[124] Dem Dichter

1. [Doch nicht, was du]

Greift nur hinein in's volle Menschenleben,

ein jeder lebt's, nicht vielen ist's bekannt,

und wo ihr's packt, da ist's interessant.

Vorspiel zum Faust.


Doch nicht, was du von außen packst,
ob dich ein Zufall glücklich leitet,
und wenn du's noch so scharf umzackst,
krönt dich zum Sieger und entscheidet ...
Nein: ob du's mit den Wurzeln greifst
und wie du's stimmst und wie du's reifst
in stiller Tage stillem Werden,
ob du's zur Sonne aufwärts hebst,
empor aus seines Unwerts Trübe,
empor aus seines Werktags Dunst,
ob du's mit deinem Ich durchlebst
und mit der Sehnsucht deiner Liebe,
dem Gottesatem freier Kunst.
[125]
Was sollen wir mit fremder Menschen
gleichgültiger Lust, gleichgültigem Leid?!
Du gib ihm Wort erst, Wert und Weihe
zu dem, dem du dich selbst geweiht!
Wir wollen dich, nicht ... uns, nicht andre!
wir wollen dich, was dich bewegt,
was dich ... auf freigekämpften Schwingen,
dem Staub entträgt,
dem Staub, dem Dunst, in dem wir ringen,
der Mühsal zwischen Heut und Morgen,
die uns mit ewigen Pfennig-Sorgen
um unser bestes Teil betrügt!
Mit deines Wortes mächtigem Werde
zerreiß die Nebel, schaff uns Licht ...
und über unserem kleinen Dasein
mit seinem riesengroßen Leid
zeig uns die morgengoldenen Feuer
der Sonne deiner Ewigkeit!

[126] 2. [Der Dinge unerkanntes Wesen]

Der Dinge unerkanntes Wesen ...
ein Lehrling auch wird's manchmal lösen
mit irgendwo erlauschtem Spruch ...
ein Lehrling auch vermag mitunter
ein Wunder
und kann, was im Verborgenen ruht,
aus dumpfer, traumgebundener Hut
zu Aufsturm und zu Tat befrein ...
doch Meister wird er drum nicht sein!
denn Sieg ist's nirgends: blinde Kraft
zu lösen nur und zu entflügeln ...
Sieg ist es erst:
in freiem Spiel,
zu jeder Zeit, zu jedem Ziel
die Macht zu haben, sie zu zügeln!

[127] 3. [Das Was ist's nicht!]

Das Was ist's nicht!
Wer etwas kann,
zwingt sich den sprödesten Stoff zu Willen,
zwingt zu lebendig frischem Quell
das Felsgestein, das sonnzerglühte,
zwingt das verdorrteste Reis am Weg
zu Reim und Blüte
mit bloßem Wort ... er will und spricht's,
und ... überflammt von tausend Sonnen,
befreit er eine Welt voll Wonnen
aus leerem, dämmergrauem Nichts!
Das Was ist's nicht! Das Wie allein
wird Kranz und Krone dir verleihn!
Stoff ist nur Stoff, in blinder Haft ...
dein Wille erst wird seine Kraft,
dein Wort erst wird sein Werde!
Es ist die gleiche Handvoll Erde ...
ein Gott wird Menschen daraus schaffen,
ein Stümper ... Affen!

[128] 4. [Frag nicht]

Frag nicht,
mach's fertig,
und es ist gut!
Frägst du,
weiß jeder was einzuwenden,
der im Ernst und der im Spaß,
du aber stehst mit verdrossenen Händen,
zweifelnd, mißgestimmt und laß ...
und beginnst zu ändern ...
aber die erste
Freude ist weg
und ihr heiliger Mut ...
Frag nicht,
mach's fertig,
und es ist gut!

[129] 5. [Mach, was du willst]

Mach, was du willst, mach's wie du willst,
nur sorg, daß es in deinem Sinn
als Ganzes, Volles dir gelingt,
und daß nichts Fremdes dazwischen klingt!
Man nenn's dann gut, man nenn es schlecht ...
es habe ruhig jeder recht,
und wer da lachen will, soll lachen ...
Witze sind über alles zu machen!
die einzige Frage, die da gilt,
ob einer lobt nun oder schilt,
die einzige Frage ist: gabst du ein Eig'nes!?

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TextGrid Repository (2012). Flaischlen, Cäsar. Dem Dichter. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-B409-D