifen;
Ihr mögt von ferne eure Blicke laben
An Früchten, die mir in der Sonne reifen!
Stolz, wie Columbus einst am Steuer stand,
So nahm auch ich den schmalen Purpurstreifen
Am Horizonte für geschenktes Land;
Doch war die Fieberhitze bald verflogen,
Und als ich meine Ruhe wiederfand,
Da dacht' ich: Oft genug ward ich betrogen;
Als weiser Mann verkauf' ich nicht die Haut,
Bevor ich sie dem Bären abgezogen,
Erst nach dem Indianer umgeschaut,
Der Ueberredung Pfeile abgeschossen,
Und meine Schlösser langsam aufgebaut.
Und als ich das erwogen und beschlossen,
Ist mit Besuchen mir, mit stets erneuten,
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Vergebens eine lange Zeit verflossen.
Mein brauner Nachbar ließ sich nicht bedeuten;
Stumm blieb er, trotz des Diplomaten Kunst,
Daß meine Schritte mich zuletzt gereuten.
Nun schien mir das Geheimnis bloßer Dunst,
Die goldne Brücke plötzlich abgebrochen,
Und so, verzichtend auf des Schicksals Gunst,
Verlebt' ich unbefriedigt Tage, Wochen. –
Da kam der Wilde ungerufen wieder;
Ich hört' ihn einst an meine Thüre pochen;
Nacht war's, in Strömen fiel der Regen nieder,
Daß mir die Störung unbequem geschienen,
Und ich, ihm aufzuschließen, meine Glieder
Nur mürrisch regte. Mit verstörten Mienen
Und trüben Blickes kaum hereingeschwankt,
Sprach er: »O möchtest du mir heute dienen!
Mein Weib, mein armes Weib ist schwer erkrankt;
Du rettest sie, – dort stehn so viele Flaschen, –
Geh mit, es sei dir tausendmal gedankt.«
Hier galt's, das Glück im Fluge zu erhaschen,
Nicht, weil ich dieses oder jenes trieb,
Von meinem Nimbus jetzt mich rein zu waschen.
Ein solcher Anlaß war mir doppelt lieb,
Und keine Fakultät wird mich bestrafen,
Wenn der Gerufne nicht zu Hause blieb.
Wir ritten schweigsam durch die Nacht und trafen
Des Indianers Gattin in Gefahr,
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Doch war sie bald getröstet eingeschlafen,
Nachdem ich, was nicht meines Amtes war,
Gethan, nach bestem Wissen und Ermessen.
Am nächsten Morgen aber, sonderbar!
Ist sie genesen fast, verlangt zu essen,
Ruft uns herbei, gesprächig und vergnügt,
Und spricht: »Die Rettung werd' ich nie vergessen!«
Ich stammelte: »Das hat sich so gefügt – –«
Doch sie, mich unterbrechend: »Ich gehöre
Zu jenen nicht, die solche Rede trügt.
Daß heute niemand meinen Willen störe –
Noch bin ich schwach – und soll ich ganz gesunden,
Dann«, ihres Mannes Hand ergreifend, »schwöre
Zu handeln, wie ich es für gut befunden.
O Freund, ich weiß es, du gehorchst nicht gerne;
Doch sei dein langes Sträuben überwunden.
Der mich gerettet, sieh, er kommt von ferne;
Nun will ich, daß er dankbar von uns scheide,
Und daß er uns zu lieben nie verlerne.
Auch jetzt zu zaudern, thu' mir's nicht zuleide.
Die Silbermine liegt ihm stark im Sinne;
Drum sattelt eure Pferde, reitet beide
Fort ins Gebirge, daß er gleich beginne
Zu sehn, was seine Wünsche stillen kann,
Und bald den wohlverdienten Lohn gewinne.
Was er mit ein'gen Maultiertruppen dann
Hinwegführt, um es seewärts zu geleiten,
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Wird ihm gewiß genügen, lieber Mann!
Für uns sind solche Schätze Kleinigkeiten;
Denn unerschöpflich ist die Grube. – Sorgen
Wird uns der Freund, der Nachbar nicht bereiten;
Wir bleiben frei von Not – er ist geborgen.«
Und was geschehen mußte, das geschah.
Des Gatten Antwort war: »So sei es morgen.«
Es klang nicht freudig, ach; das ging mir nah;
Doch wenn ich auch mit eignem Unbehagen
Des Mannes Seelenfolter fühlte, sah,
Ich konnte meinem Glücke nicht entsagen.

3.

Glorreicher Tag, der mich erlösen sollte
Von all den Zweifeln, die mein Herz bedrückten,
Und neue Horizonte mir entrollte!
Gedanken, Pläne, wie sie selten glückten,
Die Sonne hat sie wieder aufgefrischt,
Als wir den blauen Bergen näher rückten,
Gefühle, rasch entstanden, rasch verwischt,
Idyllen, in des Morgens Tau entsprossen,
Hoffnung, die ewig täuscht und nie erlischt.
Vor meinen trunknen Blicken ausgegossen
Des Schöpfers Füllhorn, und auf glattem Pfade
Dem Glücke zugestürmt auf flinken Rossen –
O jener Tag! Es war zu viel der Gnade,
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Ich dachte, – ja ich will auch dies gestehn: –
Daß jetzt nur kein Gewitter sich entlade!
Denn Schlimmres, schien mir, konnte nicht geschehn.
Im Gürtel trug ich Hammer und Pistolen,
Und so war alles, alles vorgesehn.
Mein Führer hatte keinen Schatz zu holen,
Ihn trieb es nicht mit fiebrischer Gewalt;
Er that nur, was sein Weib ihm anempfohlen,
Mir treu zur Seite bleibend, ruhig, kalt,
Ein sichrer Freund, ein nüchterner Geselle.
Heiß war der Weg – doch endlich hieß es: »Halt!
Sieh, Väterchen, nun sind wir gleich zur Stelle.«
Was aber sah ich? – Eine Felsenwand,
Von deren Höhe eine muntre Quelle
Herniederglitt, um wie ein Silberband
Sich durch des Thales grünen Schmuck zu schlingen.
Wir kamen bald bis an des Bächleins Rand.
Jetzt rasch hinein, um weiter vorzudringen,
Vielleicht nur wen'ge Büchsenschüsse weiter –
O Gott, es sollte, durfte nicht gelingen! –
Ich trabte lustig fort – doch mein Begleiter?
Zusammen brach sein Pferd, das oft erprobte;
Ein Fluch – und unterm Sattel lag der Reiter.
Ha, welche Wut in meinem Innern tobte!
Ich ritt zurück und rief: »Ein blinder Thor,
Wer jemals deine Reiterkünste lobte!«
Der Indianer riß sein Pferd empor
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Und sprach: »Ein spitzer Kiesel lag im Bache!«
Und zog ihn aus des Tieres Huf hervor.
»Verloren, armer Freund, ist deine Sache,«
So fuhr er fort; »mein Fuß ist angeschwollen;
Ich bin gelähmt – das ist des Himmels Rache.
Hörst im Gebirge du die Donner rollen?«
Ich hörte nichts; doch unglücksel'gerweise
Half hier kein Bitten mehr und auch kein Schmollen.
Wir kehrten um; mißraten war die Reise,
Und was ich that, sie wieder anzuregen,
Vergebne Mühe! – Lüstern nach dem Preise,
Blieb ich beim Nachbar, sorgsam ihn zu pflegen.
Bald war er hergestellt und voller Güte
Wie früher, doch vom Fleck nicht zu bewegen.
Was nützt es, daß ich über Worte brüte?
Ach, meine Stellung wurde täglich schlimmer,
Ihm stack der Aberglaube im Geblüte.
Genug, mir schwand der Hoffnung letzter Schimmer,
Auch seiner Gattin Herz ward hart wie Stein:
»Die Götter wollen's nicht,« so hieß es immer;
»Verzeih' uns, Väterchen, es darf nicht sein!«

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Zitationsvorschlag für diese Edition
TextGrid Repository (2012). Dranmor, (Schmid, Ludwig Ferdinand). 13. Aus Peru. TextGrid Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-826F-3