VIII.
Eine Genesung, welche durch den Instinct bewirket worden.

Wenn ein Kränker, der von der Arzneykunst keine Kenntniß hat, ein Mittel ausfindig machet, [11] durch welches er geneset, hat er solches der Wirkung seiner Vernunft, oder blos dem Trieb dieses Instincts zu danken, welcher die Thiere so weislich leitet? Eine Jungfer welche von einer langwierigen Krankheit, die sie ausgestanden hatte, nicht genesen konnte, keinen Schlaf hatte, und von einem anhaltenden Fieber, welches sie in den betrübtesten Zustand versetzte, beständig gemartert wurde, hatte einen Abscheu für allen Speisen. Sie bekam einstmals Lust Austern zu essen. Man hütete sich aber wohl ihr welche zu geben. Ihre Begierde darnach nahm immer mehr und mehr zu. Man verweigerte ihr solche aber beständig, aus Furcht, daß sie dadurch eine Unverdaulichkeit bekommen mögte, welche ihr unfehlbar das Leben würde gekostet haben. Sie verlangte aber solche so oft und vielmal, daß man ihr endlich sechse gabe. Sie verschlang selbige mit einer ausserordentlichen Begierde, und wurde nicht im mindesten davon beschweret. Sie verlangte noch mehrere, man gab ihr abermals sechse, und darauf alle Tage fort einige. Man hatte so gleich das erstemal bemerket, daß das Fieber ein wenig nachgelassen hatte, und daß ihr Gesicht und ihr Puls besser wurde; und in kurzen erhielte sie ihre gänzliche Genesung.


Diese Austern, welche die Natur dieser Kranken, von der ich geredet habe, so weislich angezeiget hat,[12] würden bey jemand anders die ärgste Unverdaulichkeit verursachet haben: aber dieser Instinct, welcher jederzeit in seinen Trieben sinnreich ist, fand ein ganz besonderes Mittel, sie davon zu befreyen.


Einige Matrosen bemächtigten sich einer Tonne mit Austern, welche am Haven zurück geblieben war, um sich damit einen recht lustigen Tag zu machen. Der gröste Vielfraß unter ihnen muste seine Gefräßigkeit bald darauf bereuen; er trug fast sogleich die beklemmenste Unverdaulichkeit zu seiner Strafe davon. Man brachte ihn in diesem Zustand nach Haus, erklärte seinen Umstand für höchst gefährlich, und versahe ihn folglich mit dem lezten Beystand der Kirche. Der Sterbende, welcher der willkührlichen Besorgung seiner Frau überlassen war, die sich einen Augenblick lang aus dem Zimmer begeben muste, sahe eine Schale voll weichen Käß, den sie auf dem Tisch ohnweit seines Bettes gelassen hatte; ein natürlicher und unwiderstehlicher Trieb reizte ihn, davon zu essen, er machte sich die wenigen Augenblicke der Abwesenheit seiner Frau zu Nutze, nahm die wenigen Kräften, die ihm ein schon halb erloschenes Leben noch übrig gelassen hatte, zusammen, verzehrte alles und schlief darauf ein. Als seine Frau wieder in das Zimmer kam, glaubte sie, es gieng mit ihm zum Ende, weil er aber ganz ruhig [13] war, so ließ sie ihn die Nacht über in diesem Zustand liegen. Aber wie sehr erstaunte diese Frau, da sie den folgenden Tag ihren Mann zu seiner gewöhnlichen Zeit erwachen, sich ankleiden, und nach seiner Gewohnheit am Haven spazieren gehen sahe, zur grösten Verwunderung derer, die ihn den Abend zuvor gesehen, und zu einem unvermeidlichen Tod verdammet hatten.

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Dumonchaux, Pierre-Joseph-Antoine. Werk. Medicinische Anecdoten. Medicinische Anekdoten. 8. Eine Genesung, welche durch den Instinct bewirket worden. 8. Eine Genesung, welche durch den Instinct bewirket worden. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-8807-1