Johann Jakob Dusch
Der Tempel der Liebe

What is the World to them,

Its Pomp, its Pleasure, and its Nonsense all,

Who in each other clasp what ever fair

High Fancy forms, and lavish Hearts can wish!

Thomson.

[1] Vorrede

Wenn man von einem Gedichte verlanget, daß es in allen Zügen seiner Gemälde, in allen Ausdrücken seiner Leidenschaften, und in allen Zeilen seiner Erzählung eine gleiche Stärke haben soll: so weis ich, daß dieses Gedicht noch nicht hätte erscheinen müssen; aber ich wollte mir alsdann wohl von meinen Kunstrichtern die Gewogenheit erbitten, daß sie mir unter hundert andern zwey zeigen möchten, die mit Recht erschienen sind. – Das wird abermal eine Vorrede werden, worinn man uns auf keine demüthige Art sagen wird, daß wenig an unserm Urtheile gelegen, und daß der Verfasser von seinen Schönheiten, trotz uns, überzeuget sey. – Wer also denket, der hätte mich [1] lieber erst ausreden lassen sollen; denn er hat es ganz und gar nicht getroffen. Ich bin weder so hochmüthig, von Schönheiten in meinem Gedichte zu reden, und dem Urtheile des Publici die gebührende Hochachtung zu versagen, noch so gar demüthig, Beyfall zu erbetteln. Dieses Bekenntniß meiner Gemüthsverfassung thut keinem Leser, in seiner Freyheit zu urtheilen, den allergeringsten Eintrag. Er kann Stellen billigen, die ich selbst nicht für die besten halte, wofern er sehr gütig seyn will; oder er kann auch gute Stellen für schlecht erklären, wenn er Lust hat, zu tadeln. In dem ersten Falle kann mich sein Lob, ohne große Thorheit, unmöglich rühren, in dem andern würde ich eben so wenig Grund haben, mich über einen Tadel zu kränken, der allein dem Urtheile meines Kunstrichters zur Last zu legen wäre. Ich sage es also voraus, daß dieses Gedicht in allen Stellen sich nicht gleich ist. Soll ich noch einmal die Frage erwarten; warum ich mich denn in der Ausgabe übereile? so will ich den Leser nicht zum zweytenmale an die Unvollkommenheit aller menschlichen Werke selbst, sondern nur an die Regel des Horaz erinnern;ubi plura in carmine nitent; und nur alsdann werde ich unrecht haben, daß ich aufgetreten bin, wenn mich diese Regel verdammet. – Also glaube ich doch wohl, [2] daß mein Gedicht viele gute Stellen habe? – Was würde es zu sagen haben, wenn ich diese Frage mit Ja beantwortete? Wer würde mir glauben, daß es mein Ernst wäre, wenn ich nein sagte? Wenn das Publicum eine solche Demuth von Verfassern fodert: so muß es in der That nicht verstehen, was es heisse, ihm ein feines Compliment machen! Ich denke es in eben dem Augenblicke, da ich meine Eigenliebe fühle; (und zu leugnen, daß ich Eigenliebe besitze, wäre eben so lächerlich, als zu leugnen, daß ich ein Mensch bin), ich denke es also in diesem Augenblicke, wo ich meine Eigenliebe fühle, recht an seiner schwachen Seiten zu fassen, und ihm ein unwidersprechliches Zeugniß von meiner Hochachtung zu geben. Das ist wenigstens, so viel ich weis, noch ein neues Compliment, und verdiente der guten Erfindung wegen, wohl Vergebung einiger schwachen Stellen mehr. Im Ernste zu reden, so ist es gewiß kein Compliment, wenn einige Verfasser in ihren Vorreden sagen, daß ihre Arbeit schlecht sey. Sie sagen dem Publico damit, sehr trocken, daß sie es für einfältig genug halten, sich an schlechten Werken belustigen zu können: und wenn sie auch alsdann gleich darauf um Verzeihung bitten; so geschiehet dieses doch in einem Augenblicke, worinn sie diese Verzeihung am wenigsten verdienen. Im [3] Exempel zu reden, ist diese Bitte eine Bitte um Verzeihung an einen Mann, dem man eben eine Ohrfeige gegeben hat.


Ich will es also gestehen; ich glaube, daß in meinem Gedichte nicht gar – zu schlechte – nein, ich glaube noch mehr; ich glaube, daß gute Stellen darinn sind: und um mich zu rechtfertigen, daß ich dieses selbst sage, muß ich auch hinzusetzen: ich bin gleichfalls der Meynung, daß ich durch die Ausgabe die Hochachtung gegen das Publicum beleidigen würde, wenn ich dieses nicht geglaubt hätte. – Warum ich dieses aber eben ausdrücklich sage? – weil ich vermuthe, daß man mich ausdrücklich darum fragen wird. Die Antwort erkläret es, warum ich mein Gedicht bekannt mache; nämlich, weil ich mir schmeichelte, daß es Leser belustigen würde. Ob ich mir aber falsch geschmeichelt habe, das ist wieder eine andere Frage, die ich unausgemacht lasse, weil sie der Leser allein ausmachen kann.


Noch ein Beweis von meiner Hochachtung gegen das Publicum kann dieser seyn, daß ich lange an diesem Gedichte gearbeitet habe. – Desto schlimmer für den Verfasser, wenn es der Leser schlecht finden sollte. – Der Leser muß aber [4] alsdann Recht haben; und dennoch wäre der Schimpf auszustehen. Man könnte sich mit dem Herrn Langen trösten, der noch immer in seinen horazischen Oden ein Dichter bleibt, wenn er schon mit seinen geistlichen Gedichten nicht unsterblich werden sollte. Vielleicht ist auch dieses ein Trost für den Verfasser, wenn er sich selbst, in Ansehung des Fleißes, nichts vorzuwerfen hat. Das übrige ist ein kleines Unglück, wenn ihn die Muse nicht hat begeistern wollen; oder gar ein unverdientes Schicksal, wenn seine Arbeit zuerst in die Hände eines feindselig gesinnten Kunstrichters fällt; oder in die Hände eines Lesers, der sich auch gern merken lassen wollte, daß er einen Theil des Publici ausmacht; oder eines Witzlinges, der nothwendig seine eigenen Meynungen haben muß, oder der – ja, gleich fällt es mir aus dem Young ein, der urtheilen wollte, weil es noch zu früh war, zu schlafen: Alles mit einem Worte zu sagen; wenn er zuerst in die Hände eines Schwäzers gerieth, der alle die Ursachen hatte, ihn zu tadeln, die ein Schwätzer haben kann. Die Urtheile dieser Leute stecken an, und werden epidemisch. Ein großer Theil des Publici unterwirft seinen Glauben einigen Einfällen, wobey er herzlich lachen mußte, und giebt sie wieder bey andern, die ungefähr gegen ihn eben das Verhältniß haben, [5] als er gegen den Schwätzer, und folglich noch hundertmal weniger im Stande waren, zu urtheilen, als die beyden ersten, als seine eigene Preis. Man verdammet also das Gedicht ganz sicher, ohne es zu lesen. – War dieses auch ein Compliment für einen Theil des Publici? – Wenn es keines ist, so darf sich dieser Theil nur erinnern, daß ich die Erlaubniß habe, üble Gewohnheiten zu tadeln; und kann sich allenfalls an meinem Gedichte wieder erhohlen: denn ich habe so noch nicht gesagt, daß viele aus Rachbegierde tadeln.


Nun habe ich also schon vieles geredet, und vielerley: desto eher wird man es mir verzeihen, wenn ich noch einige Worte mehr rede, und zwar von dem Gedichte selbst. Meine Absicht war diese: ich wollte die Leidenschaft, die wir die Liebe nennen, von verschiedenen Seiten; und eine regelmäßige, tugendhafte, im Abstande von einer unerlaubten und lasterhaften, schildern. Ich mußte also die Personen in verschiedene Stellungen setzen. Ein bloßes dogmatisches Kleid schien mir dieser Absicht nicht angemessen zu seyn. Der Dichter kann sich in demselben nicht so sehr bewegen, und die Leidenschaften so oft selbst auftreten lassen: vornehmlich aber erlaubt die didactische Poesie, wenn sie ja noch kurze Erzählungen, und eingestreute Fabeln [6] zuläßt, die ihr dennoch oft gezwungen stehen, diese Folge von Begebenheiten, die gleichsam die Geschichte der Leidenschaft selbst ausmachen, mit der Verwickelung und Auflösung ganz und gar nicht, die so sehr die Aufmerksamkeit des Lesers fesseln. Ich wählte also die erzählende Poesie, und kleidete meine Absicht in eine Fabel. Für das Schäfergedicht schickten sich weder meine Personen, noch ihre Sitten, noch die heftigen Leidenschaften, die ich auszudrücken hatte. Daher erwählete ich eine andere Gattung der erzählenden Dichtkunst, der ich keinen eigentlichen Namen zu geben weis, wenn ich sie nicht die epische nennen darf.


Diese schien mir die geschickteste zu meiner Absicht zu seyn; weil das Dramatische, mit der Erzählung darinn abwechseln kann; weil die Erfindung eine uneingeschränktere Freyheit hat, von allen angränzenden Feldern Blumen herbey zu holen; weil sie das Wunderbare zuläßt, und aller Farben der Dichtkunst fähig ist. Der Vortheil, daß man fremde Personen selbst darinn aufführen kann, ist einer der wichtigsten; und giebt dem Gedichte weit mehr Handlung, und Leben. In einer bloß erzählenden Poesie, wird der heftige Affect sehr oft im höchsten Grade unnatürlich, [7] wenn nicht der Dichter in seiner eigenen Person redet; oder er hat Mühe, durch einen feinen Kunstgriff fremde Personen an seine Stelle zu schieben, wenn er Affecten schildern will, die diesen fremden Personen, und nicht ihm eigen sind. Wie leicht kann es geschehen, daß ihm dieser Kunstgriff nicht glücket! Ich glaubte, da ich gern die Leidenschaften selbst reden lassen wollte, daß ich kein besseres Mittel erwählen könnte, als dieses, die vornehmste Person des Gedichts zugleich zum Verfasser zu machen. Denn derjenige kann doch wohl die Affecten am heftigsten ausdrücken, der sie empfindet. So viel ich einsah, gewann ich hierdurch auf der einen Seite das, was ich wünschte; aber ich verlohr auf der andern wieder vieles von dem Dichter. Eine Person, die selbst von den Leidenschaften ergriffen ist, die sie ausdrückt, würde eben so lächerlich in weitläuftige Beschreibungen und prächtige Gemälde ausschweifen, als ein Schäfer, der sich ermorden wollte. Endlich glaubte ich, das Mittel erfunden zu haben, den Dichter, und den affectvollen Mann zu vereinigen, wenn ich ihn in die rechte Zeit setzete: ich will sagen, wenn ich ihn seine Begebenheiten nicht in dem Augenblicke erzählen ließ, worinn sie geschahen, sondern später, da sie schon geschehen waren, und da er schon die Entwickelung erlebt hatte. In diesen Augenblicken [8] war er in der That der ruhige Mann, der poetisch reden, und beschreiben; und zugleich derjenige, durch Hülfe der Phantasey, und des Gedächtnisses, der seine empfundenen Leidenschaften lebhaft ausdrücken, und reden lassen konnte.


Es war noch nicht genug, daß ich diese Person in ihre gehörige Stellung, nach meinem Bedünken, gesetzt, und die übrigen erfunden hatte: ich mußte auch Zeit, und Ort für sie haben. Ich wählete die ältere Zeit: denn ich glaube, daß das Alter einem Gedichte ein anständiges Ansehen giebet; und schob meine Begebenheiten in das Alter der Fabeln zurück. Nun war es mir nicht schwer, den Schauplatz für sie zu finden: ich mußte mich nothwendig erinnern, daß die Fabel von einer cythereischen Venus saget. Die Insel dieser Göttinn ward also der Ort der Handlung; und hier fand ich zugleich meine Maschine in der Nähe. Da ich aber den Abstand einer tugendhaften Liebe von einer lasterhaften schildern wollte; so fand ich zwo Maschinen nöthig: denn beyde konnten unmöglich eine Göttinn haben. Ich nahm also zu der andern die Wollust, und gab einer jeden ihren Tempel; der ersten in Cythere, der andern in Paphos. Es fiel mir zu spät ein, daß ich besser zwo Venus hätte nehmen können; da die Fabel ihrer [9] zwo in diesem Gegenstande bekannt macht: nämlich die Venus, die aus den Wellen gebohren wurde, und die Tochter des Jupiters; von denen ich mich erinnerte, daß die eine die irdische, die andere die himmlische Venus genannt wurde. Eben so hatte ich mir vorgenommen, die lasterhafte Liebe in ihren verderblichen Folgen vorzustellen: und billig hätte ich die dazu angelegten Linien weiter ausziehen sollen. Dieses Feld würde fruchtbar, und lehrreich gewesen seyn. Ich hatte auch, in der That, schon die Anlage zu den Charactern einer Milvoud, und einesLovelace, imgleichen zu ihrem Abstande, eines Barnvell, und einer Clarisse gemacht; aber es fehlte mir an Zeit, diesen Plan so weitläuftig auszuarbeiten.


Gemeiniglich läßt man den Entwurf eines Gedichts, in der ersten Hitze, nicht zu lange auf die Ausarbeitung warten. Vielleicht war dieses mein Fehler. Ich hatte schon vieles ausgearbeitet, als ich auf die letzte Erweiterung fiel; und damals war es nicht möglich, diese Erfindung mit der ersten so genau zu verbinden, daß es eine Haupthandlung bliebe. Ich lege es also den Lesern so einfach vor. Findet es Beyfall, so wird mich dieser erwecken, künftig auf diese Veränderung bedacht [10] zu seyn; gefällt es nicht, so ist so schon zu viele Mühe daran geschehen.


Noch einige Worte! der Verfasser ist mit der Folge, und dem ganzen Zusammenhange seiner Fabel genau bekannt: daher sagt er an einigen Orten oft zu wenig, oder redet zu dunkel, wo er glaubt, zum Unterrichte des Lesers genug gesagt, und deutlich geredet zu haben. Dieser Fehler verdienet am ersten Vergebung, da er am schwersten zu vermeiden ist. Er entspringt aus einer genauen Bekanntschaft des Verfassers mit seinen Begebenheiten; aus einer Furcht, etwas unnützes zu sagen, und endlich aus einer Schwierigkeit, gewisse kleine Umstände, und Nachrichten schön zu sagen. Wie gern überhüpft man diese! und das Hüpfen ist doch nicht der natürliche Gang. Wenn man darauf Acht hat, so wird man es in erzählenden Gedichten sehr oft finden, daß der Verfasser einige Umstände entweder recht ängstlich erzählet; und davon ist das sicherste Zeichen dieses, wenn er sich durch Figuren, worunter vornehmlich die Frage oft ihre Dienste thun muß, zu retten suchet; oder daß er kriechet, oder auf einmal einen Sprung thut. Exempel von dem ersten findet man in dem Unzufriedenen, dem ich dadurch nichts von seiner Schönheit abspreche; von dem andern, in tausend [11] Gedichten, und Fabeln; von dem dritten, oder auch von allen dreyen, vielleicht Exempel in meinem Gedichte. Es ist daher gar kein Mißtrauen auf die Einsicht des Lesers, wenn ein Verfasser demselben, außer seinem Gedichte, einen Leitfaden giebt: es ist vielmehr eine Bescheidenheit, weil er glaubt, daß er dunkel, oder zu kurz seyn möchte, wo er deutlich, und länger seyn sollte.


Ich will hier nicht das ganze Gedicht zergliedern: ich will nur den Leser in den gehörigen Gesichtspunct stellen. Er muß sich einbilden, daß die erzählende Person die Hauptperson ist, die schon einen Theil der Begebenheiten an eben dem Orte, wo sie jetzo auftritt, erlebet hatte, und das übrige zu einer andern Zeit erlebet. Um der Handlung ihre Einheit der Zeit zu geben; das ist, ihre Zeit nicht über die Gränzen auszudehnen, die sie wahrscheinlich haben muß, wenn sie eine Handlung bleiben soll: mußte ich den ersten Theil der Liebesgeschichte bis auf die Trennung erzählen lassen. Die eigentliche Handlung des Gedichts hebet da an, wo Aedon, von seiner Reise, worinn er seine Themire gesucht hatte, wieder in Cythere zurückkömmt, und daurt bis dahin, wo er sie wieder findet: eine Folge von Begebenheiten, die in einem Monathe bequem geschehen kann. Das erste von seiner Geschichte [12] lasse ich ihn erzählen, weil es zu einer andern Zeit geschehen war. Ich gestehe, daß ich bey dieser Erzählung zu spät, hin und wieder, einige Dunkelheit, und Verwirrung bemerket habe: diese war mir aber gänzlich entwischet, so lange ich sie ausarbeitete, und oft las: das kam daher, weil ich von dem ganzen Zusammenhange noch eine lebhafte Vorstellung hatte, je öfter ich ihn überlas. Als ich aber diesen Theil meines Gedichtes eine Zeitlang hatte ruhen lassen, und nachdem wieder las, da es Zeit war, ihn drucken zu lassen; so war ich schon mit dem Zusammenhange nicht mehr so bekannt, und entdeckte das, was ich sonst nicht fand. Der erste Theil der Erzählung ist nur eine Wiederholung dessen, was Aedon von sich und von seiner Themire einem Freunde schon vorher erzählet hatte, und zwar kurz nachher, als sie ihm geraubt war, und ehe er ihr nachfolgete. Ich gestehe, daß die Erfindung dieser Wendung nicht die beste, und nicht die wahrscheinlichste ist. Das übrige folget, so viel ich glaube, ganz natürlich auf einander, und bedarf keiner Erklärung.


Das Versmaaß ist aus keiner Begierde, Neuerungen zu machen, sondern bloß aus der Absicht gewählt, weil mich die Erfahrung überzeugt, daß es eines Zwanges überhebt. Wir haben die [13] Abwechselung mit männlichen, und weiblichen Füßen in den Mittelabschnitten der Zeilen in der so genannten trochäischen Versart; warum nicht in dieser? Wer mir sagt, daß sie unangenehm sey, der sagt mir, die Abwechselung sey unangenehm; und also, wenn er nicht sonst Gründe bringet, etwas lächerliches. Es sind mir deßwegen schon einigemal critische Insecten ums Angesicht geflogen, bey welchen ich aber glaube, daß die Geduld am rühmlichsten ist.

[14]

[15] [3]Der Tempel Cytherens
Erstes Buch

Die Göttinn, die im Stillen der halbe Erdkreis ehrt,
Die hier Tyrannen flehen, dort Schäfer seufzen hört,
Der jede Nation, in jedem Erdstrich dienet,
Wo ewger Winter wohnt, und wo ein Frühling grünet,
Herrscht sichtbar zu Cythere: ein Tempel vomVulkan
Nimmt hier für seine Göttinn der Völker Weihrauch an;
Und jährlich steiget hier von schimmernden Altären
Der Rauch von Opfern auf, die ihre Gottheit ehren;
Wenn sich ein neues Leben in die Natur ergießt,
Und hier die edle Jugend um sie zusammenfließt.
[3]
Zwar auch Idalien empfängt dann seine Menge,
Und Paphos öffnet ihr die Tempel voll Gepränge;
Doch Cypris haßt die Opfer; durch Greul von hier verbannt,
Hat sie von den Altären ihr Aug hinweggewandt.
Die Wollust nimmt da Lohn von niederträchtgen Händen,
Und Opfer der Altar, die ihre Gottheit schänden.
Die Schaam, die Ehr und Treue, die Sittsamkeit und Zucht
Vertilgen Frechheit, Wollust, Betrug und Eifersucht;
Man kennt sie hier nicht mehr; es scheint, als wenn Cythere
Der Schande und des Grimms furchtbare Göttinn wäre.
Kein Erdstrich zeigt den Menschen so mancher Götter Spur;
Selbst Jupiter bewundert die Kräfte der Natur,
Wenn mit geschäfftigen, und eifervollen Händen,
Der Erden Göttinnen verschönern, und verschwenden.
Auch Juno feyrt die Tage, umfängt den Jupiter,
Erwecket ihn zur Liebe, und küsset feuriger.
Sie denkt nicht an den Zank, der den Olymp empörte.
Noch wie sie voller Schaam vom Ida wiederkehrte.
Der Groll stirbt in dem Busen, von ihrer Stirn der Streit,
Und ihr verschönert Auge winkt Ruh und Zärtlichkeit.
Cythere badet dann ihr Haar mit ihren Düften,
Und schürzet ihr noch einst den Gürtel um die Hüften.
Der Erden Untergötter, die Mächte der Natur,
In Wassern, auf Gefilden, in Hainen, auf der Flur,
[4]
Vereinigen den Fleiß, erwecken, und beleben
Den kleinen Theil der Welt, den ihnen Zevs gegeben.
Der güldne Gott des Tages nimmt einen weitern Lauf,
Und jagt die Rosse schneller vom Ocean herauf;
Dann glüht die Liebe noch auf seinen Rosenwangen;
Und Thetis, voll Begier, ihn wieder zu umfangen,
Schaut in den ebnern Wellen, wenn ihm der längre Tag
Die Laufbahn weiter zeichnet, dem Gott im Bilde nach;
Ob er am Widder oft, auf seinen flüchtgen Wagen,
Die Zügel schüttele, die Rosse fortzujagen.
Der Frühling folgt dem Gotte; sein Athem haucht dem Hain,
Und Thälern, und Gefilden ein neues Leben ein;
Und Zephyrs führen ihn, und fachen sanft die Düfte
Vom vollen Rosenbusch, und Veilchen durch die Lüfte.
So zeichnen alle Mächte mit Wonne diesen Tag,
Und Götter eifern Göttern, und Nymphen Nymphen nach;
Die ganze Schöpfung scheint Cytherens Fest zu merken;
Ein feyerlicher Stolz erscheint in allen Werken.
Kaum trat zum erstenmale mein Fuß an ihren Strand,
So rief ich, voll Entzückung: ihr Götter! welch ein Land!
Ist hier Elisien? – und sah von allen Höhen
Auf Thal und Wald umher, und ward nicht satt im Sehen.
Dann strich ich durch die Gegend, worauf mein Auge lief,
So wie mich die Entzückung durch ihre Sinnen rief.
[5]
Hier kränzt ein Wald von Buchen das Veilchenvolle Thal,
Und deckt mit kühlen Schatten vorm heißen Mittagsstrahl.
Du sprächst, es streckte hier die Buche, mit Verlangen,
Den grünen Arm von sich, Verliebte zu empfangen.
Hier strömt von schwanken Aesten das Lied der Nachtigall
Das tiefe Thal hinunter; der ganze Hain wird Schall;
Des Baumes Dryas horcht, mit angenehmer Trauer,
Und durch den stillen Wald geht ein geweihter Schauer.
Die Nymphen, und Dryaden beschäfftigt eine Müh,
Und diese zieht die Buchen, und jene tränket sie.
Sie baun den Rasensitz, und lassen, hier im Kühlen,
Um den verliebten Gast die schönsten Träume spielen;
Sie beugen um den Schäfer der Schatten grünes Dach,
Und seufzen süße Seufzer ihm leis im Busche nach;
Sie polstern beym Geräusch vorüberfliehnder Quellen,
Mit sanft geschwollnem Moos, der Schönen Lagerstellen;
Sie schmeicheln mit den Wellen der stillen Phantasey,
Und führen, wenn sie seufzet, den blöden Freund herbey;
Umsonst fährt sie dann auf, zu spät will sie entfliehen,
Und ringt, und läßt sich gern ans Ufer niederziehen.
Doch wenn die Sänger schlummern, wenn in der kältern Nacht,
Aus Silberwolken, Phöbe das Thal gesellig macht;
So sammlet sich ihr Chor, den Reihen aufzuführen,
Und Nymphen tanzen dann mit Faunen und Satyren:
[6]
Bald fliegt der Schwarm durchs Thal hin, bald in den schwärzern Hain,
Bald haschen sie einander, und springen bald im Reihn.
Dort zittert von der Höh, die dieses Thal umschließet,
Ein Bach, den hier Zephiß aus dreyen Urnen gießet.
Er windet sich geschäfftig, und irret tausendmal,
Voll Ungeduld, durch Krümmen, und sucht den Weg ins Thal;
Mit Sehnsucht wälzt er sich von schrägrer Höh herunter,
Braust ungeduldiger, und stürzt vom Hang hinunter,
Und drehet sich, und schäumet, und wälzet, sonder Bord,
Durchsichtig über Blumen die weiten Kreise fort.
Mit Wäldern an der Stirn, hängt hier ein stolzer Hügel
Den Gipfel über ihn, und siehet sich im Spiegel.
Sein Rauschen ladet oftmals die Nymphen aus dem Hain;
Sie treten an sein Ufer, und spiegeln sich darein,
Und stürzen in den Strom, und schlagen seine Wogen,
Und schwimmen mit ihm fort, und spritzen Regenbogen.
Wann dann ein schlauer Waldgott sie aus dem Schilf belauscht,
So schwillt er eifersüchtig, tobt um ihn her, und rauscht;
Und sie verstehen ihn, und tauchen schamhaft nieder,
Und sein getreuer Strom verbirgt die schönen Glieder.
Ein Wald von hohen Cedern steigt um den Hof hervor,
Und trägt bis in die Wolken sein prächtig Haupt empor.
Gigantisch strecket hier des Zevs geweihte Eiche
Aus ihrer Finsterniß ihr irrendes Gesträuche.
[7]
Enthusiastisch-zarte, verliebte Phantaseyn,
Und angenehmes Grauen erfüllt den dunklen Hain.
Hier pflegt die Göttinn oft das Schicksal, ihren Willen,
Und das Zukünftige in Träumen zu enthüllen.
Ein Schauer, den der Schatten des Hains herunter gießt,
Und Ehrfurcht sagt der Seele, wem er geheiligt ist.
Der Ausgang führt den Fuß in eine grüne Enge,
Durch labyrinthische, verwachsne Myrthengänge.
Hier athmet man die Liebe, den Gram voll süsser Lust;
Der Schäferinn entwischet der Seufzer aus der Brust;
Sie hört gelehriger, will reden, und wird blöde;
Erröthet, stammlet, schweigt, und Blicke werden Rede.
Ihr Herz wird ausgedehnet, ihr Busen lebt und steigt,
Und ein verräthrisch Lächeln sagt das, was sie verschweigt.
Kein Ort der Welt ist schöner, als rund um dieß Revier!
Entzückung, süsse Sehnsucht, und Hoffnung wohnen hier.
Hier herrscht ein ewger Lenz im stetem Feyerkleide;
Die Seele athmet Ruh, und das Gefühl ist Freude.
Wenn anderswo ein Nebel die rauhe Luft erfüllt,
Wenn Jupiter den Himmel in Ungewitter hüllt,
Wenn er ein sträflich Land mit Sturmwinden erschüttert,
Wenn er im Donner fährt, und bang ein Welttheil zittert:
So eilt der Gott des Tages von diesem Himmel fort
Und wendet ganz sein Antlitz auf diesen stillen Ort.
[8]
Hier sieht man Grazien, in frischen Blumenkränzen
Die Freuden und den Scherz, bald flüchtig, bald in Tänzen;
Den Witz, die blöde Unschuld, die jugendliche Schaam,
Den flatterhaften Leichtsinn, den angenehmen Gram,
Den losen Eigensinn, auf Blumen, in Gebüschen,
Mit Amors unter sich, sich jagen und erwischen.
Sie werfen sich mit Rosen, sie tanzen Hand in Hand,
Durchschlüpfen die Gebüsche, und schwärmen durch das Land;
Die Veilchen biegen sich von ihren Tritten nieder.
Doch wo ein Blümchen stirbt, da wachsen hundert wieder.
Sie warten Florens Kinder, die hier der Jüngling pflückt,
Um Küsse zu verdienen, wenn er sein Mädchen schmückt.
Sie sorgen, sie der Hand des Schäfers zu erziehen;
Sie dürfen nur im Haar, nur vor der Brust verblühen;
Und bricht man seiner Schönen hier einen Blumenstrauß,
So wählen sie die Farbe, und suchen selber aus.
Ich kam zum zweytenmal in diese Gegend wieder,
Und warf mich Kummervoll am Strand des Zephiß nieder.
Ach! was für eine Gottheit verschwärzte mir ein Land,
Das ich so schön gefunden, und nun so traurig fand!
Erstorben schien umher das weite That zu liegen;
Themire war nicht hier; was sollte mich vergnügen!
Ich glaubte sie verlohren, in eines Räubers Hand,
Von dem ich sie zu retten, umsonst das Meer durchrannt.
[9]
Ach! schrecklicher für mich! ich glaubte, daßCythere,
Dem Laster günstig sey, und sie schon treulos wäre.
Nach jenem Tag voll Unglück, dem Tag der Finsterniß,
Der damals mit Themiren, das Leben mir entriß,
Sank unter meinem Gram zwölfmal die Sonne nieder;
So mancher finstrer Tag gieng unter, und kam wieder!
Das Herz, das mehr sich martert, indem es sich verschließt,
Fühlt Wollust in der Klage, und Luft, wenns sich ergießt.
So glücklich war ich noch! bey meinen tiefen Wunden,
Hat bey Agenorn noch mein Gram Gehör gefunden;
Oft hat mir im Erzählen bey ihm der Tag gefehlt;
Und was ich damals wußte, hab ich ihm so erzählt.

[10] Zweytes Buch

[11][13]
Von meiner Jugend auf ergab ich mich der Ehre,
Und fühlte die Gewalt der Göttinn von Cythere.
Die Liebe meiner Aeltern, die auch der Zeit nicht wich,
Ergoß sich auf die Kinder, und erbte mild auf mich.
Das Unglück meines Stamms den Enkeln zu vergüten,
Schien Venus alle Ruh auf sie herab zu schütten.
Nie hat wohl eine Liebe ein Alter mehr beglückt,
Und minder Hymens Fesseln an einer Hand gedrückt!
Sonst hasset sie den Zwang, wenns Pflicht wird, sich zu lieben,
Und beut Gesetzen Trotz, die Hymen vorgeschrieben.
Auf Freyheit eyfersüchtig, zieht sie die Flügel los,
Und reißt sich aus den Ketten, worein sein Zwang sie schloß.
Mit Tagen ohne Furcht vergehn die schönsten Triebe;
Und Sicherheit ist schon der Todeskampf der Liebe.
[13]
Gewohnheit dämpft die Flammen; das Alte wird verhaßt,
Die Schönheit unbemerket, und Tugend selbst zur Last:
Zu sicher, daß wir noch mit unsern Fehlern streiten,
Bricht die Natur hervor, und zeigt die schwachen Seiten.
Die Fehler werden sichtbar; denn unsre erste Treu,
Und unsre Kunst zu lieben, war oft Verrätherey.
Ein Trieb reißt uns dahin, und der, von der wir hoffen,
Steht unser heimlich Herz am allermindsten offen.
Wir nehmen uns die Larve, die leicht ein Herz gewinnt,
Worinn wir reizen können, und uns nicht ähnlich sind.
Nicht von Vernunft geführt, geleitet vom Vergnügen,
Gilt Großmuth, wie die List; genug, wenn wir nur siegen.
Die Schöne kehrt betrüglich die schönste Seite für,
Lernt unsre Kunst zu reizen, und wird so falsch, wie wir.
Sie straft uns mit der List, die wir erfunden hatten,
Ergiebt sich unserm Schein, wie wir uns ihrem Schatten;
Bis ein vertrauter Hymen das schöne Räthsel löst,
Und unsre wahre Bildung zu unsrer Schaam entblößt.
Melite pflegte mich oft zärtlich zu umfangen,
Und eine Zähre floß von ihren Rosenwangen.
Mein Sohn, war ihre Lehre, der besten Ehe Pfand,
Die am Altar der Cypris die Göttinn selbst verband;
O! wenn du jemals liebst (und hast du von den Trieben
Der Aeltern einen Theil, wie zärtlich wirst du lieben!)
[14]
Wofern du also liebest, ach! Sohn, so merke dir
Das Beyspiel deiner Aeltern, und liebe so, wie wir!
Sey stets der Falschheit feind; die Falschheit lohnt mit Reue;
Auf Tugend sieh zuerst, und weih ihr ewge Treue.
Verachte jene Sklavinn, die für die Weichlichkeit
Wollüstig ihren Weihrauch auf Paphos Altar streut.
Flieh die Betrügerinn, die bald verschwendrisch liebet,
Kein Herz von dir verlangt, und dir keins wiedergiebet.
Verschwendung zeuget Mangel: wer nicht zu sparen weis,
Sorgt nur für Augenblicke, und giebt die Zukunft preis:
Dann wird dein ekles Herz im späten Mangel schmachten,
Und die, die alles gab, wirst du zuerst verachten.
Ein zärtlich Herz voll Tugend ist mit Verstande schwach,
Spart Liebe für die Zukunft, und giebt dir edel nach;
Es läßt dich, um dein Herz sich fester zu verbinden,
In mehr, als einem Kampf, und mühsam überwinden.
Ein täglich neuer Reiz mehrt deine Neubegier.
Je mehr du sie erforschest, je schöner wird sie dir.
Mit Freuden wirst du sehn, daß sie dir viel versage:
Sie liebt mit Sparsamkeit, und sorgt für viele Tage.
So, wie die süße Veilche mit Sittsamkeit sich schließt,
Indem sich stolz am Tage die Lilie vergießt;
Wenn dann ihr mattes Haupt im Schlummer niederhanget,
Gießt sie Geruch ins Thal, eröffnet sich und pranget.
[15]
O! Göttinn, sey ihm gnädig! sein Herz sey dir geweiht!
Ich zog es für die Tugend, die Treu, die Zärtlichkeit;
Ich segnete den Tag, an dem ich ihn gebohren:
Doch war mein Wunsch umsonst, und aller Fleiß verlohren;
Reißt jemals ihn die Wollust nach Paphos zum Altar,
So sey der Tag verwünschet, an dem ich ihn gebahr!
O! führe dieses Herz in unschuldvollen Trieben
Der besten Schönen zu, und laß ihn edel lieben!
So pflanzte meine Mutter in meine junge Brust
Den Saamen ihrer Tugend, und Abscheu vor der Lust.
Bald ward ich stark genug, Gefahren zu ertragen,
Und mein unschuldig Herz im Sturm der Welt zu wagen.
Kaum zählt ich achtzehnmale der Sonnen Wiederkehr,
So wandt ich mich von Delos, und pflügte schon das Meer.
Im heiligen April, die Göttinn zu verehren,
Sah ich zum erstenmal die Insel der Cytheren.
Ich weis nicht, was ich fühlte; doch welch ein Trieb es war,
Ein Schicksal, oder Zufall, er riß mich zum Altar.
Es sey, daß Seelen schon sich unbekannt verbinden,
Daß ein Instinkt sie treibt, sich irgend wo zu finden;
Es sey, daß auch die Göttinn, von meiner Treu gerührt,
Durch Sympathie der Seelen mich selbst dahin geführt.
Im Tempel drängte sich der Kern von jungen Schönen;
Ich aber sahe nur die Töchter der Cylenen.
[16]
Ach! könnt ich dir doch sagen, wie sich mein Herz empört,
Wie – – doch ich wills vergessen; sie war der Treu nicht werth!
O! wäre bey dem Reiz, den wir so zärtlich lieben,
Auf jeder Stirne doch sein Laster angeschrieben!
Ich sahe mit Entzücken dieß Muster der Natur;
Ja Freund, ich wollte reden, zum Glücke seufzt ich nur,
Und alles sah auf mich; ich hatte mich vergangen,
Und Schaam trieb mir jetzo die Röthe in die Wangen
Ein Jüngling von Miletus, der mir zur Seiten stand,
Bemerkte die Verwirrung, ergriff mich bey der Hand,
Und sagte voll Vertraun: aus was für einer Erden
Du kommst, so fühl ich schon, daß wir uns lieben werden:
Ich sehe, du bewunderst, die Zierde von Milet,
Die Anmuth dieser Bildung, und diese Majestät.
Doch würdest du zugleich Themirens Tugend kennen,
O! angenehmer Freund, du müßtest für sie brennen.
Doch merkst du auch die Schöne, mit der sie so vertraut
Sich lächelnd unterredet? Freund, die ist meine Braut.
O! Göttinn, werd ich sie von deiner Hand empfangen,
So wollt ich auch das Glück der Götter nicht verlangen!
Ich merkte mir den Namen; und durch sein Lob entzückt,
Hab ich ihn voll Empfindung an meine Brust gedrückt:
Freund, sagt ich da zu ihm, ein Gott hat uns getrieben,
Ich fühle seine Macht, ja, Werther, laß uns lieben!
[17]
O! kennest du die Schöne? Geliebter, sage mir,
Was hat dein Freund zu hoffen! mein Herz gehört schon ihr:
Ein redlich, zärtlich Herz, ganz für die Freundschaft offen,
Rein, wie, das deinige, o! sprich, was kann es hoffen?
Ich sehe sie mit Opfern an Cypris Altar stehn:
Wird sie den Dienst verachten, und hier ein Herz verschmähn?
Ich bath ihn, seinen Freund der Schönen zu zu führen,
Und ihm verdankt ich auch mein Glücke beyThemiren.
Was für ein Glück, o Göttinn! welch eine Stunde! – – ach!
Ich will den Tag verwünschen, wo ich die Falsche sprach;
Verwünschen will ich ihn, – – Pein, die ich kaum ertrage,
Und Gram und Thränen sind die Frucht von diesem Tage.
Einst, als in göldner Röthe die Sonne niederstieg,
Und vor dem Glanz der Himmel in tiefer Ehrfurcht schwieg,
Im düftenden Gebüsch der stille Westwind lauschte,
Die Wasserebne stand, und keine Ceder rauschte,
Verlor ich mich in Tiefsinn, und Hoffnungen versenkt,
Von Liebe unterhalten, und angenehm gekränkt,
In jenen krausen Hain, wo wir in bessern Tagen,
Oft froher wandelten, oft an der Quelle lagen;
Ich hörte, und verfolgte den Ton der Nachtigall,
Ich nahte mich dem Hügel; und an dem Wasserfall – –
Es mögen Ahndungen den Schritt Verliebter führen,
Es mochte Zufall seyn, fand ich, am Strand,Themiren – –
[18]
Doch eher könnt ich glauben, daß mich mit Vorbedacht
Ein Amor, der mich haßte, in diesen Hain gebracht!
Freund, wenn der junge Lenz, vor dem der Sturmwind schweiget,
Und Nebel sich verziehn, vom Himmel niedersteiget:
So breitet sich die Freude in heitre Thäler aus;
Die Erde ist verwandelt, ein Himmel wird daraus;
Entzückung strömt herab, wie Bäche nieder rinnen,
Man schöpft sie durch Verstand, und trinkt sie mit den Sinnen!
Doch Freund, Themirens Anblick entzückte zehnmahl mehr:
Sie saß, wie eine Göttinn, der Himmel um sie her.
Ein Veilchen blühte da, wohin ihr Haupt sich bückte,
Das auf die Hand gelehnt die Bank von Rasen drückte;
Indem die Rosenbüsche, um sich der Fluth zu nahn,
Vom Strand hinunter hängend, mit Mistraun sich besahn.
Der West flog um sie her, den Aether zu erfrischen,
Und fachte ihr den Duft von schwankenden Gebüschen.
Doch Freund, wie soll ich sagen, was ich empfand und litt,
Wie mich die Liebe fortriß, und Ehrfurcht widerstritt!
Ich kämpfte mit mir selbst; und kann mich nicht entschließen,
Voll Furcht klopft mir das Herz, und will doch überfließen.
Ich wurde stets verwirrter, und oft mir unbewußt
Entwischen tiefe Seufzer aus meiner vollen Brust:
Ich trete furchtsam hin, will reden, und verblöde,
Und stammle wieder fort, und weis nicht, was ich rede.
[19]
Sie lächelt, und ich drücke, bey schwachem Widerstand,
Beherzt die heißen Lippen auf die geliebte Hand,
Und hang an ihrem Blick, und ringe im Entzücken
Mit Worten, meine Lieb ihr würdig auszudrücken.
Themire, sprach ich, bebend, wofern die Göttinn dich
Dem Zärtlichsten gebildet, so fleh ich, liebe mich!
O! daß der Liebe doch, wovon wir überfließen,
Die Göttersprache fehlt, ihr Herz ganz auszugießen!
Mit einem tiefen Seufzer stieg meine Brust empor,
In dem sich, wie erschöpfet, mein letztes Wort verlor.
Holdselig sah sie mich an ihrer Hand noch hangen,
Und ein entzückend Roth durchströmete die Wangen.
Was fehlte meinem Glücke? Freund, was sie mir verschwieg,
Verrieth mir diese Farbe, die in ihr Antlitz stieg.

[20] Drittes Buch

[21][23]
Kein Tag war aufgegangen, kein Abendstern war da,
Der mich, nach dieser Stunde, nicht bey Themiren sah.
Wenn sie zu spät erschien, ihr Götter, was für Sorgen!
Ich sucht, und meiner Lieb hielt sie kein Wald verborgen:
Themiren mußt ich finden; oft, wie sie mir erzählt,
Hat sie, mich zu versuchen, mein Herz mit Fleiß gequält.
Wie leer mir alles war, und wie dieß Herz geschlagen,
O Freund, das kann ich dir mit keinen Worten sagen!
Oft dacht ich, wenn ich schmachtend den tiefen Wald durchstrich;
Unglücklicher, wen suchst du? Themiren? liebt sie dich?
[23]
Verlangt sie dich zu sehn? – Wo willst du sie wohl suchen?
Kein Wald erzählt es dir, es schweigen diese Buchen,
Die sie, indem du schmachtest, vielleicht vorüber gehn,
Vielleicht an werthern Händen vergnügter wandeln sehn!
Vielleicht hielt sie ein Arm, ein glücklicher Verlangen,
Hier, oder dort im Busch vertraulicher gefangen!
O rauschten diese Haine dir alle Küsse zu;
Wer würde minder hoffen, Betrogener! als du?
Wer heißt dich, wenn du auch an ihrer Stirn gelesen,
Als Liebe zu verstehn, was Freundlichkeit gewesen?
Vielleicht reicht itzt Themire, am rauchenden Altar,
Die Hand, die sie dir raubet, dem werthern Freunde dar!
Geh, statt um dein Geschick ihr Auge zu befragen,
Laß ein Orakel dir dein Unglück deutlich sagen!
War niemand sonst, der liebte? wie viele drängten sich,
Themiren anzubethen! aus tausend wählt sie dich? –
So quälte sich mein Herz. Einst warf ich meine Glieder,
Vom langen Suchen matt, an einer Quelle nieder.
Damals hab ich das Schicksal in Ahndungen gefühlt,
Dem Cypris meine Treue, zu grausam, vorbehielt.
Indem ich also saß, und sich die Seele müde
Mit tausend Zweifeln rang, erweckte mich Seide.
Er rannte mir entgegen, glückseliger als ich,
Ganz voll von seinem Siege, und sprach: Umarme mich,
Aedon, umarme mich! Zephise ist die Meine;
Ach angenehmer Freund, dort fand ich sie im Haine.
Mir sey sein Schatten heilig! es starre jede Hand,
Die dieser Buche drohet, bey der ich überwand.
[24]
O! hättest du gesehn, wie zärtlich sie gerungen,
Wie schön sie weigerte, und halb von mir bezwungen,
Mit matten Händen kämpfte, indem ich sie umfing,
Und trunken in Empfindung an ihren Lippen hing! –
Ach! Freund, ich sahe sie die Geister mühsam sammlen;
Erröthen sah ich sie, und – könnt ich dir doch stammlen,
Wie sie in schöner Unschuld die Augen niederschlug,
Und sanft die Hand mir drückte, als ich mein Schicksal frug,
Allein, du liegest hier? Stumm, tief in dich versenket!
Themire ist nicht hier! Aedon allein, und denket?
Wie hat die heiße Liebe so plötzlich aufgehört?
Ist denn das Herz Themirens nicht deiner Wünsche werth?
O! Freund, wie wird sie sich um diesen Wechsel grämen!
Du gabest ihr dein Herz, willst du es wieder nehmen?
Ich nehmen? o ihr Götter! Themiren, ich mein Herz?
Rief ich; ach Freund! wie wenig erkennst du meinen Schmerz!
Wer weis, von welcher Hand sie durch den Hain geführet,
In dem vertraulichsten Gebüsch sich gern verliehret!
Wer weis, in welchen Schatten, sie angenehm gekränkt,
Nach dem Beglückten seufzet, dem sie ihr Herz geschenkt!
Mir aber macht die Furcht Jahrhundert aus Minuten;
Und einsam laß ich hier mein Herz im Stillen bluten.
Vom Morgen ist die Sonne zum Abend hingerannt,
Seit dem ich sie schon suche, und nirgend, nirgend fand.
Ach! wenn ein ander Herz – Freund, müßt ich sie verlieren!
Komm, sprach er zärtlicher, ich will dich zu ihr führen!
Ihr Auge voller Sehnsucht, womit sie itzt mich bath,
Sie dir nicht zu verrathen, befielht mir den Verrath.
[25]
Sie frug: wen suchst du hier? Der Tag ist fast vergangen,
Geh, zu Zephisen, geh; sie wartet mit Verlangen!
Für mich soll dieser Abend in Einsamkeit vergehn;
Aedon darf mich nicht suchen! ich wünsch ihn nicht zu sehn.
Solch ein Verboth, dem schon die Augen widersprechen,
Will übertreten seyn, und fodert ein Verbrechen!
Oft wünscht das Herz der Schönen, gar nicht gehorcht zu seyn;
Wie schön sind die Verbrechen, die sie so gern verzeihn!
Wie willig folgt ich ihm! In diesem Myrthenhaine,
Sprach er, verließ ich sie, hier werde sie die Deine.
Ich fliege zu Zephisen. Ihr Götter! ach wie schön
Soll mir an ihrer Seite der Mond vorüber gehn!
Ich schwebte durch den Hain, erbebend, unentschlossen,
Und meine ganze Seel in Zärtlichkeit ergossen.
Ob hier mein Herz, das bebte, von Liebe nur entbrannt,
Den Einfluß von Themiren, schon in der Fern empfand;
Ob es von Ahndungen des Künftigen geschlagen,
Und Gram geweißagt hat, das kann ich dir nicht sagen.
Ich fand sie unter Schatten: nachsinnend saß sie da;
Mir alle Stunden schöner, so oft ich sie nur sah.
Die Myrthen schienen ihr die Zweig herab zu biegen,
Und düfteten um sie, und lispelten Vergnügen.
Der Scherz flog um ihr Antlitz, ein athmender Zephyr
Spielt um die schönen Locken; Entzückung strömt aus ihr
Weit in die Gegend aus; und Phöbus sah herunter,
Hing staunend auf dem Meer, und ging erröthend unter.
Die Gegend, die ihr Auge neu zu beleben schien,
Ließ junge Blumen düften, empfing ein frischers Grün.
[26]
Die Silberfluth des Bachs floß aus der Urn der Quellen
Mit lieblicherm Geräusch, und schlug verliebte Wellen.
So herrscht im güldnen Morgen Aurorens erster Strahl
Die Nebel von den Hügeln, und weckt ein schlummernd Thal:
Die Rose öffnet sich, und trinkt den frischen Segen,
Und eine Welt erwacht, und lächelt ihr entgegen.
Themire schien verwirrt, mich ihr so nah zu sehn;
Ach! Freund, in der Verwirrung noch tausendmal so schön!
Unmöglich war es mir, der Liebe Stand zu halten;
Von mehr, als menschlichen, von göttlichen Gewalten
Zu mächtig hingerissen, stürz ich auf meine Knie,
Nehm ihre Hand, ich seufze, ich drück, ich küsse sie;
Zu stammeln heb ich an, und ringe mit der Sprache,
Und häng an ihrem Aug, und weis nicht, was ich sage,
Die Worte werden Seufzer; doch was mein Antlitz spricht,
Das reden hundert Zungen in ganzen Tagen nicht.
Themire ward verwirrt, und konnte sich nicht fassen;
Ich merke Aengstlichkeit, sie wollte mich verlassen:
Ach! seufzte ich, Themire, wenn eine Liebe noch –
Ich flehe, bey den Göttern, Themire, bleibe doch!
Soll mein verwundet Herz mit steten Zweifeln ringen?
Soll ich zu dem Altar der Cypris Thränen bringen?
Verzeihe mir, Themire, – Kein Mensch verdienet dich;
Allein, verdient dich Liebe, recht heiße Liebe – ich!
Da, wo ich dich nicht seh, da seh ich schwarze Bilder,
Nur Klagen hört der Hain, und wiedertönt sie wilder.
O! Angebetete, versuche dieses Herz;
Ganz soll es dir gehören, ganz – oder auch dem Schmerz!
[27]
Ach! würdest du dein Herz an einen andern geben,
Wie, große Götter! wie wird dann Aedon wohl leben?
Mein Blick hing an dem ihren: die Stimme ward zu schwach,
Zu bebend, und ein Seufzer floß meinen Bitten nach.
Themire ward bewegt; ihr holdes Auge wandte
Sich zärtlicher auf mich, und ihre Wange brannte;
Sie drückte mir die Hände; ich merkte schönen Zwang,
Indem ihr voller Busen mit einem Seufzer rang:
Ein Lächeln sprach für sie; indem ich sie betrachte,
Glaubt ich, daß mich auf eins ein Amor kühner machte:
Mich dünkt, ich merkte Liebe, und schlug die kühne Hand
Voll Feur um meine Schöne, schwach war ihr Widerstand:
Ich riß sie an mein Herz, und hielt sie fest umfangen,
Ihr Busen kochete, und Gluth stieg in die Wangen.
Ach! Freund hier hab ich endlich den ersten Kuß geraubt;
Was sie nicht geben durfte, hat sie doch schön erlaubt.
Die Myrthen rauscheten, der sanfte Westwind spielte
Liebkosender um uns; ich glaubte, alles fühlte.
Ach! dort steht das Gebüsche, Agenor, siehe dort!
Mein Glück bemerkt den Schatten, und zeichnet mir den Ort.
Doch wird Themire mich mit schwarzer Untreu lohnen:
So soll Verzweifelung, und Schrecken ihn bewohnen!
Mein Herz fühlt hier noch blutend sein glückliches Geschick,
Und fodert itzt Themiren, wo nicht, die Ruh zurück.
Hat Falschheit ihn entweiht, der Zärtlichkeit zu spotten,
So waffne Venus sich, im Grimm ihn auszurotten,
Und Jupiter vertilge, wenn er im Donner fährt,
Das Denkmaal eines Meineids, das Cypris Hain entehrt!
[28]
O wo ist nun mein Glück? Freund, was ich um mich sehe,
Der Tempel, dieser Hain, das Thal, und wo ich gehe,
Ist öde, schrecklich öde, ein Denkmaal meiner Pein,
Steht traurig, ohne Leben, und jagt mir Schrecken ein.
Welch Land, ihr Götter! trägt den Schatz, den ich verliere,
Und welch ein Himmel sieht den Meineid derThemire,
Wo sie in einem Arme, der alles sich erkühnt,
Vielleicht der Seufzer spottet, die sie nicht mehr verdient!
O! wo sie immer sey, kann Reu sie noch erschüttern,
So schrecke sie mein Bild, und strafe sie mit Zittern!
Freund, als sie mich noch liebte, wie zärtlich liebten wir!
Sie nur bey mir zufrieden, und ich allein bey ihr.
Durch alle Gegenden, die nur den Lenz gezieret,
Hab ich an meiner Hand die Zärtliche geführet:
Mit jungen Morgenrosen, so bald Aurora kam,
Bezahlt ich ihr die Küsse, die ich nicht selber nahm.
Oft, wenn die Jünglinge ihr aufzuwarten stritten,
Und wenn sie freundlich war, was hat mein Herz gelitten!
Ich wurde eifersüchtig, vor Furcht, und Misgunst schlug
Das Herz in meinem Busen; ein Lächeln war genug:
Dann riß ich mich von ihr; verrätherische Thränen,
Durch euch erniedrigt uns die falsche Kunst der Schönen!
Sie kannte meine Schwäche; in Zähren warf sie sich
An meine Seite nieder, umfing, und küßte mich:
Ach! seufzte sie, Aedon, was hab ich denn begangen?
So kalt? du liebst mich nicht, du kannst nicht mehr umfangen!
Vergnügst dich, mich zu quälen, bist kalt, verachtest mich:
Und ich, gerechte Götter! wie zärtlich lieb ich dich!
[29]
Ich fiel um ihren Hals, in langen, starken Küssen
Schien meine Brust erschöpft das Leben auszugießen.
Ach! sprach ich dann, Themire, vergieb mir deinen Schmerz!
Ich hasse meinen Argwohn, und mein unruhig Herz:
Nie liebt man mich genug – Geliebteste, verzeihe!
Furcht schaffet Eifersucht, und Argwohn quält nur Treue.
O! wenn du mich noch liebest, so liebe so, wie ich,
So ganz, so stark, so einzig; sonst bitt ich, hasse mich!
Ich will ein ganzes Herz; und kein Tyrann der Erden,
Der Kronen geben kann, muß mir verglichen werden!
Agenor, so vertraulich versöhnten wir den Streit,
Und zankten, mehr zu lieben, und Zwist war Zärtlichkeit.

[30] Viertes Buch

[31][33]
Die Lieb ist reich an Sorgen, Furcht ihre erste Frucht,
Und Zärtlichkeit begleiten Verdacht und Eifersucht.
Ich fühlte ihre Pein, indem sich unter allen
Ein gleicher Eifer wies, Themiren zu gefallen;
Doch keiner schien so zärtlich aus dieser ganzen Schaar,
Als Aristhee, ein Weichling, den Sybaris gebahr.
Ihm schenkte die Natur die Augen, und die Wangen,
Die Grübchen, und den Reiz, den Weiber sonst empfangen.
Den zarten feinen Körper, den sie zur Schau gemacht,
Behing, ihn zu verschönern, der Reichthum noch mit Pracht.
[33]
Die Locken, die so schön, wie Cypris Locken fielen,
Betrogen selbst den West, und reizten ihn, zu spielen.
Er ahmete den Schönen ihr süßes Lächeln nach,
Und selbst die schönen Fehler der Stimme, wenn er sprach.
Auf diesen Vorzug stolz, erschien er oft Themiren,
Und hielt sich schön genug, ihr Herz mir zu entführen;
Und ob sie sich beredet, ob er sie irgend fand,
Agenor, dieser Weichling ward bald mit ihr bekannt.
Zephiß entdeckte mirs. Einst, als ich mit Verlangen
Vergebens wartete, die Schöne zu empfangen,
Kam mir Zephiß entgegen, und sprach: du bist allein?
Wie glücklich mag die Stunde für Aristheen seyn!
Zwar ich mistraue nicht der Tugend der Themiren:
Allein, dein Feind ist schön; und Schönheit kann verführen!
Ihr Götter, welche Sprache! mein Blut erstarrte mir!
Wie Aristhee, der Weichling bey ihr allein? bey ihr,
Die mich hier warten läßt! – So soll der Hain mit Grauen,
Der meinen Schimpf gesehn, auch meine Rache schauen!
Verlaß mich, falsche Göttinn! ich will in meiner Wuth
Nicht Liebe, Thränen will ich, und mehr als Thränen, Blut!
Verhaßt ist mir dein Dienst; ich fluche den Altären,
Und hört mich Jupiter, so wird er sie zerstören.
Themire, Ungetreue – in meinem Grimm durchbohrt,
Reiß ich den Sybariten aus deinen Armen fort;
Mit Zittern sollst du mich den Weichling Aristheen,
Dieß weibische Gesicht, im Staube zerren sehen!
Zephise sah die Schrecken auf meinem Angesicht,
Und sprach: bey allen Göttern, Aedon, verlaß mich nicht!
[34]
Bey dem, was heilig ist, und kann dich Unschuld rühren,
Ach! bey der Unschuld selbst der reizendenThemiren!
Bey ihrer ewgen Liebe, die für die Unschuld spricht!
Verzeih ihr diesen Fehler, Aedon, verlaß mich nicht!
Sie dachte nicht an sich, und hielt mich fest umfangen,
Und drückte mich ans Herz: indem wir also rangen,
Erblickten wir Themiren. Ich merkte Schüchternheit
In ihrem blöden Auge, und schöne Aengstlichkeit.
Sie fiel um meinen Hals, und bath mich, zu verzeihen:
(So weit, ihr Götter, geht die Kunst der Ungetreuen!)
Der Sybarit (so sprach sie) begegnete mir dort,
Und redete von Liebe, allein, ich riß mich fort –
Doch wie? du bist erzürnt, und kehrest deine Blicke,
Die ich so sehr gesucht, so wild von mir zurücke!
Was sagt mir diese Stirne? – Du frägst noch, sprach ich, was?
Was deine Untreu werth ist, Verachtung Zorn, und Haß!
Die Götter sehn dein Herz – verräthrische Themire!
Die Thränen kosten nichts, nichts kosten dich die Schwüre!
So weit der Himmel reichet, so weit von ihren Höhn,
Verräther zu bemerken, der Götter Augen sehn,
So weit die Sonne läuft, und ihre Strahlen scheinen,
Gleicht an Treulosigkeit kein falsches Herz dem deinen!
Umsonst wählst du den Schatten, die Untreu zu begehn,
So lang aus ihrem Himmel die Götter niedersehn.
Ich riß mich los von ihr; sie bat mich, anzuhören,
Und seuzte voll von Angst, und schwamm in heißen Zähren;
Sie rang die schönen Hände; Grausamer! höre mich,
Ich hasse Aristheen, und dich nur lieb ich, dich!
[35]
Verdien ich Haß damit? – du spottest meiner Zähren,
Entfliehst, und raubest mir den Trost, mich anzuhören?
Die Götter sind mir Zeugen, mein Herz schlug nur für dich:
Grausamer, den ich liebe, geh nun, und hasse mich!
Ich floh aus ihrem Arm, von Zorn dahin gerissen,
Tief in des dichten Hains gramvolle Finsternissen,
Und suchte dort die Ruhe; hier ließ ich erst mein Herz
In seinem Kummer bluten, und reizte meinen Schmerz:
So wie mit einem Pfeil der seine Brust verletzet
Ein Hirsch durchs weite Thal in tiefe Wälder setzet,
Dem Tode zu entfliehen, der ihm am Herzen steckt,
Dann im Gebüsche sinket, und seine Wunde leckt.
Ich sank, vom Zorn erschöpft, und voll Gedanken nieder;
Und nach dem Sturm der Wuth kam schon die Liebe wieder.
Ich sahe nun Themiren, wie sie die Hände wand,
Und Thränen und die Wehmuth, in der sie vor mir stand:
Wie pochte nicht mein Herz! dem Mitleid ganz gelassen,
Seufzt ich: so liebst du sie? wie würdest du wohl hassen?
Erröthe vor dem Laster? erröthe, Grausamer!
Themire! was für Liebe! und ich? ihr Peiniger?
Barbarisch bey der Angst, die sie um mich empfunden,
Hab ich mich voller Trotz aus ihrem Arm gewunden!
Wie zärtlich bat ihr Auge! wie rang sie! welch ein Schmerz!
Und Thränen – ja die Thränen zerrissen mir das Herz! –
So rang ich mit mir selbst, gefoltert von der Reue,
Und sahe neben mir die schöne Ungetreue.
Sie floh mir in die Arme; Grausamer! konntest du
Mich so gelassen quälen? ich finde nirgend Ruh!
[36]
Ach! werthester Aedon, ich kann dich nicht verlassen;
Zu zärtlich lieb ich dich – kannst du Themiren hassen?
Bey unsrer ersten Liebe, bey meinem tiefsten Schmerz,
Bey allen diesen Thränen, entreiß mir nicht dein Herz!
Mit jeden Wort ward mir ein Schwert durchs Herz gerissen.
Beschämt, mir selbst verhaßt, sank ich zu ihren Füssen,
Und sprach: ich ward im Zorne ein Peiniger an dir:
Bestrafe mich, Themire, und räche dich an mir!
Ach! bitten wolltest du? mich, einen Undankbaren?
Mich, deinen Peiniger? nein! strafe den Barbaren! –
Doch kannst du mir verzeihen? – Themir umarmte mich;
Geliebter, sprach die Falsche, ich lebe nur für dich.
Freund, ich empfinde noch den Aufruhr meiner Triebe;
Unendlich mehr, als je, entbrannte meine Liebe!
– – So, wenn in Frühlingstagen, oft plötzlich eine Nacht,
Vom Wind herauf gewälzet, den Schauplatz finster macht,
Verläßt auf kurze Zeit die Stille Hain, und Felder,
Der Sturm heult durch das Thal, und schüttelt laute Wälder;
Bald aber theilt die Wolken ein froher Sonnenschein,
Und Freude nimmt von neuem die stille Gegend ein.
Doch eine kurze Ruh! mich tiefer zu betrüben;
Ließ Cypris mich vielleicht erst wieder heftig lieben.
Mein Argwohn war geheilet; mein Nebenbuhler schien
Themiren zu vergessen, und sie vor ihm zu fliehn:
Doch, ob es Ahndung war, ob Furcht, sie zu verliehren,
Mich fraß ein stiller Gram; ich seufzte bey Themiren;
Oft sagt ich ihr voll Wehmuth: Themire, kein Geschick
Nimmt, zürnten auch die Götter, mein Herz von dir zurück;
[37]
Voll Muth, und als ein Mann, will ich die Streich ertragen,
Die stolze Tugenden so oft zu Boden schlagen;
In deinen schönen Armen, Themire, trifft kein Schmerz,
Kein feindliches Verhängniß, mein sorgenloses Herz:
Doch daß das Leben mir, wofern ich dich verliehre,
Zur Strafe werden wird, das fühl ich schon, Themire!
Wie glücklich, o Cythere! war damals noch Aedon!
Ein süßes, zärtlichs Lächeln, ein Kuß war da mein Lohn!
Wie hätt ich es gedacht! o, könnt ich es vergessen,
Wie schön sie damals war, o könnt ich es vergessen!
An einem schönen Morgen, als ich in jenem Thal,
Themiren auszuschmücken, den Rosenbusch bestahl,
Erschien Zephiß, und rief: Freund, rette dochThemiren;
Kein Augenblick ist dein, man wird sie dir entführen!
Ich stand betäubt, und sinnlos; so stehet unbewegt
Der Wandrer, wenn ein Donner schnell vor ihm niederschlägt;
Er ging in sich gekehrt, und warf den Blick zu Erden,
Und sah nicht über sich den Himmel schwärzer werden:
So stand ich unbeweglich; nach einem Augenblick
Kam endlich mit dem Leben die Wuth in mich zurück;
Ich floh dem Strande zu, und sah das Schiff verschwinden.
Die Götter haßten mich, und mit beglückten Winden
Befördert ihre Freude, mich nur gebeugt zu sehn,
Das schändlichste Verbrechen des falschen Aristheen.
Seide schiffte nach, doch mich hält das Geschicke,
Und ein verhaßter Wind noch mit Gewalt zurücke!
So hab ich oft erzählet, eh ich das Meer durchlief,
Und Cypris mich im Traume zum Tempel wiederrief;
[38]
Ich folgte diesem Wink, und glaubte, daß Cythere,
Nun, nach so vieler Treu mir wieder gnädig wäre.
Voll Hoffnung kam ich wieder, die Liebe führte mich.
Wen sucht ich wohl, Themire, wen sucht ich sonst, als dich?
Brauchts mehr, als dich nicht sehn, daß Gegenden der Erden,
Worauf der Himmel ruht, ein Ort des Fluches werden?
Mehr, als dein zärtlich Auge, von holder Liebe voll,
Wenn aus dem Graun der Wüste der Himmel werden soll?
Allein, ich kam umsonst; noch war nicht meine Stunde.
Von neuem blutete die ungeheilte Wunde;
Voll Kummer, ohne Hoffnung, verließ ich den Altar,
Und kannte kaum die Gegend, die sonst so reizend war,
Ich starrte um mich her, mit Augen voller Zähren:
Sind diese Gegenden Gebiethe der Cytheren,
Wie öd ist ihr Gebiethe! – wie sterbend dieß Revier!
Hier sollte Cypris herrschen? nein, Grauen herrschet hier!
Die Königinn der Nacht, mit ihren Bundsgenossen,
Hat in den todten Hain die Schrecken ausgegossen.
Ach! dieser Hain von Buchen, der so gesellig war,
Das Murmeln dieses Baches empört mir jetzt das Haar!
Und Zephiß rauscht mir Gram; die Myrthen, diese Hecken,
Den heilgen Tempel selbst bewohnen Gram und Schrecken.
So seufzt ich: meine Seele zerriß ein innrer Streit;
Verhaßt war mir Gesellschaft, verhaßt die Einsamkeit;
Mit blinder Eifersucht bestritt ich meine Triebe,
Und kämpfte, doch umsonst; selbst meine Wuth war Liebe.
Die Göttinn strafete mein eifersüchtig Herz,
Und rächete Themiren an mir, durch diesen Schmerz;
[39]
Zur Straf hat sie gewiß, wenn ich sie bat, zu hassen,
Mich in der größten Wuth die Liebe fühlen lassen,
Ich irrte unentschlossen, und fand in meiner Flucht
Die Oerter todt, und traurig, die ich sonst gern gesucht.
O! Göttinn, rief ich dann, vertilg in mir die Triebe,
Und strafe meinen Feind, Seiden mit der Liebe!
Gieß alle meine Flammen, gieß meinen ganzen Schmerz,
Und alle meine Qualen, in sein treuloses Herz,
Laß ihn vergebens flehn – nein! laß ihn glücklich brennen,
Themire treulos seyn; mich nur verachten können!

[40] Fünftes Buch

[41][43]
So seufzt ich unbedachtsam mein Unglück über mich,
Und sagte Lästerungen, und Cypris rächte sich.
Ich ging in ihren Hain: hier wirst du von Cytheren,
Wenn dich die Göttinn liebt, dein künftig Schicksal hören:
Ach unglückseelger Flüchtling, zur Qual mach dich gefaßt!
Du wirst dein Schicksal hören, wenn dich die Göttinn haßt. –
Was willst du wissen? gnug, Themir ist dir entrissen,
Ist falsch, hat sich entehrt, – Aedon, was willst du wissen? –
Und kehrt auch mit der Reue die erste Zärtlichkeit
In ihre Brust zurücke – verlangst du sie entweiht? –
Nein, nein, dann ist die Reih an ihr umsonst zu schmachten,
Zu leiden, was ich litt; an dir – sie zu verachten!
[43]
Was soll denn ein Orakel? ach! den elenden Rest
Der Hoffnung dir zu rauben, den noch ein Zweifel läßt?
Es sey! und würde mir der kleine Rest entrissen,
Und hört ich meinen Tod, so ists doch Trost, zu wissen.
Den Zweifel will ich los seyn, der über Meer und Land
Mich rastlos fortgegeißelt – will mit entschloßner Hand
Den tiefgepflanzten Pfeil, mein Unglück, mein Verderben,
Aus meinem Busen ziehn, und ruhen oder sterben.
So dacht ich, und gieng weiter; mein Haar empörte sich,
Die Nacht des Cederwaldes goß einen Schaur auf mich;
Den kalten wilden Schaur, der durch den Frevler fähret,
Wenn sein verwegner Fuß ein Heiligthum entehret.
Und dennoch gieng ich tiefer, drang durch die Schrecken ein;
Doch stumm war das Orakel, und todt der Cedernhain.
Ich kehrte wieder um, und wollte von Cytheren
Im Tempel, am Altar mein letztes Schicksal hören,
Ich gieng bis in den Vorhof, und fand bereits die Schaar,
Die, Cypris zu erwarten, hieher geflossen war.
Ich sah der Jugend Kern, der Insel junge Schönen,
Die mütterliche Huld noch unachtsamen Söhnen,
Wie Pflanzen für die Nachwelt, in ihrem Arm erzieht,
Bis diese sich empfinden, und jene aufgeblüht,
Mit Rosen um die Stirn, in unschuldvollen Reihen,
Gleich jungen Grazien, aus Körben Blumen streuen.
Hier giengen zwanzig Bräute, die durch der Mutter Hand
Der Weichlichkeit entzogen, das rohe Paphos sand.
Sie flohen ihrer Stadt entheiligte Altäre,
Und brachten itzt ihr Herz mit Opfern nach Cythere,
[44]
Schön, wie die Halbgöttinnen; auf ihrem Angesicht
Fand ich die frechen Züge der weichen Sehnsucht nicht,
Nicht dieses wilde Feur, worinn die Wollust lodert,
Die stille Mattigkeit, den Blick, der selber fodert.
Sittsame, holde Züge, die schöne Blödigkeit,
Ihr Anstand, ihre Stellung, ihr ungekünstelt Kleid,
Ihr leicht geschürztes Haar, die Furchtsamkeit, die Jugend,
Der Augen sanfters Feur versprach ein Herz voll Tugend.
Auch das versöhnte Lemnos sand seine beste Schaar
Von Töchtern, und von Söhnen mit Opfern zum Altar,
Das siebente Geschlecht von tugendhaften Saamen,
Von Helden, die hieher von Colchis Ufern kamen.
Es hatten Lemnos Weiber, von Rachbegier entbrannt,
Längst dem Altar der Cypris kein Opfer mehr gesandt;
Vielleicht durch diesen Trotz, des Kriegesgotts Verbrechen,
Den Schimpf des Mulciber an Venus selbst zu rächen.
Zwar strafte sie die Göttinn für den erlittnen Hohn:
Sie wurden unerträglich, und ihre Männer flohn;
Sie sahn den kalten Mann sein Ehebett verlassen,
Und mit verliebtern Arm die Thracerinn umfassen.
Doch diese Rach erweckte, und reizte nur zur Wuth;
Sie rasten, und vergossen der Männer falsches Blut;
Nur noch Hypsipile entflohe den Gestaden,
Und wollte nicht die Hand im Blut des Vaters baden,
Doch endlich traf der Argos, von Cypris hergesandt,
Ans männerlose Ufer, und rettete das Land:
Verliebt empfingen sie die kühnen Argonauten,
Die bald in ihrem Arm die bessre Nachwelt bauten.
[45]
Der Enkel hat vergessen, was ehedem geschehn,
Und itzo sieht sie Cypris vor ihrem Altar stehn.
Ich sah, nach dieser Schaar, Böotiens Geschlechter;
Smyrn, und Orchomenos sandt dreyßig zarte Töchter,
Vor allen andern kenntlich; man sah, daß ihre Schaar
Von Grazien gebildet, und selbst erzogen war.
Sie unterrichten sie in Anstand, Min und Blicken,
Zum mütterlichen Dienst die würdigsten zu schicken.
Denn hier rauscht am Gebirge der angenehmsten Stadt,
Die acidalsche Quelle, ihr kühles liebstes Bad;
Hier steht ihr alter Sitz, der Wohnplatz ihrer Ehre,
Und manch geweihter Hain, und Tempel, und Altäre.
Die Majestät der Bildung, die keine Min entstellt,
Das Grübchen, das im Lächeln in ihre Wangen fällt,
Der Augen stilles Feur, der Silberton der Stimmen,
Die Backen, die herab um Marmorschultern schwimmen,
Die Rosenvollen Wangen, die feine, schönste Haut,
Die von dem hohen Busen den zarten Flor durchschaut,
Der Augenlieder Fall, die Harmonie der Mienen,
Versprechen Göttinnen, wenn Göttinnen erschienen.
Ihr Reiz war mir zu mächtig; den Schönen gar zu nah,
Empfand ich, was ich fühlte, wenn ich Themiren sah.
Mein Auge ward nicht satt, mein Herz schwoll auf, und pochte;
Themirens Aehnlichkeit war es, die dieß vermochte.
Von Argos freyen Städten, wo Alpheus in der Flucht
Geschwinde Wasser rollet, und Arethusen sucht;
Von Elis, wo sein Strom die ersten Wellen führet,
Und wo er Städte tränkt, und wo er sich verliehret;
[46]
Indem er unterm Meer sich durch Canäle windet,
Bis in Ortygia, wo er sie wiederfindet;
Ehrt alles Cypris Gottheit; von da ward in der Hand
Der tugendhaften Bräute der Weihrauch hergesandt.
Ich sah die sittsamen; sie hielten sich zurücke,
Und schöne Blödigkeit beherrschte alle Blicke.
Bey jedem Gruß des Jünglings, den er der Schönen both;
Durchströmte ihre Wangen das allerschönste Roth;
Stets fertig floh die Hand, die Lippen zu bedecken,
Und hustend suchten sie die Röthe zu verstecken
Schön fand ich alle Bräute, die diese Gegend nährt;
Doch ihrer Unschuld wegen schätzt ich sie liebenswerth.
Die keusche Mutter pflanzt die Zucht der Arethusen,
Von zarter Kindheit an der Tochter in den Busen;
Sie ahmen ihrer Tugend, und ihrer Strenge nach,
Und einen Blick voll Sehnsucht bestrafet ewge Schmach.
Vom fruchtbarn Orient, und von des Niles Strande,
Von Herkuls Säulen her, und von dem letzten Rande
Der fernen Abendländer, wo sich der Erdkreis schließt,
Und in den Schoos der Thetis die Sonn hinunter schießt,
Versammleten sich hier der Städte Schmuck und Ehre,
Und warteten zum Dienst der Ankunft der Cythere.
Ein göttliches Entzücken gieng itzt durch die Natur,
Und Harmonie, und Feyer beseelten Hain, und Flur.
Die sanfte Frühlingsluft starb im Gebüsch der Quellen;
Die Bäche murmelten, und spielten kleinre Wellen;
Der Vogel schlug die Flügel und tausendstimmig drang
Durch die geheimsten Schatten Entzückung, und Gesang,
[47]
Und Cypris kam daher; ich sah den güldnen Wagen
Ein silbernes Gewölk von Frühlingsdüften tragen,
Die ihr ein Heer von Zephyrs aus Thälern voller Pracht,
Von Rosen, und Jesminen, und Veilchen zugefacht.
Die Dryas zitterte, da auf der Bäume Gipfel
Der Fuß der Göttinn trat, und schüttelte den Wipfel,
Der unter ihm sich beugte, und grünt, und düftete.
Und seine Göttinn fühlte, und Ehrfurcht rauschete.
Der göttliche Geruch ambrosialscher Düfte
Floß von dem Lockenhaar der Göttinn durch die Lüfte.
Die ganze Schöpfung sahe mit süßer Ehrfurcht zu,
Und alles lebte, blühte, liebkoste, schöpfte Ruh.
Die Nymphen legten schon das Opferholz zusammen,
Und junge Grazien entzündeten die Flammen.
Gerüche wallten wolkicht mit Jubeln in die Höh;
Der helle Altar rauchte, der Tempel schimmerte.
Dieß war ein Augenblick der Ruh bey meinen Wunden;
Die Zeit, in der ich nichts von meinem Gram empfunden.
So lang ich schon Themiren von Cypris Hand besaß,
War dieses die Minute, worinn ich sie vergaß.
Doch zehnfach kam der Schmerz in meine Brust zurücke,
Und bald empfand ich ganz mein schreckliches Geschicke.
Ich ward mir meiner Wunde, und Einsamkeit bewußt,
Und quälte mit dem Argwohn von neuem meine Brust.
Ich einsam ganz allein, verrathen vom Themiren,
(So glaubt ich) sah die Braut den Jüngling neidisch führen;
Ich, der an ihrer Seite sonst in Entzückung schwamm,
Sog itzt aus fremder Freude nur Gift für meinen Gram.
[48]
Zur Pein ward mir die Lust, die andere empfunden;
Ihr grausam Lächeln riß mir Dornen durch die Wunden;
Ich wünschte alles traurig, ihr Kuß, ihr süßer Scherz,
Ihr Blick, voll Huld und Liebe, stieß mir ein Schwert ins Herz.
Wer kann den stillen Neid im Unglück überwinden,
Und ein Vergnügen sehn, das Glückliche empfinden?
Der Anblick ihrer Freude beleidigt unsre Qual,
Schwärzt unser Schicksal tiefer, schlägt, wie ein Donnerstrahl,
Das Herz, das Schwermuth beugt, im Zirkel froher Brüder,
Zu finster für die Lust, in seinem Elend nieder:
Wie konnt ich mich wohl fassen? ach! alles, was ich sah,
Vermehrte meine Unruh, ein Trost für mich war da;
Doch ließ sich noch mein Herz von Hoffnungen verführen,
Mein Auge suchete, wie thöricht! nach Themiren:
Es flohe durch die Menge, hing oft an ein Gesicht
Den starren Blick, betrog sich, und fand Themiren nicht.
Ich stand, und seufzete, Cythere muß mich hassen;
Kein Herz ist misvergnügt, ich aber, wie verlassen,
O Götter, wie verlassen! – warum erschien ich hier?
Du raubst nicht nur Themiren, auch Freunde raubst du mir!
Ich wollte noch einmal die Augen rückwerts drehen,
Nicht um Themiren, nein, nur einen Freund zu sehen;
Indem erschien Zephise; ich sahe stillen Gram
Auf der verblichnern Wange, indem sie näher kam.
Im Stillen freut ich mich an dem geheimen Leide,
Das mir ihr Auge sprach. O! Götter, welche Freude!
Ihr Unglück, das mit meinem aus einer Quell entsprang,
Ein Gott, der mich verfolgte, und sie zu Thränen zwang.
[49]
Ein gleicher Streich des Glücks, der sie von demSeiden,
Und mich von meiner Braut verrätherisch geschieden,
Empfahl mir die Zephise durch nachgeahmten Schmerz;
(Ich wußte nicht ihr Laster, und kannte nicht ihr Herz.)
Mit Zähren im Gesicht, das meine Blicke scheute,
Kam die Verführerinn, und zog mich an die Seite:
Betriegt mich nicht mein Auge, so sprach sie, und der Ton
War, wie der Ton der Wehmuth, so seh ich dich,Aedon:
Und dieß erzürnte Glück, das unser Band geschieden,
Themiren dir entführt, und mir zugleich Seiden;
(Sie trocknete die Augen, und seufzte,) dieses Glück,
Bringt uns noch einst zusammen in dieses Land zurück!
O! laß uns unsern Gram in jene Schatten tragen,
Uns trösten – oder doch uns unbehorcht beklagen.
Ich folgt der Zephisen, stumm in Melancholie; –
Ich selbst verdiente Mitleid, und ich bedaurte sie.

[50] Sechstes Buch

[51][53]
Zephise hatte Geist, ein männlichs Herz zu rühren,
Ein Aug, das Unschuld lügt, und Blicke, die verführen.
Sie herrschte, wenn sie wollte; ihr Kummer oder Scherz
War einer ihrer Pfeile, und einer traf das Herz.
Sie nahm, Cytheren gleich, den Liebling, den sie wollte,
Und richtete den Pfeil, den Amor schießen sollte.
Schnell liebte sie, und heftig; ein Funken, den sie fing,
Griff um sich, wurde Feuer, schlug Flammen, und verging.
Der Kampf erhitzte sie, der Streit maß ihr Vergnügen;
Dieß wuchs durch Wiederstand, und starb gleich nach den Siegen.
Dann liebte sie wahrhaftig, wenn sie mit Eifer rang;
Und ließ die Herzen bluten, die ihre Kunst bezwang.
So folgt die Waldgöttinn der Lust zu neuen Siegen,
Und läßt den ersten Raub in seinem Blute liegen.
[53]
So bald sie siegen wollte, war auch kein Widerstand,
Kein Hinderniß zu mächtig, das sie nicht überwand.
Die Liebe, und der Stolz, dem sie zu schmeicheln suchte,
Riß sie in Laster hin, die sie hernach verfluchte.
Die Freundschaft, ihr Versprechen, Gelübde am Altar,
Die Pflicht und ihre Tugend gerieth dann in Gefahr.
So eilig liebte sie, und ward der Liebe müde;
Wie oftmals klagte mirs der zärtliche Seide!
Wie oft bat er mit Thränen die Göttinn beym Altar,
Als gegen seine Flammen Zephise kälter war:
Soll eine Sterbliche mit deinen Ketten spielen,
Und dir, o Göttinn, gleich, verwunden, und nicht fühlen?
Umsonst nahm ich im Tempel das Herz der Schönen an,
Das du mir geben konntest, und sie mir nehmen kann;
Umsonst verbindet uns die feyerlichste Stunde;
Leichtsinnig reißet sie den Pfeil aus ihrer Wunde,
Wirft von den schönen Händen die Fessel wieder ab,
Und nimmt ein Herz zurücke, das deine Macht mir gab!
O rette deinen Ruhm, gewähr sie meinen Thränen,
Und wirf noch einen Pfeil ins Herz der kalten Schönen.
Schon damals wand sie sich vom zärtlichen Verlangen
Seidens oftmals los, und war mir nachgegangen,
Ich hätt es sehen müssen, daß sie mich lieb gewann:
Doch, hatt ich nicht Themiren? wie dacht ich wohl daran!
[54]
Zu neidisch, von der Zeit der Liebe zu verliehren,
War, was ich dacht, und sah, und redte, vonThemiren.
Sie lieben, ihr gefallen war meiner Wünsche Ziel,
Und alle Neubegierde, ob ich nur ihr gefiel!
Wie wenig dacht ich es, daß sie den Schatz mir raubte,
Sie, die ich viel zu groß für solch ein Laster glaubte!
Zwar nach der Flucht Themirens, wie oft verrieth sie sich!
Doch da riß Schmerz mich nieder, und Wuth betäubte mich.
Der Streich, der, wie ein Blitz, mich ohne Warnung rührte,
Traf sichrer, und verbarg den Mörder, der ihn führte.
Wie künstlich war die Thräne, die ihre Wange trug,
Und die der Freude Hohn sprach, wovon ihr Herz doch schlug!
Wie schön vergiftete, wie sinnreich mich zu quälen,
Ihr künstlicher Verdacht, das Innre meiner Seelen!
Ihr Trost riß in Verzweiflung, ihr Mitleid zeugte Schmerz,
Und wenn sie mich beweinte, durchbohrte sie mein Herz.
Ich, den die Eifersucht von allem überzeugte,
Verschlang den stillen Gift, den mir Zephise reichte,
Beleidigte Seiden, und hielt die letzte Treu,
Durch sie verführt für Laster, und für Verrätherey;
Ich Unvorsichtiger, beschuldigte Themire
Der niederträchtigsten Entweihung heilger Schwüre.
So war ich hintergangen, als ich den Schluß ergriff,
Den Räuber zu verfolgen, und Erd, und Meer durchlief.
[55]
Ich sprach zu ihr; Zephis', ich werde dich verlassen, –
Mein Herz, zu voll von Qual, kann sie nicht länger fassen,
Ich hasse dieses Leben unstät, und voll Verdacht –
Die Tage sind mir schrecklich, so schrecklich, wie die Nacht –
Cythere raubt mir Lieb, und gießt an ihrer Stelle
Nicht Ruh in meine Brust, nein, Flammen aus der Hölle. –
Ich will die Falsche suchen, und ihr Verbrechen sehn,
Mich rächen; oder endlich in Wellen untergehn.
Vergiß nur deinen Freund – so wahr an allen Enden
Der Erden Zevs regiert, er stirbt von meinen Händen!
So sprach ich voll von Grimme, und wußt nicht, was ich sprach,
Und auf Zephisens Wangen goß sich ein Thränenbach:
Erschrocken stand sie da, schwieg, warf die Augen nieder:
Und seufzt – ich sah sie an, und faßte mich nun wieder:
Ehrwürdig war der Kummer – ich stand, und wurde roth,
Und ehrete die Thräne, die Mäßigung geboth.
So herrschet Jupiter durch einen Blick von Oben
Den Stürmen Stille zu, wenn sie zur Unzeit toben;
In eines Westes Athem erstirbt der Ungestüm,
Das Meer fällt wieder eben, und schauert unter ihm.
Zephise wiederrieth, den Schluß so früh zu fassen;
Sie bat, sie flehete, sie wollte mich nicht lassen,
Sie weinte; ihre Liebe, die nun den Zwang durchbrach,
Goß sich in allen Blicken und Worten aus, und sprach.
[56]
Doch alles, was sie sprach, indem wir endlich schieden,
Schrieb ich der Freundschaft zu, und Liebe zu Seiden.
Und in dem Augenblicke, da ich sie wiederfand,
War ich zu sehr zerstreuet, als daß ich sie verstand.
Es hatte Phöbe kaum zweymal von ihren Höhen
Ihr volles Silberlicht im Ocean gesehen,
Als ihr leichtsinnig Auge schon wieder überwand,
Und ihrer Ehrbegierde ein neues Opfer fand.
Jetzt, da ich wieder kam, gieng ihre alte Liebe
In neuen Flammen auf, und dämpfte diese Triebe.
Ein Cyprier, Alcindor, (so hat er mir erzählt),
Ward auch von ihr verfolget, vergessen, und gequält.
Zephise, niemals müd, ein Unheil anzustiften,
War jetzo emsiger, mich stärker zu vergiften;
Themire, die entflohen, und die ich nirgend fand,
Bewaffnete von neuem die schöne Mörderhand,
Zuerst in meiner Brust den Argwohn fest zu gründen,
Mich zu beruhigen, und dann zu überwinden.
Ihr Herz kannt nicht die Zähre, die auf der Wange hing,
Gab nicht den tiefen Seufzer, der durch die Lippen ging.
Woher dann nahm sie doch, entheiligte Cythere,
Wenn sie Seiden nannt, den Seufzer und die Zähre?
O! darf denn die Verstellung, sich unsers Falls zu freun,
So heilge Waffen nehmen, und die Natur entleihn!
[57]
Oft sagte sie zu mir: dahin ist unser Glücke,
Und keine Stund, o Freund, kehrt aus der Nacht zurücke!
Wo ist jetzo Seide? welch ein verschwiegner Hain;
Nimmt wohl in seine Schatten die Ungetreuen ein –
Hier hat er, hier im Busch, oft neben mir gesessen –
Nun ist der Busch verwelkt, und seine Braut vergessen!
In einem andern Himmel, an einer andern Brust,
In andern Büschen ruht er, berauscht in süßer Lust!
O! ungetreuer Freund, hier seufzt noch deine Schwüre
Des Baumes Dryas nach! – Themire, ach Themire!
Wie liebten wir einander! konntst du so untreu seyn,
Zween Freunde zu verrathen? – das konntest du nicht, nein!
Seid erschmeichelte das Laster, das geschahe,
Seide, den ich oft mit Thränen kälter sahe.
Der Hain vernahm die Klagen, die ich hier still vergoß,
Und Cypris sah die Thräne, die mir vom Auge floß.
Wie oftmals wünscht ich es, die Untreu nicht zu sehen;
Doch viel zu kalt war er, mich still zu hintergehen;
Zu kalt, für meine Liebe, wenn er Themiren pries,
Den Dolch mir zu verbergen, womit er mich durchstieß.
Ich hielt die Furcht geheim, die mancher Tag erregte,
Und Zweifel, die er mir zu ungern widerlegte;
Verbarg vor meinen Augen den sichtbaren Betrug,
Und hatt, ihn zu erforschen, nicht Herz, und Stärke gnug:
[58]
Genug, ergoß sich schon die Lieb, und das Entzücken,
Wenn er Themiren sah, aus Minen und aus Blicken –
Was sollt ich ihn erforschen? sein redendes Gesicht
Verbarg mir sein Geheimniß, und mein Verhängniß nicht.
Wie oftmals riß er sich, die Schöne zu begleiten,
Der ich ein Opfer ward, auf eins von meiner Seiten!
So heiß war seine Liebe, so frey, so offenbar –
Die Flucht hat uns gewiesen, daß sie nicht kälter war!
Themir, ach! ließ dich uns die Zeit unschuldig sehen,
Mit Thränen wollt ich dich gern um Vergebung flehen!
Und wäre nur dein Fehler die Flucht, die Flucht allein,
Wie gern würd diesen Fehler, wie gern Aedon verzeihn! –
Doch welch ein Gott vereint die Herzen, die sich schieden?
Wer mit Themiren dich, mich wieder mit Seiden?
Gebirge stehn in Mittel, ein Meer rauscht zwischen her,
Und trennet uns – und Laster noch weiter, als das Meer.
So unterhielt sie mich, und zog mich durch die Schatten
Durch alle Gegenden, die wir besuchet hatten.
Freund, sprach sie, diese Buche, und dieser kühle Bach,
Rauscht ehmals unsre Liebe, nun unsre Seufzer nach!
Unnütze Seufzer, ach! und leer vergoßne Zähren,
Um Falsche, die mit Recht von uns vergessen wären! –
Wir kamen in die Thäler – Freund, kennst du dieses Thal,
Und diese Rosenbüsche, die oft dein Geiz bestahl?
[59]
Am Morgen pflagst du hier der blühenden Themiren
Mit Blumen voller Thau den Busen auszuzieren.
Wie sprang sie dir entgegen, und lohnte deine Müh,
Und nahm von dir die Blumen voll Dank, und küßte sie!
Dann lächelte sie dir, und ließ sich gern umfangen,
Und ein entzückend Roth ergoß sich in die Wangen –
Wer hat in andern Thälern jetzt dieß misgönnte Glück?
Wer reicht ihr nun die Blumen, und nimmt den Lohn zurück –
So gab sie mir den Gift; ich trank mit starken Zügen
Den Argwohn tiefer ein, und trank ihn mit Vergnügen.
Stets sprach sie von Themiren, und stieß, indem sie sich
Sie loszusprechen stellte, den schärfsten Dolch in mich.
Am besten war ich selbst das Werkzeug, mich zu quälen;
Ich sprach von meiner Fahrt, und mußte sie erzählen;
Mein Kummer suchte Luftung. Ein volles Herz ist froh,
Sich einmal zu ergießen, und meins ergoß sich so.

[60] Siebentes Buch

[61][63]
Der Donner traf mich recht; dem Schmerze ganz gelassen,
Wußt ich nicht, was ich that, noch welch ein Schluß zu fassen,
Bald trieb mich eine Hoffnung, bald meine Rachbegier;
Und endlich mußt ich folgen: denn sprich, was sollt ich hier?
Das, was ich um mich sah, erweckte meinen Kummer,
Mein Fuß fand keine Ruh, mein Auge schloß kein Schlummer,
Gram schwärzte mir den Schauplatz der Gegend fürchterlich,
Und dieß Gebieth der Göttinn ward viel zu eng für mich.
Nach Creta gieng mein Schiff: zu langsam für die Liebe;
Ich wünscht ihm Flügel an, und daß ein Sturm sie triebe.
Die Stunden wurden Jahre; ich sahe unmuthsvoll,
Daß kaum ein Hauch der Lüfte die breiten Segel schwoll.
O! Eol, rief ich aus, laß deine Winde blasen,
Eh diese Stille herrscht, eh mag ein Sturmwind rasen!
[63]
Und du, der uns zu langsam auf seiner Fläche trägt,
Gebiethe, daß die Tiefe sich hebt und Wellen schlägt;
Sorg für mein Leben nicht, wenn sich die Wogen thürmen,
Sorg für die Ungeduld, Neptun, und laß sie stürmen!
Umsonst, kein Gott erhörte die Bitten meiner Wuth;
Wir kämpften mit den Rudern, und krochen auf der Fluth.
Mein ungeduldig Herz verlängerte die Stunden;
Ich sank in Unmuth hin, und reizte meine Wunden.
Bald stellt ich mir Themiren, und alle Freuden vor,
Die ich in ihr besessen, und die ich nun verlohr;
Bald schlug Verzweifelung mich, wie ein Donner nieder;
Itzt sprach mein Herz sie los, und itzt verdammt es wieder!
Dann stillte meine Seele ein Augenblick von Ruh,
Und lispelte mir Liebe, und süße Hoffnung zu:
Nein, man entriß sie mir! Verräther, und Barbaren,
Die hart bey ihrem Flehn, hart gegen Thränen waren,
Die Bosheit grausam machte, und niedre Geldbegier
Zu Peinigern der Unschuld, die rissen sie von mir! –
Ich seh, wie voll von Angst im Arm, der sie entführte,
Die Schöne rang, und bath, und seufzt, und niemand rührte;
Wie sie mit Aug und Händen dem Himmel zugewandt,
Zu allen Göttern flehte, und keine Hülfe fand –.
Wie sie in diesem Arm, voll Schrecken, und Verlangen,
Mich oft bey Namen rief, wie auf die blassen Wangen
[64]
Ihr Auge Thränen ausgoß – wie sie vom Schiff empor,
Die Hände streckte, seufzte, und diesen Strand verlor. –
O schändliches Geschlecht! – wie innig thut mirs wehe,
Wenn ich der Menschen Herz so schwarz, und boshaft sehe! –
Wo waren denn die Götter? Mit ihren Seufzern stieg
Die Grausamkeit zum Himmel, allein der Himmel schwieg:
Taub saßen im Olymp, taub auf der Welt die Götter;
Neptun hatt keinen Sturm, und Jupiter kein Wetter! –
Ach! wo ist nun Themire? In welchem Ocean
Trägt dieses Schiff die Beute, und zeichnet keine Bahn?
Ihr Götter, die sie rief, und die den Schutz versagten,
Schätzt doch, wenn sie euch fleht, die Tugend der Verzagten,
Jagt dem, der sich erkühnet, die Unschuld zu entweihn,
Wie Schändern eurer Tempel, die Angst der Höllen ein!
So dacht ich ruhiger: dann stürmten schwärzre Bilder
Die kurze Ruh dahin, und meine Seele wilder:
Verrath, Betrug, und Untreu trat vor mir auf, und rief
Die Qual aus ihrem Schlummer, die nur zu leise schlief.
Wem folgst du? dacht ich dann; wem? – einer Ungetreuen!
Zur Rache? – schwaches Herz, was kannst du, als verzeihen!
Denkst du sie zu verachten, warum so viele Müh?
Ach findest du sie wieder, anbethen wirst du sie.
Elender! folge nur, und ring mit Fluth, und Winden,
Womit ein Gott dich hielt, die Falsche nicht zu finden:
[65]
Und sink vor einer Thräne entwaffnet auf die Knie,
Und statt sie zu verachten, o Sklav, erbettle sie;
Daß ihr verräthrisch Herz dereinst zum andernmale
Die schwache Zärtlichkeit mit neuem Schimpf bezahle!
Längst war sie dir schon treulos; und deiner Eifersucht,
Und deines Vorwurfs müde, ergriff sie selbst die Flucht. –
O wenn die Götter sie dich wiederfinden lassen,
O zweifle nicht daran, so müssen sie dich hassen!
Itzt näherte sich Creta: schon schaute aus der See
Der Gipfel des Gebirges empor, und schimmerte.
So glänzt ein Schneegewölk in frühen Frühlingstagen,
Das an den Horizont die Wind herüber jagen.
Wir traten an die Insel! kaum trug mich dieser Strand;
So grüßt ich seinen Schutzgott, und segnete das Land,
Wo Rhea und Saturn die eifrigen Cureten
Zu erst beglücket hat, den Ammon anzubethen.
Hier wurde Zevs gebohren; hier nahm ihn erst der Hain
Beschattender Cypressen in seinen Grotten ein.
Ihm ist der Ida heilig, das Blut von diesem Gotte
Glänzt zu gewisser Zeit noch in Dictäens Grotte.
Diana liebt die Wälder, und ihr gebüschicht Land;
Oft sehn sie die Cretenser, den Jagdspieß in der Hand,
Wenn sie leicht aufgeschürzt in angenehmen Tagen
Die Morgenröthe weckt, ein flüchtig Wild zu jagen.
[66]
Cythere hat die Insel zu keiner Zeit geliebt,
Oft hat sie ihre Herrschaft in Schrecken ausgeübt.
Hier mußte Cephalus, verblendet von Auroren,
Mit dem geschenkten Pfeil der Procris Herz durchboren.
Der dreymal in die Flammen des Styx getauchete,
Der schrecklichste der Pfeile traf hier Pasiphae.
Die Sitten sind hier wild, das Volk, verwöhnt zu Schlachten,
Lernt würgen, um die Macht der Cypris zu verachten.
Ich suchte den Seiden in Cnossus, in Gortyn,
Dictynna, Cytheum, doch nirgend fand ich ihn.
Sie sind nicht hier, sprach ich; soll ich noch weiter eilen?
Auf welcher Bahn? wohin? – wohin bis Herkuls Seulen,
Bis an den Rand der Erde, und wenn noch weiter fort
Die Sonne Inseln siehet, so such ich sie auch dort!
Die zwölfte Sonn erschien, und sahe mich begriffen
Auf unbekannter Bahn, auf Zufall, fortzuschiffen.
Der Siculer Gestade sah schon von fern daher,
Indem ein Wetter aufstieg; schon schauerte das Meer.
Ein nächtliches Gewölk verbarg den Abendhimmel;
Die Wogen schwollen auf, und schlugen mit Getümmel
Das tanzende Gebäude; bald flogen wir empor,
Bald schien es, daß die Welle sich unter uns verlor.
Der Wind pfiff um den Mast, und Blitz auf Blitz zerrissen
Die siebenfache Nacht sichtbarer Finsternissen;
[67]
Die Elemente donnern, der Sturm von Westen her,
Und über uns der Himmel, und unter uns das Meer.
Für Laster kämpfte so das mächtige Geschicke,
Mit mir Unglücklichen, und riß mich stets zurücke!
Kaum brachten wir das Leben, das nur ein schmaler Rand
Vom Untergange trennte, an der Epirer Strand.
Ich warf mich kummervoll, und matt am Ufer nieder,
Und Morpheus deckte mich mit kühlendem Gefieder.
Betrügerische Ruhe! ein süsses Traumgesicht,
(Gewiß sandt es Cythere, doch sie erfüllt es nicht!)
Entzückte nach der Last, die ich ertragen hatte,
Mein sorgenvolles Herz – was war es? leerer Schatte!
Es sey, daß unsrer Seele ein angenehmes Bild
Die Phantasey, im Schlafe geschäfftiger, enthüllt;
Es sey, daß Venus selbst im Traum herabgefahren,
Und dieß Gesicht gewählt, sich mir zu offenbaren:
Genug, ich sah die Göttinn, in aller Pracht vielleicht,
Wie sie sich der Versammlung der obern Götter zeigt;
So schön erscheint sie nicht, in einer Silberwolke
Um ihren Wagen her, in Cyprus ihrem Volke;
So oft der Sonnen Rückkehr die Gegenden verjüngt,
Und mit dem heilgen Monat den Lenz zurücke bringt.
Du fliehest, sagte sie, und ist der Cypris Stimme
Zum Ton des Grimms geschickt, so sprach sie es im Grimme
[68]
Du fliehest meinen Altar, kein Opfer bringst du mir;
Ich schenkte dir Themiren, und ich entriß sie dir!
Kennst du noch nicht die Hand, die über dir erhoben,
Dem Wind dort schweigen hieß, und itzt geboth zu toben?
O! fleh nur andre Götter, durchsuche Erd, und Meer,
Und hole nun Themiren von Herkuls Säulen her!
Sey klüger, Sterblicher, und lerne mich verehren;
Halt deine Prüfung aus, kein Flüchtling vonCytheren,
Wer gab dir erst Themiren? mein Tempel gab sie dir;
Geh, lerne sie verdienen, dann fodre sie von mir!
Sie floh: ein heiligs Graun floß über meine Glieder,
Und Thränen öffneten die festen Augenlieder.
Noch wachend schlug mein Busen; doch fand ich tief in mir,
Beruhigung, und Hoffnung: was, sprach ich, soll ich hier?
Vielleicht erwartet mich Themire mit Verlangen.
O Göttinn, laß sie mich, doch unentweiht, umfangen,
O laß sie mich umfangen! das Meer hab ich durchpflügt,
Und mit der Fluth gerungen, und mit dem Sturm gekriegt,
Den Tod hab ich gesehn, begraben in den Schlünden
Des wilden Oceans, sie wieder aufzufinden:
Doch, wenn mein langer Kummer, wenn Schrecken und Gefahr,
Themiren zu verdienen, dir noch zu wenig war;
So zeig nur, wo sie ist: die unbekanntsten Wellen
Durchstreich ich gern nach ihr; vom letzten Rand der Höllen
[69]
Will ich sie wiederholen! – doch sagt ein Traumbild wahr,
So find ich sie in Cyprus, erwartend, am Altar.
Dieß göttliche Gesicht ist nicht umsonst erschienen;
Was wartest du, Aedon, Themiren zu verdienen?
Fort, zum Altar der Göttinn! – geheiligt sey der Baum,
An dem ich eingeschlafen! geheiligt dieser Traum!
Der Tag, an dem der Sturm mich an dieß Land verschlagen,
Sey einst der glücklichste von allen meinen Tagen.
An ihm soll einst Themire mit mir am Altar stehn,
Und Cypris unsern Weihrauch gen Himmel düften sehn!
Ach! aber lügt der Traum? – ich zittre, dieß zu denken!
O! war er ein Gesicht, das Venus, mich zu kränken,
Zu mir herabgesendet? Verflucht sey dann der Traum,
Der Strand, worauf ich einschlief, die Nacht und dieser Baum!
Ihn müsse Jupiter, wenn er in schwarzen Tagen
Sturm und Gewitter wälzt, im Donner niederschlagen.
Ich kehre itzt nach Cyprus, doch hat ein Traumgesicht,
Die Göttinn mich betrogen, find ich Themiren nicht;
So leb ich ohne sie, zum Hohn für ihre Triebe;
Verflucht sey auch alsdann ihr Tempel, und die Liebe!

[70] Achtes Buch

[71][73]
Ich kehrte nun zurücke; Thessalien, Epir,
Arkadiens Gefilde verschwanden unter mir.
So sehr beflügelt kaum, den Lorber zu erjagen,
Die Hoffnung, und der Stolz die Rosse vor dem Wagen,
Wenn der erhitzte Führer durch Staubgewölbe jägt,
Die schlaffen Zügel schüttelt, und ihren Rücken schlägt.
Die Liebe, die mich trieb, erlaubte an der Quelle
Des Peneus meinem Fuß die erste Ruhestelle.
Wohlthätge, milde Quelle, sprach ich, sey mir gegrüßt!
Schützt ewig, kühle Schatten, den Strand, wodurch sie fließt.
Nehmt hier den Wandrer auf, der müde niedersinket,
Erfrischt ihn, wenn sein Durst aus euren Strömen trinket;
[73]
Gießt Schlummer auf ihn nieder, wenn er in eurem Schooß
Die matten Glieder strecket, und legt sein Haupt aufs Moos!
Dann segnet er den Ort, an dem er Ruh gefunden,
Kein Blitz wird eur Gebüsch, kein sträflich Beil verwunden!
O Vater dieser Ströme, der oft an seinem Strand
Den unglückselgen Orpheus in stummer Wehmuth fand,
Als seine Laute schwieg, und ihren Klang versagte,
Und um Euridice die todte Gegend klagte;
Empfang noch einen Flüchtling, der ohne Hoffnung liebt,
Und deine heitern Wellen mit einer Zähre trübt:
Vergönne, daß dein Strom sein schmachtend Herz erfrische,
Und gieb ihm eine Ruh im Schooße deiner Büsche.
So grüßt ich diese Quelle, und segnete den Strand.
Hier wars, wo Aristheus Euridicen erst fand,
Hier wuchsen erst in ihm die strafenswerthen Triebe.
Wie manche Thräne floß nach der verhaßten Liebe!
Doch oftmals hat die Göttinn der Freud an Thränen Lust!
Die Schönheit dieser Nymphe goß Feur in seine Brust.
– Er fliegt ihr seufzend nach, und Thal, und Flur vermissen,
Indem sie von ihm flieht, die Spur von ihren Füssen;
Doch ihre zarte Ferse verletzt ein Schlangenstich;
Sie flieht, und statt der Tritte befärbt sie hinter sich
Die Bahn der Flucht mit Blut; der Gift dringt durch die Glieder;
Sie taumelt, und erblaßt, und seufzt, und sinket nieder.
[74]
Tod fand sie ihr Geliebter, er weint, er seufzete,
Und des Gebüsches Echo mit ihm, Euridice!
Die Nymphen jammerten, und klagten tausendmale
Euridice im Hain, Euridice im Thale!
Ich gieng von seinem Ufer, und flohe nach Athen,
Gieng wieder unter Segel, und kam nach Lycien.
Mich trieb die Ungeduld, die Hoffnung, das Verlangen,
An diesen Strand zurück, Themiren zu empfangen.
Vergebliches Verlangen! Ein thörichtes Gesicht.
Ein eitler Traum der Göttin! ich kam, und fand sie nicht!
Wie oftmals hab ich schon die Gegenden durchsuchet,
Bald zärtlich sie gewünscht, bald Hoffnungslos verfluchet!
In Thälern, in den Hainen war alles todt, und leer:
Die Ufer, wo wir saßen, schmückt fast kein Blühmchen mehr.
Die Büsche, die uns oft vertraut umfangen hatten,
Stehn ohne Leben da, und werfen schwärzre Schatten,
Erstorben, leer, zerstöret traurt nun der schönste Ort,
Die Bäche murmeln tiefer, der West braust wie der Nord.
So ist jetzt mein Geschick, gequält, unruhig, flüchtig,
Fast ganz von Hoffnung leer, und dennoch eifersüchtig,
Noch stets ein Raub der Liebe ernähr ich meinen Schmerz,
Und Denken, und Empfinden, sind Dornen für mein Herz.
Voll Schaam, so schwach zu seyn, betrogen, und verlassen,
Liebt doch mein schwaches Herz, und wünscht nicht einst, zu hassen.
[75]
Grausamer Gott der Liebe! du hast an Thränen Lust:
Den schrecklichsten der Pfeile warfst du in meine Brust!
Nichts löschet seinen Brand, und doch soll ich nichts hoffen!
Kein Wunsch, kein Traum, kein Wink, nichts ist mir eingetroffen.
Doch liebt ich noch so heftig, und brächte das Geschick
Themiren ohne Unschuld, in dieses Land zurück;
Was sag ich? hätte sie ihm einen Kuß erlaubet,
Hätt er ihn nur erfleht, ja, hätt er ihn geraubet:
Bey Zevs furchtbarer Rechten, der diesen Eidschwur hört,
Und den Verwegnen zeichnet, der falsch, und treulos schwört!
Nie nähm ich ihre Hand, und fiel sie auf die Knie,
Des Todes will ich seyn, wofern ich ihr verziehe,
Ich schwieg. Zephisens Auge blieb starr auf mich gewanndt,
Ihr schöner Busen hob sich, sie drückte mir die Hand:
Ein leiser Seufzer floß von ihrem Rosenmunde,
Die Wange färbte sich: Ich schone deiner Wunde,
(Sprach sie, mit falscher Wehmuth:) im allertiefsten Schmerz
Ist auch der leichtste Zweifel noch Trost für unser Herz.
Ach Venus, die dich haßt, muß mich weit stärker hassen,
Auch den elenden Trost hat sie mir nicht gelassen!
Nein, nein, ich darf nicht hoffen – verlange nicht von mir
Ein schreckliches Geheimniß, dein Zweifel nützet dir.
O! rief ich, gnug ist schon mein Busen wund gerissen;
Der Zweifel ist der Tod, laß mich mein Schicksal wissen!
[76]
Du folterst mich aus Mitleid; das Mitleid sey verflucht,
Das dem die Qual verlängert, der schnell zu sterben sucht!
Wenn alles mich verläßt, wenn alles neues Feuer
In meinen Busen gießt, so sey doch du getreuer!
Cythere spottet meiner, schweigt, und verbirget sich;
Stumm waren dir Orakel, stumm, wie der Tod, für mich!
O sey mitleidiger! weg mit den Finsternissen,
Worein sich Cypris hüllt, ich will mein Schicksal wissen!
Die Göttinn, sprach Zephise, kam ja dein Traum von ihr,
Hat niemals uns getäuschet, mit jenem oder hier.
Ich wagt es am Altar, um mein Geschick zu fragen,
Ich ward dafür gestraft – was soll ich dir noch sagen!
Dieß, Freund, war meine Antwort: das mächtige Geschick
Zerreisset eure Fessel; nehmt nur eur Herz zurück;
Die falschen Flüchtigen hält eine neue Kette; –
Sie sprachs; wie wünscht ich nicht, daß sie geschwiegen hätte!
Ihr Wort war mir ein Donner, der mich zu Boden schlug.
Wie hab ich es beweinet, daß ich die Göttinn frug!
Kalt stand ich am Altar, sank auf die Knie nieder,
Und bath: o gieb mir nur den süßen Irrthum wieder!
Laß mich nur zweifeln können, du, die sein Herz mir gab,
Sonst tilg auch meine Liebe, nimm mir die Fesseln ab!
Dieß Herz, das sich betrog, wünscht niemals mehr zu brennen;
Nein, laß es nur verzeihn, und nur vergessen können!
[77]
So täuschte mich Zephise, und brachte mit der Zeit
Mein Herz, durch Gram gelähmet, zur Unempfindlichkeit.
Die Tage strichen fort; ich lernte mit den Tagen
Themirens Wankelmuth geduldiger ertragen.
Zephise zog mich künstlich aus der Melancholie;
Ich dachte nur zuweilen, und ohn Gefühl an sie.
Mein Herz schwoll nicht mehr auf, mein Blut schlug nicht so flüchtig,
Auch treulos dacht ich sie, und ward nicht eifersüchtig:
Kaum zeigte mein Gedächtniß Empfindungslos, und kalt,
Mir noch erstorbne Züge der reizendsten Gestalt.
Mein Herz war ohne Wunsch, gleichgültig war mein Wille;
Es hatte ausgestürmt; nun folgte seine Stille.
Zum Kummer abgehärtet, und ohne Wunsch nach Lust,
Lag jetzo die Empfindung im Schlummer in der Brust.
So scheint ein Feur gelöscht, da durch Gewalt bekämpfet,
Zuletzt der Luft beraubt, die Last des Schuttes dämpfet;
Und frißt im Stillen um sich, mit Asche überhäuft;
Bis es, vom Wind erwecket, den nächsten Baum ergreift;
Dann strömt die Gluth umher, verzehret mit Getümmel
Den Blätterreichen Hain, und braust, und flammt gen Himmel.
Schon hatt ich angefangen, mit größerer Begier
Zephisen zu erwarten, und sehnte mich nach ihr.
Mehr als Gewogenheit, und Zärtlichkeit beynahe,
Erheiterte mein Herz, wenn ich sie kommen sahe;
[78]
Ich fühlt in mir das Leere; Gram, und Melancholie
Zog mir die Stunden länger, und ich vermißte sie;
Ich suchte sie so gar, wenn mich des Haines Schatten
In todter Einsamkeit zu lang umfangen hatten.
Zephise wünschte dieses; sie ließ mich oft allein,
Verlangen zu erwecken, und erst vermißt zu seyn.
Mein Herz, wenn sie erschien, fing an, froh aufzuwallen,
Ihr Auge, schön zu seyn, ihr Reden, zu gefallen.
Oft sagt ich ihr vertraulich: auch du verlässest mich;
Wie öde sind die Stunden, wie öde, ohne dich!
Ich fühle, ohne dich, in mir das finstre Leere;
O! wenn mein stürmisch Herz doch einmal ruhig wäre!
Verlaß mich nicht, Zephise! besiege meinen Schmerz,
Den Rest der alten Liebe, und wenn du willst – mein Herz!
O! wenn uns Cypris doch mit einer festern Kette,
So, wie der Zufall jetzt, vorher verbunden hätte!
Sie schlug die Augen nieder, die Röthe im Gesicht;
Sie schwieg, wenn Blicke schweigen: mein Wunsch misfiel ihr nicht.
Ich sahe Tag vor Tag dieselbe Gegend wieder,
Bald einsam, bald bey ihr, und sah mich täglich müder.
Zephise sahs, und sagte: was sehen wir den Hain,
Das Thal, und diese Fluren, Denkmäler unsrer Pein?
Ist keine Gegend sonst, kein anderes Gefilde,
Worinn sich unser Herz nichts vom Vergangnen bilde?
[79]
Der Ort, den unser Auge vor dem mit Wollust sah,
Ist jetzo unsre Hölle, die Schrecken wohnen da!
Ein jeder andrer Grund, der kleinste Fleck der Erden,
Den dieses Bild nicht schwärzt, muß uns ein Himmel werden.
Hinweg aus dieser Wüste! hinweg! dort wollen wir
Den Gram vergessen lernen. Was hält uns auch wohl hier?
Die Göttinn hasset uns! sie hat noch mehr Altäre,
In Knidus, Amathunt, und Paphos mehr Altäre.
Vielleicht ists ein Verbrechen, ihr dort kein Opfer weihn!
Sie wird vielleicht hier härter, in Paphos milder seyn!
Was dort die Lieb erfleht, ein feurig Herz voll Triebe,
Gewährt sie, saget man, dem Herzen, und der Liebe.
Ich ließ mich gern bereden. Wir wechselten den Ort;
Ich gieng mit ihr nach Paphos, und suchte Cypris dort.

[80] Neuntes Buch

[81][83]
Hier herrschet nicht die Liebe, die dort verehret war;
Der Wollust, nicht der Cypris, raucht hier der Brandaltar;
Der Gott der Zärtlichkeit erregt hier wilde Triebe;
Sein Reich ist Sklaverey, und Wollust heißt hier Liebe.
Todt zum Gefühl der Tugend, in Weichlichkeit ersäuft,
Reißt seine Hand den Sklaven, den seine Wuth ergreift,
Im Taumel niedrer Lust, verliebt in seine Bande,
Vom Schmachten zum Genuß, und vom Genuß in Schande.
Unmännlich sinkt der Jüngling im Arm der Buhlerinn,
Und schmelzet in dem Schooße der Weichlichkeit dahin;
Verehrt ein falsches Weib, das seine Schätze liebet,
Und ihn geplündert dann dem Elend übergiebet.
Am Rande des Verderbens empfängt ihn dann die Wuth,
Und Raserey vollendet, was nicht die Wollust thut.
[83]
Gepeinigt, in den Schimpf der Armuth tief versunken,
Entfliehet dann der Rausch; er sieht, nicht mehr betrunken,
Die Blumenvollen Thäler, wo alles sonst gescherzt,
Von keinem Strahl erleuchtet, tief, wie die Nacht, geschwärzt.
Die Wälder die ihn sonst an ihrer Brust umfingen,
Die Büsche, die ihr Laub um seine Laster hingen,
Der Bach, an dem die Wollust die Träume zu ihm rief,
Wenn er hier saß, und staunte, wenn er auf Blumen schlief,
Erinnern ihn an Schimpf; er sieht, sich stets verhaßter,
Statt seiner Freude, nichts, als Zeichen seiner Laster.
Da, wo die Amors scherzten, wo er den Himmel fand,
Da schütteln Furien die Fackeln in der Hand;
Da sieht er seine Schmach: dann pocht, von Angst zerrissen,
Sein Herz Verzweifelung, dann stürmet sein Gewissen;
Bis sein erzürntes Schicksal, das schon den Dolch entblößt,
An seiner Qual gesättigt, ihn in sein Opfer stößt,
Und der verjagte Geist, der diese Welt verfluchet,
Zur Höllen niederfährt, und dort die Ruhe suchet.
So herrschet hier die Liebe: die Wollust, und die Schmach,
Und Reue, und Verderben schleicht ihren Tritten nach.
Hier malt romantischer die Gegend ihre Bilder
Dem scheuen Auge vor, und die Natur ist wilder.
Es läuft nicht über Flächen, vom Himmel nur umgränzt,
Die hier ein niedrer Hügel, und dort ein Wald bekränzt:
Im Schwindel stürzt der Blick von abgerißnen Höhen,
Die ein versenktes Thal gigantisch übersehen.
Der Wald an ihrer Stirne verweilt den Mittagsstrahl,
Und gießet Nacht und Kälte ins wilde finstre Thal.
[84]
Die Eiche drohet hier, der Winde Raub zu werden;
Die Wurzeln starren schon, wie Adern aus der Erden.
Ein Strom, in dessen Welle der Sand des Ufers schmelzt,
Der unter Felsen naget, und sie dann niederwälzt,
Gießt donnernd seine Fluth durch zitternde Gesträuche
Der über seinen Strom herabgesunknen Eiche.
Der Vogel eilt von dannen, durch sein Geräusch verjagt,
Der Wiederhall entsetzt sich, und das Gebüsche klagt.
Die Furcht sträubt hier das Haar; von wütenden Gedanken
Pocht hier des Wandrers Herz, und seine Füße wanken;
Wenn über seinem Haupte, zum Himmel aufgethürmt,
Um des Gebirges Stirne der ganze Buchwald stürmt.
Nie schaut in dieses Thal der hellste Frühlingsmorgen;
Der Argwohn wohnet hier, die Reu, und finstre Sorgen,
Der Abscheu für das Leben, der Grimm, die Rachbegier.
Ein sanftrer Himmel decket ein stilleres Revier,
Wo bald ein Mirthenhain des Thales weite Fläche
Mit dunklern Schatten bricht, und bald geschlungne Bäche.
Hier athmet man die Wollust; die Adern schwellen hier
Von einer matten Sehnsucht, und trunkener Begier.
Vergessenheit der Scham, Einschläferung der Tugend,
Beschleichen hier das Herz der aufgefeurten Jugend.
Hier feyret man der Göttinn ein ärgerliches Fest,
Wo alles sich den Flammen der Wollust überläßt;
Nichts ist dann untersagt; und Bachus, der Verwüster
Der Unschuld, und der Scham, begeistert seine Priester.
Sie schütteln hier den Thyrsus; der volle Becher blinkt,
Die Herzen schlagen wilder, man liebet, tanzt, und trinkt.
[85]
Hier sah ich einen Schwarm von Paphos Buhlerinnen;
Ihr Auge flog umher, um Herzen zu gewinnen.
Beladen mit der Beute, die ihren Schimpf bezahlt,
Erschienen sie voll Reichthum, gesalbet, und gemalt;
Stolz schien die volle Brust, die Last empor zu heben,
Die eine halbe Welt zum Schmucke hergegeben.
Ihr Gang war frey, und reizend; ein leicht und flatternd Kleid
Verrieth die schönen Füsse, und machte Lüsternheit.
Ich sah von jedem Tritt ihr Kopfgeschmeid erschüttern,
Und wie ihr Busen gieng, der Steine Strahlen zittern.
Ein flüchtigs, brennend Auge, der Schimmer dieser Pracht,
Die Sehnsucht ihrer Blicke, die Ueppigkeit der Tracht,
Die wilde Zärtlichkeit, womit sie sich umfingen,
Versammleten um sie den Schwarm von Wollüstlingen.
Sie hingen ungesittet an ihrer Führer Hand;
Die Wangen glühten feurig, ihr glänzend Auge brannt;
Sie lachten, neigten sich, und husteten mit Willen,
Und zwangen mit Gewalt, die Brust empor zu quillen.
Sie zogen an dem Schleyer, und zeigten oft dem Blick
Des Führers, was er suchte, und bogen sich zurück.
Ihr fliegendes Gewand, das um die Glieder rollte,
Verhüllte gar zu schlecht, was es verrathen sollte;
Und ließ, der heißen Sehnsucht des Buhlers noch zu karg,
Das übrige nur denken, was es nicht gern verbarg.
Ich fühlte die Gefahr, und schlug die Augen nieder;
Ein nie gefühltes Feur schlich sich durch meine Glieder;
Mein Herz fing an zu klopfen; Zephise, sprach ich, nein,
Hier kann nicht das Gebiethe von unsrer Cypris seyn.
[86]
Ach! flieh mit mir die Luft! ich fürchte diese Erde;
Ich fühle, daß ich hier nicht widerstehen werde.
Zephise, die das wünschte, was ich zu fühlen schien,
Sprach seufzend: das Gebiethe der Liebe willst du fliehn?
Wenn willst du doch einmal, den Kummer zu entfernen,
Das reizendste Gefühl der Cypris kennen lernen!
Du kanntest nur den Schatten. Du scheutest dich,Aedon,
Vergnügen zu empfinden, und Kummer war dein Lohn!
Ach wie bedaur ich dich! dein Glück ist dir verborgen;
Die Liebe willst du nicht, du willst nur ihre Sorgen!
Was willst du, daß ich fühle? sprach ich, o willst du wohl,
Daß meine Scham der Liebe ein Opfer werden soll?
Willst du, daß ich mich frey der Flamme überlasse,
Nicht mehr unschuldig sey, und mich dann selber hasse;
Was soll ich mehr empfinden? Ich fühle, daß ich nie
Von solchen Flammen brannte, und kaum bekämpf ich sie!
Cephise sah mich an, mit aufgeblühten Wangen,
Und jeder Blick auf mich sprach feuriges Verlangen.
Hier, sprach sie, herrscht die Liebe, nicht, um bekämpft zu seyn;
Verlacht den Stolz der Tugend, und strafet sie mit Pein.
Ihr Stolz ist ihre Lust, besiegt seyn, und besiegen:
Hier fesselt sie kein Zwang, sie nimmt und giebt Vergnügen.
Was hat sie in Cythere, das Herzen fesseln kann?
Ihr seufzt, ihr fleht um Liebe, und bethet ewig an.
Der Abgott eurer Gluth verschmachtet nach Vergnügen,
Und sieht euch mit Verdruß zu seinen Füssen liegen.
Oft haßt er diese Demuth; und statt der Zärtlichkeit
In Worten, oder Blicken, wünscht er Verwegenheit.
[87]
Chimerisch ist der Stolz, und Qual ein Zwang der Triebe!
Ist nicht der Gott der Lust zugleich der Gott der Liebe!
Sie sagts, ein Blick voll Sehnsucht, der durch die Seele fuhr,
Erweckte alle Geister der stürmenden Natur.
Ihr Götter! rief ich aus, du kannst die Tugend hassen?
Cephise, lebe wohl! – und gieng, sie zu verlassen.
Mit Zittern trug mein Fuß mich von dem verwünschten Ort,
Mein Herz flog, und ich seufzte; allein, ich riß mich fort.
Dem Tempel gieng ich zu: hier sah ich ein Gedränge
Von beyderley Geschlecht, und folgte dieser Menge.
Itzt war ich in der Halle; was war es, was ich sah?
Was für ein Dienst? ihr Götter! erschrocken stand ich da!
Wie ist durch Barbarey der Venus Dienst verwildert!
Ich sah die Wollust hier, statt Cypris abgeschildert;
Ich sah den Gott der Liebe, – den Gott der Liebe? ach!
Ein Gott des Hasses war er, der Schrecken, und der Schmach!
Der Maler stellt ihn hier auf umgestürzten Thronen,
Die er zu Boden tritt, und seinen Fuß auf Kronen.
Er schwingt, mit wildem Lächeln, die Fackel in der Hand,
Das Schwert frißt hier die Menschen, die Städte dort der Brand.
Den Kampfplatz decken Blut, und theure Niederlagen,
Und Helden, die die Faust der Eifersucht erschlagen.
Hier reißt der wilde Sieger entweihte Töchter fort,
Und schleppet sie in Ketten, als Sklavinnen, an Bord.
Ein ander schrecklich Bild malt Klytemnestrens Schande:
Die Furie zerreißt des erstern Hymens Bande.
Zertreten von Aegysthen, krümmt Atreus Sohn sich hier,
Verwundet an der Erde; der Grimm, die Rachbegier,
[88]
Erscheint ihm im Gesicht; er sinkt, und will sich halten;
Und Blut strömt von der Stirn, die schon das Beil gespalten.
Cassandra liegt im Blute, und Klytemnestra stößt
Den Dolch in ihren Busen, der Unordnung entblößt.
Electra flüchtet hier, und trägt in wilder Eile
Den weinenden Orest, und raubet ihn dem Beile.
Auf schrecklichern Gemälden erscheint hierCyniras;
Das eine zeigt sein Laster, das andre seinen Haß.
Die Wollust führet hier, an einer ehrnen Kette,
Die Myrrha, ohne Schleyr, in ihr verfluchtes Bette;
Die wilden Mänaiden, gehn ihrem Opfer vor,
Und halten, ihr zu leuchten, die Fakeln hoch empor.
Dort fliegt sie voller Angst, und rettet kaum ihr Leben:
Ihr Antlitz redet Furcht, und ihre Haare schweben
Wild um die blassen Wangen: Grimm, Blutbegier und Haß,
Durchfalten hier die Stirne des finstern Cyniras,
Der, da er Myrrha kennt, die Furcht entfliehen heißet,
Voll Wuth sein Schwert ergreift, und aus der Scheide reißet.
Dort bildet dir der Pinsel, mit schandenfroher Kunst,
Die Weichlichkeit auf Rosen, der Liebe letzte Gunst;
Und um der Sittsamkeit das Laster zu verstecken,
Weis er die Göttinn selbst auf Blumen auszustrecken.
Adonis leget schmachtend sein Haupt in ihren Schooß,
Und Amor reißt, im Spiele, den leichten Gürtel los.
Dort wallt die ebne Fluth in Kreisen um Najaden,
Die, nicht belauscht zu seyn, sich unter Schatten baden:
Ein Faun, gereizt von Neugier, lauscht aus dem dichten Rohr,
Womit der Strand ihn decket, voll Lüsternheit hervor.
[89]
Dort läßt er von dem Hauch neugieriger Zephyren,
Der schönen Schlummernden ihr ganz Gewand entführen.
In mehr, als tausend Bildern, die sie zu Hülfe nahm,
Bestreitet hier die Wollust die Unschuld, und die Scham,
O! sollte Cypris hier noch ihren Tempel kennen,
Und Opfern gnädig seyn, die ihr zur Schande brennen?
Man kennt hier nicht der Seelen beglückte Harmonie;
Man ehrt hier nicht die Liebe, nein, man entheiligt sie!
Welch schrecklicher Betrug hat mich hieher gezogen!
Cephise lasterhaft? – Cephise mich betrogen? –
Ihr Götter! hat die Erde, die ich nun halb durchirrt,
Kein Herz, das meiner Freundschaft nicht zum Verräther wird?
Ich will den Boden fliehn; verderblich sind die Lüfte,
Und Wollust, was man schöpft, die Rosen hauchen Gifte.
So seufzt ich voller Schwermuth; und wünschte bald zu fliehn,
Bald fühlt ich eine Trägheit, die mich zu halten schien.
Oft gieng ich voll Entschluß; doch meine müden Glieder
Versagten mir den Dienst, und matt sank ich darnieder.
Dann dacht ich an Zephisen, dann zog mich die Begier,
Sie einmal noch zu sehen, gewaltiger zu ihr.

[90] Zehntes Buch

[91][93]
So warfen die Gedanken, wie ein Orkan das Meer,
Mein Herz, in stetem Kampfe, gewaltsam hin und her.
Ich konnte nicht mehr fliehn, der Zwang ward mir verhaßter,
Und was ich um mich sah, verführete zum Laster;
Nur schwach bestritt die Unschuld den Aufstand der Begier,
Und selbst die heiße Liebe der Tugend starb in mir.
Ach! seufzt ich oft in mir, ach! die Tyranninn Tugend,
Streut nichts, als Sorgen aus, und schleppet unsre Jugend,
Vielleicht durch Vorurtheile, aus Neid, und Eigensinn,
In unsern Blumenpfaden auf lauter Dornen hin!
Ists Ruhm, in seiner Brust, Natur, dich zu bekriegen?
Worinn besteht der Ruhm? – In Pein, und Misvergnügen.
[93]
Vielleicht ersann das Alter, das nun der Lust entschlief,
Uns Jünglinge zu quälen, den künstlichen Begriff;
Und Greise hießen uns, die uns ihr Glück misgönnen,
Unschuldge Freude fliehn, die sie nicht fühlen können!
Oft schlug mein Blut von Hitze, die ich sonst nie gefühlt;
Dann wünscht ich sie auf Kosten der Tugend selbst gekühlt.
Mein Herz schwoll stürmisch auf, und pochte nachZephisen,
Und fluchte oft dem Trotz, den ihr mein Stolz bewiesen.
O! hätte mich das Schicksal damals so sehr gehaßt,
Cephisen mir zu bringen: ich hätte sie umfaßt;
Ich wäre demuthsvoll, von kühner Wollust trunken,
Unmännlich, und beschimpft vor ihr dahin gesunken.
Oft, gieng ich, sie zu suchen, ein Opfer der Begier;
Allein, die guten Götter verbargen sie vor mir.
Einst folgt ich meiner Wuth, die der Tumult empörte,
Als ich den wilden Tanz von fern her stürmen hörte.
Die Schatten wurden tiefer, der Schauplatz der Natur
Floß dunkel in einander, und schlummernd schwieg die Flur,
Da mich der ferne Schall, dem ich zu folgen dachte,
Weit von dem Tempel fort, in ein Gebüsche brachte.
Ein Schaur, der mit der Kühlung dem dichten Wald entfloß,
Und den der wildre Schatten der Nacht herunter goß,
Indem sie mich empfing, lief über meine Glieder;
Ich bebte schüchtern fort, und warf die Augen nieder,
[94]
Bis ich durch enge Pfade, den Nymphen nur bekannt,
Von meiner Furcht gejaget, vor einer Grotte stand.
Ich hielt sie für den Sitz der Nymphen, oder Götter;
Die Rebe schlung um sie den Schutz der breiten Blätter.
Ich stand, und sah die Gegend, in der ich mich verlor;
Der Schauplatz wurde heiter, und Phöbe stieg empor.
Ich sah ihr Silberlicht auf regen Wellen spielen,
Und Schatten, die ins Thal von alten Mauren fielen.
Ich nahte mich voll Ehrfurcht dem heiligen Ruin,
Den halb die Nacht verfinstert, und halb der Mond beschien;
Ein wild, und grob Gemisch von Finsterniß, und Lichte;
Gigantisch wallte hier der Schatten einer Fichte
Weit hin ins Thal geworfen, so oft ein Westwind ging,
Und ihr Gesträuch bewegte, das um die Mauren hing.
Es deckte manche Wand, hier ganz und dort zerrissen,
Mehr, als das halbe Thal, mit tiefen Finsternissen;
Da eines Thurmes Schatten bis an der Berge Wand
Die lange Fläche schwärzte, sich bog, und aufwärts stand.
Die Pfeiler, die zu schwach, ihr Haupt empor zu tragen,
Den Schutt kaum übersahn, hier hingen, und dort lagen,
So mancher Rest von Säulen, verstümmelt, abgekürzt,
Manch umgekehrte Krone, vom Stamm herabgestürzt;
Manch hängendes Gesims, das seine Last beschwerte,
Der Pfost, der hingestürzt, den Fuß gen Himmel kehrte,
[95]
Der ganze Schutt von Steinen, den ich hier vor mir fand,
Bezeichnete die Stelle, wo sonst der Tempel stand.
Ein süßes heiligs Graun floß sanft durch meine Glieder:
Tiefsinnig warf ich mich auf eine Krone nieder,
Die Zufall oder Bosheit dem Säulenstamm geraubt,
Und stützt auf ihrem Fuße in meine Hand mein Haupt.
Der Busch, der mit Geräusch hoch von den Mauren wallte,
Das Echo, das des Bachs Gemurmel wiederhallte,
Das blasse Licht, das Phöbe durch Felsenrisse goß,
Das auf der Quelle tanzte, die rieselnd niederfloß;
Das schläfrige Geräusch sich regender Gebüsche,
Des Lichtes, und der Nacht romantisches Gemische,
Ernährte meinen Tiefsinn; bis der Gedanken wich,
Und langsam meine Nerven der Schlummer überschlich.
O! holder Gott des Schlafs! nie hat von dir verschicket!
Die Glücklichsten der Welt ein süßrer Traum entzücket!
Ja, dieser Ort war heilig, hier wohnt noch unsichtbar,
Ein Gott bey seinem Schutte von Tempel, und Altar!
Dem Tempel, den vielleicht, nichts von dem Gott zu wissen,
In ihrer Raserey Bachanten eingerissen:
Weil hier ihr Busen pochte, und eine Macht empfand,
Von deren stillen Schrecken ihr Haar gen Himmel stand.
Vielleicht stand vormals hier, als noch der Göttinn Ehre
In Paphos heilig war, der Altar der Cythere.
[96]
Vielleicht hat mich die Göttinn, mit unsichtbarer Macht,
Der Wollust weggerissen, und selbst hieher gebracht.
O! welch ein Gott es sey, von dem mein Traum erschienen,
So seyd von mir geehrt, ihr heiligen Ruinen!
Es steig aus diesem Schutte, wo sich sein Sitz verlor,
Ein neuer ewger Tempel zu seinem Dienst empor!
Mein Traum versetzte mich in jene Myrthenschatten,
Die zu Cyther uns sonst so oft umarmet hatten.
In angenehmen Tiefsinn der Liebe saß ich da,
Als ich in aller Schönheit Themir erscheinen sah.
Wie schlug, bey jeglichem von ihren süßen Blicken,
Mein tief durchdrungnes Herz von Liebe, und Entzücken!
Nicht schöner kam Aurore (wenn sie den stärkern Strahl
Der Gottheit von sich legte) zum Cephalus ins Thal;
Nicht stärker fühlt Adon, wenn Cypris ihn entzückte,
Und ihren Rosenmund auf seine Lippen drückte.
Ich wollte mit ihr zürnen; ohnmächtiger Versuch,
Den ein entzückend Lächeln so gleich zu Boden schlug!
Jetzt sah ich einen Pfeil, mit angenehmen Schrecken,
Den ihre Hand geschickt, in meinem Busen stecken;
Ach! Amor, rief ich seufzend, ach! räche meinen Schmerz;
Und sie ergriff den zweyten, und stieß ihn in ihr Herz.
Dann floß der erste Traum in schönre Bilder über,
Und jedes Bild der Lust gieng mir noch einst vorüber.
[97]
Ich sah, bey meiner Schönen, die Unordnung, den Zwang,
Die schöne Furcht der Unschuld, die mit der Liebe rang,
Das Herz, von Kampfe voll, das Aug auf den Begleiter
Mit Zärtlichkeit gewandt, und wie der Himmel, heiter;
Ich fühlt aus ihrer Hand, die meine Hand umschloß.
Wie jeder Druck Entzückung in meine Seele goß;
Die Trieb in ihrer Brust geriethen ins Gedränge,
Die Liebe suchte Luft, das Herz ward ihr zu enge.
Ich sahe, ach! ich sahe den tugendhaften Streit,
Die mächtige Verwirrung, die schöne Aengstlichkeit;
Ich sah die volle Brust, mit ungestümerm Wallen,
Voll Leidenschaft für mich, sich flüchtig blähn und fallen.
Und fühlte die Entzückung, mit der ich sie umfing,
Und in dem langen Kusse an ihren Lippen hing.
Wie schlug mein volles Herz, als ich vom Traum erwachte;
Themire, was ich sah, Themire, was ich dachte!
Mein schlummerloses Auge, lief voller Neubegier,
Vom Traume hintergangen, und suchte sie noch hier,
Mich dünkt, ich fühlte noch, da mich der Morgen weckte,
Die Wunde, wo der Pfeil in meinem Busen steckte!
Das Traumbild von Themiren, ihr seelenvoller Blick,
Rief wachend alle Liebe in meine Brust zurück.
Ja, rief ich, sie ist treu; nie hätte mir Cythere
Den süßen Traum gesandt, wenn sie ihr treulos wäre!
[98]
Du Mutter der Entzückung, der süßen Harmonie
In Unschuld vollen Seelen, o! sprich, wo find ich sie!
Ach, willst du, daß ich sie in Paphos wieder suche?
Dem Ort, der dich entehrt, dem Ort, den ich verfluche?
Wünsch ich sie da zu finden? nein! große Göttinn, nein!
Sie wäre nicht Themire, nicht werth geliebt zu seyn!
Ein niedrer Geist entweiht den schönsten Bau der Glieder;
Unschuldig gieb sie mir, sonst wünsch ich sie nicht wieder!
Themire – Ach! ihr Götter, wenn jemals sich in ihr
Die Scham vergessen könnte, was würde wohl aus mir?
O! wenn auch dann der Kampf mein Herz zerreissen sollte,
Verachten sollt es sie, wenn es nicht hassen wollte!
Wo wandelt jetzt die Schöne, und wo beseelt der Strahl
Aus ihrem schönen Auge ein Blumenloses Thal?
Wo eilt ihr leichter Fuß, wo sammlet sie von Sträuchen
Sich Rosen, die nicht halb der Schönen Wangen gleichen?
Wo bricht sie jetzt das Veilchen, das an dem Busen nicht
So süße Düfte athmet, als sie, indem sie spricht?
Doch sie verschönert wohl vielleicht noch keine Scene!
Aurora schlummert noch, noch schlummert meine Schöne.
Ihr Götter, schicket Freude, und Ruh in das Revier,
Das diesen Schatz verwahret, und einen Traum von mir!
Ach! aber pflügt sie jetzt, auf Gunst von Fluth und Wetter,
Das ungetreue Meer, so schützt sie, all ihr Götter
[99]
Der Tiefen, und der Winde! ein günstiger Zephyr
Beflügle sanft die Segel, und führe sie zu mir!
Gebieth, o Gott des Meers, daß mit der theuren Beute
Das flügelschnelle Schiff sanft auf der Fläche gleite!
Vielleicht hebt ihren Busen, in süßer Harmonie,
Für mich jetzo ein Seufzer, wie meine Brust für sie.
Ach! aber wenn vielleicht ihr Auge andern scherzet?
Gedanke, der auf eins die ganze Seele schwärzet!
Zu lang war dir die Ruhe, die ihr ein Traum gebracht,
Du kömmst, sie zu verfinstern, und kehrst die Freud in Nacht.
O! Göttinn, deren Stern, der jetzt dem Morgen winket,
Noch freundlich auf mich strahlt, eh er hinunter sinket,
Befiehlet seine Stunde ihm wieder, aufzugehn,
So laß ihn bey Themiren auf mich herunter sehn!

[100] Eilftes Buch

[101][103]
Der Morgen goß schon Thau auf Hain und Fluren nieder;
Die Bilder der Natur entwickelten sich wieder;
Die Blume hob die Stirne, entschläfert, in die Höh;
Der Schatten war verloschen, die Schöpfung wachete.
Und itzt verschlang mein Blick der Gegenden Gestalten,
Die ihm die Nacht verbarg, und fiel auf einen Alten,
Der zu dem Stern der Venus sein Aug empor gewandt,
Mit aufgehabnen Händen nah an der Grotte stand.
Ich riß mich hin zu ihm: vielleicht in dieser Grotte,
So dacht ich, dienet er, als Priester einem Gotte;
Vielleicht bracht er, als Jüngling, die Opfer zum Altar,
In diesem heilgen Schutte, der sonst ein Tempel war;
Vielleicht auch hat sein Herz, das stiller Kummer quälet,
Wo nicht die Liebe selbst, die Einsamkeit gewählet:
Die Menschen, seine Brüder, die Henker unter sich,
Verfolgten seine Jugend, und Unschuld, und er wich,
Floh in die Einsamkeit, und nahm von den Barbaren
Die Götter mit sich fort, die ihr Gespötte waren.
[103]
Allein, er sey ein Priester, er sey ein Eremit;
So wird er Mitleid fühlen, wenn er mich bitten sieht.
Ein langer Priesterrock bedeckte seine Glieder,
Des Bartes Silberhaar floß auf die Brust hernieder;
Das Alter, das die Jugend von seiner Stirn gewischt,
Gab ihr dafür die Würde, mit sanftem Ernst vermischt,
Ich sprach ihn also an: Wenn dich ein Jüngling rühret,
Den Irrthum, oder auch ein Gott hieher geführet,
Ehrwürdigster der Menschen! so offenbare mir:
Wo bin ich? welche Gottheit wohnt, oder wohnte hier?
Betrügt nicht mein Gefühl, so herrschte hier Cythere,
Und wo der Staub itzt liegt, da rauchten ihr Altäre?
Du irrst nicht, sprach der Alte; dort lieget der Altar
Im Schutte seines Tempels, bey dem ich Priester war.
Die Grotte war der Ort, als Paphos sie noch ehrte,
Wo eine beßre Welt von ihr Orakel hörte.
Glückseligs edles Alter! eh dieß Orakel schwieg,
Als unter bessern Menschen noch Dampf vom Altar stieg!
Als Knabe sah ich nur die heiligen Gepränge:
Der Tempel war damals den Opfernden zu enge;
Es floß aus tausend Städten die halbe Welt hieher;
Und nun, welch eine Wüste! ach! schau, mein Sohn, wie leer!
Das Land liegt still, und todt; in die vergeßne Fluren
Drückt fast kein andrer Fuß, als meiner, Menschenspuren.
[104]
Ich nur, ich walle einsam zum sinkenden Altar,
Und bring ihm, statt des Weihrauchs, zum Opfer Thränen dar;
Und wenn dich länger nicht des Greises Füße treten,
Du heiliger Ruin! so wird kein Mensch hier bethen.
Von Opfern war schon lange der öde Tempel leer;
Doch dann fließt, dir zu Ehren, auch keine Thräne mehr!
Er stand, zum Schutt gekehrt, schwieg und bestarrt ihn lange,
Und eine Thräne rann ihm zitternd von der Wange.
Ich wagt es, ihn zu stören, und sprach: o! sage mir,
Wenn Cypris hier sonst wohnte, was trieb sie denn von hier?
Die Wollust, sprach der Greis: der Welt von edlen Vätern
Folgt eine schlimmre Welt von Lästrern, und Verräthern;
Die von der Pflicht entfesselt, die ihr Gesetz befahl,
Aus Liebe Handel machte, und den Altar bestahl;
Sich selbst die Schönheit gab, der Wangen Rosen malte,
Geld für die Liebe nahm, Gunst feil both, und bezahlte,
Verführt ward, und verführte; und diese niedre Schaar
Erbauete der Göttinn, bey Paphos, den Altar.
Die Erde, wo itzo die Marmorsäulen blinken,
Trug die verfluchte Last, und wollte nicht versinken!
Doch nimmer hat die Göttinn den neuen Bau besucht,
Ein Gräul war ihr das Opfer, und der Altar verflucht.
Hier blieb nur noch der Kern der Söhne und der Töchter;
Ein kleiner dünner Rest der edelsten Geschlechter,
[105]
Der von der Lust verführet, die jene Schaar genoß,
Zuletzt aus diesem Tempel nach Paphos überfloß;
So wächst, von einem Strand der Erde weggezogen,
Am anderen das Meer, und wälzet seine Wogen
Weit über neue Inseln, und läßt da, wo es wich,
Ein sandiges Gestade, und Wüsten hinter sich.
So sah ich hier die Fluth der Opfernden verlaufen,
Und unsre dünnre Schaar verschlang der größre Haufen:
Wie eine kleinre Quelle, die dürftiger entspringt,
Ein mächtiges Gewässer in seinen Strom verschlingt.
Nun war die Gegend öd, verlassen diese Wälder,
Und einsam übersah der Tempel todte Felder;
Nur selten, selten glimmten, nach wenger Jahre Lauf,
Von seinem kalten Altar die Flammen einmal auf.
Die tiefre Stille brach kein festliches Getümmel,
Und selten wallte noch ein heilger Rauch gen Himmel.
So öde, so verlassen, stand Tempel und Altar,
Als ich sein Priester wurde, der eben männlich war.
Und noch nicht Schimpf genug für beyde! nein, die Frechen
Beschleunigten den Fall durch größere Verbrechen.
Das Laster war zu wenig, das keine Augen sehn;
Es mußt im Angesichte der Götter selbst geschehn.
Noch nicht vergnügt damit, die Erde zu entehren,
Im Sitz der Götter selbst, an heiligen Altären –
[106]
O! kann ichs auch erzählen! – welch Laster am Altar!
Der schreckliche Gedanke erhebt voll Gram mein Haar!
Doch euch, Entsetzliche! traf an der heilgen Stelle
Die Rach, und eure That versank mit euch zur Hölle! –
Die Göttinn floh im Grimme den tief entweihten Sitz?
Die Veste ward erschüttert; die Schänder schlug ein Blitz,
Wovon die Zinne sank, in ihrem Laster nieder,
Und stürzte den Ruin auf die zerschlagnen Glieder.
So, Jüngling, sank der Tempel, und ward der Schänder Grab,
Und ihre schwarze Seele fuhr schnell zum Styx hinab,
Wo alle Furien den Auswurf von der Erden,
Durch eine Ewigkeit mit Flammen geißeln werden.
So lieget nun der Tempel, der Elemente Raub;
Kein Gott beschützt ihn ferner, und weckt ihn aus dem Staub.
Nur würdigt Venus noch die Grotte anzusehen;
Mit mir nur steht sie noch, und wird mit mir vergehen.
Er schwieg: wir giengen weiter, und meine Neubegier
Zwang mich, ihn mehr zu fragen: Mein Vater, sage mir,
Denn Cypris würdiget, sich dir zu offenbaren;
O! sag mir, kann ich hier mein Schicksal nicht erfahren?
Zu lange gab die Göttinn mich meiner Sorge Preis,
Der tödtlichsten der Sorgen, die nichts zu lindern weis!
Ein nächtliches Geschick entriß mich von Themiren;
Vergebens sucht ich sie; ach! soll ich sie verlieren?
[107]
Die Göttinn, sprach der Priester, kehrt oft hieher zurück,
Und sagt hier manchem Edlen sein künftiges Geschick.
Oft reißt noch aus dem Strom der Wollust ihre Gnade,
Und wirft ein edles Herz von dort an dieß Gestade.
Ein Jüngling hat sich neulich von da hieher verirrt,
Und wartet, bis die Göttinn sich offenbaren wird.
Du kannst hernach ihn sehn, tritt erst in diese Höhle,
Vielleicht ertheilt durch mich die Göttinn dir Befehle.
Ich folgt; indem der Priester am Altar bethend stund,
Bebt unter meinem Füßen dreymal der Erden Grund;
Voll seiner Gottheit, sank der Greis aufs Antlitz nieder;
Das Opfer flammete, die Grotte tönte wieder:
Zwar pochte itzt mein Busen, allein, ich bebte nicht;
Nun folgte eine Stille; todt auf sein Angesicht,
Lag schweigend vorm Altar der Priester hingegossen,
Und eine Stunde war also vorbey geflossen,
Wo die entzückte Seele dem todten Leib entwich.
Nun kam das Leben wieder; und jetzt erhub er sich,
Und sprach: Getreuer Knecht, und Liebling derCytheren,
Den sie gewürdiget, sein Opfer zu erhören,
Sie schenket dir Themiren: geh, glücklicher Aedon!
Empfang sie zu Cythere! der Altar wartet schon.
Er fodert erst von dir das Opfer einer Tauben,
Dann soll sie deinem Arm kein Schicksal wieder rauben.
[108]
Verehre den Seiden! durch ihn giebt das Geschick
Themiren, unentweihet, in deinen Arm zurück,
Zephise war nicht werth, für dieses Herz zu leben;
Zu Paphos wird sie itzt der Schande Preis gegeben;
Durch eine bessre Schöne wird ihr Verlust ersetzt;
Und Venus tilgt die Flammen, und Psyche liebt ihn jetzt.
Er schwieg: Entzückung floß durch alle meine Glieder;
In mein sonst finstres Herz kam nun der Himmel wieder.
Ich warf, in Freudenthränen, mich vor den Altar hin;
Dank strömten meine Lippen; o du, für die ich bin,
Du Kind des Zevs, durch die die Menschen auf der Erden,
Und die Olympier im Himmel glücklich werden;
Voll Rache gegen Paphos, das du der Schande giebst;
Und gnädig in Cythere, wo du den Tempel liebst;
Dir will ich, Göttinn, hier mich feyerlich ergeben,
Für dich, o Königinn, und für Themiren leben!
Kein Alter löst die Fessel von unsern Händen ab,
Zugleich steigt unser Schatten zum Strand der Ruh hinab.
Ein Geist vereine uns, ein Wunsch, ein Herz, ein Wille,
Bis unsre Asche dann nur eine Urne fülle!
Ich hatte mich erhoben, und als ich vorwärts gieng,
Riß mich ein Arm zurücke, der zärtlich mich umfing.
Schnell goß sich über mich ein angenehmer Schrecken:
Ich riß mich mächtig los, den Fremdling zu entdecken,
[109]
Und sahe den Agenor: entzückt schlug ich die Hand
Um seine werthe Schultern, und drückt ihn, schwieg, und stand:
Mein Herz beginnt sich nun in Strömen auszugießen,
Die Lippe wird beredt, und meine Worte fließen;
Ich frag ihn tausend Fragen: Geliebter! seh ich dich?
Aus welcher Gegend kömmst du? Ach! vonCytheren? – sprich!
Sahst du Seiden da? o sahst du meine Schöne,
Themiren, sahst du sie? sprach auch wohl eine Thräne
Verlangen, mich zu sehen? war sies, die dir befahl –
Ach! alles muß ich wissen, und alles auf einmal!
Themire sandte mich, mit Thränen auf den Wangen;
Nichts gleichet ihrer Furcht, sprach er, als ihr Verlangen.
Ach! Freund, mit was für Schrecken vernahm sie am Altar,
Daß ihr Aedon in Paphos, und bey Zephisen war!
Auf Zufall sucht ich dich, durch ihren Gram gerühret;
Wie glücklich hat mich doch ein Gott hieher geführet!
Komm, eile; rette itzo den kleinsten Augenblick,
Der sie noch quälen würde, bring ihr die Ruh zurück.
Gern folgt ich seinem Rath: wir segneten den Alten;
Und itzo hätte mich kein Gott hier fest gehalten.

[110] Zwölftes Buch

[111][113]
Von Ungeduld gespornt, durchstrichen wir die Felder,
Und hinter uns entflohn in Schatten Höhn, und Wälder,
Ach! meinem Wunsch zu langsam! mit Sehnsucht maß mein Blick
Die Fernen vor sich über, und schaute oft zurück.
Ihr Götter! hätte mich Medeens schneller Wagen,
Der Vogel Jupiters, der Sturmwind fortgetragen;
Ja wär ich selbst den Flügeln des Blitzes gleich geflohn:
So kam mein Herz doch früher, und meldete mich schon!
Jetzt zeigte sich die Stadt: im Kranze blauer Hügel
Stand manche Zinn empor; der Anblick gab dem Flügel
Die ersten Kräfte wieder: da liegt der schönste Ort
Der Erden! rief ich feurig: und riß mich schneller fort.
[113]
So zieht ein mächtger Strom, der zum Gestade schießet,
Des Meeres Fläche theilt, und sich ins Land ergießet,
Von fern her einen Nachen, der, wenn er ihn ergreift,
Geflügelter zum Hafen auf seinen Wogen läuft.
Die Wälder wuchsen nun, so wie wir näher gingen;
Die Schatten schwärzten sich, die von den Hügeln hingen;
Schon hob sich aus dem Chaos der Göttinn heiligs Haus,
Und breitete dem Auge die stolzen Flügel aus.
Die Gegend, die entfernt, nicht gänzlich ausgewischet,
Ihr Mannigfaltiges in Blau zusammenmischet,
Fiel nun in mehr Gestalten und Farben ins Gesicht;
Hier kam ein tiefrer Schatten, und dort ein hellers Licht.
Nun war der Schauplatz hell. Wie sah ich mit Vergnügen
Cytherens schönstes Thal verbreitet vor mir liegen!
Ihr Götter! wie verändert! es war nicht mehr das Thal,
Das ich verlassen hatte, das öde, finstre Thal!
Hier stieg der Buchwald auf, dort schlung um grüne Hügel
Zephissus seine Fluth, und zeigte sie im Spiegel.
Die Wonne, die Entzückung, die ich vordem nicht sah,
Der Himmel, der verschwunden, war jetzo wieder da!
Die Rosen glüheten an schattigen Gestaden,
Und schienen selbst die Hand der Schönen einzuladen.
[114]
Jetzt überstreute Flora, aus einer mildern Hand,
Mit mehr, als tausend Farben, das aufgeblühte Land:
Hier gab sie, trotz der Kunst, die stolzen Königinnen
Mit Gold und Perlen schmückt, den Putz für Schäferinnen,
Für deren Stirn die Myrthen, und junge Veilchen blühn,
Der May sein Blümchen schaffet, und volle Rosen glühn.
Der Westwind gaukelte, und wälzete die Düfte,
Der blühenden Natur, wie Wolken durch die Lüfte
Nichts fehlte, als Themire: an ihrer schönen Hand
Hätt ich die frohe Gegend Elisien genannt,
Ein seliges Gefild, ein Reich der Tugendhaften,
Das zur Glückseligkeit die Götter selbst erschafften.
Der heilge Wald Dodonens, wo edlen Sterblichen
Ehrwürdge, greise Eichen ihr Glück verkündigen,
Rauscht denen nicht so sanft, die dort ihr Schicksal suchen,
Entzückungen herab, als mir der Wald von Buchen!
Hier irrte durch die Blumen, und Büsche, Paar bey Paar;
Die Freude auf den Wangen; gleich der beglückten Schaar,
Die ruhig, voll Gefühl, wie edel sie gehandelt,
Nun in Elisien durch Myrthenhaine wandelt.
Hier sah ich einen Schäfer, der seine Braut umfing,
Bedeckt von einer Buche, die tiefer niederhing;
[115]
Jetzt flocht er einen Kranz von Rosen, und von Myrthen
Um ihre schöne Stirn, die Locken aufzugürten;
Jetzt riß, bey einem Kusse, den sie ihm wilder gab,
Die Locke aus dem Gürtel, und fiel mit Stolz herab.
Hier floh ein loses Kind zum Schatten einer Buchen,
Und schaute lächelnd um, und stand, und ließ sich suchen.
Wie ängstlich sucht ihr Schäfer! wie gern sieht sie die Pein!
Nun rauscht sie in den Büschen, und will gefunden seyn:
Nun fliegt er auf sie zu, und rächet sein Verlangen,
Und schlingt die Arm um sie, und küßt die frischen Wangen.
Voll Feuer, und Empfindung, sah ich ihr süßes Spiel,
Und keine Misgunst mischte Verdruß in mein Gefühl;
Ach! sagt ich, siehe, Freund! so schön, so ganz empfunden,
Verfließen Zärtlichen der Jugend heitre Stunden!
Beglückte, frohe Schäfer! für euch schafft die Natur
Die Rosen auf den Wangen, die Rosen auf der Flur!
Die Götter, denen wir den Himmel oft beneiden,
Verlassen den Olymp, und suchen eure Freuden:
Doch bald, ja bald, ihr Schäfer! umarmt Themire mich:
Und dann, o! dann wird keiner so glücklich seyn, als ich!
Wie will ich sie noch oft, an meine Brust gerissen,
Hier drücken, wo ihr scherzt, und satt, recht satt mich küssen!
[116]
Satt sagt ich? – welche Menge ersättigt die Begier?
Nein, tausend, tausend Küsse, Themire, raub ich dir,
Und fodre immer mehr, bis hier, auf allen Sträuchen,
Die Blätter nicht an Zahl der Zahl der Küsse gleichen!
Nun sehen wir den Tempel, und eine Welt umher:
So wallt um eine Insel, zur Zeit der Fluth, das Meer.
Ein Strom drang erst dahin, ein andrer floß zurücke,
Und Hoffnung, oder Ruh bezeichnete die Blicke.
In diesem kam Seide: Agenor, der ihn sah,
Riß plötzlich mich zurücke, und rief: Freund, siehe da!
Siehst du den Fremdling dort zwo junge Schönen führen?
Siehst du Seiden dort? Ach! siehest du Themiren?
An der geheimen Sorge auf ihrem Angesicht,
An diesem blöden Auge, das stilles Leiden spricht,
Erkenne deine Braut! Und siehest du auch jene,
Die ihr zur Seiten scherzt? die ist Seidens Schöne.
Schau ihre Stirn, wie heiter! ihr Auge, wie vergnügt!
Sieh, wie sie leicht dahergeht, und wie die Locke fliegt!
Ich kenne meine Braut! rief ich; ach! mein Entzücken
Drückt keine Sprache aus; lies es aus meinen Blicken!
Komm mit mir, eile, fliege, misgönne dem Geschick,
Das unser Herz zerrissen, den kleinsten Augenblick!
[117]
O! Liebe, halt sie dort, daß sich ihr Fuß verweile,
Und mich beflügele, damit ich sie ereile!
Ihr Götter! welche Freude, wenn sie mich nicht erblickt,
Dann plötzlich vor sich siehet, und angenehm erschrickt,
Ach! oder sieht sie mich, wenn sie mit heißen Wangen,
Mit offnen Armen eilt, mich zärtlich zu umfangen!
Wir flohn; so flog der Daphne, am väterlichen Bach,
Von Zärtlichkeit beflügelt, der Fuß Apollens nach:
Der Boden fühlet kaum, daß ihn die Sohle drücke,
Sein Haar strömt wild empor, die Erde rollt zurücke.
Nun näher, und nun immer; und nun, nun streckt er sich,
Die Nymphe zu ergreifen – nicht so beglückt, als ich!
Der Gott ereilte sie, sie ewig zu verlieren:
Ich aber kam, umfing, und küssete Themiren.
In dem den Göttersprüchen geweihten, dunklen Hain,
Erfuhr ich mein Geschicke, holt ich Themiren ein.
Ach! itzo durfte mir nichts sein Orakel sagen!
Ihr Auge konnt ich hier, statt dich, o! Göttinn, fragen!
Welch Roth stieg ins Gesicht, indem ich näher trete!
So glüht die Rose nicht, so nicht die Morgenröthe:
Ach! seufzte sie, und flohe zu mir, so schnell, wie ich;
Ich schlung um sie die Arme, und sie die Händ um mich,
[118]
Und Mund auf Mund gepflanzt, und Herz an Herz geschlossen,
Stumm, eingewurzelt, starr, in einem Kuß zerflossen,
In einen Leib geschlungen, den einerley Begier,
Den nur ein Geist beseelte, wie Bilder, standen wir.
Itzt faß ich ihre Hand, und trete matt zurücke,
Und schweige immer noch, und hang an ihrem Blicke.
Nun seufz ich: ach, Themire! war auch wohl eine Pein
Der meinen zu vergleichen? nein, keine Marter, nein!
Es sey denn diese Qual, die nicht die Unschuld kennet,
Die Flamme, die allein den Lasterhaften brennet.
Nun aber, ach Themire! (die Stunden sind entflohn)
Wer ist so froh, so zärtlich, so glücklich, als Aedon!
Zwar Cypris herrschet hier; doch jeder Theil der Erden
Muß, um mir schön zu seyn, durch dich verschönert werden.
Themire nahm mit Lächeln, und drückte mir die Hand;
Du hast nicht mehr empfunden, als ich um dich empfand,
Als, auf Zephisens Rath, gedungene Barbaren,
Die doch noch menschlicher, als diese Freundinn, waren,
(Denn Geld, das Sklaven zwinget und meine Räuber zwung,
Erpreßte das Bekenntniß, daß sie Zephise dung.)
Als diese, die kein Flehn, kein Schrecken im Gewissen.
So viel gewann, als Geld, mich deinem Arm entrissen!
[119]
Doch komm mit mir zum Tempel; der erste Augenblick
Vereinige auf ewig, auf ewig unser Glück!
Ach komm! der Altar soll von unsern Opfern rauchen,
Und heilger Weihrauch erst der Göttinn Düfte hauchen.
Dann kehren wir zurücke, und dann ergießt mein Schmerz
Sich frey in deinen Busen, und deiner in mein Herz.
Dann schwatzen wir uns satt; dann sollen in Vergnügen
Und Liebe, Tage uns, Minuten gleich, verfliegen!
Ich fühlte, daß Themire getreu, und zärtlich war;
Ich fühlt in mir den Himmel: wir flohen zum Altar:
Ein Amor band uns hier mit frischen Blumenketten.
Ach! wo ist noch ein Glück, das wir zu wünschen hätten!
Ein Lächeln: o wie fahren die Sorgen schnell zurück!
Und wenn noch oft ein Zweifel hervorstürmt, nur ein Blick,
Der wie ein Blick des Zevs, den er zur Erde wendet,
Die wilden Furien zur Höll hinunter sendet.

Notes
Vorliegendem Text liegt der Erstdruck zugrunde: Der Tempel der Liebe, ein Gedicht in zwölf Büchern, Hamburg und Leipzig (Georg Christian Grund u. Adam Heinrich Holle) 1757.
License
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Citation Suggestion for this Edition
TextGrid Repository (2012). Dusch, Johann Jakob. Der Tempel der Liebe. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-885F-E