[88] 15. Von der Her

»Spurlos ist der Ocean,

Ueberall und nirgends Bahn;

Kalt schlägt die Welle, kalt und leer

Ans volle, warme Herz heran;

Wohin du lugst – ein Strich, – nichts mehr, –

Kalt, mein Junge, ist der Ocean!

Einsam ist die See.«

(C.F. Scherenberg.)

1.

Mancher, der die See gepriesen,
Sah sie nur vom sichern Strand;
Nichts als seinen Unverstand
Hat ein solcher Mann bewiesen.
Freilich gab es jederzeit
Leute, die sich selbst betrogen,
Doch beherrscht von Wind und Wogen,
Glaubt man an die Wirklichkeit.
Wer da schwärmt für weite Reisen,
Komme auf die salz'ge Flut,
Zeige seinen Seemannsmut,
Sehe selbst, ob sie zu preisen,
[89]
Die sich wie geschmolznes Blei
Gegen unsrer Barke Flanken
Jetzt empört – verdammtes Schwanken! –
Ob die See zu loben sei.
Jedem Schiff, bei solchem Drängen,
Geht zuletzt der Atem aus;
Heute läßt die Fledermaus
Kraftlos ihre Flügel hängen;
Täglich Aerger und Verdruß,
Und von menschlichen Gebrechen,
Von so vielem nicht zu sprechen,
Was man sonst ertragen muß.
Setzt man hungrig sich zu Tische,
– Manches könnte besser sein,
Selten ist die Nahrung fein,
Noch das Fleisch von erster Frische –,
Ei, das tänzelt hin und her:
Teller, Gläser, Löffel, Messer,
Und dem unbefangnen Esser
Wird die Arbeit doppelt schwer.
Liegt man still in seiner Kammer,
– Die Matratzen sind nicht weich –
Und versucht zu schlummern, gleich
Statt des Schlafs kommt neuer Jammer,
[90]
Weil auf eines Schiffes Deck
Ohne Schreien und Gepolter
Nichts gedeiht – und keine Folter
Bringt geschwinder uns vom Fleck.
Zahllos sind des Meeres Launen;
Was die Jugend nicht geglaubt,
Der Erfahrung sei's erlaubt,
Leser, dir ins Ohr zu raunen:
Nähre du am sichern Strand
Dein poetisches Entzücken;
Auf des Meeres breitem Rücken
Hat es leider nicht Bestand.

2.

Wenn eine Reise lange währt,
Die Passagiere mürrisch werden,
Wie da mit Worten und Geberden
So mancher aus der Rolle fährt,
Der selbstgewählten, unhaltbaren,
Sich seiner Blöße nicht mehr schämt,
Statt dem, der sich im stillen grämt,
Die neue Prüfung zu ersparen.
Die großen Schmerzen sind verscheucht;
Nun gilt es, ruhig auszuharren
[91]
Bei kleinen Plagen: die Cigarren
Zum Beispiel werden immer feucht;
Die derbe Kost nicht zu vergessen,
Das Rollen, der konträre Wind –
Kurz, einer Schiffskajüte sind
Die Freuden sparsam zugemessen.
Und ist vielleicht man, obendrein,
Genötigt, durch Korallenriffe
Auf tiefbeladnem leckem Schiffe
Sich nachts bei mattem Sternenschein
Und starker Strömung durchzuwinden –
Treulose See! Da mag fürwahr
An so romantischer Gefahr
Ein andrer sein Vergnügen finden.

3.

Thränen, die um mich geweint,
Abschiedsschwüre lieber Kinder,
Seid ihr auch nicht ernst gemeint,
Ihr erschüttert mich nicht minder;
Denn für das, was ich vergangen,
Rächt sich meine Phantasie,
Und ein Glück, das ich empfangen,
Das vergess' ich nie.
[92]
Keuscher Lippen zarter Kuß,
Kleiner Hände freundlich Drücken,
An den schüchternsten Genuß
Denk' ich heute mit Entzücken.
Zauber einst geliebter Züge,
Einsam, ratlos wie ich bin,
Ach, für eine neue Lüge
Gäb' ich alles hin!
Wenn der Wind die Segel bläht,
Hoff' ich wieder zu erfassen,
Was ich deshalb nur verschmäht
Und verleugnet und verlassen,
Eitle Sehnsucht zu vermehren,
Und allein, in düstrer Nacht,
Mich in Trauer zu verzehren,
Die ich selbst erdacht.

4.

Wenn dich des Menschen Scharfsinn überlistet,
Du wilde See, schonst du der Argonauten,
Die ihrem guten Stern sich anvertrauten
Und sich in deinem Busen eingenistet,
Sorglos, als ihre Anker sie gelichtet,
Unkundig ihrer Wege und Geschäfte?
Und schonst du solcher, deren Lebenskräfte
Verzweiflung, Krankheit, Hungersnot vernichtet?
[93]
Für jene, die den Hafen nie erreichen,
Die du begräbst mit ihrem Todesschrecke,
Wirfst deine Thränen du zur Himmelsdecke,
Grausame? – Nein, du lächelst über Leichen.
Du spottest derer, die am Ufer weinen;
Doch gönne mir den Trost, den einzig süßen,
Dereinst die Heimat wieder zu begrüßen
Und ewig dann zu rasten bei den Meinen!

5.

Bootsmann, sagt, warum Ihr heute
Traurig seid wie nie zuvor?
Naher Hafen, frohe Leute,
Dicht vor uns liegt Sinkapor –
»Mich verwundert, Herr, die Frage;
Sind wir doch am Weihnachtstage!
Weib und Kinder habt ihr kaum;
Wollt den Pfeffer wachsen sehen,
Könnt die Sehnsucht nicht verstehen
Nach dem lichten Tannenbaum.«
Weihnachtsfreuden hoch im Norden?
Dank für die Erinnerung!
Traurig bin auch ich geworden,
Doch mein Herz bleibt ewig jung,
[94]
Wird vielleicht – wer kann es wissen? –
Von der Heimat losgerissen,
Fern vom traulichen Kamin,
Ausgesöhnt mit seinem Lose,
Lieg' ich einst in deinem Schoße,
Inselgruppe von Bonin. 1
Dort, umrauscht vom grünen Meere,
Wird die Kolonie gedeihn,
Wird mein Herz, das volle, leere,
Wieder hoffen und verzeihn.
Neue Wurzeln muß es schlagen
Nach versäumten Weihnachtstagen;
Doch der Alpen ew'ges Eis
Und das Fallen der Lawinen
Auf verglimmende Ruinen
Sei der Heimkehr später Preis.

Fußnoten

1 Von dem Verfasser zur Gründung einer Ackerbaukolonie ausgesucht.

6.

Engel des Lichts! Hast du es so gewollt,
Daß der Orkan uns nicht die Masten splittre,
Daß jetzt des Mondes Glanz herniederzittre,
Zum Zeichen, daß Jehovah nicht mehr grollt?
Schickst du mir solche Grüße und Symbole?
Beschirmst du unsre Flagge und Bussole?
[95]
Und trägt das Weltmeer mich zum fernsten Pole,
Engel des Lichts, hast du es so gewollt?
Engel der Finsternis! An deine Brust
Warf mein Verhängnis mich, mein unheilvolles.
Sagt an, ihr guten Mächte: Darf es, soll es
Verschlingen, was sich keiner Schuld bewußt?
Nein! keiner Schuld, die nicht zu sühnen wäre;
Und doch, wo sind die Tempel und Altäre?
Engel der Finsternis! Komm und erkläre
Des Lebens Rätsel mir an deiner Brust.

7.

Ein Lärmen über mir. – Aufs Deck gesprungen,
Kaptän, ich lag im schönsten Mittagsschlaf.
Was soll's? – Ein Schiff, ein Yankee, segelt brav –
Da dreht er bei – Hurrah! das ist gelungen!
Woher, wohin? – From Canton, go to Boston,
And you? – Von Hamburg, gehn nach Kamtschatka. –
Good Bye, a pleasant passage! hieß es da. –
All right! – Und jeder flog auf seinen Posten.
Backbord gesteuert! – Dichterherz, erwache!
Frisch bläst der Wind, die Segel sind gespannt –
Noch eine Frage: Braucht ihr Proviant? –
Nein! – Vorwärts denn, der Rest ist Nebensache.

[96] 8.

Erscheine mir, Astarte, Engelsbild!
Du längst erhoffter, heiß ersehnter Schatten,
O komm zu deinem Gatten!
Wie diese Sommernacht, sei du mir mild!
Sag' an, warum bleibst du mir ewig ferne?
Blasse Tochter träumender Sterne,
Erscheine mir in stiller Majestät;
Ich fühle mein Ermatten –
Astarte, morgen ist's zu spät.
Komm! Wo zuerst ein Eiland sich erhebt,
Da landen wir, da laß uns Hütten baun!
Wir haben alle nicht umsonst gelebt,
Wenn wir fortan dein holdes Antlitz schaun;
Zerschmettert sei die trübe Schiffslaterne!
Schöne Tochter flammender Sterne,
Sei du die Inselkönigin!
Ein Wink von dir, und sieh, wir sinken gerne,
Ein neues Volk, zu deinen Füßen hin.

[97] 9.

Hier ist der Lotse, Kapitän!
Nun mögt Ihr gern der Ruhe pflegen
Und Euch auf Lorbeern niederlegen,
Die wir Euch willig zugestehn.
Im Hafen schwindet Euer Zorn;
Wenn Ihr die Mannschaft ausgescholten,
So wart Ihr selbst, wenn es gegolten,
Ein Mann von echtem Schrot und Korn.
Seid Ihr nicht immer delikat
Und mit den Damen gar zu offen –
Wir sind im Hafen eingetroffen,
Das ist das beste Resultat;
Und freuen wird's mich, Kapitän,
Wenn wir uns wiederum begegnen.
Der Herr soll Eure Fahrten segnen,
Mein alter Freund – auf Wiedersehn!

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Citation Suggestion for this Edition
TextGrid Repository (2012). Dranmor, (Schmid, Ludwig Ferdinand). 15. Von der Her. TextGrid Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-82BE-4