Escheberg. Sankt Goar

1842–1843.

Auf dem Anstand

An Ernst Curtius.


Grau ist der Morgen, streif'ge Nebel wallen,
Ein leiser Regen spinnt sich trüb und kalt;
Die roten Blätter seh' ich langsam fallen -
Jagdwetter schien's, drum zogen wir zu Wald.
Schon spürt die Meute fern, sie bellt im Suchen,
Und ihr Gebell verheißt uns gute Pirsch;
Ich steh' im feuchten Herbstlaub an den Buchen,
Gespannt die Büchse, pass' ich auf den Hirsch.
Mich fröstelt. - Sollt' in meiner Weidmannstasche
Bei Blei und Pulver nicht Erquickung sein? -
Fürwahr, das ist die korbumflochtne Flasche!
Ein tücht'ger Zug! - Ha, das ist Zyperwein!
Heiß rinnt et durch die Adern, durch die Glieder -
Floß durch die Wipfel plötzlich Sonnenglanz?
Die griech'sche Feuertraube ruft mir wieder
Im Herzen wach die Bilder Griechenlands.
Zwei Jahre sind's! Ei, wie so anders schaute,
Wie froh der Herbst mir damals ins Gesicht!
Lau war die Luft, der tiefe Himmel blaute,
Die Feige schwoll, die Traub' im Sonnenlicht.
Da ließen, matt noch von des Sommers Gluten,
Mein Ernst, den Ernst wir in Athen zu Haus
Und zogen durch des Inselmeeres Fluten,
Zwei sel'ge Schwärmer, abenteuernd aus.
[141]
Gedenkst du, wie bei Paros durch die Brandung
Das Boot wir zwängten? - dämmernd stieg der Mond -
Und wie so schön uns dann die kühne Landung
Die rebumkränzte Marmorstadt belohnt?
Denkst du der Zithern, die die Nacht durchklangen,
Der Brunnen, die uns in den Schlaf gerauscht,
Und jenes Mädchens, das mit glühnden Wangen
Für leichten Schmuck Orangen uns vertauscht?
Denkst du an Naxos noch? Ich seh' sie liegen,
Die Klöster und das Schloß auf hohem Stein,
Den Säulenhof, wo sich die Palmen wiegen,
Die Felswand übergrünt von eitel Wein,
Das reiche Tal, in dessen bucht'ge Weiten
Ein buntgezäumtes Saumtier leicht uns trug -
Da blinkten Becher rings, da klangen Saiten;
Fürwahr, es war ein neuer Bakchuszug!
Und als wir sonnverbrannt mit staub'gen Ballen
Zur Ruh' verlangten nach der heißen Fahrt,
Da nahm uns in die kühlen Klosterhallen
Der wackre Pater mit dem langen Bart.
Hoch überm Meer auf seinem Laubensitze,
Wie schollen unsre Lieder da so frisch!
Wie floß der Quell des Nektars und der Witze
So unerschöpft am saubern Abendtisch!
Dort saß der Bischof, dort der Kapuziner,
Wir zwei Poeten lustig mittendrin:
Schlaulächelnd stellte der slawon'sche Diener
Uns beiden stets die vollsten Flaschen hin.
O Jubel, wie wir einst im Mönchsvereine
Gezecht, bis jenen die Geduld selbst riß,
Und wie wir dann, noch voll von süßem Weine,
Verdeutscht das Trinklied des Panyasis!
Doch mußten auf dem Chor die Priester säumen,
Dann suchten wir die Gärten am Gestad';
[142]
Schlaftrunken wob's in den Zitronenbäumen,
Die stille Felsbucht rief zum lauen Bad;
Dazu ein Trunk, ein Lied. So floß der Morgen,
So kam gestirnt die duft'ge Nacht daher;
Wir lebten, schwärmten - zwischen unsern Sorgen
Und zwischen unsern Herzen lag das Meer.
Nur einst - ein Sonntag war's, die Glocken gingen -
Da dachten wir an Lübecks Glockenklang,
Der Vaterstadt, und an den Wimpern hingen
Uns plötzlich Tränen, und wir schwiegen lang.
Ein Luftschloß baut' ich für mein Zukunftleben;
So golden war's. Die Brust schlug heimatwärts -
Ach, wenig hat die Heimat nun gegeben,
Ein Liederbuch und ein verwundet Herz.
Doch heilt es schon. Die Saiten, die zersprungen,
Zu ew'ger Stummheit sind sie bald gedämpft;
Ich habe mir in Nächten, bang durchrungen,
Das schwere Gut der Heiterkeit erkämpft.
Du sollst es am Gesang aus meinem Munde
Kaum spüren, welche Hoffnung von mir schied;
Und bricht sie einmal auf, die alte Wunde:
Laß bluten! Auch der Schmerz will ja sein Lied.
Mut! Mut! Dem Leid, der Lust die Stirn entgegen!
Die Welt ist immer noch des Schönen voll.
Ein kühnes Ringen gilt's auf meinen Wegen,
Ich ward ein Mann und fühle, was ich soll.
Ob's wieder Täuschung? - Doch genug! Der Hunde
Gebell klingt nah, der Fels antwortet hohl;
Ein Schuß und wieder einer fällt im Grunde -
Der Hirsch bricht durch die Büsche - Lebewohl!

Wenn sich zwei Herzen scheiden

Wenn sich zwei Herzen scheiden,
Die sich dereinst geliebt,
Das ist ein großes Leiden,
Wie's größres nimmer gibt.
[143]
Es klingt das Wort so traurig gar:
Fahr wohl, fahr wohl auf immerdar!
Wenn sich zwei Herzen scheiden,
Die sich dereinst geliebt.
Als ich zuerst empfunden,
Daß Liebe brechen mag,
Mir war's, als sei verschwunden
Die Sonn' am hellen Tag.
Mir klang's im Ohre wunderbar:
Fahr wohl, fahr wohl auf immerdar,
Da ich zuerst empfunden,
Daß Liebe brechen mag.
Mein Frühling ging zur Rüste,
Ich weiß es wohl warum;
Die Lippe, die mich küßte,
Ist worden kühl und stumm.
Das eine Wort nur sprach sie klar:
Fahr wohl, fahr wohl auf immerdar!
Mein Frühling ging zur Rüste,
Ich weiß es wohl warum.

Rühret nicht daran

Wo still ein Herz voll Liebe glüht
O rühret, rühret nicht daran!
Den Gottesfunken löscht nicht aus!
Fürwahr, es ist nicht wohlgetan.
Wenn's irgend auf dem Erdenrund
Ein unentweihtes Plätzchen gibt,
So ist's ein junges Menschenherz,
Das fromm zum ersten Male liebt.
O gönnet ihm den Frühlingstraum,
In dem's voll ros'ger Blüten steht!
Ihr wißt nicht, welch ein Paradies
Mit diesem Traum verloren geht.
[144]
Es brach schon manch ein starkes Herz,
Da man sein Lieben ihm entriß,
Und manches duldend wandte sich
Und ward voll Haß und Finsternis;
Und manches, das sich blutend schloß,
Schrie laut nach Lust in seiner Not
Und warf sich in den Staub der Welt;
Der schöne Gott in ihm war tot.
Dann weint ihr wohl und klagt euch an;
Doch keine Träne heißer Reu'
Macht eine welke Rose blühn,
Erweckt ein totes Herz aufs neu.

In ein Stammbuch

(Nach Byron.)


Wenn sich auf dieses Blatt dein Auge senkt,
Betracht' es still, als wär's mein Leichenstein;
Und mild, wie man der Toten sonst gedenkt,
Gedenke mein!

Lieder eines fahrenden Schülers

(Zu Volksweisen.)

1.

Kein Tröpflein mehr im Becher!
Kein Geld im Säckel mehr!
Da wird mir armem Zecher
Das Herze gar so schwer.
Das Wandern macht mir Pein,
Weiß nicht, wo aus, noch ein;
Ins Kloster möcht' ich gehen,
Da liegt ein kühler Wein.
Ich zieh' auf dürrem Wege,
Mein Rock ist arg bestaubt,
Weiß nicht, wohin ich lege
In dieser Nacht mein Haupt.
[145]
Mein Herberg' ist die Welt,
Mein Dach das Himmelszelt,
Das Bett, darauf ich schlafe,
Das ist das breite Feld.
Ich geh' auf flinken Sohlen,
Doch schneller reit't das Glück;
Ich mag es nicht einholen,
Es läßt mich arg zurück.
Komm' ich an einen Ort,
So war es eben dort,
Da kommt der Wind geflogen,
Der pfeift mich aus sofort.
Ich wollt', ich läg' zur Stunde
Am Heidelberger Faß,
Den offnen Mund am Spunde,
Und träumt' ich weiß nicht was.
Und wollt' ein Dirnlein fein
Mir gar die Schenkin sein:
Mir wär's, als schwämmen Rosen
Wohl auf dem klaren Wein.
Ach wer den Weg doch wüßte
In das Schlaraffenland!
Mir dünket wohl, ich müßte
Dort finden Ehr' und Stand.
Mein Mut ist gar so schlecht,
Daß ich ihn tauschen möcht';
Und so's Dukaten schneite,
Das wär' mir eben recht.

2.

Es fliegt manch Vöglein in das Nest
Und fliegt auch wied'r heraus;
Und bist du mal mein Schatz gewest,
So ist die Liebschaft aus.
[146]
Du hast mich schlimm betrogen
Um schnöden Geldgewinn -
Viel Glück, viel Glück zum reichen Mann!
Geh du nur immer hin!
Viel Blümlein stehn im hohen Korn
Von rot und blauer Zier,
Und hast du eins davon verlorn,
So such' ein andres dir.
Glaub' nicht, daß ich mich gräme
Um deinen falschen Sinn -
Ich find' schon einen andern Schatz;
Geh du nur immer hin!

3.

Herr Schmied, Herr Schmied, beschlagt mir mein Rößlein,
Und habt ihr's beschlagen, so macht mir ein Schlößlein,
Ein Schlößlein so fest und ein Schlößlein so fein,
Und muß bei dem Schlößlein ein Schlüssel auch sein.
Das Schlößlein, das will ich vors Herze mir legen,
Und hab' ich's verschlossen mit Kreuz und mit Segen,
So werf' in den See ich den Schlüssel hinein,
Darf nimmer ein Wort mehr heraus noch herein.
Denn wer eine selige Liebe will tragen,
Der darf es den alten Jungfern nicht sagen;
Die Dornen, die Disteln, die stechen gar sehr,
Doch stechen die Altjungfernzungen noch mehr.
Sie tragen's zur Bas' hin und zur Frau Gevattern,
Bis daß es die Gäns' auf dem Markte beschnattern,
Bis daß es der Entrich beredt auf dem See
Und der Kuckuck im Walde, und das tut noch weh.
Und wär' ich der Herrgott, so ließ' ich auf Erden
Zu Dornen und Disteln die Klatschzungen werden,
Da fräß' sie der Esel, und hätt's keine Not,
Und weinte mein Schatz sich die Augen nicht rot.

[147] Waldmärchen

In einer Waldschlucht finster,
Wo heimlich baut der Fuchs,
Wo Farrenkraut und Ginster
Sich rangt in üpp'gem Wuchs,
Lag ich, vom Grün umwoben,
An einem dunklen Bach;
Es lugte kaum von oben
Die Sonn' ins Laubgemach.
Ich hatte Moos zum Pfühle,
Gestrüpp zur Lagerstatt,
Vom Fels kam eine Kühle
Und ging durch Busch und Blatt;
Und kühle quoll der Sprudel
Und murrt' am schroffen Hang,
Den oft bei Nacht im Rudel
Die Hindin übersprang.
Mit rotem Auge schaute
Vom Baum der Auerhahn,
Es zog mit heisrem Laute
Der Häher seine Bahn;
Dann hämmert' abgebrochen
Der Specht von Zeit zu Zeit -
Mir war's, als hört' ich pochen
Das Herz der Einsamkeit.
Da plötzlich sah ich lehnen
Am Stamm ein hohes Weib,
Umwallt von lockigen Strähnen
Den wunderschönen Leib;
Wem ward zum Eigentume
Je solch ein Goldgewand!
Sie trug eine blaue Blume
In ihrer weißen Hand.
Sie sprach: »Sei mir willkommen!
Du bist ein seltner Gast,
Doch hast du dir zum Frommen
Erkoren hier die Rast;
[148]
Von allen Königinnen
Die reichste bin ich bald;
Mein Schloß mit grünen Zinnen,
Das ist der lust'ge Wald.
Sonst macht' ich wohl hinunter
Ins offne Land den Ritt,
Und Blumen sproßten munter,
Wohin mein Zelter schritt;
Zu bringen Lust und Minne,
Das war mein fröhlich Recht;
Doch ist von anderm Sinne
Das heurige Geschlecht.
Das träumt von Klingenhieben,
Von Schlacht nur und Geschoß;
Da bin ich heimgeblieben
In meinem Zauberschloß.
Nun lehr' ich singend wallen
Den Bach durch Fels und Ried,
Nun lehr' ich die Nachtigallen
Im Lenz ihr süßestes Lied.
Ich weiß, auch du mußt fechten,
Auch du gehörst der Zeit;
So steh' zu deinen Rechten
Und führe wackern Streit!
Doch will dein Arm ermüden,
Bei mir dann kehre du ein,
Im säuselnden Waldfrieden
Sollst du gekräftigt sein.
Da sollst du Frische saugen
Im harz'gen Duft vom Tann,
Da schaut aus Blumenaugen
Das Märchen froh dich an;
Und macht der Forst dich singen:
Es wird in der Zeiten Gang
Auf solche Weise dringen
Wie grüner Waldhornklang.«
[149]
Sie sprach's; ich stand erschrocken
Und wußte nicht ein Wort,
Da schüttelte sie die Locken
Und schwand ins Dickicht fort.
Noch glaubt' ich fern das Wallen
Zu sehn des goldnen Haars,
Doch in den Buchenhallen
Ein Strahl der Sonne war's.
Und wieder schrie der Häher,
Und wieder quoll die Flut;
Doch mir entzücktem Seher
War groß und still zumut.
Und zeihn sie mir's als Sünde:
Ich lasse dich dennoch nie,
O Fei der Waldesgründe,
O Sagenpoesie!

Dante

Einsam durch Veronas Gassen wandelt' einst der große Dante,
Jener Florentiner Dichter, den sein Vaterland verbannte.
Da vernahm er, wie ein Mädchen, das ihn sah vorüberschreiten,
Also sprach zur jüngern Schwester, welche saß an ihrer Seiten:
»Siehe, das ist jener Dante, der zur Höll' hinabgestiegen,
Merke nur, wie Zorn und Schwermut auf der düstern Stirn ihm liegen!
Denn in jener Stadt der Qualen mußt' er solche Dinge schauen,
Daß zu lächeln nimmer wieder er vermag vor innerm Grauen.«
Aber Dante, der es hörte, wandte sich und brach sein Schweigen:
»Um das Lächeln zu verlernen, braucht's nicht dort hinabzusteigen.
[150]
Allen Schmerz, den ich gesungen, all die Qualen, Greul und Wunden
Hab' ich schon auf dieser Erden, hab' ich in Florenz gefunden.«

Von des Kaisers Bart

Im Schank zur goldnen Traube,
Da saßen im Monat Mai
In blühender Rosenlaube
Guter Gesellen drei.
Ein frischer Bursch war jeder,
Der erst' am Gurt das Horn,
Der zweit' am Hut die Feder,
Der dritte mit Koller und Sporn.
Es trug in funkelnden Kannen
Der Wirt den Wein auf den Tisch;
Lustige Reden sie spannen
Und sangen und tranken frisch.
Da war auch einer drunter,
Der grüne Jägersmann,
Vom Kaiser Rotbart munter
Zu sprechen hub er an:
»Ich habe den Herrn gesehen
Am Rebengestade des Rheins,
Zur Messe wollt' er gehen
Wohl in den Dom nach Mainz.
Das war ein Bild, der Alte,
Fürwahr von Kaiserart!
Bis auf die Brust ihm wallte
Der lange braune Bart.«
Ins Wort fiel ihm der zweite,
Der mit dem Federhut:
»Ei Bursch, bist du gescheite?
Dein Märlein ist nicht gut.
[151]
Auch ich hab' ihn gesehen
Auf seiner Burg im Harz,
Am Söller tät er stehen,
Sein Bart, sein Bart war schwarz.«
Da fuhr vom Sitz der dritte,
Der Mann mit Koller und Sporn,
Und in der Zänker Mitte
Rief er in hellem Zorn:
»So geht mir doch zur Höllen,
Ihr Lügner! Glück zur Reis'! -
Ich sah den Kaiser zu Köllen,
Sein Bart war weiß, war weiß.«
Das gab ein grimmes Zanken
Um Weiß und Schwarz und Braun,
Es sprangen die Klingen, die blanken,
Und wurde scharf gehaun.
Verschüttet aus den Kannen
Floß der vieledle Wein,
Blutige Tropfen rannen
Aus leichten Wunden drein.
Und als es kam zum Wandern,
Ging jeder in zornigem Mut,
Sah keiner nach dem andern,
Und waren sich jüngst so gut.
Ihr Brüder, lernt das eine
Aus dieser schlimmen Fahrt:
Zankt, wenn ihr sitzt beim Weine,
Nicht um des Kaisers Bart!

Welt und Einsamkeit

O rühmet immerhin mir eure lauten Feste,
Zu denen man geschmückt mit prächt'gen Rappen fährt,
Wo stetes Lächeln kränzt die Stirnen aller Gäste,
Als sei der Tod nicht mehr und jedes Leid verklärt,
Wo Scherz und Lüsternheit sich ineinander ranken,
So wie der üpp'ge Mohn dem Korn sich lodernd mischt,
[152]
Wo alles blitzt und sprüht, Demanten und Gedanken,
Als gält's ein Feuerwerk, das vor bezahlten Schranken
Vielfarbig auf ins Dunkel zischt.
Und eure Bälle rühmt, wo man in Prunkgemächern
Mit duft'gem Eis euch kühlt und süßen Schaum kredenzt,
Wo reich ein bunt Gewirr von Federn, Blumen, Fächern,
Von Seid' und Goldgeschmeid' aus hundert Spiegeln glänzt,
Wo bei Trompetenklang und bei der Pauke Tosen
Der Reigen hold sich löst und holder wieder schließt,
Und um der Schönheit Preis die stolzen Frauen losen
Mit jenem weichen Schmelz, der wie ein Duft von Rosen
Um sechzehnjähr'ge Stirnen fließt.
Rühmt alles immerhin, die Pracht, das dunkle Feuer,
Das aus den Augen flammt, die man in Liedern preist,
Die Klugheit, die dies Meer befährt mit sicherm Steuer,
Den leichtbewegten, ach, so oft mißbrauchten Geist;
Rühmt mir den Ambraduft der hohen Teppichzimmer,
Den Silberschmuck, der Glanz der würz'gen Tafel leiht,
Den Wein, der wie Rubin erglüht im Kerzenschimmer,
Der Mädchen süß Geschwätz - ihr lockt, ihr lockt mich nimmer;
Ich wähle dich, o Einsamkeit.
Dich, hohe Zauberin, die wandelt in den Forsten,
Wo kaum ein fleckig Reh durchs Brombeerdickicht rauscht,
Die auf dem Inselfels von kahlen Geierhorsten
Dem ewiggleichen Schlag der Meereswoge lauscht,
Die ihren Wohnsitz hat auf Schlössern, längst verlassen,
Wo Efeulauben sich um Tor und Söller baun,
Und nur bei tiefer Nacht betritt der Städte Gassen,
Um Kirch' und Erkerturm und düstre Giebelmassen
Im Mondenglanze zu beschaun.
Ich wähle dich, denn du hast mich im Schoß getragen,
Da ich, ein Knabe noch, in Heid' und Tann geschweift,
Hast mich das erste Lied gelehrt in frühen Tagen
Und dann in schwerer Zeit zum Manne mich gereift.
[153]
Und wollte mir das Herz vergehn in Angst und Wehe,
Nie kehrt' ich heim von dir, daß ich nicht Trost gefühlt;
Empfinden ließest du mich meines Gottes Nähe
Wie einen Frühlingshauch, der, ob ich ihn nicht sehe,
Mir doch die heiße Stirne kühlt.
Du warst es, göttlich Weib, die mir von alten Zeiten,
Von Hellas' Glanz erzählt an Suniums Klippenstrand,
Wenn ich, den Blick gekehrt zu blauen Meeresweiten,
Dort an des Tempelbaus verwaisten Säulen stand.
Die rote Distel wuchs umher am schroffen Hügel,
Um Schutt und Trümmer kroch ein sonnverbrannt Gerank.
Ein Aar vom Tayget schwang über mir die Flügel,
Indes mein türkisch Roß mit blankem Schaufelbügel
Aus einem Marmorknaufe trank.
Und o wie wehte sanft dein Hauch durch meine Träume,
Als ich im Waldgebirg' an Hessens Marken lag!
Spätsommer war's, ein Duft von Harz durchzog die Bäume,
Aus fernem Grund herauf erscholl des Beiles Schlag;
Ich sah, wie still und schlaff der Eiche Blätter hingen,
Kein Lüftchen! Selbst der Zweig der Espe hatte Ruh';
Und plötzlich dann im Laub ein Rauschen und ein Klingen,
Es kam der Wind: mir war's, als trügen seine Schwingen
Auf dein Geheiß Gesang mir zu.
Fürwahr, du bleibst getreu. Mag alle Welt mir grollen,
Ich flüchte mich zu dir, du hältst mich stark und fest;
Du lehrst mich das Panier der Schönheit hoch entrollen,
Ja, Muse bist du mir, wenn mich die Liebe läßt.
So laß denn fern am Strand, im Wald, auf Burgruinen
All deinen Märchenreiz verströmen in mein Lied,
[154]
So wie zur Sommerszeit, sobald die Nacht erschienen,
Der Nelke Duft, vermischt dem Dufte der Jasminen,
Die laue Finsternis durchzieht.

Meiden

Es schleicht ein zehrend Feuer
Durch mein Gebein;
Mein Schatt' ist mir nicht treuer
Wie diese Pein.
Ich höre die Stunden ziehen
Trüben Gesichts;
Sie kommen, weilen, fliehen -
Und ändern nichts.
Der Sommer kommt gegangen,
Mir ist's wie Traum;
Am Busch Wildröslein hangen,
Ich acht' es kaum.
Es schlagen die Nachtigallen
In Wald und Plan,
Laß schallen, laß verhallen!
Was geht's mich an?
Ich fühle nur das eine
In meinem Sinn:
Daß ich von dir, du reine,
Geschieden bin.
Mein Schatt' ist mir nicht treuer
Wie diese Pein;
Und zehrend schleicht das Feuer
Durch mein Gebein.

Im Herbste

Auf des Gartens Mauerzinne
Bebt noch eine einz'ge Ranke:
Also bebt in meinem Sinne
Schmerzlich nur noch ein Gedanke.
[155]
Kaum vermag ich ihn zu fassen,
Aber dennoch von mir lassen
Will er, ach, zu keiner Frist;
Und so denk' ich ihn und trage
Alle Nächte, alle Tage
Mit mir fort die dumpfe Klage,
Daß du mir verloren bist.

Mut

O Herz, laß ab zu zagen
Und von dir wirf das Joch!
Du hast so viel getragen,
Du trägst auch dieses noch.
Tritt auf in blanken Waffen,
Mein Geist, und werde frei!
Es gilt noch mehr zu schaffen,
Als einen Liebesmai.
Und ob die Brust auch blutet,
Nur vorwärts in die Bahn!
Du weißt, am vollsten flutet
Gesang dem wunden Schwan.

Im Grafenschlosse
1.

Sie waren alle in den Forst hinaus,
Den Hirsch mit Büchs' und Messer zu erlegen;
Ich saß allein im alten Grafenhaus
Und harrt' im Saal der Jägerschar entgegen.
Ein fahles Spätrot floß gedämpften Lichts
Auf Wänd' und Hausrat durch die engen Scheiben,
Rings Totenstill' umher! Ich hörte nichts,
Als vorn im Hof den Zugwind in den Eiben.
Die Spiegel rings, in dumpfes Gold gefaßt,
Das Laubwerk am Gesims, einst vielbewundert,
Die düstern Samttapeten, halb verblaßt, -
Mich mahnt' es an ein anderes Jahrhundert.
[156]
Die Spieluhr sang ein Lied aus alter Zeit,
Ein Liebeslied - jetzt lange schon vergessen -
Da dacht' ich derer, die in Lust und Leid
Bei diesem Stückchen horchend einst gesessen.
Und mit Gestalten füllt' ich mir den Saal,
Die dunkeln Bilder rief ich aus den Rahmen;
Hin durch die Dämmrung schwebten sie zumal,
In Festesputz die alten Herrn und Damen.
Ich sah den Reifrock, das Brokatgewand;
Das war ein hastig flüsterndes Bewegen,
Ein Drehn! - Da fühlt' ich plötzlich eine Hand
Sich kalt wie Eis auf meine Schulter legen.
Ich wandte mich - bei Gott, das war kein Wahn! -
Da stand ein Weib mit Zügen bleich und steinern,
Mit schwarzverschoßnem Schleppkleid angetan,
Draus ihre Hand hervorsah elfenbeinern.
Sie sah mich an - o dieser Blick voll Leid!
O dieses Auges halberloschnes Strahlen!
Mir war's, als starrt' ich in die Ewigkeit
Und in den Abgrund bodenloser Qualen.
Sie winkt' und schritt. Nicht hört' ich ihren Fuß,
Nicht ihrer Schleppe Saum den Teppich rühren.
Sie sprach kein Wort, sie sagte keinen Gruß;
Sie winkt', und tonlos sprangen auf die Türen.
Ich folgte stumm. Sie schwebte vor mir her
Durch Prunkgemächer, Treppen auf und nieder,
Durch Gänge dann und Säle wüst und leer -
Sie schritt und sah sich um und winkte wieder.
Zum Erkerturm! Es war ein eng Gemach,
Gewölbt und dumpfig, eine düstre Stätte;
Ein Tischchen hier, drauf alter Goldschmuck lag,
Und hoch und faltig dort ein Himmelbette.
Dort stand sie still und wies mit weißer Hand
Erst auf den Tisch, dann auf die staub'gen Dielen;
Ich beugte mich - o Gott, mein Sinnen schwand -
Ein Blutfleck war's, worauf die Blicke fielen.
[157]
Und schaudernd sah ich auf. Da war sie fort,
Wie Nebel in die leere Luft verschweben;
Ich aber stand gebannt am grausen Ort
Und starrt' und wagte nicht den Fuß zu heben.
Mein Atem flog, mein Blut gefror zu Eis,
Da - Gott sei Dank - da hört' ich Hornfanfaren,
Gebell und Hufschlag; und in kaltem Schweiß
Stürzt' ich hinunter zu den Jägerscharen.

2.

Die Nacht war wild. Wir saßen am Kamin,
Der Kastellan und ich, noch spät beisammen;
Wir hörten, wie vom Turm die Dohlen schrien,
Und dann den Sturm und schürten in den Flammen.
Da litt mich's nicht, ich mußt' es ihm gestehn,
Das düstere Geheimnis, das mich quälte;
Er sagte nur: »So habt Ihr's auch gesehn?«
Und atmend horcht' ich, als er drauf erzählte:
»Sie war ein stolzes Weib, reich, schön und kalt,
Als Kind vermählt dem ungeliebten Gatten,
Von starrem Sinn, wo's Ehr' und Wappen galt,
An ihrem Rufe duldend keinen Schatten.
Ihr Auge gab Gebot dem Dienertroß;
Weh jedem, dem es finster Zorn geflammet!
Sie sang und lachte nie, sie zäumt' ihr Roß
Und ritt zu Wald im knappen Kleid von Sammet.
Ihr einzig Töchterlein war mildrer Art,
Voll frommen Sinns sich um die Mutter mühend;
In strenger Hut erwuchs sie hold und zart,
Wie ein Waldröslein unter Dornen blühend;
Ihr Haar war fließend Gold im Sommerwind,
Ihr Auge blau wie Blumen in den Ähren -
Mein Ältervater sah sie noch als Kind,
Und nannt' er sie, so war es oft mit Zähren.
[158]
Da kam des Pfarrers schöner Sohn ins Schloß,
Und anders plötzlich ward des Mädchens Wesen;
Bald war's ihr Glück, wenn sanft die Red' ihm floß,
Im dunkeln Rätsel seines Blicks zu lesen.
Sie liebt' und schwieg. Doch als im Mondenlauf
Der Lenz erschien und Veilchen weckt' und Blüten,
Da ging die Blüt' auch ihres Herzens auf.
Sie liebt' und fiel. - Wer mag die Liebe hüten?
Stumm war der Gräfin Zorn, doch war er schwer.
Der Jüngling bat, die Tochter rang die Hände;
Umsonst! - da stürzt' er fort, aufs Roß, zum Heer,
Von Schlacht zu Schlacht, und niemand weiß sein Ende.
Doch als im Herbst am Fels die Traube schwoll,
Verschwand das Mädchen in des Turms Portale;
Dort floß ihr Leben still geheimnisvoll,
Ein dunkler Bach in sonnenlosem Tale.
Und Winter ward's. Da, einst im Dämmerstrahl,
Ging heimlich Flüstern in den nahen Zimmern,
Ein dumpfes Stöhnen, dann ein Schrei der Qual,
Und drauf ein Laut wie eines Säuglings Wimmern.
Dann schwieg's. Die Gräfin trat aus dem Klosett
Bleich wie der Tod. - O fragt nicht, was geschehen!
Die goldne Nadel auf dem Tisch am Bett,
Den Fleck am Boden habt ihr selbst gesehen.
Die Tochter siecht' und starb. In düstrer Pracht
Hielt ihr Begängnis man nach alter Weise:
Die Silberampeln flammten durch die Nacht,
Die Glocke scholl, schwarz stand das Volk im Kreise.
Da trat die Mutter vor, ein steinern Bild,
Ihr Auge brannte hohl, ihr Fußtritt irrte:
Sie legte auf des Sarges Wappenschild
Mit schwanker Hand die jungfräuliche Myrte.
Ein Jahr verging, und wieder floß ein Zug
Zur Gruft im Fackelschein, im düsterroten:
Die Gräfin war's, die man zur Ruhe trug,
Doch Ruhe fand sie keine bei den Toten.
[159]
Denn wenn mit ihrem fahlen Dämmerschein
Im Spätjahr kommt die Zeit der Abendmette,
Da ruft der Blutfleck sie empor vom Schrein,
Und wandeln muß sie zu der Schauerstätte.«
Der Alte schwieg. Kaum wagt' ich aufzusehn
Vom Feuerbrand, in den ich stumm geschauet:
Mir war's, sie müßte wieder vor uns stehn
Mit jenem Blick, davor der Seele grauet.
Da plötzlich draußen schwoll der Sturm mit Macht,
Es pfiff im Rauchfang, rauscht' in den Tapeten;
Zur Kerze griff ich: »Alter, gute Nacht!
Laßt uns für die verlorne Seele beten!«

Der Einsiedler

Wie ward mir das Gewühle
Der Welt doch gar zur Last!
Es rauscht der Wald so kühle
Und lockt zu süßer Rast.
Fahrt wohl denn, ihr Beschwerden,
Fahr wohl, o Lust der Erden!
Ein Siedler will ich werden,
Der Wildnis stiller Gast.
Mein Wams von Purpursammet,
Ich muß dich von mir tun:
Mein Schwert, hast ausgeflammet,
Ein Grabscheit wirst du nun.
Fleuch auf, mein Falk, mit Schalle!
Trab' heim, mein Roß, zum Stalle!
Der Goldsporn bricht, ich walle
Fortan auf Sandelschuhn.
Ich will ein Haus mir bauen
Hier zwischen Eich' und Tann'
Aus Stämmen unbehauen
Mit Moos und Flechten dran:
[160]
Ein Kreuzlein will ich schneiden
Aus jenen Hängeweiden
Und mich in Felle kleiden,
Wie weiland Sankt Johann.
Im hohlen Baum die Waben,
Sie reichen Honig dar;
Nach Wurzeln kann ich graben
Die längste Zeit im Jahr;
Und dort von fels'ger Schwelle
Hüpft braun herab die Quelle,
Wie schimmert ihre Welle
In hohler Hand so klar!
Ein Gärtlein soll umhegen
Die dunkle Siedelei,
Drin will ich Rosen pflegen
Und Rosmarin dabei:
Will aus dem Born sie tränken
Und, wenn sie welk sich senken,
Im Herzen still gedenken,
Daß Lieb' ein Schatten sei.
Und kommt zu meiner Zellen
Ein Reh die grüne Bahn,
Das wähl' ich zum Gesellen
Und zieh' es treu heran.
Auf meinem Bett von Ranken
Da ruh' es seine Flanken;
Es wird mir besser danken,
Als je ein Mensch getan.
So will ich Umgang pflegen
Mit Rosen, Reh und Hain,
Gegrüßt auf meinen Wegen
Vom Sonnenstrahl allein;
Und jeden Abend treten
Will ich zum Kreuz und beten
Den einen Spruch, den steten:
»Herr, nimm zu dir mich ein!«
[161]
Und so mich Gott erhöret,
Da sei der Forst mein Grab,
Wo mich kein Reigen störet
Und keines Rosses Trab.
Wildröslein, rot und bleiche,
Bestatten fromm die Leiche,
Es singt von dunkler Eiche
Die Nachtigall herab.

Lied

Ich habe wohl in jungen Tagen
Mich stark in mir geglaubt und fest
Und keck der Sorgen mich entschlagen,
Sah ich den Vogel baun sein Nest.
Doch kommt die Zeit, wo auch den Sänger
Die Sehnsucht fasset bang und bänger,
Und wo das müde Herz nicht länger
Sich um sein Recht betrügen läßt.
Nun blüht um mich das Land der Reben,
Und Burgen winken überm Rhein;
Mich trägt der Kahn mit leisem Schweben
Das Tal entlang im Abendschein.
Der Festtag ruft mit hellen Geigen
Die Winzer von den Felsensteigen,
Der Becher schäumt, es klingt der Reigen;
Was kümmert's mich? - ich bin allein.
O dürft' ich nicht mehr suchend schweifen
Von Ort zu Ort, ein fremder Gast!
Dürft' ich mein stilles Teil ergreifen,
Mein Teil der Lust, mein Teil der Last!
Schlüg' endlich mir ein Herz entgegen,
Die heißen Schläfe dran zu legen!
Denn nur von innen kommt der Segen,
Und nur die Liebe bringet Rast.

[162] Sanssouci

Dies ist der Königspark. Rings Bäume, Blumen, Vasen!
Sieh, wie ins Muschelhorn die Steintritonen blasen!
Die Nymphe spiegelt klar sich in des Beckens Schoß:
Sieh hier der Flora Bild in hoher Rosen Mitten,
Die Laubengänge sieh, so regelrecht geschnitten,
Als wären's Verse Boileaus!
Vorbei am luft'gen Haus voll fremder Vögelstimmen
Laß uns den Hang empor zu den Terrassen klimmen,
Die der Orange Wuchs umkränzt mit falbem Grün!
Dort oben ragt, wo frisch sich Tann' und Buche mischen,
Das schmucklos heitre Schloß mit breiten Fensternischen,
Darin des Abends Feuer glühn.
Dort lehnt ein Mann im Stuhl: sein Haupt ist vorgesunken,
Sein blaues Auge sinnt, und oft in hellen Funken
Entzündet sich's; so sprüht aus dunkler Luft ein Blitz.
Ein dreigespitzter Hut bedeckt der Schläfe Weichen,
Sein Krückstock irrt im Sand und schreibt verworrne Zeichen -
Nicht irrst du, das ist König Fritz.
Er sitzt und sinnt und schreibt. Kannst du sein Brüten deuten?
Denkt er an Kunersdorf, an Roßbach oder Leuthen,
An Hochkirchs Nacht, durchglüht von Flammen hundertfach,
Wie dort im roten Qualm gegrollt die Feldkanonen,
Indes die Reiterei mit rasselnden Schwadronen
Der Grenadiere Viereck brach?
Schwebt ein Gesetz ihm vor, mit dem er weis' und milde
Sein schlachterstarktes Volk zu schöner Menschheit bilde,
Ein Friedensgruß, wo jüngst die Kriegespauke scholl?
Ersinnt er einen Reim, der seinen Sieg verkläre,
Oder ein Epigramm, mit dem bei Tisch Voltaire,
Der Schalk, gezüchtigt werden soll?
[163]
Vielleicht auch treten ihm die Bilder nah, die alten,
Da er im Mondenlicht in seines Schlafrocks Falten
Die sanfte Flöt' ergriff, des Vaters Ärgernis?
Des treuen Freundes Geist will er heraufbeschwören,
Dem - ach, um ihn! - das Blei aus sieben Feuerröhren
Die kühne Jünglingsbrust zerriß?
Träumt in die Zukunft er? Zeigt ihm den immer vollern,
Den immer kühnern Flug des Aars von Hohenzollern,
Der schon den Doppelaar gebändigt, ein Gesicht?
Gedenkt er, wie dereinst ganz Deutschland hoffend lausche
Und bangend, wenn daher sein schwarzer Fittich rausche? -
O nein, das alles ist es nicht.
Er murrt: »O Schmerz, als Held gesandt sein einem Volke,
Dem nie der Muse Bild erschien auf goldner Wolke!
August sein auf dem Thron, wenn kein Horaz ihm singt!
Was hilft's, vom fremden Schwan die weißen Federn borgen!
Und doch, was bleibt uns sonst? - Erschein, erschein, o Morgen,
Der uns den Götterliebling bringt!«
Er spricht's und ahnet nicht, daß jene Morgenröte
Den Horizont schon küßt, daß schon der junge Goethe
Mit seiner Rechten fast den vollen Kranz berührt,
Er, der das scheue Kind, noch rot von süßem Schrecken,
Die deutsche Poesie, aus welschen Taxushecken
Zum freien Dichterwalde führt.

Minnelied

Es gibt wohl manches, was entzücket,
Es gibt wohl vieles, was gefällt;
Der Mai, der sich mit Blumen schmücket,
Die güldne Sonn' im blauen Zelt.
Doch weiß ich eins, das schafft mehr Wonne
Als jeder Glanz der Morgensonne,
Als Rosenblüt' und Lilienreis:
Das ist, getreu im tiefsten Sinne
[164]
Zu tragen eine fromme Minne,
Davon nur Gott im Himmel weiß.
Wem er ein solches Gut beschieden,
Der freue sich und sei getrost!
Ihm ward ein wunderbarer Frieden,
Wie wild des Lebens Brandung tost.
Mag alles Leiden auf ihn schlagen:
Sie lehrt ihn nimmermehr verzagen,
Sie ist ihm Hort und sichrer Turm;
Sie bleibt im Labyrinth der Schmerzen
Die Fackelträgerin dem Herzen,
Bleibt Lenz im Winter, Ruh' im Sturm.
Doch suchst umsonst auf irrem Pfade
Die Liebe du im Drang der Welt;
Denn Lieb' ist Wunder, Lieb' ist Gnade,
Die wie der Tau vom Himmel fällt.
Sie kommt wie Nelkenduft im Winde,
Sie kommt, wie durch die Nacht gelinde
Aus Wolken fließt des Mondes Schein;
Da gilt kein Ringen, kein Verlangen,
In Demut magst du sie empfangen,
Als kehrt' ein Engel bei dir ein.
Und mit ihr kommt ein Bangen, Zagen,
Ein Träumen aller Welt versteckt;
Mit Freuden mußt du Leide tragen,
Bis aus dem Leid ihr Kuß dich weckt;
Dann ist dein Leben ein geweihtes,
In deinem Wesen blüht ein zweites,
Ein reineres von Licht und Ruh';
Und todesfroh in raschem Fluten
Fühlst du das eigne Ich verbluten,
Weil du nur wohnen magst im Du.
Das ist die köstlichste der Gaben,
Die Gott dem Menschenherzen gibt,
Die eitle Selbstsucht zu begraben,
Indem die Seele glüht und liebt.
[165]
O süß Empfangen, sel'ges Geben!
O schönes Ineinanderweben!
Hier heißt Gewinn, was sonst Verlust.
Je mehr du schenkst, je froher scheinst du,
Je mehr du nimmst, je sel'ger weinst du -
O gib das Herz aus deiner Brust!
In ihrem Auge deine Tränen,
Ihr Lächeln sanft um deinen Mund,
Und all dein Denken, Träumen, Sehnen,
Ob's dein, ob's ihr, dir ist's nicht kund.
Wie wenn zwei Büsche sich verschlingen,
Aus denen junge Rosen springen,
Die weiß, die andern rot erglüht,
Und keiner merkt, aus wessen Zweigen
Die hellen und die dunkeln steigen:
So ist's; du fühlest nur: es blüht.
Es blüht; es ist ein Lenz tiefinnen,
Ein Geisteslenz für immerdar;
Du fühlst in dir die Ströme rinnen
Der ew'gen Jugend wunderbar.
Die Flammen, die in dir frohlocken,
Sind stärker als die Aschenflocken,
Mit denen Alter droht und Zeit;
Es leert umsonst der Tod den Köcher,
So trinkst du aus der Liebe Becher
Den süßen Wein: Unsterblichkeit.
Spät ist es - hinter dunkeln Gipfeln
Färbt golden sich der Wolken Flaum;
Tiefrötlich steigt aus Buchenwipfeln
Der Mond empor am Himmelssaum.
Der Wind fährt auf in Sprüngen, losen,
Und spielet mit den weißen Rosen,
Die rankend blühn am Fenster mir.
O säuselt, säuselt fort, ihr Lüfte,
Und tragt, getaucht in Blumendüfte,
Dies Lied und meinen Gruß zu ihr!

Lizenz
Der annotierte Datenbestand der Digitalen Bibliothek inklusive Metadaten sowie davon einzeln zugängliche Teile sind eine Abwandlung des Datenbestandes von www.editura.de durch TextGrid und werden unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung 3.0 Deutschland Lizenz (by-Nennung TextGrid) veröffentlicht. Die Lizenz bezieht sich nicht auf die der Annotation zu Grunde liegenden allgemeinfreien Texte (Siehe auch Punkt 2 der Lizenzbestimmungen).
Link zur Lizenz

Zitationsvorschlag für diese Edition
TextGrid Repository (2012). Geibel, Emanuel. Escheberg. Sankt Goar. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-B6E2-F