[100] 17. Don Juan

Einer albernen Fabel
Opferte dich, den Helden
Spanischer Minne,
Deutsche Klatschbaserei.
»Tausendunddrei«,
Sagen die Frommen achselzuckend,
Und seit Jahrhunderten
Spukst du in engen Gemütern
Als zierlich geputztes Monstrum,
Das mit blutbefleckten Lippen
Armen Tauben Liebe heuchelt.
Schönheit, Weiblichkeit,
Knospende Frauenanmut
Oder reiferer Formen
Blendende Reizesfülle
Herrschten über dein ganzes Sein.
Ja, mit gewaltigen Zügen
Schöpftest du aus dem Borne
Unaussprechlicher Wonnen;
Doch nicht Sinnestaumel,
Lebensdurst, siedende Sehnsucht
Zeigten dir jene Gefilde,
[101]
Wo sich an hängende Himmelsgärten
Irdische Liebe klammern möchte;
Unter säuselnden Palmen
Wolltest du, Staubgeborner,
Lächelnde Engel umschlingend,
In der Wollust veratmenden Ohnmacht
Mit offnen Augen träumen,
Um deiner Seele Einsamkeit
Mit immer neuen Gefühlen
Und die angestammte Trauer
Mit Dithyramben zu täuschen.
Fröhlich, zufrieden sein,
Ist das Selbsterkenntnis
Oder tierische Stumpfheit?
Ist es Selbstvergessen
Oder Geistesarmut?
Kanntest du der Beschränkung,
Der Gewohnheit schüchterne Freuden?
Ewig wechselnde Bilder,
Ob teure Erinnrung
Oder des schaffenden Genius
Nimmermüde Gestaltungskraft
Aus dem Nichts sie riefen,
Ließen nie dein Blut erkalten
In behaglicher Sonntagsruhe;
Und berauscht von dem Gifte,
[102]
Das in schmeichelnden Liebespsalmen
Deinen Lippen entströmte,
Konnte von Evas Töchtern
Keine dem Zauber entrinnen.
Schale, dürftige Welt,
Wäre sie nicht erleuchtet
Durch holder Frauenaugen
Zündende Strahlen!
Lieben, Geliebtsein –
Unvollkommnes, kurzes,
Süßes, schmerzenvolles,
Unermeßliches Glück!
Ritterlicher Glanz,
Stolze Geburt und voller Beutel
Waren deines Strebens
Treffliche Stützen;
Nicht mit Harpagons Blicken
Hast du Schätze bewacht,
Die dir eitel schienen,
Hatten nicht schöne Kinder
Sich an goldnen Gaben ergötzt
Und mit deiner Großmut
Blitzenden Zeichen prangend
Dich, den Sieger, lachend umarmt
Oder dir, tief errötend,
Ihren Dank gestammelt.
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Nicht mit eisernen Fingern
Hast du Herzen gebrochen,
Nicht mit kaltem Hohne
Taubeschwerte Blüten geknickt;
Auch du, Himmelsstürmer,
Weintest manche Abschiedsthräne.
Doch aus verglimmender Asche
Wuchsen lodernde Flammen;
Lenze wurden zu Sommern,
Und in versengender Mittagsglut
Lockten schwellende Früchte
Mit entzückendem Dufte
Und mit neuem Farbenschimmer.
Nie war Platos fröstelnde Lehre
Dein freies Glaubensbekenntnis;
Doch in des Jünglings Busen
Weckte keusche Zärtlichkeit
Erhabene, starke Gedanken,
Und als deine Philosophie
Raschem Genusse Weihrauch streute,
Suchte auch dann, im Erdenschlamme,
Deine dürstende Seele
Göttliche Schöpfungsfreuden.
Fandest du, was du suchtest?
Träufelte himmlischer Balsam
Auf das heftig klopfende Herz,
[104]
Daß du des Glückes Vollendung
Einmal kennen durftest?
Nein, du kanntest keine Vollendung.
Doch ob Weiber dich liebend umfaßten,
Oder ob du verzweiflungsvoll
Edeln Marmor beleben,
Schlummernde Triebe wecken wolltest:
Schönheit und Weiblichkeit
Blieben dein unvollkommner,
Letzter und einzigster Trost,
Und kein Triumph des Geistes
Schien dir größer, gnadenreicher,
Als der bald aus verschämten,
Bald aus schmachtenden Blicken
Dir, dem Schwärmer, entgegenstrahlte.
Fliegende Pulse – frühes Siechtum!
Durch der Liebe feurigste Küsse
Wehen leise Grabesschauer;
Liebeskrank und todesmutig
Riefst du selbst, in wilder Laune,
Dein Verhängnis in die Schranken
Und verhauchtest dein verwirktes Dasein,
Don Juan, heißbeweinter,
Ohne Hoffnung und ohne Reue.

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Dranmor, (Schmid, Ludwig Ferdinand). Gedichte. Gedichte. Wanderbuch. 17. Don Juan. 17. Don Juan. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-8285-F