[217] [219]Requiem

»Ueber den Tod soll man weder lachen noch weinen.«

(Alter Spruch.)

»Heil, o Frühling, deinem Schein!
Morgenluft, Heil deinem Wehn!
Ohne Kummer schlaf' ich ein,
Ohne Hoffnung, aufzustehn.«
(Rückert.)
[219]

Motti

»Ueber allen Gipfeln ist Ruh;
In allen Wipfeln spürest du
Kaum einen Hauch;
Die Vögel schlafen im Walde,
Warte, warte nur – balde
Schläfst du auch.«

(Goethe.)

»Für alle hab' ich gesorgt und gestrebt;
Mit Sorgen trank ich den funkelnden Wein;
Die Nacht ist gekommen, der Himmel belebt,
Meine Seele will ich erfreun.«
(Uhland.)

»La voix de la terre est un éternel sanglot qui se perd dans l'éternel silence des cieux.«
(G. Sand.)

»Ich möchte hingehn wie das Abendrot
Und wie der Tag mit seinen letzten Gluten.
O leichter, sanfter, ungefühlter Tod,
Mich in dem Schoß des Ewigen verbluten!«
(Herwegh.)

»Melancholie ist die Freudigkeit Gottes. Kann man froh sein, wenn man liebt?«
(Börne.)

»Tout penser sans crainte,
Tout quitter sans plainte,
Tout comprendre sans voir,
Tout aimer sans espoir.«

(Dranmor.)

[220] 1.

Tod! der du meine innersten Gedanken
Beherrschest, unbezwingbar, unaufhaltsam,
Der du mein ganzes Sein durchdringst, gewaltsam
Erschütternd meines Wissens enge Schranken;
Vernichter, der du weit, unendlich weit
Von Frühlingsschauern, die mein Herz durchbebten,
Von Wonnen, schon erträumten und erstrebten,
Erschienst, in meines Lebens Blütezeit;
Den ich gefürchtet, als des Schaffens Drang
Aus meiner Heimat Gauen mich verbannte,
Als ich zu freien Thaten mich ermannte,
Entwöhnt von Orgelton und Glockenklang;
Tod, den ich scheu betrachtet und betastet
Trotz der Verheißung seliger Gefilde;
Den ich nicht liebe, weil des Daseins milde
Gewohnheit auch auf meinen Schultern lastet;
Den ich getrost erwarte, weil das Ende,
Der letzte Schlaf, den keine Träume stören,
Des Auferstehens schmerzliche Legende
Mich weder schrecken können noch bethören;
[221]
Herr über alles, was die Sonnen wecken,
Was kreucht und fleucht – erhöre mein Gebet!
Ich will dein Sänger sein und dein Prophet,
Doch nur, um dich mit Rosen zu bedecken.
Ich preise des Vernichters Schöpfungskraft,
Ewig verjüngend das für uns Verlorne.
Der eingepflanzte wie der angeborne,
Der alte Glaube weicht der Wissenschaft.
Das ist ein schweres Wort, vielleicht ein herbes;
Doch fließt es nicht aus giftgetränkter Feder,
Unwürdig meines väterlichen Erbes,
Und nicht erschallt es trotzig vom Katheder;
Nein! was in stillen, weihevollen Stunden,
Was ich von dir erhoffe und erflehe,
O Tod, sei Balsam für der Menschheit Wunden,
Sei süßer Trost für meiner Brüder Wehe!
Vergebens schweifen von des Himmels Flur
Verweinte Augen nach ergrauten Domen
Und suchen neues Leben bei Phantomen
Statt in dem lichten Tempel der Natur.
Dem Tode, der sein Werk nicht ganz vollendet,
Der Hirngeburt, die, müde Herzen brechend,
Bald drohend, bald versöhnend und versprechend
Mit Sterbefackeln uns die Augen blendet;
Dem Tode, dem verjährter Aberglaube
Ein morschgewordnes Monument errichtet
In thränenfeuchtem, blutvermischtem Staube,
[222]
Ihm selber ist mein Requiem gedichtet;
Ein Requiem – mein Herz in jeder Note –
Ein Lied, in meiner Einsamkeit erdacht,
In treuer Menschenliebe dargebracht
Als meiner Geistesfreiheit stolzer Bote.

2.

Was haben Dichterworte zu bedeuten,
Was soll ein Lied, das keiner Laune fröhnt?
Und, wenn es weder schmeichelt noch verhöhnt,
Wie findet es den Weg zu fremden Leuten?
In diesen Tagen, den gewitterschwülen,
In dieser Zeit, der bangen, überreifen,
Wer wird, um seine Sorgen wegzuspülen,
Nach dem Pokale des Poeten greifen?
Ein deutsches Mägdlein mag von Bechern nippen,
Die fader Maitrank füllt; seit meine Lenze
Von dannen flogen, ist, was ich kredenze,
Kein Honigseim für jungfräuliche Lippen.
Ich komme nicht als ungestümer Dränger,
Als Waffenherold oder Minnesänger,
Verlasse selten mein bequemes Zelt.
Wohl sah ich einst, aus hoher Fensterbrüstung,
[223]
In Jugendübermut, in voller Rüstung,
Durch Morgennebel in die weite Welt;
Jetzt aber ist es innerste Betrachtung,
Die mir allein geziemt; von mir entfernt
Ist des Genusses Kelch; was ich gelernt:
Entsagung; Selbstbezwingung, Selbstverachtung,
Was ich erhofft, erfleht, was ich gewonnen,
Hat sich in der Gedanken Feueresse,
In meines tiefsten Wesens Flammenbronnen
Langsam geformt zu einer Totenmesse.
Nicht ganz erloschen war, was einst so mächtig
In mir gebrannt, was sich als Glut bewährte,
Die keiner schüren wollte, keiner nährte,
Und was ich selbst entfachte – doch bedächtig.
Poetenherz! aus deiner Asche sprühn
Die Funken hoch empor – es sind nicht viele –;
Der Winter naht, wir stehen bald am Ziele,
Und mich bedünkt, daß eitel mein Bemühn,
Daß mich die Außenwelt, die glatte, kalte,
Verdammen muß, weil du zu rasch geschlagen.
O Herz, ich höre Stimmen, die dir sagen:
Du bist das gleiche noch, du bist das alte!
Wohlan, verloren sei mein letzter Pfeil!
Verklingen mögen meine Melodien,
Wenn siegesstarke Sänger für das Heil
Der Menschen vor der Wahrheit niederknien!
Tod! du erschütterst meines Wissens Schranken;
[224]
Doch ungestillte Sehnsucht reißt mich fort;
Nicht mir gebührt das priesterliche Wort,
Das rechte Wort für zündende Gedanken;
Ich beuge willig mich vor Geistesfürsten,
Und ich ersehne ihren Götterwein
Für alle, die in ihrer Herzenspein
Nach Himmelsnektar, nach Erkenntnis dürsten.

3.

O welche Zeit! Wie seltsam und verwirrend
Sie, die so wenig Licht und Freude spendet
Und dennoch, eine weite Bahn durchirrend,
Nach Sonnenaufgang ihre Schritte wendet!
Ja, vorwärts eilt die Zeit mit Schwert und Wage;
Uns aber ist ein solcher Trost von nöten,
Wenn über unsrer Herzen Niederlage
Wir noch erschrecken, wenn wir noch erröten.
Des Denkers Schätze sind verschmähte Währung;
Den Ernst des Weisen trifft des Forums Spott,
Der Menge Fluch; denn Mammon heißt ihr Gott
In diesen Tagen allgemeiner Gärung.
Und des Gerechten Schmerz, so tief begründet,
In welchen Herzen kann er Wurzeln fassen
[225]
Jetzt, wo des goldnen Kalbes Reich verkündet
Auf allen Märkten und in allen Gassen
Und überall der Feind sich eingenistet,
Ein Dämon, der des Geistes Schwingen lähmt,
Doch dessen Lächeln oft die Stärksten zähmt,
Das oft die Besten, Reinsten überlistet?
Verlockend lautet des Versuchers Lehre
Und immer größer wird der Narren Gilde,
Und in dem Chaos luftiger Gebilde
Versinken Manneswert und Mannesehre.
Wohin ich blicke: Täuschung, Selbstbetrug,
Verstellung, Eitelkeit, erborgter Glanz,
Vergoldeter Gerippe Totentanz,
Doch auch des Wissens stolzer Adlerflug.
Wohin ich flüchte: Selbstsucht und Bethörung,
Doch auch der Armut zürnende Gestalten;
Und überall, wo falsche Götter walten,
Die Schreckenszeichen nahender Empörung.
Noch immer rätselhaft und unverstanden
Ist diese Zeit, die Großes schon erstritten,
Die nach Erlösung seufzt aus alten Banden
Und doch sich fortbewegt mit Riesenschritten
Und vorwärts strebt zu dem umwölkten Lichte –
Es wird die Erde aus der Knechtschaft Schmach
Sich doch befrein; was jener Seher sprach:
»E pur si muove«, lehrt die Weltgeschichte.
Das ist des Forschers Hoffen und Vertrauen,
[226]
Sein Trost in Zweifeln und in Kümmernissen:
Auf kommende Geschlechter niedertauen
Wird neue Lebenskraft mit neuem Wissen.
– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –
– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

4.

O Christus, Glaubensheld! Du tauchst erhaben
Aus jener Zeit empor, der du entsprossen;
Dein bleiches Bild, von Thränen übergossen,
Ist tief in unsre Herzen eingegraben.
Der Sehnsucht, die Jahrtausende durchflammt,
Die mutvoll sich vom Staube losgewunden,
Und jener Liebe, die nur du empfunden,
Ist deines Reiches Herrlichkeit entstammt.
Doch bist du mir als Menschensohn erschienen
Und meinen Glauben kann ich nicht bestatten
Auf Golgatha, in deines Kreuzes Schatten,
Und einem fleischgewordnen Gotte dienen.
O Schwärmer, den sein großes Herz betrogen,
Messias, den des Todes Macht bezwungen,
Du hast der Wahrheit Fülle nicht errungen
Auf jener Bahn, die glorreich du durchflogen;
[227]
Noch taucht dein Bild empor, das sternenhelle,
Aus dunkler Zeit, in schmerzlichem Verlangen;
Doch zu den Toten bist du heimgegangen,
Auf ewig heim – nicht zu des Lichtes Quelle.

5.

Am Kreuze blutend, frei von jeder Schuld,
In tiefster Brust Vergebung und Erbarmen,
So schiedest du, mit offnen Bruderarmen,
Auf ewig – in verheißungsvoller Huld;
Doch dein Vermächtnis, deines Opfers Lohn,
Aus Geistesnacht hat keinen es gerettet.
Noch beten, an ein morsches Kreuz gekettet,
Die Blinden zu dem toten Menschensohn.
Ach, mir, der ich dein Bild im Herzen trage,
Will kein Gebet mehr frommen, wenn ich frage:
Der in Gethsemane umsonst geschmachtet,
Umsonst geseufzt nach einem Himmelszeichen,
Liegt er vermodert unter Menschenleichen?
Hat er als Gott sein Liebeswerk verachtet?
– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –
– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

[228] 6.

Die Liebe währt Jahrzehnte; doch die Klage,
Nicht jene nur den Formen angemess'ne,
Oft auch der Gram um niemals ganz vergess'ne,
Vermindert leider sich mit jedem Tage.
Ach, unsre Selbstsucht spottet mancher Lücken,
Und wenn beweinte Tote wiederkämen,
Wie würde da ein schlechtverhehltes Grämen
Uns neue Thränen aus den Augen drücken!
Unheilbar ist des Menschen Eigennutz. –
Ja, fielen vor dem Grab entstiegnen Richtern
Die Masken von den nüchternen Gesichtern,
Wo bliebe dann der Phrasen Flitterputz?
Gut, daß uns die Geschiednen nicht erscheinen;
Auch ihnen wohl, daß sie genießen können
Die Ruhe, die wir ihnen gerne gönnen,
Und daß sie nicht um unser Elend weinen.
Wie, selbst die auf Erlösung nur Bedachten
Sind drüben nicht von Seligkeit umflossen
Und müssen, wenn die Augen sie geschlossen,
Im Geiste noch der Ihren Not betrachten?
Nein, mit dem Tode endet jede Qual;
Auch solche, die als Echo weiterzittert,
Bleibt in der Heimat Grenzen eingegittert.
Das ganze Weltall ist kein Hospital ...

[229] 7.

Die Erde ist so groß für Myriaden
Belebter Wesen und für jede Zeit,
Für jeden Nachwuchs bleibt sie fruchtbeladen
Und wird in ihrer ganzen Herrlichkeit
Verschmäht von denen, die nicht sehen wollen,
Die furchtsam ihren Horizont verschleiern
Und dann, bei Lampenlicht, in Kinderrollen
Und mit Pygmäen-Stolz Triumphe feiern!

8.

Weit ist die Welt und breitet ihre Schätze
Vor unsern Augen aus; wen es gelüstet
Nach goldnen Früchten, wage kampfgerüstet
Hinaus sich auf die großen Tummelplätze
Mit Kräften, immer neuen, lebensfrischen;
Denn »Hammer oder Ambos« ist die Frage,
Und wer sich selbst beschützen muß, erschlage
Die Schlangen, die zu seinen Füßen zischen.
Durch Trümmer geht der Angriff wie die Flucht;
Der Feinde Troß ermüdend und verscheuchend,
Auf steiler Höhe, schweißbedeckt und keuchend,
So pflückt der Sieger die ersehnte Frucht.
Mein Zuruf gilt allein den kühnen Thaten,
[230]
Der offnen Fehde, den beherzten Würfen,
Nicht jener Brut erbärmlicher Piraten,
Dir nur gestohlnen Wein hinunterschlürfen.
Kaum einer siegt von hundert wackern Streitern.
Heiß ist die Mühe, ungewiß der Preis,
Statt eines grünen oft ein dürres Reis,
Ein Splitter aus zerbrochnen Himmelsleitern;
Statt Engelschöre – nichts als kühle Phrasen
Für den Enttäuschten, Müden, Lebenssatten;
Vielleicht ein Halt auf schattigen Oasen
Und dann die Ewigkeit in Todesschatten.
Wo sind die andern? Links und rechts verschüttet,
Wenn nicht ein ärmlich Brot mit Thränen essend,
Wenn nicht in Dunkelheit sich selbst vergessend,
Der Leib gebrochen und der Geist zerrüttet.
Doch besser noch, der Jugend nicht entsagen,
Dir tief ins Auge schauen, Sphinx von Theben,
Als, eine Null im schalen Alltagsleben,
Sich nicht an deines Rätsels Lösung wagen.
Es häuft der Tod Skelette auf Skelette;
Doch ist es edler, mit erschöpfter Kraft
Verscheiden, als in engbegrenzter Haft
Zu Grunde gehen an der Sklavenkette.
Die Welt ist groß und voller Lorbeerkronen,
Und »Vorwärts durch die Nacht« heißt die Parole,
Steigt auch nur einer unter Millionen
Als Sieger auf des Lebens Kapitole.

[231] 9.

Schaukelt, wenn Wogen sich auf Wogen türmen,
Euch auf der See und nicht auf Gartenteichen;
Typhone laßt durch eure Haare streichen
Und kühlt die heiße Brust an Meeresstürmen!
Es dringe bis in eurer Herzen Mark
Des Atmens Lust, des Daseins altes Leid;
In Blitz und Donner werdet lebensstark
Und todesfreudig, wenn ihr glücklich seid!
Schön ist die Welt und groß des Menschen Wille;
Doch nach der Jugend jauchzenden Fanfaren
Wird jedem Denker sich des Todes Stille
Als seine beste Zuflucht offenbaren.

10.

Des Dichters Leier mögt ihr gern vergleichen
Der Aeols-Harfe, von des Zephyrs Flüstern
Geliebkost, die von sehnsuchtsvollen, weichen
Accorden sich versteigt zu wilden, düstern,
Zu Friedhofsklagen bei dem Gruß des Windes
Und bei dem lautern Murmeln eines Baches. –
Gleich solcher Harfe ist des Sonntagskindes,
Des Dichterlinges Herz ein eitles, schwaches.
[232]
Doch Saiten, die mit brausenden Accorden
In wunden Männerherzen wiederklingen,
Die selbst in Wintersstürmen nicht zerspringen,
Sind nicht an Aeols-Harfen stark geworden.

11.

Schmerzen begreifen, ehren, nachempfinden
Und dann das Mitgefühl, das ihn bemeistert,
Wie die Bewunderung, die ihn begeistert,
In edle, kunstgerechte Formen binden,
Das ist des Auserkorenen Beruf,
Das seine Sendung –; wie Posaunenstöße
Ertönt sein Klagelied, wenn ihn die Größe
Des Menschenelends zum Poeten schuf.
Wohl läßt sich auch das andre nicht vermeiden:
Daß Seufzer, die der Phantasie entquellen,
Behutsam sich in schöne Worte kleiden,
Bevor sie fremdem Leid sich beigesellen.
Doch laßt sie gelten! Der Gedanke heiligt,
Was die Beredsamkeit mit Blumen schmückt;
Und wenn dem Künstler das Gepräge glückt,
War auch sein Herz im Schaffensdrang beteiligt.
Und fallen von den Augen ihm die Schuppen,
[233]
Erkennt er, daß die Menschheit sehr vergeßlich,
So weiß er auch, daß Schmerzen, unermeßlich,
In mancher Brust ungreifbar sich verpuppen.
Dann wird die eigne Klage leiser, milder;
Vor Qualen, die nur Grabesruhe heilt,
Ist selbst der schönste Vers umsonst gefeilt,
Erbleichen alle Worte, alle Bilder.
Im Sonnenlichte und in Todesgrüften
Weilt der Poet – so will es sein Geschick;
Doch nicht in alle Schmerzen dringt sein Blick,
Er kann, er darf nicht alle Schleier lüften.

12.

Ach, wer des Lebens Labyrinthe kennt,
Läßt jede gutgemeinte Regung gelten!
Ist doch des Jammers schon genug und selten
Die Thräne, welche tiefe Furchen brennt.
Berauschend sind des Lenzes Wundermären,
Bis wir uns beugen vor des Schicksals Streichen,
Und nicht aus vielen Augen fallen Zähren
Stolzer Entsagung auf geliebte Leichen:
Tribut, nur in verschloss'nen Kammern funkelnd,
Verschämte Thränen, die nicht jedem eigen,
Laßt sie, der Elegien Glanz verdunkelnd,
Einsame Furchen ziehn – der Rest ist Schweigen.

[234] 13.

Mein Herz schlägt jenen Thoren nicht entgegen,
Den Alltagsmenschen, die mit weiten Taschen
Nach Mammons gnädigen Geschenken haschen
Auf breitgetretnen, wohlbekannten Wegen.
Wer sich ergötzt an unhaltbarem Flitter,
Wer nach dem Schimmer des Triumphes geizt,
Wer dünkelhaft sich in der Sonne spreizt:
Der bange vor dem nahenden Gewitter.
Doch dem Besiegten, der, vom Blitz getroffen,
Sich scheu zusammenduckt gleich einer Schnecke,
Dem Schwachen in dem dürftigen Verstecke,
Dem Dulder stehn geprüfte Herzen offen.
Wenn meine Seufzer ungehört verwehn,
Ich, der mit keinem Siegeskranz Geschmückte,
Ich, der sich oft auf Sterbelager bückte,
Mag kein lebendig Wesen leiden sehn. 1

Fußnoten

1 »I wish no living thing to suffer pain.«

(Shelley.)

14.

Wißt ihr, was eines Dichters Brust durchwühlt?
Ihn quält das Todesröcheln eines Lammes;
Verwandt ist alles ihm, was lebt und fühlt,
[235]
Und was Gedanken hat, ist seines Stammes.
Er sucht in Freundesherzen seine Wohnung,
Beharrlich, trotz der Seltenheit des Fundes,
Und mehr als karg gespendete Belohnung
Rührt ihn das treue Auge seines Hundes.
Er kann nicht ernten, was er ausgesät;
Die Gegenwart belächelt dessen Meinung,
Der in so mancher schillernden Erscheinung
Nichts achtet als des Todes Majestät;
Heil wünscht er jedem, der mit voller Hand
Sich zu den Armen und Verlass'nen wendet,
Der seinen Trost aus kühlen Bronnen spendet,
Heil dem Propheten in der Sonne Brand!
Nicht jeder Dichter ist ein Quellenfinder;
Doch allen schwebt das Wort des Meisters vor:
»Unsterbliche heben verlorene Kinder
Mit feurigen Armen zum Himmel empor.«

15.

Zwar sprach ich oft zu mir: Sowie der kecke
Doch kluge Schiffer in des Sturmes Toben,
Wenn Wind und Flut sich gegen ihn erhoben
Und ihn verdrängen wollen vom Verdecke,
Sich zornig gegen solchen Anprall steift
Und wassertriefend, fröstelnd und verdrießlich
[236]
Sich an den Mastbaum binden läßt und schließlich
Siegreich die Stricke wieder von sich streift;
So, statt des Lebens Stürme zu bejammern,
Statt unbehülflich über Bord zu fliegen,
Will ich fortan mein schwaches Herz bekriegen
Und mich an der Erfahrung Mastbaum klammern.
So will ich, ein verwitterter Matrose,
Der gegen Ungemach sich kräftig stemmt,
Bevor die große Flut mich überschwemmt,
Dem Regen trotzen und der Wasserhose
Und Freund wie Feind die Stirne bieten, starr
Und teilnahmslos, nicht Leidenschaften dämpfend,
Nur den Impuls, den innern Drang bekämpfend,
Damit es nicht mehr heiße: Sei kein Narr!
O Schwärmer mit dem zärtlichen Gemüte,
Dem Pöbel, niedrig oder hoch geboren,
Der gegen Deinesgleichen sich verschworen,
Dem gibst du deines Geistes beste Blüte?
Die deiner spotten, liebst du wie Geschwister?
Den Mann, den du gekleidet und gespeist,
Und der zum Lohne dir die Zähne weist?
Und dann die Kühlen, Frommen, die Philister,
Die Neider, die Verfolger, die Verächter
Und Jeden, der, wenn dich des Schicksals Bürde
Zu Boden drückte, dich mit Hohngelächter
Hinunter in die Tiefe stoßen würde?
Ich habe solche Stimmen nicht mißachtet;
[237]
Sie sagten Unleugbares, längst Geahntes;
Sie haben, unter Schmerzen Angebahntes
Vollendend, mein Gemüt mit Gram umnachtet.
Und ich zerbrach den leuchtenden Altar,
Vor dem ich falscher Brüder Schmerz gehuldigt;
Ich, den man blinden Mitgefühls beschuldigt,
Bin nicht der gute Junge, der ich war;
Denn, wenn ich meine Arme ausgebreitet,
Die ganze Menschheit liebend zu umfangen,
Hat stets ein Judas-Kuß auf meinen Wangen
Gebrannt und auf Verrat mich vorbereitet.
Es ist gewitzigt nun, was ihr mißhandelt,
Des Dichters Herz, das keiner unterjocht,
Seit es gepanzert euch entgegenpocht,
Seit es, wie eure, sich in Erz verwandelt.
– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –
– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –
– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –
– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –
So sprach ich zwar, von wilden Lebenswogen
Geschüttelt und von Wolken überdacht;
Doch Sonnenschein verdrängte Sturm und Nacht,
Und nach Gewittern kamen Regenbogen.
Dann schlich Erschlaffung ein in meine Sehnen;
Von meinem Herzen schmolz die Eisenrinde;
Und dann war jedem armen Menschenkinde
Gestattet, sich an meine Brust zu lehnen.

[238] 16.

Die Rache kommt von selbst herangehinkt;
Ein Fatum wütet in der Weltgemeinde,
Dem jeder Schächer in die Arme sinkt.
Ich könnte auf den Gräbern meiner Feinde
Ein Hosianna unter Trauerweiden,
Ein stolzes Jubellied ertönen lassen;
Doch will ich sonder Jubel mich bescheiden –
Es lohnt sich nur zu lieben, nicht zu hassen.

17.

Wer in der Heimat keine Ruhe fand
Und draußen auf der See sie auch nicht findet
Und nun sich nachts auf seinem Lager windet
Und drückt sein Ohr an der Kabine Wand
Und lauscht den großen Wassern, stets bewegt,
Und hört ihr Plätschern auf die leichten Bretter,
Der denkt gewiß, beim schönsten Reisewetter,
Daß sich der Tod an seine Seite legt;
Und wenn es plötzlich heißt: Das Schiff ist leck,
Und schwer, wie uns bedünkt, das Loch zu stopfen –
Wird freilich mehr als ein gelinder Schreck
[239]
Dem armen Manne auf die Beine klopfen.
Doch wenn nun ein entfesselter Orkan
Sich täppisch heftet an den morschen Kasten,
Daß jede Planke stöhnt und daß die Masten
Sich beugen müssen vor dem Grobian,
Dann tobt das alte Meer in Donnerlauten,
Dann fährt durchs Takelwerk ein böser Pfiff,
Dann wird zur Hölle das geplagte Schiff
Für den mit seinem Wesen nicht Vertrauten.
Mag ihren Schaum, den aufgewühlten, gelben,
Die zügellose See zum Himmel spritzen;
Mag sie im Diamantenschmucke blitzen
Sobald die Nacht erscheint – es sind dieselben
Grausamen Spiele für den Passagier,
Der früher sich an Traumgebilden sonnte,
Die er beherrschen und verändern konnte,
Er, so beklommen und so kleinlaut hier! – –
Die Rettungsböte reißt der Wogen Kamm
Hinunter vom Verdeck und auf die nackte
Hülflose Schale stürzen Katarakte – –
Kaptain und Mannschaft bleiben dennoch stramm;
Der echte Seemann, nervenstark und zähe,
Entsetzt sich nicht vor des Verderbens Nähe;
Er hält auf seinem Posten scharfe Wacht,
Gefaßt, doch mit dem Auge eines Falken;
Und wenn das Fahrzeug auseinanderkracht,
Bleibt ihm ein kleiner Rest: ein Mast – ein Balken.
[240]
Doch wenn der letzte Damm zusammenbricht,
Der rettend ihn vielleicht von dannen trüge,
Schaut er mit stiller und gerechter Rüge
Dem Tode in das starre Angesicht.

18.

Den trifft fürwahr ein unverdientes Los,
Der, als ein wackrer Sohn des fernen Strandes,
Trotz aller Mannheit, allen Widerstandes,
Einsam veratmet in der Wellen Schoß;
Nach tausend Stürmen, Kämpfen, Abenteuern
Bezwungen von der Elemente Wut
Spurlos verschwindet in der grausen Flut,
Umzingelt von des Abgrunds Ungeheuern!

19.

Ein unverdientes Los, ein blindes, schnödes –
Und was wird meines sein? wie kann ich wissen
Ob mein Geschick ein edles oder ödes?
Wir alle sind umringt von Finsternissen.
Nicht immer sichtbar ist des Abgrunds Rand,
Nicht zu beschwören jegliche Bedrängnis.
Der Zufall waltet mehr als der Verstand,
Und mehr als Lebensweisheit das Verhängnis.
[241]
Es sichtet keine Gottheit die Atome,
Um die zu retten, jene zu verderben;
Entscheidend zwischen Leben oder Sterben
Liegt oft ein Strohhalm in der Zeiten Strome.
Wo sind die heißersehnten Paradiese
Und wo die Dunkelheit und wo das Licht?
Wen trifft die Schuld, wenn unser Gleichgewicht
Erschüttert wird durch jede kleine Brise?
All unsre Wünsche langen Wohlergehens
Sind Gaukelspiel, wenn wir als brave Nauten
Der Windsbraut todeskühn ins Auge schauten,
Um über Bord zu fallen unversehens;
Dann, wenn die Wasser uns emporgeschnellt
Zum letztenmale, sehn wir aus der Ferne
Des Schiffes weiße Segel, hochgeschwellt,
Und sehen droben noch die stummen Sterne
Erblassend durch des Himmels Dunkel schimmern,
Trostlose Sterne, kalt herniederblickend,
Bis, in der Wasserdecke sich verstrickend,
Zum Abschied sie um unsre Augen flimmern.
O dann, bevor es durch den Tod besiegelt,
Bevor es ausgelöscht ist und verschollen,
Mag wohl, im innern Auge abgespiegelt,
Ein ganzes Dasein uns vorüberrollen,
Ein Menschenleben, aber ohne Plage.
All die vergangnen Schmerzen sind verwischt;
Nur Wonnen werden wieder aufgefrischt
[242]
Dort in dem ungeheuren Sarkophage.
Und frommt es, wenn in Hütten und Palästen
Wir unsre Eigenliebe eingemauert?
Die Krankheit naht, das Unglück späht und lauert,
Und keine Vorsicht schützt vor rohen Gästen.
Die Glücklichsten, wenn sie zurückgeblieben
Zu spätem Scheiden, drückt des Alters Last,
Und selbst der Sieche sucht die letzte Rast,
Die einzig ungetrübte, zu verschieben!
Und alle, trotz Enttäuschung und Beschwerden,
Der in der Höhe, jener in der Tiefe – –
Und keiner doch, der nicht zum Himmel riefe:
»Das Leben ist nicht wert gelebt zu werden!«

20.

Nochmals den großen Wassern meinen Gruß,
Dem Ocean und all den wackern Leuten,
Die nur durch ihn ihr armes Brot erbeuten! –
Auf eines Schiffes Planken tritt mein Fuß
Nicht ohne Schüchternheit; und schütteln darf
Des Seemanns Schwielenhand nicht ohne Scham
Wer, so wie ich, den träumerischen Gram,
Das faule Frachtgut nicht zur Seite warf.
Mir war es nicht vergönnt, von alten Schlacken
Mich zu befrei'n und von ererbtem Staube;
[243]
Ein gutes Beispiel aber fand mein Glaube
Stets auf der See, bei den beteerten Jacken.
Und an dem Anspruchslosen ganz besonders,
Der in der großen Menge sich verliert,
Und dessen Aermel keine Schnur verziert,
Erlabte sich der Blick des Hypochonders.
Hei, seht die Handelsschiffe, schwach bemannt,
Wie sie nach allen Winden sich zerstreu'n!
Wie viele dort an Bord? – Acht oder neun,
Und dennoch alle Segel aufgespannt.
Drei Masten trägt das Fahrzeug? – Gute Reise!
Zieht durch die Meere hin als Friedensboten
Und kehrt zurück als glückliche Piloten,
Heim aus Ostindien, heim aus Grönlands Eise!
Mich selber hat die Trope wie entblättert,
Doch möcht' ich einmal noch die Zweige recken
Dort, wo auf unbegrenzte Länderstrecken
Die Sonne ihre Strahlen niederschmettert;
Dort, wo des Himmels Blau mit Purpurfarben
Gesättigt auf die Palmen niederlacht,
Wo matte Wellen einst in lichter Nacht
Zu meinen, des Verbannten, Füßen starben,
In goldnen Sand verrinnend; an Gestaden,
Wo ich geträumt, gelitten und – gezaudert,
Und wo mir holde, schmeichelnde Najaden
Von alter Liebe Herrlichkeit geplaudert;
Wo die Natur in nimmermüdem Schaffen
[244]
Auf Wunder immer neue Wunder baut. –
Dahin ist meine Zeit! – O Schmerzenslaut!
Es ist zu spät, mich wieder aufzuraffen;
Nach kurzen Tagen ist es Nacht geworden;
Mir sind besonnte Pfade abgeschnitten.
Ich bin gekommen, um im rauhen Norden,
Im Schneegestöber um ein Grab zu bitten.
Und wenn ich noch am stillen Abendfeuer
Mich berge vor dem heimatlichen Schnee,
Gedenk ich deiner, sternbesäte See,
Ihr kühnen Schiffer, dann gedenk ich euer!
Vergessenheit ist unser Los; doch besser
Das Herbe mit Gehorsam und Geduld
Bezwingen, als der Undankbaren Schuld
Bloßlegen, schonungslos, mit spitzem Messer.
Vorwärts gesteuert durch des Lebens Brandung
Als tapf'rer Lotse, nicht als Menschenhasser –
Das war der Scheidegruß der großen Wasser
Bei meiner späten, meiner letzten Landung.

21.

O Meer, du bist das ewig zaubervolle,
Das ewig schöne und das ewig wahre,
Die große Wiege und die Totenbahre.
Vor deiner Milde wie vor deinem Grolle,
[245]
Vor deinem Hauch verstummt des Sängers Leier.
Du bist der Anfang und das letzte Wort,
Der Menschheit Schrecken und ihr bester Hort,
Ihr Tröster, ihr Ernährer, ihr Befreier.
Entzückend ist dein Lächeln und gewaltig
Dein tiefer Atemzug. Mit Salzkrystallen
Hinschäumend über zackige Korallen
Und immer Leben sprühend, tausendfaltig;
Eisberge rollend, Lotusinseln pflegend,
Stolze Fregatten, Handelsflotten schaukelnd,
Bald Falten werfend, bald im Lichte gaukelnd
Und eine Welt von Kreaturen hegend
In deinem Schoße; Nordlands kahle Dünen
Bespülend, Fichtenwälder, schneebekränzt,
Und drüben, wo die Tropensonne glänzt,
Die Palmen, die geliebten, immergrünen,
Die schlanken Palmen küssend, ihre Kronen
Berührend und ihr Flüstern weitertragend –
Glorreiches Meer! befruchtend, jauchzend, klagend,
So flutest du dahin durch alle Zonen,
Unendlich, unerschöpflich, unbezwungen,
Entfesselt, ohne Ruhe, ewig drängend,
Und doch, wie eine Thräne, lichtdurchdrungen
Dich an den dunkeln Saum der Wolken hängend,
Oft freudestrahlend, oft in stiller Trauer –
Du hast der Menschen Heimat eng umschlossen.
Du hast in unsrer Mutter Brust gegossen
[246]
Des Lebens Odem, der Vernichtung Schauer;
Mich aber hast du über Raum und Zeit
Erhoben und mein Herz zu tausendmalen
Befreit von Zweifeln und von Todesqualen,
Befreit von Trübsal und Zerrissenheit.
Ich danke dir – dir, dem ich lebenskrank
Von meinem Leid erzählt, dem winzig kleinen.
Du stilltest meine Schmerzen mit den deinen –
Nochmals den großen Wassern meinen Dank!

22.

Des Scheidens Angstruf ist von meinem Munde
Verbannt und längst zerrissen das Gewebe
Der trügerischen Träume; doch ich bebe,
O Mutter Erde, vor der letzten Stunde.
Ich bin geknickt in meinem letzten Stolze,
Weil du zurückverlangst, was dir entsprossen;
Weil du den Keim, der langsam aufgeschossen,
Langsam verderben mußt in faulem Holze;
Weil du die kalte Form in lose Fetzen
Zerlegst, den welken Körper, keusch verhüllt;
Weil Zorn und Scham, weil Grausen mich erfüllt
Vor eines Grabes Ekel und Entsetzen;
Und weil ich – o des namenlosen Jammers! –
An jene denke, die man fortgetragen,
[247]
Als, nach den Donnerschlägen eines Hammers,
Sie dennoch ruhig auf den Spänen lagen
Und endlich aus der Ohnmacht sich erhuben,
Nachdem die Stricke schon emporgeflogen,
Nachdem der Schaufeln Arbeit schon vollzogen,
Und dann die Nägel in die Särge gruben. –
Ich will nicht weiter sinnen. – Sei zerstört,
Bild der Verzweiflung, kehre niemals wieder! –
Ich lege Pinsel und Palette nieder,
Wenn mein Gedanke dich heraufbeschwört.
Entweiche, grauenhafter Gast, vor dessen
Gorgonen-Antlitz meine Pulse stocken!
Verschlinge, Grab, die hingeworfnen Brocken
Nur dann, wenn sie von Fäulnis angefressen!
Es wäre besser, himmelan zu lodern,
Gereinigt und vertilgt durch Feuerbrände,
Statt eingesperrt in eines Sarges Wände
In feuchter Erde langsam zu vermodern.
Gemildert wird des Scheidens Bitterkeit,
Der Hinterbliebnen Schmerz, wenn Ueberreste
Der Menschen in dem ew'gen Schöpfungsfeste
Verbrennen, von der Erde Last befreit.
Es mag die Nachwelt ihre Toten taufen,
Wie sichs allein gebührt, im Flammenbade;
Denn eines reinen Glaubens letzte Gnade
Ist nicht das Grab, es ist der Scheiterhaufen.

[248] 23.

Ich weiß ein schönes Eiland, wie verloren
Im stillen Ocean, ein waldbedecktes,
In milden Sonnenstrahlen hingestrecktes,
Wie ein Asyl, für Dichter auserkoren,
Ein Eden, von der Trope Glut durchhaucht,
Ein Eiland, wie ein Strauß von wilden Rosen
Für die Betrübten, für die Heimatlosen
Aus träumerischen Fluten aufgetaucht.
Es ragt empor, der Schiffer Augenweide,
Mit Halden, Silberbächen, kühlen Schluchten.
Es streift mit seinem dunkelgrünen Kleide
Bis an den Spiegel seiner Felsenbuchten.
Lianen werfen ihre Blütenschnur
Von Baum zu Baum; durch buntes Strauchwerk fliegen
Zwitschernde Vögel. Stolze Forsten schmiegen
Sich an des Himmels blendendes Azur.
Dort glänzt der Morgentau wie Diamanten
Auf satten Gräsern; Antilopen schauen
Furchtlos hernieder von der Berge Kanten,
Und Palmen rauschen auf beblümten Auen.
Ostindienfahrer kommen, reich beladen,
Und Wallfischfänger, lärmende Gesellen.
Sie kennen meiner Insel Ankerstellen,
Doch nur als rastbedürftige Nomaden.
Mich zieht es hin, in meinen liebsten Träumen,
Zu jenen Thälern mit den Kokosbäumen;
[249]
Ich möchte dort, auf freier Erde weilend,
Mein Paradies mit freien Männern teilend,
Ein Pflanzer unter Pflanzern, meine Saat
Ausstreuen, einer großen Zukunft Keime,
Und ohne Wortgeklingel, ohne Reime
Den Tod erwarten als ein Mann der That.
Es ist zu spät! Die Jugend ist entwichen.
Statt neuer Freuden sind Erinnerungen
Aus guter alter Zeit herbeigesprungen,
Und Selbstbetrachtung kam herangeschlichen.
Es sei! – Ich will an Träumen mich erfreun,
Die meine tiefe Trauer überragen.
Ich habe heiß gestrebt – ich muß entsagen,
Ich muß auf meine Wunden Asche streun.

24.

Ich klage nicht. – Zwar ist mein Lebensbuch,
Gleich andern, kein vergoldetes gewesen;
Auf mancher Seite ist das Wort zu lesen:
Ach, soviel Arbeit um ein Leichentuch!
Nicht jene Ruhe, die Horaz besungen,
Genügt mir ganz – mit ländlichen Idyllen
Vermag ich meine Sehnsucht nicht zu stillen:
Doch ein gerechtes Urteil ist errungen.
Wenn Leidenschaften, wütende Despoten,
[250]
Mir einst das Herz zerfleischt, in jungen Jahren,
Sein heißes Pochen hat Ersatz geboten
Für jener Zeiten Leiden und Gefahren.
Wenn statt des Friedens, den ich stets erfleht,
Gedanken mich erfüllten, kaum zu zügeln,
Die Liebe hat mit ihren Engelsflügeln
Mir immer neue Hoffnung zugeweht.
O fern von hier, verloren in der Wildnis,
Sah ich manch süßes, manch geliebtes Bildnis,
Sah holder Augen Glanz herüberleuchten
In Nächte, halb durchträumte, halb durchweinte,
Und fühlte Thränen, treu' und gutgemeinte,
Die fieberhafte Stirne mir befeuchten.
So kann ich das Verlorne nun verschmerzen
Und mich in das, was unabwendbar, schicken
Und an Erinnerungen mich erquicken
Mit Todeshymnen im Poetenherzen.

25.

Begrenzt ist alles Hoffen, alles Streben,
Der Wahn der Ewigkeit – ein Selbstverkennen,
Kein Leben ohne Tod und alles Leben
Nur Selbstverzehrung, hastiges Verbrennen.
Des Menschen Dasein, ach, wie bald zerronnen!
Beschränkt ist alles Leiden und Genießen;
Wir schöpfen Leben aus des Schlafes Wonnen,
[251]
Bis wir auf immer unsre Augen schließen.
Ein Himmelstau für das erhitzte Blut,
Ein leiser Tod, versöhnend und belehrend,
Bist du, mit jedem Abend wiederkehrend,
O süßer Schlummer, unser höchstes Gut.
Ja, bis auf immer wir die Augen schließen,
Kommst du, geliebter Schlaf, als eine Mahnung
In Freud' und Leid – als eine Todesahnung,
Bis Sein und Nichtsein ineinander fließen.

26.

Anendlichkeit, vor dir erbeben nur
Kann mein Gehirn; doch dich ersehnen? Nein!
Die schwache, gramerfüllte Kreatur
Kann nicht unendlich, nicht unsterblich sein.
Wir sind ein armes, winziges Geschlecht,
Das nach Minuten rechnet; wir verlangen,
Bevor des Todes Schauer uns umfangen,
Nichts als des Atmens, als des Daseins Recht.
Der Lebensfunke, mit dem Stoff vermählt,
Kann nicht selbständig lodern; ausgezittert
Hat der Gedanke, wenn die Form zersplittert,
Die ihm des Zufalls Laune auserwählt.
Geist, der du in den undenkbaren Sphären
Des Weltalls waltest, schaffend und ergänzend,
Milliarden Wesen ihre Bahn begrenzend,
[252]
Nicht um Milliarden Leichen zu verklären,
Nicht um sie weiter, weiter zu geleiten;
Denn sie bedürfen keines Lohns, und strafen
Willst du sie nicht – wenn wir im Tod entschlafen,
Was ist Vergeltung, was sind Seligkeiten?
Des Lebens Schule hat uns so gestaltet,
Daß uns nur flüchtiger Genuß entzückt;
Und die Entbehrung hat uns so bedrückt,
Daß nur aus ihr die Freude sich entfaltet.
Kurz muß die Wonne sein, die uns belohnt;
Vervielfacht wird die Lust durch die Kasteiung;
Liebe ist Schmerz und Wollust nur Befreiung
Aus Ketten, die zu tragen wir gewohnt.
Und wie wir sind, zu sinnlich und gebrechlich,
Um auf der Erde Wonnen zu verzichten,
Wir finden Augenblicke, unaussprechlich,
Die jeden Schmerz verscheuchen und vernichten.
O, voller Zauber ist der Liebe Zeit!
Für Herzen, die sich aneinanderpressen,
Berauschte Herzen, die sich selbst vergessen,
Ist schon erfüllt der Traum der Seligkeit.
Wenn ich mich täusche, Weltgeist, wenn du lenkend
Wenn du bewußtvoll schaffest und zerstörst,
Wenn du mein Ringen siehst, wenn du mich hörst
So sei du dennoch meiner nicht gedenkend;
Laß dieses Herz, das einst so stürmisch schlug,
Und sei es auch das einzigste von allen,
[253]
Laß es in Staub zerfallen,
Ich habe heiß geliebt – das ist genug!
Aetherisch durch den Sternenraum zu schweifen,
Ich kann es nicht begreifen;
Der Schöpfung Wunder, die mit Allgewalt
Ein stetes Dankgebet in mir entzünden,
Ich will sie nicht ergründen;
Ich bin für solchen Rausch zu geistesalt.
Ich kann kein neues Leben träumen, kann
Nicht hoffen, daß die Toten auferstehn,
Und wenn die Sonne schwindet, dann, o dann
Möcht' ich mit ihr auf ewig untergehn;
Nicht weil mich frühe Trauer überflutet,
Und nun in finsterm Trotz mein Herz verblutet,
Nein! – Wenn ich Schweres litt und Unnennbares,
Ich habe Himmelsfreuden schon genossen
Und längst den Tod in meine Brust geschlossen
Als ein vertrautes Bild, ein sternenklares.
Und nun der Mitwelt dieses Bild enthüllen,
Das möcht' ich, siegreich und verheißungsvoll;
Denn keine Täuschung, die verschwinden soll,
Kann mit so süßem Troste mich erfüllen.

27.

Tod, der du meine innersten Gedanken
Beherrschest, unbezwingbar, unaufhaltsam,
[254]
Der du mein ganzes Sein durchdringst, gewaltsam
Erschütternd meines Wissens enge Schranken,
Ich ringe furchtlos mich zu dir empor,
Tod, den ich unsern Friedensspender nenne.
Doch, daß die ganze Menschheit dich erkenne,
Tritt endlich aus der Dämmerung hervor!
Es werde Tag! Vertrieben sei der Spuk,
Verflucht des Aberglaubens freches Spiel!
Verwelken mag der Gräber Blumenschmuck;
Zu Asche brenne, was dem Nichts verfiel!
Was frommt der Kirche Segen einer Leiche,
Die tote Sprache, mit Vergeltung prahlend?
Lebendig ist das Wort, das sonnengleiche,
In Millionen Herzen widerstrahlend,
Das Wort, das tausendjähr'ge Siegel sprengt,
Der echte Glaube, der die Form zertrümmert;
Lebendig ist der Tod, der uns bekümmert,
Solang das Jenseits unsere Brust beengt.
Was unser ist, was liebend wir umfassen,
Verschmelze wieder sich mit der Natur,
Und jene Sehnsucht, eine Feuerspur,
Ein ausgeprägtes Bild zurückzulassen,
Versinke in dem großen Weltgetriebe.
Der Drang des Schaffens, der sich selbst genügt,
Die Selbstverläugnung, die uns selten trügt,
Das sind die Zeichen wahrer Gottesliebe.

[255] 28.

O Morgenrot, ersehntes Morgenrot!
Noch bist du nicht für alle angebrochen;
Die Menschheit kämpft mit Zweifeln und mit Not.
Von andern Lippen ward das Wort gesprochen:
Das Sterben in der Dämmerung ist schuld
An dieser freudenarmen Ungeduld.
Es ist genug des Zagens und des Schwankens;
Wir, so zerfahren, eilig und geschäftig,
Sind, als ein Teil des großen Weltgedankens,
Nur als belebte Larven denkenskräftig.
Sei, Weltgeist, du, in unverfälschter Reinheit,
Kein Götze, dessen kalte Hand wir küssen;
Sei ein geliebter Hauch, trotz unsrer Kleinheit
Und trotz der Opfer, die wir bringen müssen;
Auf Gräber lasse Thränen niederregnen,
Doch laß fortan, auf sonnenhellen Pfaden,
Hamlet und Manfred lächelnd sich begegnen
Und Faust die Stirn im freien Aether baden!
Vorüber mit der Lust ist auch die Pein:
Da mit dem Tode das Bewußtsein endet,
Laß, unsrer Mutter Erde zugewendet,
Bewußtvoll meine Brüder glücklich sein!
[256]

Notes
Erstdruck: München (Cotta) 1869. Auch in französischer Uebersetzung des Verfassers vorhanden.
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TextGrid Repository (2012). Dranmor, (Schmid, Ludwig Ferdinand). Requiem. TextGrid Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-82E4-C