[83] 14. Santos Peréz

1.

In fernen und gewitterschwangern Tagen
Floh durch die Pampa hin ein Reisewagen.
Ein Gaucho, auf der Stirn das Todesmal,
Ein Häuptling saß darin, ein General,
Quiroga – von der heimatlichen Erde
Nur eines fordernd: Pferde, frische Pferde!
»Ha, ein Gespann!« – das war sein steter Ruf –
»Mein Schicksal hängt an eines Rosses Huf.«
Sein blutgetränktes Banner war zerrissen;
Doch durch die Wildnis trieb ihn sein Gewissen.
Er mußte sterben – und umsonst gewarnt
Kam er von Córdova, verfolgt, umgarnt.
»Fort, fort!« – Ein Dämon spornte seine Flanken;
Nach Buenos-Ayres flogen die Gedanken
[84]
Dem Feinde zu, den die Geschichte kennt 1
Santos Peréz war dessen Instrument.
Ein Sohn der Pampa, grimmig, racheschnaubend,
Dabei an eine hohe Sendung glaubend;
Durchtobt von zügelloser Leidenschaft,
Und doch – ein junger Baum voll edler Kraft.
Beritten hält er dort mit Kameraden
Im Busche, die Pistolen scharf geladen.
Quiroga naht – Galopp und Peitschenknall
Verkünden ihn. – Vorwärts! – Ein Schuß – ein Fall – –
Durchs Auge ist die Kugel ihm geflogen,
Die schwarze That, der grause Mord vollzogen.
»Jetzt«, ruft Peréz, »das andre abgethan:
Begleiter, Diener – alle müssen dran;
Die Messer her, die Hälse abgeschnitten!«
Da kommt er auf den einen losgeschritten
Und fragt: »Wer ist der kleine Postillon
Dort auf dem Schimmel?« – »Meiner Schwester Sohn,«
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Antwortet jener; »o es wäre schade
Für diesen Jungen; Gnade, Señor, Gnade –!«
»Was Gnade!« rast der Mörder; »er wie du! –
Blut fordert Blut.« Ein Fluch – dann stößt er zu.
Und von dem Leichnam wieder aufgesprungen,
Faßt er am Fuß den armen Gauchojungen.
Ein Knabe ist's – acht Jahre oder zehn –,
Die Mutter hat ihn ungern ziehen sehn.
Er aber, um den Onkel zu begleiten,
Um einmal recht nach Herzenslust zu reiten,
Bat lange, lange – und sie ließ ihn ziehn.
Jetzt ist's zu spät, zu ihr zurückzufliehn.
Wohl greift er krampfhaft in des Schimmels Mähne;
Umsonst – zu Boden reißt ihn die Hyäne.
Er fällt – des Henkers Messer ist gezückt,
Und auf des Kindes Brust sein Knie gedrückt.
Der Knabe windet sich in Todesschrecken;
Die Thränen, ach, die sein Gesicht bedecken,
Der Schweiß, der seine blonden Locken näßt,
Die Angst, die keine Worte finden läßt,
Des Kindes Wimmern, seiner Schwäche Zeichen –
Nichts kann des Ungeheuers Herz erweichen,
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In seine Seele fällt kein Sonnenstrahl –
Und in die Gurgel bohrt er ihm den Stahl.
Er läßt die Leiche unbegraben liegen,
Und sprengt davon – die Toten sind verschwiegen.

Fußnoten

1 Juan Manuel de Rosas.

2.

Die Toten schweigen, doch die innre Qual,
Die Selbstanklage hat dich heimgesucht,
Santos Peréz, und dich verflucht, verflucht!
Man lügt nicht vor dem eignen Tribunal,
Man lacht nicht über seiner Ehre Fetzen;
Was du gethan, erfüllt dich mit Entsetzen;
Du hörst das Flehn der armen Kreatur – –
O Held der Wüste! Kinder zu entleiben,
Das eines Mannes Pflicht? – Gefürchtet bleiben
Mag deine starke Faust, die grause Spur,
Das warme Blut ist nicht mehr wegzureiben.
Das Schicksal gab dich der Verfolgung preis;
Du flohst durchs Land wie ein gehetztes Wild,
Ach, vor den Augen stets dasselbe Bild,
Und du, so jung an Jahren, doch ein Greis,
Gebeugt, verzehrt von unheilbarem Kummer,
Angstvollen Tagen, Nächten ohne Schlummer,
Und im Gehirn die namenlose Glut!
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Der Menschen Strafgericht ist ein gelindes;
Doch bei dem leisen Gruß des Abendwindes,
Im Sonnenschein, wie durch des Sturmes Wut –
Du hörtest stets das Weinen jenes Kindes.
Nach langen Monden fanden sie dich dort
Im Hochgebirge, schleppten dich herab,
Und Buenos-Ayres brach den Richterstab.
Sein Anathem, war das ein Schreckenswort?
Nein! Denn vergiftet war dein Lebensbecher.
Du starbst nicht wie ein zitternder Verbrecher,
Als Triumphator stiegst du aufs Schaffot
Und blicktest auf das Volk, das rohe, feile,
Und botest stolz dein Haupt dem Richterbeile,
Denn eine Stimme rief: »Ich bitte Gott,
Daß er auch deine Wunden wieder heile.«

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Citation Suggestion for this Edition
TextGrid Repository (2012). Dranmor, (Schmid, Ludwig Ferdinand). 14. Santos Peréz. TextGrid Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-8299-3